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Veröffentlicht am 21.01.2024

Der große Coup der Mrs King

Mayfair House
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In der Verlagsvorschau wird Alex Hays „Mayfair House“ mit Hinweis auf „Ocean’s 8“ und „Downton Abbey“ beworben, wobei ich bei ersterem durchaus mitgehen kann. Bei den historischen Kostümserien wird das ...

In der Verlagsvorschau wird Alex Hays „Mayfair House“ mit Hinweis auf „Ocean’s 8“ und „Downton Abbey“ beworben, wobei ich bei ersterem durchaus mitgehen kann. Bei den historischen Kostümserien wird das aber schon schwieriger, denn dort wird das Verhältnis zwischen Oben und Unten geprägt von gegenseitiger Loyalität, was im Haushalt der wohlhabenden Familie de Vries nach dem Tod des Patriarchen offenbar nur in eine Richtung gegeben und gefordert ist. Die Erbin des Hauses in der Park Lane, Miss de Vries, ist nämlich eine lupenreine Vertreterin der Londoner Upper Class, die eiskalt und ohne mit der Wimper zu zucken kein Problem damit hat, langjährige Bedienstete vor die Tür zu setzen.

So wird auch Mrs King, die langjährige Haushälterin, unter einem fadenscheinigen Vorwand entlassen. Eine Entscheidung, die der Dame des Hauses noch gehörig auf die Füße fallen wird, denn Mrs King ist nicht gewillt, ihre Entlassung einfach so hinzunehmen, denn es gibt ganz besondere Gründe, warum sie es so lange in ihrem Dienstverhältnis ausgehalten hat. Und offenbar ist nun die Zeit gekommen, ihren verwegenen Plan mit der Hilfe einer Gruppe starker Frauen in die Realität umzusetzen…mehr möchte ich hier aber nicht verraten.

„Mayfair House“ ist die Geschichte einer Rache und deren Motive, die in einem ausgeklügelten Raubüberfall enden wird. Zwar nimmt den Großteil der Handlung die detaillierte Schilderung dieser Vorbereitungen ein, was zur Folge hat, dass die Beschreibung und Charakterisierung der Personen etwas in den Hintergrund tritt. Aber eigentlich stört das nicht weiter, da man mit wachsender Spannung im letzten Drittel verfolgt, ob sich der verwegene Plan der Frauen in die Realität umsetzen lässt.

Zum Schluss noch kurz zur historischen Einordnung: London, 1905. Queen Victoria ist tot, Edward VII. zum König gekrönt. Die Menschen sind den Mief der viktorianischen Ära leid, eine neue Leichtigkeit hält Einzug, das Streben nach Fortschritt und Reformen erwacht. Auch die Frauen erheben ihre Stimmen, haben Forderungen. Allen voran Emmeline Pankhurst mit der 1903 gegründeten WSPU, der Women’s Social and Political Union. Auch wenn es noch mehr als ein Jahrzehnt dauern wird, bis ihre Forderungen (Wahlrecht) erfüllt werden, zeigt sich doch, dass es schon damals Frauen wie Mrs King gab, die gewillt waren, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Veröffentlicht am 07.01.2024

KIllers of the Flower Moon

Das Verbrechen
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Ab den nächsten Tagen ist „Killers of the Flower Moon“ bei einem Streamingdienst auch in Deutschland verfügbar. Eine gute Gelegenheit, um auf David Granns True-Crime-Thriller „Das Verbrechen“ hinzuweisen, ...

Ab den nächsten Tagen ist „Killers of the Flower Moon“ bei einem Streamingdienst auch in Deutschland verfügbar. Eine gute Gelegenheit, um auf David Granns True-Crime-Thriller „Das Verbrechen“ hinzuweisen, der die mysteriösen Morde an den indigenen Osage in Oklahoma zum Thema hat und die Vorlage für den Film liefert.

Ich habe das Buch kurz nach Erscheinen 2017 erstmals gelesen. Damals waren in den Nachrichten Bilder von den Protesten gegen die Verlegung der Öl-Pipeline durch das Stammesterritorium der Standing Rock Sioux allgegenwärtig. Heiliger Boden wurde entweiht, die Wasserversorgung zerstört, weil die Profitinteressen der Betreiberfirma (an der auch der damalige US-Präsident beteiligt war) an erster Stelle standen und die Besitzer des Landes ihrer Rechte beraubten.

