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Veröffentlicht am 12.10.2023

Im Auge des Sturms

Alles schweigt
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Mit „Alles schweigt“ hat der ehemalige Drehbuchautor und Lead Writer Jordan Harper ein düsteres Epos geschrieben, dessen spannender Handlung reale Ereignisse zugrunde liegen. In einander abwechselnden ...

Mit „Alles schweigt“ hat der ehemalige Drehbuchautor und Lead Writer Jordan Harper ein düsteres Epos geschrieben, dessen spannender Handlung reale Ereignisse zugrunde liegen. In einander abwechselnden Kapiteln nehmen uns die beiden Protagonisten mit auf einen wilden Ritt ins Auge des Sturms. Wesentlich interessanter ist allerdings die persönliche Veränderung, die sie gemeinsam durchlaufen. Während sie anfangs eher mit zynischem Blick auf das schauen, was um sie herum passiert, sich nur ihrem Job und ihrer jeweiligen Aufgabe verpflichtet fühlen, leisten sie Abbitte, finden zu ihrer Menschlichkeit zurück. Übernehmen, je tiefer der Morast wird, in dem sie waten, Verantwortung. Lassen zu, dass ihre persönliche Moral, ihre Ethik die Oberhand gewinnt und ihr Handeln bestimmt. Auch wenn sie dafür einen hohen Preis zahlen müssen.

Wenn bei den Reichen, Schönen und Einflussreichen in Los Angeles ein Skandal darauf lauert, es in die Schlagzeilen zu schaffen, ist Mae Pruett zur Stelle. Angestellt bei einer Agentur für Krisenmanagement ist sie damit beauftragt, deren Dreck wegzuschaufeln.

Chris Tamburro, Ex-Bulle und ihr ehemaliger Lover, arbeitet für eine Sicherheitsfirma, „das Ungeheuer“, ein Konglomerat aus PR-Agenturen, Anwälten und Investoren. Er ist kein Feingeist, setzt lieber die Fäuste ein, wenn es gilt, der gleichen Klientel persönlichen Schutz zu bieten.

Maes Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber kommt an ihre Grenzen, als ihr Kollege ermordet wird, und sie setzt alles daran, den oder die Täter dingfest zu machen. Dafür benötigt sie Unterstützung, denn diejenigen, die dafür verantwortlich sind, setzen alles daran, dass ihre schmutzigen Geheimnisse nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Der einzige Mensch in ihrem Umfeld ist Chris. Ihm vertraut sie, kann sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Und so kommt er wieder zurück in dieses Spiel, in dem alle schweigen, doch alle flüstern.

Auch wenn dieser Roman in Los Angeles verortet ist und wir spätestens seit dem Harry-Weinstein-Skandal wissen, was in Hollywood im Hinblick auf die Vergabe von Filmrollen gang und gäbe ist, spielt dies in Jordan Harpers Roman „Alles schweigt“ nur eine Nebenrolle. Wesentlich interessanter sind hier die Bezüge, die zu den skandalösen Vorfällen rund um Jeffrey Epstein und dessen elitärer Freundesclique hergestellt werden. Dabei ist es aber kein #metoo Roman, sondern eine Verbeugung vor James Ellroy, dem großen Sohn der Metropole, der in seinen Werken immer wieder, aber insbesondere in seinem L.A.-Quartett, nicht nur die hässlichen Auswüchse der Metropole sondern auch die hässlichen Seiten des „Land of the Free and Home of the Brave“ thematisiert hat.

Lesen. Unbedingt!

Veröffentlicht am 11.10.2023

Ein vergessenes Kapitel der Zeitgeschichte

Blinde Tunnel
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Historische Romane, so sie sich auf konkrete Ereignisse beziehen, sollten gut recherchiert sein. Das gilt insbesondere dann, wenn sie in Unterhaltungsliteratur verpackt sind. Tove Alsterdals „Blinde Tunnel“ ...

Historische Romane, so sie sich auf konkrete Ereignisse beziehen, sollten gut recherchiert sein. Das gilt insbesondere dann, wenn sie in Unterhaltungsliteratur verpackt sind. Tove Alsterdals „Blinde Tunnel“ erfüllt diese Vorgabe und noch viel mehr, rückt sie doch in diesem als Krimi vermarkteten Roman Geschehnisse in den Vordergrund , die wahrscheinlich zumindest im Bewusstsein der jüngeren Generation wohl nicht mehr bekannt sind.

Noch ahnen Sonja und Daniel nicht, was sie erwartet, als sie beschließen, einen Neuanfang zu wagen und ein stark renovierungsbedürftiges Weingut in Tschechien kaufen. Bei der Renovierung zeigt sich, dass das Anwesen Geheimnisse birgt, die niemals ans Tageslicht kommen sollten.

