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Veröffentlicht am 18.11.2021

Maggie goes Port Piran

Ein Cottage in Cornwall
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Das „Chaos in Cornwall“ hat sich mittlerweile gelichtet, Margarete “Maggie“ und Roland sind Geschichte. Die gestandene Ex-Pressefrau bei DEM schwäbischen Autobauer hat Reset gedrückt, ihre Zelte in der ...

Das „Chaos in Cornwall“ hat sich mittlerweile gelichtet, Margarete “Maggie“ und Roland sind Geschichte. Die gestandene Ex-Pressefrau bei DEM schwäbischen Autobauer hat Reset gedrückt, ihre Zelte in der Landeshauptstadt abgebrochen und ist mit Sack und Pack nach Port Piran gezogen, sehnlichst erwartet von ihrer neuen Liebe Chris und hat „Ein Cottage in Cornwall“ bezogen, wobei dieses allerdings ein weitläufiger Bio-Bauernhof ist.

Schon klar, dass es Cornwall sein muss, denn die malerische Halbinsel im Südwesten Englands, die seit den Verfilmungen der Rosamunde Pilcher-Romane die Sehnsuchtsregion vieler England-Urlauber*innen ist, eignet sich bei weitem um ein Vielfaches besser für einen Unterhaltungsroman als das Industrierevier rund um Manchester. Und der Bio-Bauer ist natürlich nicht nur für Margarete sondern auch für die Story wesentlich attraktiver als ein langweiliger Lehrer oder Fabrikarbeiter.

So weit, so genretypisch, aber glücklicherweise beherrscht die Autorin ihr Metier und tappt nicht in die Schnulzenfalle. Ihre Charaktere sind weder oberflächlich noch eindimensional, zweifeln, haben Ecken und Kanten und müssen sich ihrer Verunsicherung stellen. Natürlich gibt es Zugeständnisse - man will die Leserschaft ja nicht verprellen - sodass das erwartete Happy End nicht ausbleibt. Aber nicht für alle.

Kabatek spielt mit Verschiedenheit der Mentalität, wobei sie hier - natürlich – nicht umhin kommt, in die Klischeekiste zu greifen. Die Engländer sind höflich, zurückhaltend, misstrauisch, unverbindlich und trinken ständig Tee, die Schwäbin hingegen schätzt Planung, Pünktlichkeit, Ordnung und Sauberkeit. Man erwartet förmlich, dass sie die Kehrwoch‘ in Port Piran einführt. Das große Plus sind die Dialoge, die zumindest in Maggies Fall wie aus dem Leben gegriffen daherkommen, wobei ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie sie die typisch schwäbischen Redewendungen ins Englische übersetzen konnte.

Ein unterhaltsamer Roman für zwischendurch, voller Situationskomik und mit Verständnis für kulturelle Unterschiede, der meine Erwartungen erfüllt hat.

Veröffentlicht am 17.11.2021

Ein Gemälde in üppigen Farben

Diebe des Lichts
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Lust auf einen Ausflug in die italienische Renaissance? Dann solltet ihr zu „Diebe des Lichts“ greifen, dem Roman des Historikers und Journalisten Philipp Blum, der es hier wie kein anderer versteht, diese ...

Lust auf einen Ausflug in die italienische Renaissance? Dann solltet ihr zu „Diebe des Lichts“ greifen, dem Roman des Historikers und Journalisten Philipp Blum, der es hier wie kein anderer versteht, diese Epoche zum Leben zu erwecken.

