Profilbild von Helena89

Helena89

Lesejury Star
offline

Helena89 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Helena89 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.06.2020

Vivian und ihr bewegtes Leben

City of Girls
1

Vivian Morris, eine zähe alte Dame, die sich „ans Dasein klammert wie eine Seepocke an einen Schiffrumpf“, schaut im Alter von knapp 90 Jahren auf ihr vielbewegtes Leben zurück. Sie erzählt ihr Leben jedoch ...

Vivian Morris, eine zähe alte Dame, die sich „ans Dasein klammert wie eine Seepocke an einen Schiffrumpf“, schaut im Alter von knapp 90 Jahren auf ihr vielbewegtes Leben zurück. Sie erzählt ihr Leben jedoch nicht einem breiten namenlosen Publikum, sondern einer Frau mit dem Namen Angela – wer diese Frau ist, erfahren wir erst im letzten Fünftel des 488-seitigen Romans. Auslöser für Vivians Memoiren in Briefform ist Angelas Frage danach, was jene für ihren Vater gewesen ist. Um diese Frage beantworten zu können, muss Vivian weit ausholen: Sie beginnt mit ihrer Erzählung im Jahr 1940, als sie als 19-Jährige das Elternhaus verlässt, um bei ihrer Tante Peg im Lily Playhouse ihr neues Dasein zu fristen, nachdem sie vom College freigestellt wird. „Um ehrlich zu sein, verstand ich nicht, was ich am College sollte, außer einer Bestimmung zu folgen, deren Sinn zu erklären sich niemand bemüht hatte“, bringt Vivian äußerst prägnant das Problem auf den Punkt. Und so wissen sich die Eltern nicht anders zu helfen, als die junge ungestüme Tochter nach New York zu schicken. „Ich wusste, dass ich verbannt wurde, aber immerhin … mit Stil!“ Das Lily Playhouse – „es war die elektrisierende Verkörperung von Glamour, Wagemut, Chaos und Spaß“ – erweist sich als der passende Ort für die lebenshungrige Vivian, die sich mit dem Revuegirl Celia zusammentut und von nun an die Clubs der Stadt unsicher macht. Ihre Devise lautet, das Leben in vollen Zügen zu genießen, ihre Jugend zu „vergeuden“ und sich „an den Rand des Abgrunds und in Sackgassen zu führen, die sie sich selbst schafften“. Und so kommt es unweigerlich zu einer Katastrophe, die Vivians Leben eine Wende gibt.