„Blinde Tunnel“ beeindruckt durch seine Themenvielfalt. Natürlich kann man dieses Buch als Krimi lesen, denn das ist ja bereits durch den Fund in den Gewölben vorgegeben. Aber schon allein durch die Verankerung im historischen Kontext hat es weit mehr zu bieten.

Ein kurzer Blick zurück: Nach dem Münchner Abkommen 1938 annektiert Hitler das Sudetenland, ein Gebiet im heutigen Tschechien, in dem viele Deutsche leben. Es gibt Spannungen unter der Bevölkerung, denn die einen sympathisieren mit den Nationalsozialisten, die anderen nicht. Nach Kriegsende gibt kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen, schließlich werden letztere, legitimiert durch die Dekrete der Siegermächte vertrieben und ihre Besitztümer den tschechischen Nachbarn übereignet. Ein historisches Ereignis der Zeitgeschichte, dessen tiefe Wunden bis in die Gegenwart sichtbar sind und nachwirken.

Tove Alsterdal hat eine gut recherchierte Geschichte über Vertreibung und Flucht geschrieben, heute aktueller denn je. Über Heimat und deren Verlust, über Schuld, Schweigen und Verdrängung, über Traumata und deren Weitergabe an die nachfolgende Generation und nicht zuletzt über einer Region im Wandel, die sich ihrer Vergangenheit nicht stellen will. Ein sehr empfehlenswertes Buch, dem ich viele Leser wünsche!

Veröffentlicht am 08.10.2023

Durchwachsenes "Lesevergnügen"

Holly
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In seinem neuen Roman rückt Stephen King eine Figur in den Vordergrund, die wir zwar aus verschiedenen anderen Werken kennen, die aber bisher eher im Hintergrund agieren durfte. Zuletzt bewusst wahrgenommen ...

In seinem neuen Roman rückt Stephen King eine Figur in den Vordergrund, die wir zwar aus verschiedenen anderen Werken kennen, die aber bisher eher im Hintergrund agieren durfte. Zuletzt bewusst wahrgenommen habe ich „Holly“ von der Detektei Finders Keepers in „Mr Mercedes“, wo sie allerdings hinter den Kulissen auf Mörderjagd ging. Und sie ist nicht die einzige Bekannte aus dem King‘schen Universum, mit der es ein Wiedersehen gibt

Wir sind mitten in der Pandemie. Pete, Hollys Partner ist an Covid erkrankt und in Quarantäne, was dafür sorgt, dass sie als Einzelkämpferin an dem neuen Fall arbeiten muss. Sie ermittelt im universitären Umfeld und sucht nach einer jungen Frau, die ohne Spuren zu hinterlassen von heute auf morgen verschwunden ist. Dabei gerät ein Professorenpaar in ihren Fokus, dessen Ernährungsgewohnheiten, bedingt durch die gesundheitlichen Einschränkungen des Alters, äußerst ungewöhnlich sind…

Es gab einiges, was mir an diesem Buch missfallen hat. Zum einen ist da die zeitliche Einordnung. Die Handlung ist während der Pandemie angesiedelt, und King macht keinen Hehl daraus, dass dieses Ereignis ihn bis in die Grundfesten erschüttert hat. Das kann ich ja noch nachvollziehen, auch wenn ich diese Thematik in einem Roman ziemlich über habe. Was mich allerdings immens gestört hat, ist das permanente Bashing der Menschen in Holly Umfeld, die sich gegen eine Impfung entschieden haben. Tut mir leid, aber dieses sich ständig wiederholende, fast schon wahnhafte Statement des Autors ist mir ziemlich auf den Keks gegangen. Und wenn wir schon von Wahn sprechen, dann kann natürlich besagtes Professorenpaar nicht unter den Tisch fallen. Die Ausführlichkeit, mit der King deren Besessenheit samt Auswirkungen beschreibt, hat einen dermaßen hohen Ekelfaktor, dass ich mehrmals kurz davor war, das Buch abzubrechen.

Glücklicherweise gibt es aber auch Positives zu berichten. Da gibt es immer wieder Passagen, in denen der Autor glänzt, nämlich dann, wenn er mit wenigen Pinselstrichen bedrohliche Situationen aus ganz banalen, alltäglichen Beobachtungen/Beschreibungen kreiert. Ich kenne keinen Autor, der das so meisterhaft beherrscht wie Stephen King. Atmosphäre schaffen, ja, das kann er definitiv.

Fazit: Diese Mischung aus Horror und Splatter ist ein eher durchwachsenes „Lesevergnügen“, für das eine hohe Ekeltoleranz von Vorteil ist.