Begleiten wir Sander und Hugo, die beiden Brüder aus Flandern, die bei einer Vergeltungsaktion der spanischen Besatzer miterleben, wie ihr Vater abgeschlachtet und ihr Gehöft niedergebrannt wird. Ein Wendepunkt in ihrem Leben, denn nun müssen sie für sich selber sorgen. Sie verlassen ihre Heimat auf der Suche nach einem Neuanfang. Ein Maler hat Mitleid, bildet Sander in der Kunst des Blumenmalens aus und lehrt dessen Bruder das Farbenmischen. Hugo verschließt sich, spricht nicht mehr, vergräbt die Wut über das Erlebte tief in seinem Inneren, doch sein Jähzorn bricht sich immer wieder Bahn und ist schließlich auch dafür verantwortlich, dass die Brüder einmal mehr gewohntes Terrain verlassen müssen. Ihr Weg führt sie nach Italien. Rom, Neapel und Palermo sind die Stationen ihrer nicht immer freiwilligen Reise, auf der Sander seine Fähigkeiten komplettiert und als Maler zu Ansehen gelangt. Hugo hingegen mischt tagsüber weiter die Farben und kämpft in der Nacht mit seinen Dämonen. Aber es kommt der Tag, an dem auch Sander zwischen die Fronten gerät und sich entscheiden muss…

Philipp Blom zeichnet in üppigen Farben zum einen das Gemälde einer Zeit, die von politischen und religiösen Konflikten geprägt ist, zum anderen aber auch das Bild einer zerissenen Gesellschaft. Hier Adel, Kirche und deren Günstlinge, dort das einfache Volk, das von der Hand in den Mund lebt. Intrigen und Verschwörungen prägen diese Zeit, die Verfolgung Andersdenkender ist eher die Regel als die Ausnahme. Die kirchliche Obrigkeit bestraft erbarmungslos jeden, der aus der Reihe tanzt. Man nennt sie Ketzer, die klugen Köpfe aus Dichtung, Kunst, Wissenschaft. Giordano Bruno, Caravaggio, Galileo Galilei, man kennt die Namen, weiß um deren Schicksal. Die Inquisition macht vor niemandem Halt. Kerker und/oder Verbannung sind noch die harmlosesten Strafen, der Tod auf dem Scheiterhaufen erfreut nicht nur die Kirchenoberen sondern bietet auch dem Pöbel Abwechslung aus dem freudlosen Alltag.

Ein gut recherchierter historischer Roman, dessen sprachliche Qualität weit über dem Durchschnitt dessen liegt, was man üblicherweise in diesem Genre erwarten darf. Sehr empfehlenswert!

Veröffentlicht am 16.11.2021

Verpasste Chance

Das Haus in der Half Moon Street
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Historische Kriminalromane gibt es wie Sand am Meer. Und auch die Verortung von Zeit und Raum, heißt das Viktorianische Zeitalter und London, ist kein Alleinstellungsmerkmal. Sie sind mal mehr, mal weniger ...

Historische Kriminalromane gibt es wie Sand am Meer. Und auch die Verortung von Zeit und Raum, heißt das Viktorianische Zeitalter und London, ist kein Alleinstellungsmerkmal. Sie sind mal mehr, mal weniger gelungen, was meist darin begründet ist, ob es dem/der Autor*in gelingt, die gesellschaftliche Realität sowie den etablierten strengen Moralkodex dieser Zeit zu transportieren. Oft beschränkt sich dies auf wabernde Nebel, die sich im Schein der Gaslaternen vom Themse-Ufer aus ausbreiten und über das Kopfsteinpflaster der Elendsviertel legen.

Glücklicherweise verzichtet Alex Reeve in seinem Erstling „Das Haus in der Half Moon Street“ auf die Nebelschleier, verharrt aber dennoch weitestgehend in den gängigen Narrativen dieses Genres. Die Quartiere sind trostlos, die Lebensbedingungen im Bauch der Metropole von ständigen Existenznöten geprägt, speziell für die Frauen, die oft keinen anderen Ausweg als die Prostitution sehen, um zu überleben. Oder auch nicht, denn viele verrecken elendig auf dem Küchentisch einer Engelmacherin.

