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Veröffentlicht am 29.10.2020

Schmutzige Geschäfte

Kreuzberg Blues
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Wer Wohneigentum besitzt, kann sich glücklich schätzen. Für Mieter wird es, besonders in den Großstädten, schon seit geraumer Zeit eng. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, und wenn dann noch Immobiliengesellschaften ...

Wer Wohneigentum besitzt, kann sich glücklich schätzen. Für Mieter wird es, besonders in den Großstädten, schon seit geraumer Zeit eng. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, und wenn dann noch Immobiliengesellschaften die Finger im Spiel haben, deren einziges Ziel die Gewinnmaximierung ist, wird es umso schlimmer.

Dengler verlässt mit Olga das heimische Stuttgart, um deren Freundin in Berlin zu helfen. Diese wohnt in einem Plattenbau, der luxussaniert werden soll. Wer die höhere Miete nicht zahlen kann oder will, soll ausziehen. Die Mieter wollen dies nicht hinnehmen und wehren sich. Aber es gibt ja Methoden, um diese Pläne voranzutreiben. Beispielweise aggressive Ratten, die in dem Wohnblock ausgesetzt werden, unbemerkt in die Wohnung von Olgas Freundin eindringen und deren Baby den halben Finger abbeißen. Oder man kann auch in eisiger Kälte die Fenster der Wohnungen entfernen und diese erst nach einer Woche ersetzen. Für Dengler stellt sich die Frage, ob tatsächlich die Kröger Immobilien AG für diese Schweinereien verantwortlich ist, oder ob es vielleicht noch jemanden gibt, der ganz andere Interessen hat.

Berlin bietet genau die richtige Kulisse für diesen spannenden Kriminalroman, denn es gibt kaum eine deutsche Stadt, in der die Gentrifizierung so rücksichtslos vorangetrieben wird und in der die Mieten in den vergangenen Jahren so stark gestiegen sind. Immobiliengesellschaften haben längst die Oberhoheit über den Wohnungsmarkt übernommen. Ihre Liquidität wird gesichert durch die finanziellen Einlagen der Großinvestoren, die natürlich die entsprechenden Renditen erwarten.

Als Krimi-Thema hört sich das zwar trocken an, aber der Autor macht den Leser höchst spannend und schlüssig nachvollziehbar mit den Mechanismen dieses Haifischbeckens vertraut. Wie immer hat er gründlich recherchiert und sich an der Realität orientiert, weshalb natürlich auch die Pandemie thematisiert wird. Zu Recht, wie ich finden, denn da gibt es ja auch noch Player, die ihre eigenen Ziele verfolgen und zu diesem Zweck darauf aus sind, die mit der Regierungspolitik Unzufriedenen zu instrumentalisieren.

Es ist ein topaktuelles Thema, das Wolfgang Schorlau in seinem gerade erschienenen Kriminalroman aufgreift. Hochpolitisch, von Beginn an spannend durch permanente Perspektivwechsel, und umso rasanter, je näher es dem Ende zugeht. Für mich eines der Highlights in diesem Bücherherbst.

Veröffentlicht am 27.10.2020

Der Zweck heiligt die Mittel

Die F*ck-it-Liste
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Der Wahltag in den Vereinigten Staaten rückt immer näher. Nicht mehr lange, dann wird sich zeigen, in welche Richtung sich das Land entwickelt, ob eine Umkehr der bisherigen Politik möglich ist.

Niven ...

Der Wahltag in den Vereinigten Staaten rückt immer näher. Nicht mehr lange, dann wird sich zeigen, in welche Richtung sich das Land entwickelt, ob eine Umkehr der bisherigen Politik möglich ist.

Niven ist in seinem neuen Roman „Die Fck-it-Liste“ schon einen Schritt weiter und entwirft ein rabenschwarzes Szenario der amerikanischen Gesellschaft im Jahr 2026. Natürlich hat er sich dafür fiktionale Freiheiten genommen, aber unter dem Strich scheint diese Vision durchaus realistisch. Vor allem dann, wenn man sich die bisherige Entwicklung des Landes unter der Trump’schen Präsidentschaft anschaut.

2026, zwei Amtsperioden haben die Gesellschaft verändert, schon immer vorhandene strukturelle Probleme verstärkt. Rassismus, Diskriminierung, offen ausgelebte Brutalität gehören zum Alltag. Und auch die neue Amtsinhaberin, Trumps Tochter Ivanka, haut in die gleiche Kerbe.