Veröffentlicht am 06.10.2023

Langatmige Fortsetzung

Pirlo - Gefährlicher Freispruch
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Brauchen wir Kriminalromane, die sich mit Corona und den damit einhergehenden kriminellen Aktivitäten beschäftigen? Aus meiner Sicht nicht, denn wer in den vergangenen Monaten die Berichterstattung in ...

Brauchen wir Kriminalromane, die sich mit Corona und den damit einhergehenden kriminellen Aktivitäten beschäftigen? Aus meiner Sicht nicht, denn wer in den vergangenen Monaten die Berichterstattung in den Medien verfolgt hat, ist bereits damit bestens bedient. Ganz gleich, ob es um Überbrückungskredite, Soforthilfen, Maskendeals, dubiose Testzentren, und, nicht zu vergessen, den Auswirkungen der Impfung auf die Erbsubstanz geht. Es zeigt sich wieder einmal, dass dort, wo die Kontrolle fehlt, die Tür für Betrügereien sperrangelweit offen steht.

„Gefährlicher Freispruch“, der dritte Band mit den Rechtsanwälten Pirlo und Mahler, thematisiert genau diese Problematik und benötigt dafür 496 Seiten, die mit jeder Menge Füllstoff aufgeblasen sind. Endlose Dialoge mit sich wiederholenden Inhalten in bandwurmlangen und Tempo killenden Schachtelsätzen sind Spannungskiller und halten dem Vergleich mit den beiden Vorgängern leider nicht stand. Ich habe die knackigen, kurzen Sätze, die Ironie und den virtuosen Umgang mit Sprache vermisst, die diese auszeichneten und hier nur sehr selten aufblitzen (ich sage nur „herumzurelotiussen“), es fehlt den Dialogen an Lebendigkeit.

Ob ich die Reihe weiterverfolge? Stand jetzt eher nicht, aber das wird abhängig von der Thematik und natürlich der Leseprobe sein. Schau‘n mer mal.

Veröffentlicht am 05.10.2023

Intelligente Spannung auf höchstem Niveau

Joe Country
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Mick Herrons Slow-Horses-Reihe ist für mich das Unterhaltsamste, was momentan auf dem Buchmarkt zur Verfügung steht. Warum? Zum einen sind es die schwarz-humorigen Dialoge und die ihnen innewohnenden entlarvenden ...

Mick Herrons Slow-Horses-Reihe ist für mich das Unterhaltsamste, was momentan auf dem Buchmarkt zur Verfügung steht. Warum? Zum einen sind es die schwarz-humorigen Dialoge und die ihnen innewohnenden entlarvenden Kommentare zum politischen Tagesgeschehen in Großbritannien, zum anderen ist es aber auch das Personenensemble der in Ungnade gefallenen Spione des MI5, auf man auf das Abstellgleis im Slough House verbannt hat. Und dann ist da noch deren unausstehlicher Doyen Jackson Lamb, ein Unsympath erster Güte mit schlechten Manieren, dessen Fürsorge für seine „Joes“ erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist.

Apropos Personen, in „Joe Country“, Band 6 der Reihe, wird bereits zu Beginn in einem Nebensatz erwähnt, dass drei der Beteiligten nicht überleben werden. Die Alarmglocken schrillen und man hofft, dass es keine/n der Stammbesetzung trifft. Aber bei Herron weiß man ja nie…

Okay, worum geht’s? Wie immer gibt sich Herron nicht mit einem Handlungsstrang zufrieden, sondern hält verschiedene Eisen ins Feuer. Wie immer beharken sich Peter Judd und Lady Di, letzere damit beschäftigt, nicht nur Emma Flyte sondern auch Lech Wicinski in Richtung Slough House zu entsorgen. Dann taucht bei der Beerdigung von David Cartwright Rivers verhasster Vater Frank Harkness auf, mit dem Lamb noch eine Rechnung offen hat. Und zu guter Letzt muss Louisa ihre Trauer um Min Harper zurückdrängen und sich auf eine lebensgefährliche Mission machen, um gemeinsam mit ihren Kollegen dessen verschwundenen Sohn in Wales ausfindig zu machen. Natürlich belässt es Herron nicht dabei, diese Fäden zu verknoten sondern wärmt damit in bewährter Art auch ein Thema auf, dass nicht nur in GB in jüngster Vergangenheit für Schlagzeilen gesorgt hat.

Kritisch, entlarvend und intelligent, eine spannende Reihe mit sympathischen und unsympathischen Protagonisten, die sich wohltuend von dem üblichen Krimi-Einerlei abhebt und die ich deshalb nachdrücklich empfehle.