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Veröffentlicht am 13.09.2020

Vom Suchen und Finden

Volkswagen Blues
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Jack Waterman, mäßig erfolgreicher Autor in einer Schaffenskrise, an einem Punkt angelangt, an dem die Vergangenheit an Bedeutung gewinnt. Insbesondere sein vor knapp zwanzig Jahren verschwundener Bruder ...

Jack Waterman, mäßig erfolgreicher Autor in einer Schaffenskrise, an einem Punkt angelangt, an dem die Vergangenheit an Bedeutung gewinnt. Insbesondere sein vor knapp zwanzig Jahren verschwundener Bruder Theo. Die einzige Spur ist eine unleserliche Postkarte, in Gaspé abgeschickt. Jack möchte ihn wiedersehen, und so macht er sich in seinem altersschwachen Bulli auf den Weg. Gleich zu Beginn seiner Tour gabelt er eine Anhalterin auf, die ihm im weiteren Verlauf nicht nur eine angenehme Reisebegleitung sondern auch eine wertvolle Hilfe sein wird. Pitsemine, die „Große Heuschrecke“, ist eine Halb-Innu, eine intelligente junge Frau, rastlos auf der Suche nach der wahren Geschichte der Ureinwohner und somit auch nach ihrer eigenen Identität.

Das Highlight dieses Romans sind für mich die Gespräche der Protagonisten, in denen sie sich über Literatur und die amerikanische Geschichte austauschen, nicht nur unterhaltsam sondern auch höchst informativ. Insbesondere der Blick Pitsemines zeigt einen gänzlich anderen Blick auf die gängige Geschichtsschreibung, was die Entdeckung Nordamerikas angeht. Die Motivationen der französischen Forscher mögen ja edel gewesen und einem wissenschaftlichen Interesse entsprungen sein, aber ihre Reisen bereiteten den Boden für all diejenigen, denen es in erster Linie nicht um die Entdeckung sondern um die Eroberung, die Inbesitznahme des Kontinents und seiner Ressourcen ging. Die Dezimierung und Vertreibung der Ureinwohner und damit auch die Zerstörung ihrer Identität wurde dabei billigend in Kauf genommen.

„Volkswagen Blues“ ist ein Klassiker der franko-kanadischen Literatur, der der Gattung der Road Novel zugeordnet wird. Und obwohl im Original bereits 1984 erschienen, wirkt der Roman noch immer zeitlos. Es ist eine melancholische Geschichte, in der die Suche nach dem Bruder gleichsam zu einer Suche nach dem kollektiven Gedächtnis und dem eigenen Selbst wird.

Veröffentlicht am 08.09.2020

Piries neue Fälle

Das Grab im Moor
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Was haben ein Highlander mit Kilt, zwei Motorräder, Ohrringe von Tiffanys, das schwarze Wohnmobil, die Schatzkarte, der rote Rover 214, der Hundekuchen und die Moorleiche gemeinsam? Richtig, all das spielt ...

Was haben ein Highlander mit Kilt, zwei Motorräder, Ohrringe von Tiffanys, das schwarze Wohnmobil, die Schatzkarte, der rote Rover 214, der Hundekuchen und die Moorleiche gemeinsam? Richtig, all das spielt eine Rolle in „Das Grab im Moor“ von Val McDermid und somit den neuen Fällen für Karen Pirie (Band 5 der Reihe).

Karen Pirie, noch immer in Trauer um Phil, ihren Liebhaber, Seelenverwandten und ehemaligen Vorgesetzten, muss diesmal an verschiedenen Fronten kämpfen. Zum einen hat die Historic Cases Unit zwei knifflige Altfälle auf dem Tisch, zum anderen gilt es, sich gegen Ann Markie, ihre neue Chefin zu behaupten, die, von Missgunst und verletzten Gefühlen getrieben, alles daran setzt, Piries berufliche Reputation zu beschädigen. Und dann ist da noch die Unterhaltung zweier Frauen, die sie per Zufall in ihrem Lieblingscafé mitangehört und sie misstrauisch gemacht hat.