Frank Bill, Journalist im Ruhestand, hat nach seiner Krebsdiagnose nichts mehr zu verlieren – außer seinem Leben. Aber anders als viele Leidensgenossen möchte er seine letzten Tage nicht damit verbringen, an einem Bungee-Seil von einer Brücke zu springen oder fremden Ländern einen Besuch abzustatten. Nein, erwacht aus seiner jahrelangen Lethargie erstellt er eine F
ck-It-Liste, um die Menschen abzustrafen, mit denen er noch eine Rechnung offen hat. Der persönliche Kreis erweitert sich recht schnell, und schließlich sind auf dieser Liste auch Personen zu finden, deren Handeln nicht nur sein sondern auch das Leben unzähliger Amerikaner ruiniert haben.

Dieser neunte Roman aus der Feder Nivens ist spannend zu lesen, wie gewohnt schwarzhumorig-bissig unterhaltend. Stellenweise überzogen, aber er bezieht Stellung. Es ist ein durchaus realistisches Bild, das hier von den USA gezeichnet wird. Eine Gesellschaft am Abgrund, in der das Recht des Stärkeren triumphiert und Moral nichts mehr gilt, als Resultat der Präsidentschaft des Trump-Clans samt Helfershelfer. Hoffen wir, dass es nicht soweit kommen muss.

Veröffentlicht am 25.10.2020

Über menschliche Schwächen

Götter und Tiere
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„Götter und Tiere“, Band 3 der Kriminalromane mit Alex Morrow und im Original 2012 erschienen, schließt endlich die Lücke in der fünfbändigen Reihe und wurde 2013 mit dem Theakston’s Old Peculier Crime ...

„Götter und Tiere“, Band 3 der Kriminalromane mit Alex Morrow und im Original 2012 erschienen, schließt endlich die Lücke in der fünfbändigen Reihe und wurde 2013 mit dem Theakston’s Old Peculier Crime Novel of the Year Award ausgezeichnet.

Es sind drei „große“ Erzählstränge, die die Handlung dominieren und auf den ersten Blick den Anschein vermitteln, als hätten sie nichts miteinander zu tun, am Ende aber logisch zusammengeführt werden: Da ist der Überfall auf eine Postfiliale, in dessen Verlauf ein älterer Kunde seinen Enkel in die Obhut eines der Anwesenden übergibt, den Täter unterstützt und schließlich von diesem erschossen wird. Dann die beiden Beamten aus Morrows Abteilung, die bei der Kontrolle eines Drogendealers eine verhängnisvolle Entscheidung treffen. Und schließlich der charismatische Kandidat der Linken, dessen Affäre mit einer Praktikantin ihm das Genick zu brechen droht.

Natürlich gibt es auch Schnittstellen mit dem organisierten Verbrechen, repräsentiert durch Danny McGrath, nicht nur ein Mann mit Einfluss in Glasgows Unterwelt sondern auch der kriminelle Halbbruder von Alex Morrow. Eine fragile Geschwisterbeziehung, die zwar beiderseits von dem Wunsch nach Nähe geprägt ist, aber schon allein durch den Umstand, dass sie auf verschiedenen Seiten stehen, immer wieder von Misstrauen geprägt und deshalb empfänglich für Rückschläge ist.

Das klingt alles nicht sonderlich spektakulär, aber bei genauerem Hinsehen zeigt sich hier die wahre Qualität dieses Kriminalromans, der so viel mehr ist. Elegant geschrieben, immer auf den Punkt, ist „Götter und Tiere“ eine Geschichte von „unten“, von normalen Menschen, die mit den Herausforderungen des Alltags zu kämpfen haben. Gut oder schlecht, die Zuordnung ist nicht immer eindeutig. Mina hat ein Auge für die menschlichen Schwächen, die gleichzeitig den Zustand einer Gesellschaft offenbaren, in der die Bereitschaft, sich korrumpieren zu lassen, in allen Schichten vorhanden ist und in der in bestimmten Situationen Idealismus und persönliche Integrität dem Pragmatismus weicht.

Veröffentlicht am 22.10.2020

Mit den Augen des Insiders

Dreck
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Bill Buford ist ein amerikanischer Journalist, der die Herausforderung sucht. In investigativen Berichten nimmt er seine Leser in Bereiche mit, die diese wahrscheinlich niemals von innen gesehen hätten. ...

Bill Buford ist ein amerikanischer Journalist, der die Herausforderung sucht. In investigativen Berichten nimmt er seine Leser in Bereiche mit, die diese wahrscheinlich niemals von innen gesehen hätten. Sei es die englische Hooliganszene, in der er als Insider recherchiert hat (siehe „Geil auf Gewalt“), oder die italienische Küche („Hitze“). Letzteres eine einschneidende Erfahrung, die seinen Blick auf die Zubereitung und die Qualität der Nahrungsmittel nachhaltig verändert hat.

