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Veröffentlicht am 18.05.2021

In der Falle

Mado
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Mado möchte mehr. Sie will Freiheit, Leben, Spaß, weg von der nörgelnden Mutter, raus aus der bretonischen Provinz. Paris lockt mit Freiheit, aber das ist nur ein leeres Versprechen. Daran ändern auch ...

Mado möchte mehr. Sie will Freiheit, Leben, Spaß, weg von der nörgelnden Mutter, raus aus der bretonischen Provinz. Paris lockt mit Freiheit, aber das ist nur ein leeres Versprechen. Daran ändern auch die Partys und Drogen nichts. Der Kerl, mit dem sie lebt, ist keine Alternative. Dumm und brutal. Sie muss sich von ihm befreien, die einzige Möglichkeit, die sie kennt, ist Gewalt. Ein Schlag auf den Schädel. Ende.

Weg aus Paris, heim in die Bretagne. Oma wird’s schon richten, die kennt sich damit aus. Zu dumm, dass da keine Leiche zum Entsorgen ist. Offenbar hat er den Schlag überlebt. Einen Boxer haut so leicht nichts um. Aber wenn der Stolz angekratzt ist, folgen die Rachegedanken auf den Fuß.

Zurück in der Provinz, wo sich nichts geändert hat. Die Mutter hinter der Theke der verratzten Dorfkneipe, die angepasste Schwester, die sich in ihr Schicksal fügt und damit zufrieden ist. Mado, die noch immer hofft und sich in der Zwischenzeit die derben Bemerkungen der Männer gefallen lässt. Lähmende Langeweile, aufkeimende Wut.

Thierry? Kann der einen Ausweg bieten? Geld, das ist es, was zählt, das verspricht Freiheit, lässt hoffen. Aber woher nehmen auf die Schnelle? Zumindest hat er einen Plan, und wer nichts wagt, kann auch nichts gewinnen.

Der Roman erzählt von den starken Frauen der Familie Kaaris, die dennoch am Leben scheitern und resigniert ihren vorbestimmten Platz einnehmen. Nicht so Mado, die Wütende, Verzweifelte. Von dem Milieu, in das sie hineingeboren wurde, in Geiselhaft genommen. Die dennoch für ihr selbstbestimmtes Leben kämpft, den Mut und die Hoffnung nicht verliert. Nicht müde wird, ihren Weg trotz aller Widrigkeiten zu gehen und dafür auch Grenzen überschreitet.

Kurze Kapitel und wechselnde Perspektiven generieren Tempo. Die Umsetzung des Themas ist gelungen, auch wenn sie den Klischees des Genres entspricht. Keine Feelgood-Lektüre und nichts für Harmoniesüchtige, die zwingend ein Happy-End erwarten. Oder etwa doch?

Veröffentlicht am 17.05.2021

Was ist Gerechtigkeit?

Der Polizist
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Häusliche Gewalt ist immer ein Thema, das unter die Haut geht, und die Zahlen für den amerikanischen Bundesstaat Mississippi, in dem der neue Justizthriller von John Grisham verortet ist, sind erschreckend: ...

Häusliche Gewalt ist immer ein Thema, das unter die Haut geht, und die Zahlen für den amerikanischen Bundesstaat Mississippi, in dem der neue Justizthriller von John Grisham verortet ist, sind erschreckend: Jede dritte Frau wird wird im Lauf ihres Lebens ein Opfer häuslicher Gewalt, pro Tag gehen ca. 21.000 Hilferufe bei der Notrufzentrale ein. Wenn es Schußwaffen im Haus gibt, sind 94 % der Opfer weiblich. Und das sind nur die dokumentierten Fälle.

Jack Brigance, Anwalt in Clanton, Mississippi, hat es allerdings mit einem männlichen Opfer zu tun. Stu Kofer ist gut angesehen in Clanton. Army-Veteran, zuverlässiger Deputy, der immer einspringt, wenn Not am Mann ist. Aber er hat auch eine dunkle Seite, die immer dann zum Vorschein kommt, wenn er sich betrinkt, denn dann kann er seine Aggressionen nicht mehr kontrollieren und und prügelt im Rausch auf seine Freundin ein. So auch an dem Tatabend, an dem er sie im Vollrausch bewußtlos schlägt. Aber diesmal ist genug wirklich genug, und so schnappt sich ihr Sohn, der 16jährige Drew seine Dienstwaffe und erschießt ihn.

Einschub: Wenn ein Bundesstaat die Zahl seiner Hinrichtungen nach oben schrauben will, erlässt er kurzerhand Gesetze. Beispielweise, dass die Tötung eines Polizisten, auch wenn dies nicht im Dienst geschieht, IMMER die Todesstrafe nach sich zieht. Dass ein sechzehnjähriger Straftäter wie ein Erwachsener zu behandeln und auch nach Erwachsenenrecht zu verurteilen ist. So geschehen in Mississippi.

