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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.06.2020

Eine explosive Mischung

Schwarzer August
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Zu Beginn der Reihe von seiner Hamburger Dienststelle im Austausch nach Portugal geschickt, hat Leander Lost mittlerweile eine neue Heimat an der Algarve gefunden, wozu nicht zuletzt die Beziehung zu Soraia ...

Zu Beginn der Reihe von seiner Hamburger Dienststelle im Austausch nach Portugal geschickt, hat Leander Lost mittlerweile eine neue Heimat an der Algarve gefunden, wozu nicht zuletzt die Beziehung zu Soraia beiträgt. Und auch beruflich läuft dank seiner Planstelle bei der Polícia Judicária alles glatt. Hier wird er wegen seinem Asperger und den damit einhergehenden "Spleens" nicht schräg angeschaut, im Gegenteil. Seine Kollegen Graciana, Carlos und selbst Duarte schätzen ihn als wertvolles Teammitglied und verlässlichen Freund, denn oft sind es gerade seine besonderen analytischen Fähigkeiten, die bei der Verbrechensaufklärung hilfreich sind. Und auch in dem aktuellen Fall des Bombenlegers, der die Gegend rund um das idyllische Städtchen Fuseta unsicher macht, bestätigt sich dies einmal mehr.

Kriminalromane, die an mehr oder minder „exotischen“ Orten angesiedelt sind, gibt es viele. Die Story ist meist recht gradlinig gehalten: es geschieht ein Verbrechen, die Polizei ermittelt, der Täter wird entlarvt. Das alles garniert mit netten Landschaftsbeschreibungen, die Lust auf Urlaub machen.

Auch die Lost-Reihe ist nach diesem Prinzip angelegt, punktet aber zum einen natürlich durch den liebenswerten Protagonisten sowie dessen sympathische Kollegen, zum anderen aber auch durch die detaillierten Beschreibungen des immer etwas melancholischen portugiesischen Lebensgefühls, nicht zu vergessen das einzigartige Azur.

Der zugrunde liegende Kriminalfall vermittelt zwar nicht die absolute Hochspannung, hat aber meist, so auch in „Schwarzer August“, einen gesellschaftskritischen Hintergrund mit regionalen Bezügen. Eine gelungene, unterhaltsame Mischung aus Ermittlungsarbeit und – zugegeben, diesmal ziemlich viel – Beziehungs- und Gruppendynamik. Aber genau das macht für mich den Reiz bei dieser Reihe aus, und so warte ich voller Vorfreude auf die Fortsetzung.

Veröffentlicht am 06.06.2020

Gelungene Fortsetzung

Der Knochengarten
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Angesichts Carol Jordans posttraumatischer Belastungsstörung und ihrem Abschied aus dem Polizeidienst sowie Tony Hills Gefängnisstrafe fragt man sich, wie McDermid eine Reihe fortschreiben kann, in der ...

Angesichts Carol Jordans posttraumatischer Belastungsstörung und ihrem Abschied aus dem Polizeidienst sowie Tony Hills Gefängnisstrafe fragt man sich, wie McDermid eine Reihe fortschreiben kann, in der die beiden Protagonisten, die ihr in der Vergangenheit ihren Stempel aufgedrückt haben, nicht mehr Teil des Teams und der Ermittlungsarbeit sind. Um es gleich vorweg zu nehmen, es ist ihr gelungen.

Wer Action und/oder voyeuristische Gewaltdarstellungen sucht, mit denen weniger talentierte Autoren gerne ihr Unvermögen kaschieren, ist bei Val McDermid an der falschen Adresse. Ihre Kriminalromane zeichnen sich vor allem durch die detaillierte Beschreibung der Polizeiarbeit und das tiefe Eintauchen in die Psyche ihrer Protagonisten aus. Und genau das generiert in diesem Krimi eine ganz besondere Art von Spannung.

Hill versucht sich im Gefängnisalltag zurechtzufinden, den Aufenthalt möglichst unbeschadet an Leib und Seele zu überstehen. Hilft Mitgefangenen und nutzt die Zeit, um „Verbrechen lesen“ zu schreiben. Ein Handbuch für Profiler, aus dem wir zu Beginn eines jeden Kapitels interessante Auszüge zu lesen bekommen. Jordan hingegen hat endlich den Mut gefasst, ihr Trauma mithilfe einer Therapeutin anzugehen. Und es zeichnet sich ein weiteres Betätigungsfeld für sie ab, in dem sie ihre im Polizeidienst erworbenen Fähigkeiten nutzen kann. Also auch genügend Stoff für zukünftige Bände der Reihe.