Es war also ein guter Zeitpunkt, zu dem David Granns True Crime-Story „Das Verbrechen“ erschien, zeigte es doch, dass sich in den Vereinigten Staaten nichts am Umgang mit den Indigenen geändert hat. Vor allem dann, wenn wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Man muss sich nur die Vorgehensweise der Regierungsorganisationen ansehen: Ein wertloses Stück Land wird zum Reservat erklärt, der Stamm umgesiedelt, aber wehe, es werden Bodenschätze jedweder Art auf dem Gebiet vermutet, dann setzt man alles daran, die Bewohner zu vertreiben.

Ähnliches geschah zwischen 1910 und 1930 in Oklahoma im Reservat der Osage-Indianer. Es stellte sich heraus, dass der Stamm auf einem unvorstellbar großen Ölfeld saß, dessen Erträge den Menschen ungeahnten Wohlstand bescherte. Das ging solange gut, bis Außenstehende bzw. Nicht-Stammesangehörige darauf aufmerksam wurden. Und plötzlich häuften sich die mysteriösen Todesfälle unter den Osage, Dutzende fielen ihnen zum Opfer. Wer nun aber glaubt, dass man von Regierungsseite alles unternommen hätte, um diese Mordserie aufzuklären, täuscht sich. Im Gegenteil.

In der besten Tradition des amerikanischen Reportage-Journalismus, wie wir ihn beispielsweise von Jon Krakauer kennen, hat sich David Grann diesem Thema genähert und die Osage-Morde in seinem Buch „Das Verbrechen“ näher betrachtet. Er ordnet die Vorgänge in drei Bereiche: Im Zentrum des ersten Teils stehen die Osage-Frauen, repräsentiert von Mollie Burkhardt und ihrer Familie, die fast ausnahmslos der Mordserie zum Opfer fallen. Teil zwei schildert die Ereignisse aus der Sicht von Tom White als Vertreter des neu gegründeten Federal Bureau of Investigation (FBI) und zeigt, dass diese Institution weit davon entfernt ist, den Osage Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Im Gegenteil, auch die Vertreter des FBI sind vornehmlich bestrebt, sich die Taschen zu füllen. Und im dritten Teil schließlich beschreibt der Autor seine Recherche, die ihn zweifelsfrei zu dem Schluss kommen lässt, dass die Zahl der Opfer unter den Osage um ein Vielfaches größer als bisher angenommen und bekannt ist.

Granns Buch geht schonungslos ins Detail, zeigt die Skrupellosigkeit der Beteiligten, ist dabei komplex und fordert zu jedem Zeitpunkt die Aufmerksamkeit des Lesers. Ein spannendes Sachbuch, das einmal mehr ein beschämendes, schmutziges Kapitel der amerikanischen Historie ans Licht bringt. Lesen!

Veröffentlicht am 10.12.2023

With a little help from the friends

Spy Coast - Die Spionin
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Ehemalige Spione im Rentenalter? Scharfsinnige Senioren, die auf eigene Faust ermitteln? Das war doch was? Richtig, die erfolgreiche Donnerstagsmordclub-Reihe des englischen Autors Richard Osman. Und jetzt ...

Ehemalige Spione im Rentenalter? Scharfsinnige Senioren, die auf eigene Faust ermitteln? Das war doch was? Richtig, die erfolgreiche Donnerstagsmordclub-Reihe des englischen Autors Richard Osman. Und jetzt gibt es mit Tess Gerritsens „Spy Coast – Die Spionin“ das amerikanische Pendant dazu. Aber während die Krimihandlung bei den englischen Ruheständlern immer wieder durch humorvolles Geplänkel unterbrochen wird, bleibt Gerritsen, wie wir es auch von ihren Rizzoli & Isles Büchern kennen, nah am eigentlichen Fall.