Auf Wunsch von Richter Noose übernimmt Brigance den Fall als Pflichtverteidiger und wird in kürzester Zeit zum meistgehassten Einwohner in Clanton. Aber er wäre nicht der engagierte Anwalt, den wir bereits in „Die Jury“ und „Die Erbin“ kennengelernt haben, wenn er sich ungeachtet der Tatsache, dass ihn dieses Mandat an den Rand des finanziellen Ruins treiben wird, in die Verteidigung verbeißen und gegen alle Widerstände für den jugendlichen Straftäter kämpfen würde.

Grisham ist ein Meister seines Fachs, schreibt über das, was er kennt. Zeigt die Bigotterie des „Bible Belt“ auf, spart auch den Rassismus nicht aus, ebenso die Verachtung, mit der der „White Trash“ behandelt wird. Er wählt die Themen aus, die ihm am Herzen liegen. Das gerät manchmal etwas zu ausführlich, zu langatmig. So auch hier, denn der Prozess gegen Drew nimmt nur ca. ein Viertel des knapp 670 seitigen Romans ein. Die restlichen Dreiviertel lernen wir gefühlt jeden Einwohner von Ford County, jeden Sachverständigen, Anwaltskollegen etc. kennen. Erfahren, welche Hürden im Prozesswesen zu nehmen sind und gewinnen tiefe Einblick in die widersprüchlichen Gefühle der Verteidigung, wenn es um die moralische und ethische Frage geht, ob ein Mord gerechtfertigt sein kann und ein Täter straffrei ausgehen darf. Eine Frage, die nicht beantwortet wird, aber über die es sich lohnt, nachzudenken.

  • Einzelne Kategorien
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.05.2021

Die Spürnasen von Cooper’s Chase

Der Donnerstagsmordclub (Die Mordclub-Serie 1)
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Cooper’s Chase ist eine exklusive Wohnanlage für Senioren. Auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters in der idyllischen Grafschaft Kent wirbt die Residenz mit geschmackvollen Wohneinheiten, exzellenter ...

Cooper’s Chase ist eine exklusive Wohnanlage für Senioren. Auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters in der idyllischen Grafschaft Kent wirbt die Residenz mit geschmackvollen Wohneinheiten, exzellenter medizinischer Betreuung sowie zahlreichen hochklassigen Freizeiteinrichtungen. Ein Luxusresort im wahrsten Sinn des Wortes für all diejenigen, die ihren Lebensabend in angenehmer Atmosphäre verbringen möchten. Nett, aber langweilig.

Ungelöste Mordfälle versprechen Abwechslung, und so setzen sich deshalb jeden Donnerstag vier Bewohner zusammen, um der Polizei auf die Sprünge zu helfen. Sie sind zwar allesamt betagt, aber noch immer mit einem scharfen Verstand gesegnet: Elizabeth, Lehrerin (mit ev. Geheimdienst-Erfahrung?), Red Ron, Gewerkschaftsführer, Ibrahim, Psychiater, und Joyce, die Krankenschwester, die das Tagebuch der Gruppe führt und uns so an den kriminellen Ereignissen teilhaben lässt, die ihren Ausgangspunkt in den Expansionsplänen des Eigentümers haben. Zwei Morde und ein Knochenfund gilt es aufzuklären, wobei sie von der hiesigen Polizei, vertreten durch PC de Freitas und DCI Hudson, sowie Elizabeths zahlreichen Kontakten unterstützt werden.

Daraus entwickelt sich ein unterhaltsamer und humorvoller, aber weitgehend anspruchsloser Kriminalroman, dessen Handlung sich an den klassischen englischen Vorbildern des Genres orientiert und mit dessen Versatzstücken spielt. Der Bezug zur Gegenwart soll durch das Setting hergestellt werden, wobei aber genau das für mich der Knackpunkt ist, denn mit der Lebenswirklichkeit von Senioren, nicht nur in England, hat das nun mal überhaupt nichts gemein. Kann man zwischendurch zur Entspannung durchaus lesen, ist aber für mich kein „must read“.

Veröffentlicht am 09.05.2021

Eine nette Lektüre für zwischendurch

Verhängnisvolles Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 7)
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Eine kurze Auszeit gefällig? Wie wäre es mit einem Abstecher in die Provence? Dann ab nach Le Lavandou, Heimat von Médecin Légiste Leon Ritter und seiner Lebensgefährtin Capitaine Isabelle Morell, die ...

Eine kurze Auszeit gefällig? Wie wäre es mit einem Abstecher in die Provence? Dann ab nach Le Lavandou, Heimat von Médecin Légiste Leon Ritter und seiner Lebensgefährtin Capitaine Isabelle Morell, die in ihrem neuen Fall eine Mordserie untersuchen müssen, deren Ursprung weit in die Vergangenheit zurückreicht.