Doch es gibt etwas Neues, nämlich die Hauptfigur, Leo Stanhope. Geboren als Charlotte, Tochter eines Landpfarrers, früh wissend, dass sein Geschlecht nicht seiner Identität entspricht, hat er sich auf den Weg in die Metropole gemacht und arbeitet nun als Assistent in der Londoner Gerichtsmedizin, immer bemüht, sein Geheimnis zu bewahren. Einzige Vertraute ist Maria, eine junge Frau, die als Prostituierte arbeitet und in die er verliebt ist. Als sie tot aufgefunden wird, scheint er zunächst der einzige Verdächtige zu sein, was schließlich mit seiner Verhaftung endet. Doch hinter den Kulissen werden die Fäden gezogen, Leo kommt frei und setzt alles daran, den wahren Mörder seiner großen Liebe in einer Welt voller Lügen zu finden, ohne das Geheimnis seiner Identität zu verraten.

Aus diesen Gegebenheiten hätte man einen interessanten Kriminalroman entwickeln können. Hätte…hat man aber nicht. Die Story bleibt über weite Strecken diffus, angefüllt mich Nebensächlichkeiten, die Charakterzeichnungen überzeugen allesamt nicht. Der Zwiespalt, in dem sich Leo befindet, wird lediglich an körperlichen Merkmalen festgemacht, und zwar so, als ob dies alles wäre, was Transgender-Personen beschäftigt. Das hätte man durchaus differenzierter darstellen können und sollen. Man spürt zwar die Unsicherheit des Protagonisten, aber dessen ständiges Zaudern, sein Klagen zieht die Handlung über Gebühr in die Länge, ohne für einen Fortschritt zu sorgen, und zwar in jeder Hinsicht, insbesondere was die Persönlichkeitsentwicklung der Hauptfigur angeht. Aber vielleicht tut sich in dieser Richtung ja etwas in dem Nachfolgeband „Der Mord in der Rose Street“, der im Mai 2022 erscheinen wird.

Veröffentlicht am 14.11.2021

Eine dunkle Epoche der russischen Geschichte

Der kalte Glanz der Newa
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„Der kalte Glanz der Newa“ ist der Auftakt einer geplanten Trilogie (der zweite Band ist im Original für 2022 angekündigt). Hinter dem Pseudonym Ben Creed verbirgt sich das britische Autorenduo Chris Rickaby ...

„Der kalte Glanz der Newa“ ist der Auftakt einer geplanten Trilogie (der zweite Band ist im Original für 2022 angekündigt). Hinter dem Pseudonym Ben Creed verbirgt sich das britische Autorenduo Chris Rickaby und Barney Thompson, letzterer einstmals Student am Konservatorium St. Petersburg, mit Sicherheit für die stimmigen Beschreibungen hinsichtlich des musischen Aspekts verantwortlich. Aber dieser Thriller hat wesentlich mehr zu bieten. Neben einem fesselnden Plot zeichnet er sich vor allem durch dessen Verankerung in dem historischen Kontext aus, der ein Gefühl der nachprüfbaren Authentizität vermittelt. Dabei nie trocken und belehrend, dennoch aber informativ die besondere Atmosphäre dieser dunklen Epoche der russischen Geschichte transportierend.

Leningrad im Winter 1951. Noch sind die Wunden des Zweiten Weltkrieges nicht verheilt. Nicht nur die Temperaturen sind eisig, auch durch die Gesellschaft weht ein rauer Wind. Die stalinistischen Säuberungen haben Wunden geschlagen und Misstrauen gesät. Die Macht des Staates ist allgegenwärtig. Willkür greift um sich, jeder kann verhaftet werden, in einem Gulag enden. Ein falscher Schritt, ein unbedachtes Wort, das Leben ein Balanceakt auf dem Drahtseil.

Als auf einem Bahngleis fünf sorgfältig arrangierte Leichen gefunden werden, betraut man Revol Rossel mit dem Fall. Einst war er ein begabter Violinist, jetzt dient er nach einem brutalen Verhör mit der Geheimpolizei, in dessen Verlauf seine Finger verstümmelt wurden, bei der Miliz. Das aber nur dank seiner Verdienste während des Krieges und der Belagerung. Eine Entscheidung, die er auch wegen des spurlosen Verschwindens seiner Schwester getroffen hat, auf deren Rückkehr, ob lebendig oder tot, er noch immer hofft.