Wieder einmal beweist Val McDermid, dass sie zurecht zur oberen Liga der schottischen Autoren gehört. Natürlich ist es spannend, die Polizeiarbeit an Altfällen zu begleiten, aber genauso interessant ist die Sicht der Autorin auf das Edinburgh der Gegenwart, in dessen Vielfalt ein syrisches Café ebenso seinen Platz hat wie das italienische Gebäck, der schottische Whisky und der Craft-Gin. Und auch die mehr oder weniger in Nebensätzen eingeflochtenen Informationen zur jüngeren Historie und die kritischen Anmerkungen zur Arbeit der Stadtplaner und Bauträger, die gewachsene Viertel zugunsten des Profits zerstören. Durchaus ernste Themen, die McDermid aber mit dem ihr eigenen trockenen Humor auflockert. Und der harmoniesüchtige Leser wird natürlich auch zufriedengestellt. Die Fälle gelöst, der Angriff der Vorgesetzten abgewehrt und der Boden (vielleicht) bereitet für eine neue Beziehung. Also -alles zur absoluten Zufriedenheit erledigt. Aber etwas anderes hätte ich von der Autorin auch nicht erwartet. Daumen hoch!

Veröffentlicht am 03.09.2020

Bruderliebe, Schuldgefühle und jede Menge Drama

Ihr Königreich
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Jo Nesbøs Bücher sind ein Muss. Ganz gleich, ob die Harry-Hole-Reihe, die Macbeth Adaption im Rahmen des Shakespeare-Projekts oder die übrigen Kriminalromane, der Autor hat mich noch nie enttäuscht. Nun ...

Jo Nesbøs Bücher sind ein Muss. Ganz gleich, ob die Harry-Hole-Reihe, die Macbeth Adaption im Rahmen des Shakespeare-Projekts oder die übrigen Kriminalromane, der Autor hat mich noch nie enttäuscht. Nun ist also mit „Ihr Königreich“ ein weiterer Stand alone erschienen, in dessen Zentrum die Beziehung zweier Brüder steht. Auf den ersten Blick kein typischer Nesbø, auf den Zweiten dann aber doch. Liebe, Schuldgefühle, jede Menge Drama und natürlich, wie könnte es anders sein, Mord.

Erzählt wird aus der Perspektive des älteren Bruders Roy, bodenständiger Einzelgänger Typ einsamer Wolf, der den Ort seiner Kindheit nicht verlassen hat. Ganz anders Carl, der Jüngere, der nach vielen Jahren heimkommt, im Schlepptau seine Ehefrau und den Kopf voll Ideen, die den Einwohnern des Dorfes den ersehnten Wohlstand bringen sollen. Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt, denn Erlebnisse aus der Vergangenheit werfen lange Schatten.

Der Anfang ist verhalten, es dauert etwas, bis die Handlung in die Gänge kommt, aber das ist wichtig, um die Sozialisationsbedingungen, die Entwicklung und das Verhältnis der Brüder zu verstehen. Deshalb auch die verschiedenen Zeitebenen, die durchaus ihre Berechtigung haben, auch wenn Spannung vorerst nicht wirklich aufkommen will. Aber das ändert sich glücklicherweise im Verlauf der Ereignisse und mit zunehmender Seitenzahl.

Auf der sprachlichen Ebene gibt es, wie immer bei Nesbø, keine Kritikpunkte. Für einen Familienroman mit Krimi-Elementen fast schon literarisch, macht es Freude, „Ihr Königreich“ zu lesen und die tragische und zunehmend komplexe Geschichte der beiden Brüder zu verfolgen, bis sie schlussendlich in dem Unausweichlichen endet.

Veröffentlicht am 01.09.2020

Würdiger Abschluss der Trilogie

Feuerrache
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„Feuerrache“ ist nach „Blutblume“ und „Scheintod“ der Abschlussband von Louise Boije af Gennäs‘ Trilogie um Sara, eine junge Frau, die von einer einflussreichen Organisation verfolgt wird, deren Mitglieder ...

