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Veröffentlicht am 09.02.2022

Was uns nährt...

Butter
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Ein Interview mit der angeblichen Serienmörderin Manako Kajii führen, das ist es, was die Journalistin Rika unbedingt möchte. Manako gewährt ihr die Bitte, allerdings nur unter der Bedingung, dass die ...

Ein Interview mit der angeblichen Serienmörderin Manako Kajii führen, das ist es, was die Journalistin Rika unbedingt möchte. Manako gewährt ihr die Bitte, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Morde in dem Gespräch tabu sind, obwohl diese doch mit dem Lieblingsthema der Inhaftierten, dem Essen und Kochen, in direktem Zusammenhang stehen, hat sie doch über diese Schiene sich das Vertrauen ihrer Opfer erschlichen. Und das scheint ihr auch bei Rika zu gelingen, die anfangs mit einer gewissen Skepsis den Besuch antritt, ist Manako doch so ganz anders als sie selbst. Ein Genussmensch, füllig, exzentrisch, hemmungslos in ihrer Völlerei und auch in den Zutaten für ihre Gerichte, von denen sie der Journalistin erzählt. Butter muss es sein. Immer. Viel Butter, denn es gibt nichts, was sie mehr verabscheut als Margarine. Und, nicht zu vergessen, Feministinnen, die irgendwelchen abstrusen Ideen hinterherjagen.

Gespräche über Mahlzeiten und deren Zubereitung werden abgelöst von kritischen Betrachtungen zum Thema Schlankheitswahn, zum Verhältnis der Geschlechter, den Traditionen und Konventionen der japanischen Gesellschaft. Themen, die Rika bisher noch nie hinterfragt, Regeln, denen sie sich ohne Murren gebeugt und Anforderungen, die sie kritiklos erfüllt hat. Aber damit ist jetzt Schluss, denn die Unterhaltungen bieten ihr Denkanstöße und setzen Veränderungen in Gang, hin zu einem selbstbestimmten Leben.

Notiz am Rande: „Butter“ ist inspiriert von dem realen Fall der Serienmörderin Kanae Kijima, die potentielle Ehekandidaten mithilfe ihrer Kochkünste umgarnt und getötet haben soll. 2010 wurde sie verhaftet und in sieben Fällen des Mordes beschuldigt. Zweifelsfrei nachweisen konnte man ihr allerdings „nur“ drei Morde, für die sie zum Tod durch den Strang verurteilt wurde. Seither wartet sie auf ihre Hinrichtung.

Veröffentlicht am 08.02.2022

"Wenn du stirbst...

In die Arme der Flut
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…bist du vollkommen glücklich und deine Seele lebt irgendwo weiter. Ich habe keine Angst zu sterben. Vollkommener Frieden nach dem Tod, jemand anderes zu werden ist die beste Hoffnung, die ich habe.“ Mit ...

…bist du vollkommen glücklich und deine Seele lebt irgendwo weiter. Ich habe keine Angst zu sterben. Vollkommener Frieden nach dem Tod, jemand anderes zu werden ist die beste Hoffnung, die ich habe.“ Mit diesem Zitat von Kurt Cobain könnte man den Punkt beschreiben, an dem sich auch die Hauptfigur in Gerard Donovans „In die Arme der Flut“ befindet.

Luke Roy lebt in Ross Point, einem von Gott und der Welt verlassenen Kaff in Maine, arbeitet dort in einer Fabrik, tagaus, tagein die gleiche Monotonie. Sein Denken kreist seit frühester Jugend um den Tod, es ist ein diffuses Sehnen nach dem Ende. Versucht hat er es bereits, allerdings nicht in letzter Konsequenz durchgeführt. Aber jetzt ist es soweit. Schnell soll es gehen, und im wahrsten Sinn des Wortes todsicher sein. Der richtige Zeitpunkt scheint gekommen. Ein Sprung von der Brücke in den Moss River, 35 Meter in die Tiefe, der Körper zerschmettert, von der Strömung ins Meer gezogen. Oder doch nicht? Er zaudert, er zögert, entscheidet sich dagegen, dreht um und bemerkt im Weggehen ein Kind, das aus einem gekenterten Boot gefallen ist und auf einen Strudel zutreibt. Ohne Zögern wagt er den Sprung, bekommt es zu fassen und rettet es. Es scheint, als ob Paul, so der Name des Jungen, ein Seelenverwandter Lukes wäre, da er keinerlei Anstrengungen unternommen hat, den Fluten zu entkommen.

