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Veröffentlicht am 01.11.2023

Alte Wunden

Endstation Malma
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Eine Zugfahrt. Drei Menschen. Harriet, Oscar und Yana. Eine trügerische Ausgangssituation. Außen die idyllische, schwedische Sommerlandschaft, innen jedoch die schmerzhaften Erinnerungsfragmente der Passagiere, ...

Eine Zugfahrt. Drei Menschen. Harriet, Oscar und Yana. Eine trügerische Ausgangssituation. Außen die idyllische, schwedische Sommerlandschaft, innen jedoch die schmerzhaften Erinnerungsfragmente der Passagiere, verbunden durch eine gemeinsame Geschichte. Jede/r für sich auf einer Reise durch die Zeit zur „Endstation Malma“, Dreh- und Angelpunkt für die toxischen Beziehungen innerhalb einer Familie. Der Ort, an dem Geheimnisse vergraben und wieder ans Licht geholt werden. Im Gepäck Ungesagtes, Verdrängtes, aber auch der Wunsch nach Verstehen und im besten Fall Heilung.

Wie bereits in „Die Überlebenden“ und „Verbrenn all meine Briefe“ arbeitet sich Alex Schulman auch in seinem neuen Roman an toxischen Familienbeziehungen ab. Die dysfunktionale Familie, das Thema, das sein künstlerisches Schaffen bestimmt, ist omnipräsent. Sprach- und Lieblosigkeit, emotionale Kälte, Zurückweisungen, Enttäuschung und Wut. Über Generationen weitergegebene Traumata, unausgesprochene Gefühle und die sich daraus ergebende Hilflosigkeit. Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt.

Wieder einmal ist es harte Kost, die uns Schulman hier serviert, und da dieses Thema offenbar der nie versiegende Quell der Inspiration für ihn ist, bin ich mir nicht sicher, ob ich zukünftig noch mehr davon lesen möchte. Auch in diesem Roman verbindet er gekonnt Vergangenes und Gegenwärtiges und jongliert souverän mit den Zeitebenen. Aber wenn ich bereits nach den ersten Seiten mehr als eine Ahnung davon habe, wohin die Reise gehen wird, fehlt mir die Weiterentwicklung, überwiegt das Unbehagen. Die Akteure wechseln zwar, aber es sind doch immer die gleichen alten Wunden, die wieder aufbrechen.

Veröffentlicht am 29.09.2023

Innenansichten

Die tiefste Nacht: Vera Stanhope ermittelt
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Ein Schneesturm in dunkler Winternacht. Vera Stanhope ist auf dem Weg nach Hause, als sie ein verlassenes Auto mit offener Tür am Wegesrand entdeckt. Sie stoppt, schaut nach, findet ein verlassenes Baby ...

Ein Schneesturm in dunkler Winternacht. Vera Stanhope ist auf dem Weg nach Hause, als sie ein verlassenes Auto mit offener Tür am Wegesrand entdeckt. Sie stoppt, schaut nach, findet ein verlassenes Baby auf dem Rücksitz. Im ländlichen Northumberland ist das mit dem Handyempfang so eine Sache, kein Netz eher die Regel als die Ausnahme, vor allem bei diesen Wetterbedingungen. Sie benötigt Hilfe, fährt los und macht sich auf die Suche nach jemandem, der ihr helfen könnte. Und so landet sie auf dem Anwesen ihrer Verwandten, die in der Vergangenheit jeglichen Kontakt mit Hector, ihrem Vater und schwarzes Schaf der Familie, vermieden haben. Als kurz nach ihrer Ankunft ein Nachbar die Leiche einer jungen Frau im Schnee findet, offenbar die Mutter des Säuglings, tut Vera das, was sie am besten kann. Sie informiert ihr Team und startet die Ermittlungen.

Aus dieser Ausgangssituation entwickelt sich ein Geflecht aus verborgenen Familiengeheimnissen und gestörten Beziehungen, die es aufzudröseln gilt. Sie fühlt sich zwischen den Fronten platziert, ist hin und her gerissen zwischen Loyalität und professioneller Pflicht. Gleichzeitig bewirkt diese Konfrontation mit ihren familiären Wurzeln bei Vera ein intensives Auseinandersetzen mit ihrer Vergangenheit, eine Rückschau auf ein Leben, das neben ihrer Karriere keinen Raum für persönliche Wünsche und Träume gelassen hat.