Die Leichen sind verstümmelt, alle Identifikationsmerkmale entfernt. Die Untersuchungen ergeben, dass sie brutal gefoltert wurden, bevor sie einen qualvollen Hungertod gestorben sind. Eine der Leichen trägt die Uniform der Geheimpolizei, weshalb Rossel fest damit rechnet, dass diese den Fall übernehmen wird. In der Zwischenzeit ermittelt er äußerst vorsichtig und muss zu seinem Entsetzen feststellen, dass er die Opfer kennt, stehen sie doch alle mit dem Musikkonservatorium, an dem auch er studiert hat, in Verbindung. Je tiefer er in den Fall einsteigt, desto gefährlicher wird es für ihn, denn die Spuren führen auch in den Kreml…

Veröffentlicht am 13.11.2021

Ein Schiff, 200 Frauen und ein Mord

Niemandsmeer
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Im 19. Jahrhundert ist es im Britischen Empire gängige Praxis, einen Teil der verurteilten Straftäterinnen ans Ende der Welt zu deportieren. Die Schwere des Vergehens ist dafür nicht ausschlaggebend, manchmal ...

Im 19. Jahrhundert ist es im Britischen Empire gängige Praxis, einen Teil der verurteilten Straftäterinnen ans Ende der Welt zu deportieren. Die Schwere des Vergehens ist dafür nicht ausschlaggebend, manchmal reicht dafür schon ein Bagatelldelikt. Möglichst weit weg ist die Devise. Was eignet sich dafür besser als Tasmanien, die zu Australien gehörende Insel 240 km südlich des Festlands, bis 1855 Van Diemen’s Land genannt. 73.000 Straftäterinnen werden dorthin deportiert, bevorzugtes Ziel ist dabei Port Arthur, zwischen 1830 und 1877 das größte Gefängnis des Empire außerhalb des Mutterlandes.

Der Hintergrund von Hope Adams‘ „Niemandsmeer“ ist historisch verbürgt, ebenso das Ergebnis der Handarbeit während des dreimonatigen Aufenthalts auf See, bekannt als der Rajah-Quilt, der noch heute in der National Gallery of Australia ausgestellt ist. Fiktiv hingegen sind die Ereignisse an Bord sowie die geschilderten tragischen Schicksale der Frauen, die in Rückblicken erzählt werden. Adams erzählt deren Geschichten unaufgeregt, aber sehr empathisch. Unterschiedliche Leben am Rand einer Gesellschaft, die kein Erbarmen kennt. Perspektivlose Leben, die sich im Kern gleichen, ausnahmslos geprägt von Erniedrigung und Armut. Ein historischer Roman, der ein Thema der britischen Historie aufgreift, das nicht in Vergessenheit geraten sollte.

Wir schreiben das Jahr 1841. Im April sticht ein Schiff von England aus mit Ziel Van Diemen’s Land in See, an Bord fast 200 Frauen (sowie einige wenige Kinder), allesamt wegen kleiner Vergehen verurteilt. Zusammengepfercht auf engstem Raum muss die lange Passage bewältigt werden. Mit an Bord ist die idealistische Kezia Hayter, die die Aufsicht über die Frauen hat. Ein von ihr initiiertes Projekt, das Nähen eines Quilts, soll deren Gemeinschaftsgefühl stärken. Doch dann wird eine ihrer Schutzbefohlenen erstochen, und es gilt, den Mörder/die Mörderin zu entlarven. Keine leichte Aufgabe für Kezia, den Kapitän und den Geistlichen, denn schließlich könnte es jeder/jede sein. Aber auch eine andere Passagierin fürchtet um ihr Leben, hat sie sich doch unter falscher Identität der Gruppe angeschlossen, um dem Galgen zu entgehen…