Paula und die ehemaligen Mitglieder von Jordans Team müssen sich währenddessen an die neue Leitung der ReMIT gewöhnen und ihre Fähigkeiten beweisen, wobei diese ganz besondere Gruppendynamik interessante Einblicke gewährt.

Die Story um das Massengrab in der Nähe eines von Nonnen geleiteten Waisenhauses ist jetzt nicht der Rede wert, denn dieses Thema wurde in der jüngsten Vergangenheit in zahlreichen Kriminalromanen ausgeschlachtet. Und auch die Geschichte um die per Zufall auf einem nahegelegene Privatgelände endeckten Skelette konnte mich nicht vom Hocker reißen, denn in beiden Fällen waren die Täter zu offensichtlich auszumachen.

Veröffentlicht am 15.05.2020

Wer hoch steigt, wird tief fallen

Spiegel und Licht
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Englische Geschichtsschreiber/Historiker sind schon eine seltsame Spezies. Beeinflusst vom Zeitgeist wurde ein Richard I. (Löwenherz) jahrhundertelang idealisiert, Richard III. hingegen in Grund und Boden ...

Englische Geschichtsschreiber/Historiker sind schon eine seltsame Spezies. Beeinflusst vom Zeitgeist wurde ein Richard I. (Löwenherz) jahrhundertelang idealisiert, Richard III. hingegen in Grund und Boden verdammt. Ähnliches widerfuhr auch Thomas Cromwell, dem schillernden Staatsmann und mächtigen Ratgeber Heinrichs VIII., der in Hilary Mantels Tudor-Reihe im Mittelpunkt steht.

„Spiegel und Licht“ ist der abschließende Band der Trilogie und richtet den Fokus auf die letzte Lebensjahre Cromwells, beginnend nach der Hinrichtung Anne Boleyns 1536, an deren Sturz er maßgeblich beteiligt war. Zuerst gilt es für ihn, denn sein König braucht eine neue Gefährtin, eine die ihm endlich den ersehnten Thronfolger schenkt. Cromwells Hilfe ist wieder einmal gefragt. Jane Seymour erfüllt die Erwartungen hinsichtlich der Geburt des männlichen Nachkommens, aber sie stirbt im Kindbett. Anna von Kleve, Ehefrau Nr. 4, erfüllt Heinrichs Erwartungen allerdings nicht, und diesen „Missgriff“ verzeiht er Cromwell nicht. Dessen Macht schwindet nun Tag für Tag, aber man fragt sich, ob er, geblendet von Aufstieg und Position, das nicht sieht oder nicht sehen will. Sich nicht vorstellen kann, dass sich sein König, gegen ihn wenden wird. Wie es endet ist bekannt. Die Gunst seines Königs verloren, der für ihn „Spiegel und Licht der Christenheit“ ist, wird er des Hochverrats und der Ketzerei angeklagt und schuldig gesprochen und muss schließlich 1540 den Gang zum Schafott antreten.

Hilary Mantel lässt uns mit ihrer Cromwell/Tudor-Trilogie tief in die englische Renaissance eintauchen. Natürlich hält sie sich an die verbrieften Daten und Ereignisse, vermeidet aber dabei das kitschig-romantisierende Klischee, das fast allen historischen Romanen anhaftet. Ihr Cromwell ist zwar ein Mann ohne Skrupel, wenn es um die Unterstützung des Königs geht, hat aber auch eine Vision, die sich aus dem Erlebten speist. England soll besser werden, und deshalb bedarf es einer Erneuerung der Kirche, um damit den Einfluss des Papstes zurückzudrängen.

Da die Autorin im Präsens schreibt und die Ereignisse aus Cromwells subjektiver Sicht schildert, kann der Leser hautnah teilhaben, ist mittendrin, bewegt sich mit dem Protagonisten in dieser spannenden Epoche, teilt dessen Gedanken.

Allen nachdrücklich empfohlen, die sich, wenn auch nur ein bisschen, für die englische Geschichte interessieren. Momentan gibt es im Bereich des literarischen Historienromans nichts Besseres!

Und ich lehne mich jetzt nicht weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass auch dieser abschließende Band, wie bereits die beiden Vorgänger, mit dem Booker Prize ausgezeichnet wird.

Veröffentlicht am 10.05.2020

Eine Verbeugung vor den Klassikern

Die unglaubliche Flucht des Uriah Heep
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Auf Streife mit Harry Bosch, eine Kneipentour mit John Rebus? Eine faszinierende Vorstellung, literarischen Figuren im wirklichen Leben zu begegnen, oder? Das mag sich auch die neuseeländische Autorin ...