Passanten haben die Aktion beobachtet, stellen ihre Fotos davon ins Netz, die Anzahl der Klicks explodiert. Luke steht plötzlich im Zentrum des Interesses, wird zur Berühmtheit, erhält eine Tapferkeitsmedaille. Politiker lassen sich mit ihm ablichten, instrumentalisieren ihn für ihren Wahlkampf. Doch Ruhm ist vergänglich. Alles ändert sich, als ein Video auftaucht, das das Ereignis in einem anderen Licht erscheinen lässt, und plötzlich schlägt ihm blanker Hass entgegen. Diejenigen, die ihm gestern noch auf die Schulter geklopft haben, wenden sich von ihm ab. Steine fliegen, das Boot, auf dem er lebt, geht in Flammen auf. Doch dann wird der Zeitung ein weiterer Film zugespielt, der Lukes Version bestätigt, und schon ist der Außenseiter wieder der strahlende Held, der er nie sein wollte. Aber für die Brandstiftung, den Verlust seines Bootes, seines Heims, übernimmt niemand Verantwortung.

Wie bereits in dem erfolgreichen „Winter in Maine“ steht auch in dem diesem Roman ein Mensch im Mittelpunkt, dessen Leben von einem Gefühl der Isolation durchdrungen ist. Luke fühlt sich fremd unter Menschen, ist einsam und hat im Laufe seines Lebens eine ungesunde Faszination für den Tod entwickelt. Leidet er an Depressionen? Will er sterben? Eindeutig ist beides nicht, es bleibt in der Schwebe.

Aber der Roman ist mehr als das Psychogram eines Außenseiters, er ist gleichzeitig eine Abrechnung mit unserer medialen Welt, die sensationsgierig jede halbwegs interessante Information durch den Wolf dreht, jedoch das, was dieses Vorgehen mit den Menschen macht, völlig ignoriert. Hauptsache, die Anzahl der Klicks stimmt.

Veröffentlicht am 07.02.2022

Geplatzte Träume

Hundepark
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Die Romane der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen sind immer geprägt von einem Spannungsverhältnis, von einer Ungleichheit, die sich aus den gegensätzlichen Lebenswelten Ost –West speist. Hier Perspektivlosigkeit ...

Die Romane der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen sind immer geprägt von einem Spannungsverhältnis, von einer Ungleichheit, die sich aus den gegensätzlichen Lebenswelten Ost –West speist. Hier Perspektivlosigkeit und Unterdrückung, dort der ungezügelte Kapitalismus mit dem falschen Versprechen eines sorglosen Lebens.

In ihrem neuen Roman „Hundepark“ machen wir die Bekanntschaft von Olenka und Daria. Es ist das Jahr 2016, wir sind in Helsinki. Sie sitzen auf einer Parkbank und beobachten interessiert eine Familie, die mit ihren Kindern im Hundepark zugange sind. Die beiden Frauen kennen sich seit ihrer Kindheit in der Ukraine, waren einst Freundinnen, aber das ist lange her. Sie wachsen in Armut auf, warten auf die Chance, diesem Leben zu entkommen. Die erhoffte Modellkarriere in Paris bleibt für Olenka aus, aber dann findet sie an einem Strommast einen Zettel mit einem gutbezahlten Stellenangebot.

Zu diesem Zeitpunkt haben wohlhabende Paare aus dem Westen bereits die Möglichkeit entdeckt, sich ihren unerfüllten Kinderwunsch mit Hilfe junger Ukrainerinnen zu realisieren, die von skrupellosen Geschäftemachern als Eizellenspenderinnen oder Leihmütter angeboten werden. Der Markt boomt, ist ein lukratives Geschäftsmodell, das die Frauen zur bloßen Ware degradiert und deren Körper rücksichtslos ausbeutet. Schon nach kurzer Zeit fungiert Olenka als Vermittlerin, überredet ihre Freundin Daria sich ihr anzuschließen und „vermarktet“ diese höchst erfolgreich. Aber dann geschieht ein Mord, alles läuft aus dem Ruder…und endet in Helsinki auf einer Bank im Hundepark.