„Die tiefste Nacht“ (die Zeile stammt aus Robert Frosts Gedicht „Stopping by woods on a snowy evening“) ist ein stimmungsvoller Roman, der uns erstmals interessante Innenansichten auf die Protagonisten dieser mittlerweile neunbändigen Reihe bietet. Obwohl es gewaltsame Todesfälle gibt, taugt er als Kriminalroman eher weniger, denn dafür ist die Handlung zu konventionell geplottet, hält kaum Überraschungen bereit und bietet einen recht eingeschränkten Kreis von Verdächtigen. Aber dennoch empfehle ihn und erwarte die Fortsetzung der Reihe mit Ungeduld, erweitert er doch den Blick auf Vera und ihr Team, insbesondere, was ihre Beziehung zu DC Holly Jackman angeht.

Veröffentlicht am 27.09.2023

Cold Case aus Down Under

Hell
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Australisches Outback, eine rauen Landschaft, nicht sonderlich stark bevölkert. Die vereinzelten Farmen liegen meilenweit auseinander und falls ein Unglück geschieht, dauert es ewig, bis Hilfe eintrifft. ...

Australisches Outback, eine rauen Landschaft, nicht sonderlich stark bevölkert. Die vereinzelten Farmen liegen meilenweit auseinander und falls ein Unglück geschieht, dauert es ewig, bis Hilfe eintrifft. Das müssen auch die McCreerys erfahren, als im April 1999 die neunjährige Evelyn verschwindet. Es gibt keine Spuren, der Fall bleibt ungelöst und wandert zu den Akten. Ihre Zwillingsschwester Mina, mit der sie sich das Zimmer geteilt hat, ist seither nicht mehr dieselbe. In einer Selbsthilfegruppe lernt sie Jahre später eine junge Frau kennen, die ebenfalls ihre Schwester verloren hat. Zwei Cold Cases, heiß diskutiert in Internetforen. Hängen die Fälle zusammen?

Fast zwanzig Jahre später taucht der Privatdetektiv Lane Holland bei Mina auf, biete an, den Fall neu aufzurollen. Warum? Die Verschwundenen interessieren ihn nicht, ihm geht es um die stattliche Belohnung, ausgelobt von der Polizei und Minas verstorbener Mutter für das Auffinden Evelyns. Wie sich herausstellen wird, nicht seine alleinige Motivation.

Einem Vergleich mit Garry Disher hält Shelley Burr zwar nicht stand, aber dennoch bietet das 2019 mit dem CWA Debut Dagger prämierte Debüt durchaus Ansätze, die mit den Werken dieses Autors vergleichbar sind.

„Hell“ wird bei uns als Thriller vermarktet, liest sich aber schon allein wegen der detaillierten Sicht auf die handelnden Personen eher wie die Psychogramme zweier Menschen, deren Leben durch traumatische Ereignisse in der Vergangenheit aus der Bahn geworfen wurden. Jede/r hat Verletzungen und Schuldgefühle, verbirgt etwas, trägt Ungesagtes mit sich herum. Burr kriecht in die Köpfe ihrer Protagonisten und entblättert unter Verzicht auf schnelle Action und simple Antworten Schicht um Schicht ihre Persönlichkeit. Aber keine Angst, auch wenn Thriller-Leser/innen eine Auflösung erwarten, sie kommt.

Eine komplexe und spannende Geschichte aus Down Under mit einem atmosphärischen Setting und feingezeichneten Protagonisten. Lesenswert!

Veröffentlicht am 24.09.2023

Unterhaltsamer Schmöker und eine Geschichte des Kochens

Alte Hoffnung, neue Wege
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„Alte Hoffnung, neue Wege“ ist der zweite Band von Petra Durst-Bennings historischer Köchin-Trilogie und schreibt die Geschichte Fabiennes fort, deren größter Wunsch es ist, eines Tages im eigenen Restaurant ...

„Alte Hoffnung, neue Wege“ ist der zweite Band von Petra Durst-Bennings historischer Köchin-Trilogie und schreibt die Geschichte Fabiennes fort, deren größter Wunsch es ist, eines Tages im eigenen Restaurant hinter dem Herd zu stehen. Für ambitionierte Frauen Ende des 19. Jahrhunderts ein schier aussichtsloses Unterfangen, sind es zu dieser Zeit doch fast ausnahmslos Männer, die in den Küchen den Ton angeben. Aber es gibt zumindest in Lyon Ausnahmen, denn dort haben sich professionell kochende Frauen in dem lockeren Verbund der Mères Lyonaisses zusammengeschlossen, deren Können unter anderem maßgeblichen Einfluss auf den Sternekoch Paul Bocuse hatte. Durst-Benning hat sich für diese Reihe eingehend mit der Historie der Köchinnen beschäftigt. Liegt im ersten Band der Schwerpunkt noch auf den ersten Schritten, die Fabienne gehen muss, um ihren Traum zu verwirklichen und dabei von den Mères unterstützt wird, sind in diesem Roman die Küchenposten der klassischen Brigaden nach Auguste Escoffier eines der zentralen Themen.