Elizabeth Gilbert hat für den Hauptteil ihres Romans ein äußerst elektrisierendes, glamouröses aber auch sehr bewegendes, ja schmerzliches Setting gewählt – die 40er Jahre. Wahrlich ein schwieriges Unterfangen, die damalige Zeit mit ihrem Spagat zwischen entrückter Unterhaltungsindustrie und harter Realität in Form des Zweiten Weltkrieges authentisch einzufangen. Nach meinem Empfinden ist der Autorin das Romanprojekt nicht gänzlich gelungen. Habe ich am Anfang des Romans noch bei den herrlich selbstironischen Aussagen der Ich-Erzählerin geschmunzelt, machte die Amüsiertheit doch schnell der Langweile Platz. Ich fand die Beschreibung des Theaters und seiner Angestellten nicht besonders interessant und die Beschreibungen der nächtlichen Eskapaden mit all ihren Ausschweifungen haben mich ebenfalls ermüdet. Als die weltberühmte englische Bühnendarstellerin Edna Parker Watson auf der Bildfläche erscheint, blitzte für einen Augenblick mein Interesse wieder auf, um ebenso schnell wieder abzuklingen. Die sehr lange Beschreibung des Musicals, das alle mit vereinten Kräften auf die Bühne bringen und das zum vollen Erfolg wird, hat sich gezogen wie Kaugummi. Als große Anhängerin des Hollywoods der goldenenen Zeitalters habe ich an dem von der Ich-Erzählerin selbst wie auch von den Kritikern als Geniearbeit gerühmten Stück kaum etwas Bemerkenswertes ausmachen können. Und so war ich froh, als dieser Teil der Erzählung mit großem Krach ein Ende nahm und einem neuen Erzählstrang Platz machte. Obwohl auch nicht außergewöhnlich, hat mich der weitere Verlauf eher in seinen Bann gezogen, bis mich das letzte Fünftel des Romans, in dem es um die Beziehung zwischen Vivian und Frank (Angelas Vater) geht, sogar sehr berührt hat. Eine allgemeine Bewertung des Romans fällt mir daher schwer. Hätte die Autorin den Romanteil, in dem es um das Theater geht, zugunsten des letzten Teils gekürzt, hätte mir der Roman sicherlich besser gefallen. So bin ich ziemlich gespalten in meinen Gefühlen. Wie ich aus einem Interview mit Elizabeth Gilbert erfahren habe, ist ihre Lebenspartnerin und beste Freundin, Rayya Elias, ein Jahr vor Erscheinen des Romans an Krebs gestorben. Obwohl die Autorin noch vor Elias‘ Krankheit mit ihren Recherchen zu dem Roman begonnen hatte, konnte sich Gilbert nach der Krebsdiagnose nicht vorstellen, an der Geschichte weiterzuarbeiten. Nach Elias‘ Tod fühlte sie jedoch einen inneren Zwang, der sie zu dem Roman zurückzog. Höchstwahrscheinlich liegt es an der beschriebenen Situation der Autorin, dass ich nach wenigen Seiten einen Bruch in dem Ton der Geschichte empfand und der weitere Verlauf (insbesondere der Teil, der über die unbeschwerte und sorglose Zeit der Ich-Erzählerin berichtet) so gezwungen auf mich wirkte. Der innere Gram der Autorin hat sich womöglich doch zwischen den Zeilen festgesetzt. So fällt jedenfalls meine persönliche Einschätzung des Romans aus, was nicht bedeuten muss, dass jeder Leser und jede Leserin denselben Eindruck davontragen muss. Wer jedoch ebenso wie ich zwischenzeitlich seine liebe Mühe mit „City of Girls“ hat, dem möchte ich sagen, dass es sich lohnt bis zum Ende durchzuhalten, denn dann wird man mit einer ans Herz gehenden Liebesgeschichte belohnt. „Was waren wir füreinander? Wie waren Frank und Vivian, die zusammen durch New York City liefen, wenn alle anderen schliefen.“

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.03.2024

Keine trockene Lektüre

Das kleine Buch der großen Risiken
0

Jakob Thomä hat es sich zur Aufgabe gesetzt, alle die Menschheit bedrohenden Risiken in einem kleinen (210-seitigen) Buch zusammenzufassen und zu erläutern. Angefangen bei der Atombombe über Cyberrisiken, ...

Jakob Thomä hat es sich zur Aufgabe gesetzt, alle die Menschheit bedrohenden Risiken in einem kleinen (210-seitigen) Buch zusammenzufassen und zu erläutern. Angefangen bei der Atombombe über Cyberrisiken, Geoengineering, Künstliche Intelligenz, Nanotechnologie, Vulkane und Waffen bis zu Zombies wird jeder Buchstabe des Alphabets in diesem Buch abgedeckt. Der Autor geht folgendermaßen vor und zwar erklärt er das Risiko in einem Satz, beantwortet die Frage „Muss ich mir Sorgen machen?“ und geht im Weiteren auf das behandelte Risiko näher ein. Dass er dabei keine (Recherche-)Arbeit gescheut hat, zeigt das über 13-seitige Inhaltsverzeichnis zur Sekundärliteratur. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei dem Buch um keine trockene Lektüre, da der Autor sowohl Humor als auch Persönliches in die einzelnen Kapitel einfließen lässt – zuweilen kamen mir manche humorvoll gemeinten Bemerkungen nicht ganz passend vor und manchmal habe ich ganz schlichtweg einige auch nicht verstanden, aber das mag bei jedem Leser und jeder Leserin sicher unterschiedlich sein. Was mich zusätzlich ein wenig irritiert hat beziehungsweise worüber ich gestolpert bin, war die Tatsache, dass fast ausschließlich von Forscherinnen und Wissenschaftlerinnen gesprochen wurde, nicht von ForscherInnen und WissenschaftlerInnen, obwohl ganz bestimmt beide Geschlechter gemeint waren. Das Buch ist allerdings aus dem Englischen übersetzt worden und dort wird anders gegendert – ich bin also diesbezüglich etwas ratlos zurückgeblieben.