„Feuerrache“ ist nach „Blutblume“ und „Scheintod“ der Abschlussband von Louise Boije af Gennäs‘ Trilogie um Sara, eine junge Frau, die von einer einflussreichen Organisation verfolgt wird, deren Mitglieder offenbar an den Schaltstellen der Macht sitzen. Dreh- und Angelpunkt sind die brisanten Informationen, die ihr Vater ausgegraben und schlussendlich mit dem Leben bezahlt hat und deren Veröffentlichung mit aller Macht verhindert werden soll. Und dabei schrecken die Mächtigen auch nicht vor Mord zurück, um Sara einzuschüchtern. Ihr persönliches Umfeld ist permanent bedroht, Freunde, Familie, alle stehen im Fokus. Und dann ist da noch die geheime Widerstandsgruppe, die ihre eigenen Ziele verfolgt und Sara zum Spielball ihrer Sache machen will. Kann sie ihnen wirklich vertrauen?

Romane, in deren Zentrum Verschwörungstheorien stehen, gibt es zuhauf, aber die Guten kommen im Wesentlichen aus dem skandinavischen Raum. Das mag daran liegen, dass sich diese Nationen gerne als offen, tolerant und sozial präsentieren und ihren Dreck lieber unter besagten Teppich kehren. Louise Boije af Gennäs spielt in ihrer Trilogie mit der Realität, orientiert sich an zeitgenössischen Ereignissen und verknüpft diese mit Fiktion. Oder etwa doch nicht?

Es ist ein spannendes Szenario, das sich in diesem finalen Band rund um die sympathische Hauptfigur entfaltet. Vor allem, weil man davon ausgehen kann, dass die Autorin authentisches Material verwendet hat, um den Sumpf zu beschreiben, in dem auch die schwedische Gesellschaft watet. Aber das wissen wir ja bereits seit Stieg Larssons Milleniums-Trilogie, dem Meilenstein der skandinavischen Spannungsliteratur.

Noch eine kurze Schlussbemerkung: Die drei Bände sollte man unbedingt in Reihe lesen, da immer wieder Bezug auf vorhergehende Ereignisse genommen wird.

Veröffentlicht am 31.08.2020

Ein Protagonist, der im Gedächtnis bleiben wird

Kalmann
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Seit die Heringsschwärme ausgeblieben sind und die Fischfabrik geschlossen hat, ist es mit Raufarhöfn nur noch bergab gegangen. Die Bewohner sind abgewandert, sodass das Örtchen ganz im Nordosten Islands ...

Seit die Heringsschwärme ausgeblieben sind und die Fischfabrik geschlossen hat, ist es mit Raufarhöfn nur noch bergab gegangen. Die Bewohner sind abgewandert, sodass das Örtchen ganz im Nordosten Islands mittlerweile noch nicht einmal mehr 200 Einwohner hat. Einer von ihnen ist der Jäger und letzte Haifischer Kalmann Odinsson, der mit Cowboyhut, Sheriffstern und seiner Mauser im Gürtel dafür sorgt, dass alles seinen geregelten Gang geht. Bis er eines Tages eine Blutlache im Schnee findet. Eigentlich nicht weiter beachtenswert, wäre nicht zeitgleich Róbert McKenzie verschwunden, ein zwielichtiger Geschäftsmann mit dubiosen Kontakten. Als die Polizei eintrifft, um sich ein Bild vor Ort zu machen, sieht sich Kalmann genötigt, sie im Rahmen seiner Möglichkeiten zu unterstützen.

Kalmann ist speziell, naiv und fast schon so ehrlich, dass es schmerzt. Aber wenn es darauf ankommt ist er durchaus in der Lage, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und er ist einsam, ganz besonders, seit sein Großvater im Pflegeheim ist, von dem er alles über die Welt und die Herstellung von Gammelhai gelernt hat und für den das Handicap seines Enkels nie ein Problem war.

Es ist ein leise erzählter Roman mit grandiosen Naturschilderungen und einer Hauptfigur, die im Gedächtnis bleiben wird. Mit viel Liebe zum Detail lässt uns der Autor an dem täglichen Leben seines Protagonisten teilhaben, zeigt uns die verschiedenen Facetten seiner Persönlichkeit und entfaltet nach und nach das Panorama eines isländischen Dorfes, das vom Aussterben bedroht ist. Und nicht zuletzt flicht Joachim B. Schmidt die Auswirkungen des Klimawandels auf die isländische Fischerei ein und übt Kritik an der Quotenregelung, die die Konzentration der Fischereirechte in den Händen weniger Geschäftemacher ermöglicht und somit den kleinen Fischern die Lebensgrundlage entzieht.