Diesen komplexen Roman von geplatzten Träumen, von Freundschaft, Liebe, Verrat und Schuld lässt Oksanen von Olenka erzählen, wobei die Zeitsprünge und Andeutungen bisweilen an ein Puzzle erinnern, aus dem man sich die Geschichte zusammensetzen muss. Olenka, die sowohl Täterin als auch Opfer ist, aber auch repräsentativ für die vielen jungen Frauen steht, die Träume haben, die dem perspektivlosen Leben in der postsowjetischen Ukraine etwas entgegensetzen wollen. Auch dann, wenn das einzige Kapital, mit dem sie wuchern können, ihr Körper ist, und selbst dieser ihnen nur auf Zeit gehört.

Veröffentlicht am 06.02.2022

Vienesse Weed

Das giftige Glück
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Seit Januar 2022 ist in Österreich ein Gesetz für die Beihilfe zum Suizid in Kraft getreten, das schwer bzw. unheilbar Kranken den Zugang zu Medikamenten garantiert, mit denen sie ihrem Leiden ein Ende ...

Seit Januar 2022 ist in Österreich ein Gesetz für die Beihilfe zum Suizid in Kraft getreten, das schwer bzw. unheilbar Kranken den Zugang zu Medikamenten garantiert, mit denen sie ihrem Leiden ein Ende setzen können. Das muss aber immer legal und von Medizinern abgesegnet sein. Aber was wäre, wenn plötzlich eine für alle Sterbewilligen offene Möglichkeit bestünde, diesen Weg durch die Instanzen umgehen zu können? Passender hätte der neue Roman „Das giftige Glück“ von Gudrun Lerchbaum nicht erscheinen können, ein Roman, der sich nicht nur mit dieser Thematik auseinandersetzt.

Wien im Frühjahr, die Pandemie ist endlich abgehakt, überall grünt es und über den Wäldern und Parks der Metropole liegt der Duft von Bärlauch. Nach Monaten des Eingesperrtseins ein Neuanfang. Die Menschen strömen in die Natur, sammeln die lanzettförmigen Blätter, nicht wissend, dass die Pflanzen von einem Pilz befallen sind, der bei Genuss tödlich wirkt.

Zuerst sterben die Menschen versehentlich, aber nicht, wie so oft bei giftigen Substanzen, unter unbeschreiblichen Qualen. Nein, die letzten Minuten ihres Lebens sind sie entspannt und voller Freude, denn beschert einen schmerzfreien Tod, der mit offenen Armen empfangen wird. Diese Information macht schnell die Runde und eröffnet Möglichkeiten, nicht nur für kranke Menschen sondern auch für solche, die nichts Gutes mit Vienesse Weed, wie es mittlerweile genannt wird, im Sinn haben. Natürlich ruft das die staatlichen Organe auf den Plan. Der Zutritt zu den Wäldern und Parks wird verboten, das Sammeln unter Strafe gestellt und die städtischen Gärtner mobilisiert, damit sie die Pflanzen vernichten.

Es sind viele Themen, die dieser Roman behandelt. Es geht um selbstbestimmtes Leben und Sterben, um Freundschaft und Liebe, um Sterbehilfe, um Verantwortung gegenüber den Mitmenschen, um Einschränkungen der persönlichen Freiheit, um unseriöse Medienberichte und Verschwörungstheorien, um die Kontrolle der Natur durch den Menschen. Viele moralphilosophische Fragen, deren Beantwortung allerdings nicht auf einem Tablett serviert wird, die man aber durchaus auch im Kontext der aktuellen Pandemie stellen darf, wobei die Autorin die gesellschaftspolitischen Gegebenheiten im Blick behält, uns nebenbei mit naturwissenschaftlichen Fakten versorgt und zum Nachdenken anregt.