Um aber zu einem zusammenfassenden Fazit zu kommen, ist „Das kleine Buch der großen Risiken“ folgendermaßen gedacht: Es umreißt ein Risiko, das unsere Existenz bedroht, es gibt einen groben Überblick über die Sachlage mit sehr viel persönlichem Input seitens des Autors und es soll zu eigenen Gedanken und Recherchen anregen, soweit das Interesse des Lesers beziehungsweise der Leserin zu einem bestimmten Punkt geweckt wurde. Als ganz und gar nicht trockene Literatur kann man „Das kleine Buch der großen Risiken“ jedem Leser egal welcher Altersgruppe in die Hand drücken und schauen, was passiert.

Veröffentlicht am 14.03.2024

Die Entscheidung

Die sieben Türen
0

„Plötzlich war ich da. Ich wusste, dass ich ein kleines Leuchten im Nichts war. Ein Glimmen. Aber mehr wusste ich nicht.“ Das kleine Leuchten im Nichts trifft auf die Raupe Yara und wird zu ihrem Protegé. ...

„Plötzlich war ich da. Ich wusste, dass ich ein kleines Leuchten im Nichts war. Ein Glimmen. Aber mehr wusste ich nicht.“ Das kleine Leuchten im Nichts trifft auf die Raupe Yara und wird zu ihrem Protegé. Yara öffnet sieben Türen für das kleine Leuchten und unterhält sich mit ihm. Hinter den Türen befinden sich das Licht und die Dunkelheit, der Mut und die Angst, die Liebe und der Hass, das Glück und die Trauer, das Jetzt und die Unendlichkeit, alles und nichts sowie zum Schluss das Leben und der Tod. Das kleine Leuchten darf hinter jeder Tür so viele Fragen stellen wie es möchte und bekommt Antworten darauf. Am Ende soll es sich entscheiden, ob es sein Wissen mitnehmen und in ein höheres Bewusstsein aufsteigen, also zu einem allwissenden Stern am Firmament werden möchte oder ob es alles, was es erfahren hat, vergessen und das Leben eines Menschen führen möchte.

„Die sieben Türen“ ist ein schön gestaltetes Buch. Der Text, der von Adrian Draschoff stammt, wird äußerst passend von Natascha Baumgärtners Illustrationen untermalt und getragen. Die Illustrationen stellen nicht nur eine Ergänzung zu dem Geschriebenen dar, sondern spiegeln es wider und erweitern es um eine visuelle Dimension. So entsteht eine kongeniale Konstruktion aus Text und Bild, die sich gegenseitig beeinflussen und tragen. Dadurch wird „Die sieben Türen“ zu einer innovativen Lektüre. Die Illustrationen gefallen mir sehr gut, sie sind so gestaltet, dass sie die Fantasie des Betrachtenden wecken und eigene Bilder, Erweiterungen der Illustrationen entstehen lassen. Weniger gefallen hat mir der Text. Tatsächlich finde ich ihn nicht philosophisch, wie es eigentlich bei diesem Thema zu erwarten wäre. Vielmehr liest es sich wie ein Lebensratgeber und nicht wie ein Buch, das die existentiellen Fragen unseres Daseins zu erklären versucht. Als es zum Beispiel um die Zeit geht, heißt es unter anderem: „Die Menschen reden gerne und viel über mich, aber verstehen doch nicht, wie kostbar ich bin. […] Erst wenn sie merken, dass ich ihnen davonlaufe, bekommen sie Angst und versuchen sich in einem Wettrennen gegen mich. […] Akzeptiere die Vergangenheit und umarme die Zukunft. […] Nutze jeden Moment.“ Das ist für mich keine philosphische Betrachtung der Zeit. Das klingt einfach nach einem Lebensratgeber. Und ist auch nichts Neues. Ich denke, alles, was in dem Buch steht, weiß eigentlich auch jeder erwachsene Mensch. Mit einer Sache stimme ich sogar nicht mit dem Autor überein: In dem Kapitel, wo es um Liebe und Hass geht, heißt es, Hass wäre die Abwesenheit von Liebe. Ich finde aber, dass die Abwesenheit von Liebe Gleichgültigkeit ist, nicht Hass. Summa summarum: Es ist eine schöne Idee, das Buch, und die Illustrationen sind sehr gelungen, den Text fand ich dagegen leider nicht besonders anspruchsvoll oder inspirierend. Dennoch denke ich, dass das Buch die Mehrheit ansprechen wird. Insgesamt vergebe ich drei Sterne: Für die Idee und das kongeniale Zusammenspiel aus Bild und Text.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.03.2024

Vom Weggehen und Zurückkommen

Kosakenberg
0

„Das Leben in Kosakenberg war wie Marmelade in einem Glas konserviert, ein anderes Jahrhundert.“

Kathleen ist 26 Jahre alt, als sie Kosakenberg endgültig hinter sich lässt. In London wird sie als Grafikerin ...