Aber natürlich kommt auch, wie nicht anders zu erwarten, der Herz-Schmerz zu seinem Recht. Die Steine, die Fabienne in den Weg gelegt werden, die Verwerfungen im privaten Bereich, aber auch die kleinen Erfolge, die sie auf ihrem Weg zu verzeichnen hat. Und dann ist da natürlich auch noch der komplett überflüssige Handlungsstrang um ihren im Babyalter entführten Sohn, der hier weitergeführt wird. Dieser ist simpel und vorhersehbar, es ist mehr als klar, wie er enden wird.

Da die Autorin zu Beginn des Romans die Handlung des ersten Bandes auf das Wichtigste reduziert zusammenfasst, ist dessen Lektüre nicht unbedingt erforderlich. Besonders gefreut habe ich mich übrigens über die detaillierten Rezepte, die am Ende des Buches aufgeführt werden und sich auf Gerichte beziehen, die die Protagonistin im Laufe der Handlung kocht.

Wer sich für die Geschichte des Kochens interessiert und Lust auf einen historischen Schmöker mit (leider) vorhersehbaren Irrungen und Wirrungen hat, der im Süden Frankreichs verortet ist und sich an sprachlichen Schwächen nicht stört, wird hier bei aller Trivialität dennoch gut unterhalten. Ich konnte jedenfalls darüber hinwegsehen, ist dieser Roman doch für küchenaffine Leserinnen eine ideale Urlaubslektüre, die man im Idealfall unter südlicher Sonne genießt.

Für den abschließenden Band der Reihe gibt es bereits einen Titel. „Dunkle Tage, helle Stunden“ wird im kommenden Jahr erscheinen und ja, ich freue mich darauf.

Veröffentlicht am 12.09.2023

Liebeserklärung an die Highlands

Tweed Time
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Wer schon einmal Schottland im September besucht hat wird mir zustimmen. Das Heidekraut blüht üppig, die Sonne steht tief und Nebelschwaden überziehen die Glens in den schottischen Highlands. Es ist eine ...

Wer schon einmal Schottland im September besucht hat wird mir zustimmen. Das Heidekraut blüht üppig, die Sonne steht tief und Nebelschwaden überziehen die Glens in den schottischen Highlands. Es ist eine melancholische Stimmung, die sich über diesen Landstrich hoch im Norden des Vereinigten Königreichs legt und den nahenden Herbst ankündigt.

Für diejenigen, die Schottland lieben, ist Theresa Baumgärtners „Tweed Time“ mit Sicherheit ein Buch, das Erinnerungen und Emotionen weckt. Und wer noch nicht dort war, wird mit Sicherheit den Wunsch verspüren, die Highlands mit eigenen Augen zu sehen, speziell dann, wenn er/sie die stimmungsvollen Fotografien betrachtet, die die Textteile passen ergänzen.

Das Buch als Kochbuch zu bezeichnen, wäre definitiv zu kurz gesprungen, bietet es doch wesentlich mehr als nur Rezepte. Es ist eine atmosphärische Mischung aus Reiseberichten, Rezepten, DIY-Anleitungen und nicht zuletzt einer informativen Vorstellung des titelgebenden Stoffes, aus dem die Träume sind, aber vor allem ist es eine Liebeserklärung an die Highlands.

Die Rezepte sind auch mit wenig Erfahrung problemlos nachzukochen, die einzelnen Komponenten überall erhältlich. Aber ein Wermutstropfen trübt den guten Eindruck, denn leider orientieren sie sich nicht unmittelbar an den schottischen Klassikern, sondern überwiegend an den Zutaten, die im Herbst verfügbar sind. Das ist in Ordnung, aber wenn man unter anderem schon die Zubereitung von Focaccia, Feigenconfit und Crepes Suzette erklärt, hätte meiner Meinung nach auch ein Rezept für ein schottisches Lamb Stew und/oder das traditionelle Cranachan einen Platz verdient.