Nun also „Dreck“, seine neueste Reportage, in der er die Geheimnisse der französischen Küche lüften und die Zustände in deren Spitzenrestaurants ergründen möchte. Also dann, Koffer packen, Familie schnappen und los geht‘s nach Lyon, der französischen Metropole mit 14 Sternerestaurants und Heimat von Spitzenkoch Paul Bocuse.

Und dann ab in die Küche. Obwohl ein gestandener Mann, wird er zum Lehrling, steht ganz unten auf der Leiter. Wahrscheinlich hätte er es sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können, dass es dort von immenser Wichtigkeit ist, womit man eine Kartoffel schält. Kartoffelschäler? Geht gar nicht! Aber er will es ja wissen und nimmt deshalb die Strapazen einer 80-Stunden-Woche auf sich. In einer Umgebung, die von enormem Stress (weil gefordert hohem Tempo) geprägt ist, in der die unteren Chargen lausig bezahlt werden und in der das Hauen und Stechen der Köche untereinander offenbar zum guten Ton gehört. Ein Umfeld, geprägt von klarer Hierarchie, in dem intrigantes Verhalten zum Alltag gehört, wenn man vorankommen möchte.

Buford gewährt ungeschönte Einblicke, schreibt sehr anschaulich, so dass man als Leser förmlich das Töpfeklappern im Ohr hat, wenn man sich den Schweiß von der Stirn wischt. Höchst erschreckend, aber auch faszinierend, ist dieser Blick eines Insiders, der mit den Hochglanz-Reportagen über Sterne-Restaurants wenig zu tun hat und den Leser in das Mysterium der Spitzenküche eintauchen lässt, in der nicht nur mit Wasser gekocht wird.

Veröffentlicht am 14.10.2020

Der beste Band der Reihe

Totengedenken
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Es scheint, als ob es DI Logan McRaes Ziel wäre, während seiner Dienstzeit alle Abteilungen der Police Scotland zu durchlaufen, denn mittlerweile ist er für die Interne Ermittlung in Aberdeen zuständig. ...

Es scheint, als ob es DI Logan McRaes Ziel wäre, während seiner Dienstzeit alle Abteilungen der Police Scotland zu durchlaufen, denn mittlerweile ist er für die Interne Ermittlung in Aberdeen zuständig. Und wenn jemand nicht mehr am Tagesgeschehen beteiligt sondern dafür zuständig ist, Fehlverhalten innerhalb der Truppe aufzudecken, ist er bei seinen Kollegen üblicherweise nicht everybodys Darling.

Deshalb begegnen ihm die Kollegen mit Misstrauen, hat doch der eine oder andere im Laufe der Jahre nicht immer nach den Regeln gehandelt. Das könnte auch bei DI Duncan „Ding-Dong“ Bell der Fall sein, dessen Leiche mit einem Messerstich in der Brust in einem Autowrack auftaucht. Äußerst ungewöhnlich, denn eigentlich wurde er bereits vor zwei Jahren mit allen polizeilichen Ehren bestattet. McRaes messerscharfer Verstand ist gefragt, weshalb er zu den Ermittlungen hinzugezogen wird. Gibt es einen Zusammenhang mit Ding-Dongs letztem Fall? Musste er seinen Tod vortäuschen, weil er einem Kinderhändlerring zu nahe kam?

Das ist die Ausgangssituation in „Totengedenken“, dem elften, und meiner Meinung nach besten Band mit Logan McRae. Und wie bei Reihen üblich, werden immer wieder Verweise auf die Vorgänger eingestreut. Das ist aber kein größeres Problem, denn man kann der Story auch dann gut folgen, wenn man die Vorgänger nicht gelesen hat.

Die Schilderungen von Verbrechen, in denen Kinder zu Opfern werden, sind immer schwer zu ertragend. Und so ist auch die Handlung dieses spannenden, aber nie voyeuristischen Thrillers streckenweise sehr düster und harte Kost für den Leser. Einen Ausgleich schafft der Autor zum einen durch die detaillierten Beschreibungen von McRaes Kollegen und deren Beziehungen zueinander, zum anderen durch die ausführliche Schilderung der Polizeiarbeit in diesem Fall. Nicht zu vergessen der schräge sarkastische Humor, der immer wieder für Auflockerung sorgt und die Zeit zum Durchatmen verschafft, die hier so dringend notwendig ist.