Im Zentrum steht Maggie Bird, eine ehemalige CIA-Agentin, die nach ihrer aktiven Zeit in eine verschlafene Kleinstadt in Maine gezogen ist und dort mittlerweile eine Hühnerzucht betreibt. Wenn sie keine Eier sortiert oder Ställe ausmistet, trifft sie sich mit vier Freunden, allesamt ebenfalls Ex-Spione, zu einem gepflegten Martini in geselliger „Buchclub“ Runde, allesamt Ex-Spione wie sie, zu einem gepflegten Martini in geselliger „Buchclub“ Runde. Sie hat mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen und möchte nur noch ein ruhiges Leben und ihren unspektakulären Ruhestand genießen. Ein frommer Wunsch, das wird Maggie spätestens dann klar, als eine ihr unbekannte Besucherin vor ihrer Tür steht und sie nach Informationen zu einer ehemaligen Kollegin fragt, mit der sich ihre Wege vor langer Zeit gekreuzt haben. Ihre Tarnung ist aufgeflogen, bleibt nur noch die Frage, ob das für ihr weiteres Leben Konsequenzen hat. Die Antwort darauf gibt die Leiche der Besucherin, die am folgenden Tag in der Einfahrt liegt. Und mit eine Schlag löst sich Maggies Illusion, sie könnte der Vergangenheit entkommen, in Luft auf. Es ist an der Zeit, auf die Bühne zurückzukehren und sich mit Unterstützung der Freunde dieser erneuten Herausforderung zu stellen.

Einmal mehr zeigt Tess Gerritsen, welche Zutaten einen unterhaltsamen Thriller auszeichnen, der weitestgehend auf die Schockmomente physischer Gewalt verzichtet: Keine Superhelden, sondern sympathisches Personal mit Ecken und Kanten, bis in die Nebenrollen detailliert ausgearbeitet (siehe die stellvertretende Polizeichefin Jo Thibodeau oder Maggies Nachbar Luther und dessen Enkelin Callie). Eine auf zwei Zeitebenen angelegte Story mit Cliffhangern, die zum zügigen Weiterlesen animieren. Und last but not least mit dem ländlichen Maine ein unverbrauchtes Setting, wunderbar beschrieben, was jede/r bestätigen wird, die/der es aus eigener Anschauung kennt.

Der gelungene Auftakt einer neuen Reihe, auf deren Fortsetzung wir hoffentlich nicht allzu lange warten müssen (im Original ist bereits Band 2 „The Summer Guests“ für 2025 in Planung).

Veröffentlicht am 25.11.2023

Ein kritischer Blick auf die Gegenwart

Betrug
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„Der Sinn der Vergangenheit ist es nicht, auf schlechte Menschen zu zeigen, sondern darüber nachzudenken, ob es Analogien zu heute gibt." Wenn man diesen Satz von Zadie Smith während des Lesens ihres neuen ...

„Der Sinn der Vergangenheit ist es nicht, auf schlechte Menschen zu zeigen, sondern darüber nachzudenken, ob es Analogien zu heute gibt." Wenn man diesen Satz von Zadie Smith während des Lesens ihres neuen Buchs „Betrug“ im Kopf hat, verwundert es nicht, dass sie sich erstmals an einen historischen Roman gewagt hat, denn „nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten (August Bebel)“. Und das sollten sich vor allem diejenigen Briten zu Herzen nehmen, die, wie die Brexit-Abstimmung gezeigt hat, noch immer den ruhmreichen Rule-Britannia- Tagen nachtrauern.

1873, wir sind mitten in der Regierungszeit von Queen Victoria, einer Epoche, in der das Britische Empire auf dem Höhepunkt seiner politischen und ökonomischen Macht ist, wovon in erster Linie die Angehörigen der weißen Oberschicht profitieren. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich könnten nicht größer sein, die einfachen Leute müssen sich wie eh und je abstrampeln, um das Überleben zu sichern.

In den Salons trifft man sich zu Soirees. So auch im Haus des alternden Schriftstellers William Ainsworth, bei dem Charles Dickens regelmäßig zu Gast ist und wo der (historisch verbürgte) Prozess gegen Arthur Orton Gesprächsstoff liefert.