Das mag sich jetzt trockener anhören, als es tatsächlich ist. Im Gegenteil, denn da gibt es auch noch diesen Handlungsstrang, der all diese Aspekte auf eine persönliche Ebene herunterbricht. Olga, die an Multipler Sklerose leidet und sterben möchte, ihre Freundin Kiki, die sie pflegt und ihr dabei helfen soll, und Jasse, die Jugendliche mit Problemen, die eher zufällig mit den beiden Frauen in Kontakt kommt. Nicht zu vergessen der ungewöhnliche Mordfall. Es sind diese ständigen Perspektivwechsel und die humorvollen, teils bissigen Dialoge, die Abwechslung bieten und die Handlung lebendig und spannend gestalten.

Von mir gibt es dafür eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 03.02.2022

Neue Fälle für den Club

Der Mann, der zweimal starb (Die Mordclub-Serie 2)
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Der erste Band der Donnerstagsmordclub-Reihe von Richard Osman konnte mich nicht vollständig überzeugen. Zu langatmig, zu betulich, zu viel Drumherum-Gerede. Aber jeder verdient eine zweite Chance, auch ...

Der erste Band der Donnerstagsmordclub-Reihe von Richard Osman konnte mich nicht vollständig überzeugen. Zu langatmig, zu betulich, zu viel Drumherum-Gerede. Aber jeder verdient eine zweite Chance, auch das Rentnerquartett Elizabeth, Joyce, Ibrahim und Ron aus Coopers Chase, der Seniorenresidenz im schönen Kent, in die man sich nur einkaufen kann, wenn man ein dickes Sparkonto oder solvente Kinder mit Schuldgefühlen hat. Und es mag ja sogar Menschen dieser Altersgruppe geben, die sowohl körperlich als auch geistig noch auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit sind, wobei auch in diesem Punkt durchaus leichte Zweifel angebracht scheinen. Dass die Realität für die meisten Betagten anders aussieht, sei mal dahingestellt. Allerdings ist „Der Mann, der zweimal starb“ Fiktion, da kann man über die eine oder andere Unglaubwürdigkeit schon einmal hinwegsehen.

Worum geht es nun in diesem Krimi? Douglas, der Ex-Mann der ehemaligen MI6-Agentin Elizabeth steckt in Schwierigkeiten. Bei der Durchsuchung eines Anwesens hat er Diamanten im Wert von 20 Millionen Pfund in die eigene Tasche gesteckt, und nun sind sowohl seine Kollegen vom Service als auch der Bestohlenen sowie ein Mafioso hinter ihm her. Er muss untertauchen, und Elizabeth soll ihm dabei helfen. Zeitgleich wird Ibrahim bei einem Ausflug nach Fairhaven von einer Gruppe Teenager überfallen und schwer am Kopf verletzt. Seine Freunde kümmern sich rührend um ihn, setzen aber alles daran, mit Unterstützung von Bogdan, dem polnischen Handwerker, und Chris und Donna, den Vertretern der hiesigen Polizei, die Täter dingfest zu machen, wobei die beiden Polizisten parallel damit beschäftigt sind, einer Drogendealerin das Handwerk zu legen. Doch dann wird Douglas erschossen aufgefunden, aber er hat Elizabeth eine verschlüsselte Botschaft hinterlassen, die sie zum Versteck der Diamanten führen soll. Jetzt gilt es nur noch, diese zu entschlüsseln und die bösen Buben und Mädchen aus dem Verkehr zu ziehen.

Alles ist mit allem verbunden, und auf den ersten Blick scheint das eine Menge Stoff für einen einzigen Krimi zu sein, in dessen Dickicht man sich verirren könnte, aber keine Sorge, der Autor hat seine Story jederzeit im Griff. Da gibt es keine Ungereimtheiten, keine Handlungsstränge, die im Nirwana verschwinden. Es macht Spaß und ist höchst unterhaltsam, die Ermittlungsarbeit der liebenswerten Oldies zu begleiten, die Finten zu bestaunen, an denen Richard Osman uns teilhaben lässt. Das alles mit jeder Menge englischem Augenzwinkern in kurzen Kapiteln beschrieben, die keine Längen aufkommen lassen und das Tempo bis zum Schluss hoch halten.