Alles beginnt mit der Leiche eines Jungen in Mädchenkleidung, die in einem Müllsack verpackt am Stand gefunden wird. Niemand kennt ihn, hat ihn je gesehen, und auch die Polizei tappt im Dunkeln. Ritters nachfolgende Obduktion kann mit Ergebnissen aufwarten, denn diese lassen die Schlussfolgerung zu, dass das Kind maghrebinischer Herkunft und keines friedlichen Todes gestorben ist. Eine schockierende Erkenntnis, zumal es nicht bei dieser einen Leiche bleibt. In kurzen Abständen häufen sich rund um Le Lavandou mysteriöse Todesfälle, die auf den ersten Blick natürlichen Ursprungs sein könnten, bei genauerem Hinsehen sich aber als Morde entpuppen, die miteinander verbunden sind, da sämtliche Leichen eine Gemeinsamkeit aufweisen. Bei allen sind im Mundraum Reste von Mimosen zu finden, und es scheint, als ob ein Serienmörder zugange ist. Sowohl Ritter als auch Isabelle lassen nicht locker und finden eine Spur zu einem katholischen Internat, ein Verdacht, der sich dem Leser bereits recht früh aufdrängt.

Die Reihe lebt im Wesentlichen von ihren Charakteren, dem südfranzösischen Flair und den detaillierten Landschaftsbeschreibungen, die der Handlung den entsprechenden Rahmen verleiht. Diese birgt zwar selten Überraschungen, arbeitet aber dennoch, wie auch in diesem Fall, durchaus gesamtgesellschaftliche Probleme mit ein. Die unbegleiteten Flüchtlingskinder, die den Machenschaften der kirchlichen Institutionen und deren Vertretern hilflos ausgeliefert sind, während die Gesellschaft wegschaut. Die Prise Familienleben, hier verkörpert durch Isabelles Tochter, deren neuer Freund für innerfamiliäre Konflikte verantwortlich ist, sorgt für Auflockerung und gibt dem ganzen einen sympathischen Touch. Eine nette Lektüre für zwischendurch.

Veröffentlicht am 05.04.2021

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?

Bittersüße Zitronen
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Gleich vorweg: Alle, die von diesem Krimi Hochspannung erwarten, die zum Nägelbeißen verleitet, sind hier fehl am Platz. Wer sich aber in Zeiten der eingeschränkten Mobilität für einige Stunden in den ...

Gleich vorweg: Alle, die von diesem Krimi Hochspannung erwarten, die zum Nägelbeißen verleitet, sind hier fehl am Platz. Wer sich aber in Zeiten der eingeschränkten Mobilität für einige Stunden in den italienischen Süden wegträumen möchte, kann hier unbesorgt zugreifen.

Bei einem Urlaubskrimi geht es in erster Linie darum zu unterhalten, die besondere Atmosphäre einer Region und die Eigenheiten ihrer Bewohner zu beschreiben, etwas familiären oder persönlichen Hintergrund des Ermittlers hinzuzufügen, plus das Ganze dann noch mit einem eher unspektakulären Mordfall zu garnieren, der den Leser nicht aus seiner Komfortzone reißt. Und das ist dem unter Pseudonym schreibenden Autor Luca Ventura gelungen, auch wenn diesmal nicht die Sonne rot im Meer versinkt und der Himmel angesichts der dunklen Jahreszeit eher grau als blau ist.

Unfall oder Mord? Diese Frage müssen sich der einheimische Agente Enrico Rizzi und seine aus dem Norden strafversetzte Kollegin Antonia Cirillo stellen, als Elisa Constantini mit einer Ape auf einer kurvigen Straße die Böschung hinunterstürzt und ums Leben kommt. Das Fahrzeug war manipuliert und gehört Aurora Bellini, der Eigentümerin einer Fabrik, die im großen Maßstab Zitronen diverser Zulieferer unter anderem zu Limoncello verarbeitet. Und auch die Constantinis beliefern Aurora seit Jahrzehnten. Stellt sich die Frage, ob es einen Zusammenhang mit den Plänen der Familie Constantini gibt, die beabsichtigen in die Selbstvermarktung via Crowdfarming einzusteigen. Die Anzahl der Verdächtigen ist übersichtlich, ebenso die möglichen Mordmotive der Verdächtigen. Geht es um Geld? Um eine Familienfehde zwischen zwei Matriarchinnen? War es Eifersucht? Oder etwas ganz anderes?

Die Auflösung dreht sich mehrmals im Kreis und ist nicht gänzlich überraschend. Was mich allerdings erstaunt und was ich so in einem kuscheligen Urlaubskrimi nicht erwartet hatte, waren die kritischen Einschübe, die die Vorurteile der Capresen gegenüber den meist afrikanischen Pflückern thematisierten. Ebenso die Hinweise auf die schlechten Arbeitsbedingungen, die spärliche Entlohnung sowie die menschenunwürdigen Quartiere auf den Zitronenplantagen. Gut so, und ich hoffe, dass der Autor auch in künftigen Bänden der Reihe einen kritischen Blick auf das Urlaubsparadies im Golf von Neapel wirft.