Orton, aller Wahrscheinlichkeit nach ein hochstapelnder Metzgerssohn aus Ostlondon, behauptet, der lange verschollene Erbe der adligen, wohlhabenden Familie Tichborne zu sein und erhebt Anspruch auf das Erbe. Und er bietet mit dem ehemaligen Sklaven Andrew Bogle sogar einen Zeugen auf, der seine Aussagen bestätigen kann, und dessen ergreifende Lebensgeschichte uns mittenhinein in den menschenverachtenden Kolonialismus des britischen Empires versetzt (falls ihr nach London kommt: Im Museum of London Docklands gibt es eine hervorragende Ausstellung mit Schwerpunkt Zucker-Kapitalismus und Sklaverei – unbedingt anschauen!). Und hier schlägt Smith den Bogen zu unserer Gegenwart. Fakten zählen nichts, es ist offensichtlich, dass man ein Schwindler sein kann, aber wenn man über rhetorisches Talent verfügt, hat man die Massen hinter sich, kann sie für die eigenen Pläne instrumentalisieren.

„Betrug“ ist wie erwartet kein typischer historischer Roman, denn dazu sind die behandelten Themen zum einen zu vielfältig und zum anderen zu sehr mit unserer gesellschaftspolitischen Realität verbunden. Und wie immer geht es der Autorin um die Frage, was das Menschsein in Vergangenheit und Gegenwart ausmacht. Sie fordert zum Hinterfragen gegebener Zustände auf, ermutigt zum kritischen Blick auf populistische Strömungen und ist gerade deshalb hochaktuell.

Veröffentlicht am 19.11.2023

Auge um Auge

Klytämnestra
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Madeline Miller hat 2018 mit „Ich bin Circe“ erfolgreich den Reigen der Nacherzählungen griechischer Mythologie eröffnet. In der Zwischenzeit haben aber auch andere Autorinnen dieses nun nicht mehr unbeackerte ...

Madeline Miller hat 2018 mit „Ich bin Circe“ erfolgreich den Reigen der Nacherzählungen griechischer Mythologie eröffnet. In der Zwischenzeit haben aber auch andere Autorinnen dieses nun nicht mehr unbeackerte Feld für sich entdeckt, und so gibt es nun auch in der Belletristik weitere unverstellte Blicke und Neuinterpretationen interessanter und rebellischer Frauen der Sagenwelt wie z.B. Ariadne, Elektra oder Atalanta. Gemeinsam ist ihnen ein von Männern vorbestimmter Lebensweg ohne Mitspracherecht, aber auch der starke Wille, sich aus einem von männlicher Dominanz geprägten Leben zu befreien und eigene Wege zu gehen.

Nun also gesellt sich „Klytämnestra“ zu diesem illustren Kreis. Mutter von Iphigenie, Orestes, Elektra und Chrysothemis, Gattin des Agamemnon, König von Mykene, der ihren ersten Mann und kleinen Sohn getötet hat, nun Anführer im Trojanischen Krieg, der die gemeinsame Tochter Iphigenie ohne Zögern opfert, um die erzürnte Göttin Artemis zu besänftigen. Klytämstra, in tiefer Trauer aber auch seit langem voll unbändiger Wut, besinnt sich auf ihre Herkunft als starke Spartanerin, schmiedet Rachepläne und beschließt, Agamemnon nach seiner Rückkehr aus Troja zu töten.

Costanza Casati, italo-amerikanische Autorin, ausgebildet in Altgriechisch und antiker griechischer Literatur, hat für ihr Debüt die dramatischen Eckpunkte im Leben dieser faszinierenden Kämpferin herausgegriffen und diese so verdichtet, dass daraus die Härte, die Kompromisslosigkeit und das Wachsen ihrer Protagonistin sichtbar wird. Eine logische Entwicklung hin zu deren Freiheit und selbstbestimmtem Handeln. Der Ansatz, mit dem sie das weibliche Leben in diesen archaischen Männerwelten unter die Lupe nimmt, ist zeitgemäß und feministisch, lässt aber mit Blick auf Klytämnestras Aufwachsen in Sparta durchaus erkennen, dass ihre spätere Stärke bereits in jungen Jahren angelegt wurde.

Eine interessante, spannende und lesenswerte Nacherzählung, in der eine der interessantesten Frauenfiguren der griechischen Mythologie im Mittelpunkt steht. Lesen!