Auf Streife mit Harry Bosch, eine Kneipentour mit John Rebus? Eine faszinierende Vorstellung, literarischen Figuren im wirklichen Leben zu begegnen, oder? Das mag sich auch die neuseeländische Autorin H.G. Parry gedacht haben, als sie ihren Erstling „Die unglaubliche Flucht des Uriah Heep“ geschrieben hat, eine fantastische Reise in die Welt der Klassiker.

Im Zentrum stehen der Literaturprofessor Charley Sutherland und dessen Bruder Rob sowie zahlreiche fiktive Protagonisten. Rob ist immer wieder damit beschäftigt, Charley vor Schwierigkeiten zu bewahren, in die ihn dessen außergewöhnliche Fähigkeit bringt, denn dieser kann Romanfiguren heraufbeschwören. Ein nicht ganz ungefährliches Talent, wie sich im Verlauf des Romans zeigen wird. Und offenbar auch nicht so einzigartig wie gedacht, denn offenbar gibt es noch jemanden mit dieser Fähigkeit, und der ist Charley ganz und gar nicht wohlgesonnen und verfolgt seine eigenen Pläne.

Wer nun glaubt, ein Kinder-/Jugendbuch vor sich zu haben, irrt, denn dazu sind die literarischen Verweise einfach zu offensichtlich. Im Wesentlichen sind das die Klassiker des Viktorianischen Zeitalters, wie Brontë, Conan Doyle, Wilde und Gaskell mit ihren Protagonisten. Werke/Personen aus anderen Epochen sind zwar auch vertreten, allerdings in der Regel nur als schmückendes Beiwerk, wobei der Schwerpunkt, wie bereits der Titel erahnen lässt, auf den Werken und Figuren – siehe der schurkische Uriah Heep – von Charles Dickens liegt.

Wer nun eine staubtrockene Vorlesung in Literaturgeschichte befürchtet, dem sei versichert, das ist es beileibe nicht. Im Gegenteil. Parry macht durch ihre brillante, fantasie- und humorvolle, aber dennoch fundierte Schreibe, richtig Lust darauf, die Klassiker aus dem Regal zu holen, zu entstauben und (wieder einmal) darin zu schmökern.

Ein fantastisches Leseerlebnis im wahrsten Sinn des Wortes, dem ich viele Leser wünsche. Nachdrücklich den Kennern der obengenannten Autoren empfohlen, aber auch (und gerade) denjenigen, die mit deren Werken nicht vertraut sind und/oder bisher eine Scheu vor Dickens und Co. hatten.

Veröffentlicht am 03.05.2020

The times they are a-changin‘

Margos Töchter
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In „Margos Töchter“ nimmt uns Cora Stephan, wie bereits in dem Vorgänger „Ab heute heiße ich Margo“, auf eine Reise in die Vergangenheit unseres Landes mit und schreibt gleichzeitig die Geschichte von ...

In „Margos Töchter“ nimmt uns Cora Stephan, wie bereits in dem Vorgänger „Ab heute heiße ich Margo“, auf eine Reise in die Vergangenheit unseres Landes mit und schreibt gleichzeitig die Geschichte von Margo und Helene fort. Doch nun sind es deren Kinder und Enkel, die im Fokus stehen.

Clara, die stramme Genossin, streng auf Linie mit dem DDR-Regime, die Politisches über Persönliches stellt. Leonore, die Linke, die wie so viele ihrer Generation die Zustände in der Nachkriegs-BRD hinterfragt und nach Veränderung strebt. Und schließlich Jana, die Enkelin, die mit beiden verbunden ist und mehr über das Schicksal ihrer Mütter erfahren möchte. Aber dafür muss sie tief in der Vergangenheit graben und Verletzungen riskieren.

Der Roman ist wesentlich mehr als eine Familiengeschichte. Es ist ein Blick zurück auf Ereignisse, die die knöchernen Strukturen der beiden Staaten dies- und jenseits der Mauer nachhaltig verändert haben. Indem sie die gesellschaftspolitisch relevanten Themen aufgreift, liefert sie mit analytischem Blick eine klare Bestandsaufnahme unserer jüngsten Historie. Studentenbewegung, Love and Peace, die RAF und ihre Unterstützer, Anti-Atomkraftbewegung und schließlich der Mauerfall, wobei Stephan aber den nostalgisch-verklärenden früher-war-alles-besser-Blick vermeidet, sondern die Widersprüche, die Zweifel ihrer Protagonistinnen anschaulich aufzeigt.

Ein sehr gut gelungener, unterhaltsamer Rückblick auf die Jahre des Umbruchs, die unsere Gegenwart geprägt haben - aber mit Sicherheit am interessantesten für all diejenigen, die diese Zeiten miterlebt haben.