„Das Leben in Kosakenberg war wie Marmelade in einem Glas konserviert, ein anderes Jahrhundert.“

Kathleen ist 26 Jahre alt, als sie Kosakenberg endgültig hinter sich lässt. In London wird sie als Grafikerin arbeiten und sich dort ein neues Leben aufbauen. Sie ist glücklich, dass sie ihre alte Heimat, ein ehemaliges Dorf der DDR hinter sich lässt. Denn weg möchte eigentlich jeder von den Jungen. „Wir verließen nicht nur unsere Familien, unsere Häuser, unsere Dörfer, sondern auch unsere Vergangenheit. Wir wollte andere werden und in dem Wollen steckte schon die Trauer um den Verlust. Wie gingen weg, um zu suchen, was wir gleichzeitig verloren. Eine Heimat. […] Es hieß, wir gingen wegen der Arbeit, zum Studieren, es hieß, wir gingen aus Abenteuerlust, es hieß, wir gingen, weil der Westen die Zukunft war, aber wir gingen auch, weil wir nicht mehr konnten. Nicht mehr atmen konnten. Vom Dorf in die Stadt, von der Stadt in die Großstadt und dann weiter weg, immer weiter. Weg von den Schmerzen der eigenen Haut. In der Hoffnung, der Gestalt zu entfliehen, die uns aufgezwungen wurde.“ Zehn Heimfahrten soll es für Kathleen geben, seit sie sich ein neues Leben in London aufbaut. Die Anlässe sind verschieden: Um ihren festen Freund der Mutter vorzustellen, um auf der Hochzeit einer Freundin da zu sein oder auch, um auf eine Beerdigung zu gehen. Jede Heimreise wird zu einer schmerzhaften Erfahrung. Denn einerseits sind hier Kathleens Wurzeln, ist hier ihr Elternhaus und ihre Vergangenheit. Andererseits weiß sie mit dem Leben, das die Bewohner Kosakenbergs führen, nichts anzufangen. Es ist ihr vollkommen fremd geworden. „Heimreisen, das hatte ich inzwischen gelernt, waren Manöver durch energetische Felder. Es war, als kreiste man um einen Magnet, der einen entweder anzog oder abstieß.“ Als die Mutter das Elternhaus an Nadine, eine ehemalige Freundin von Kathleen, verkauft, wird Kathleen schmerzhaft bewusst, dass sie eine enge Bindung zu ihrem Heimatdorf verspürt, die sich nicht leugnen lässt. „Ich hatte geglaubt, wenn ich mich lossagen würde, wenn ich das Haus verlassen würde, wenn ich ein Leben fern von dem Haus und jenen, die es bevölkerten, leben würde, wenn ich meine Wurzeln mit aller Macht herausreißen würde, dann könnte ich mich neu erfinden und jemand anderes werden. Nun vermisste ich das Mädchen von früher. Vielleicht ließen sich Wurzeln nie ganz entfernen. Vielleicht schaffte man das bei sich selbst gar nicht.“

Sabine Rennefanz Roman „Kosakenberg“ hat mich tief bewegt. Ich habe noch nie ein Buch gelesen, das so gut in Worte fasst, was es bedeutet, seine Heimat zu verlassen, sich eine andere Wahlheimat zu suchen und sich zwischen diesen beiden Polen zu bewegen. Es ist ein sehr analytisches und gleichzeitig ein sehr persönliches Buch. Kathleens Geschichte ist individuell und lässt sich trotzdem auf jeden anderen Weggehenden anwenden. Die Wunde, die beim Verlassen der Heimat entsteht, verheilt niemals gänzlich. Die Ich-Erzählerin versucht eine Mauer um ihre Gefühlswelt aufzubauen, damit sie nichts verletzen kann, was in ihrem alten Heimatdorf passiert, gesagt oder getan wird. Doch es gelingt ihr nicht. Kathleen bleibt verletzlich und emotional an dem Geschehen im Dorf beteiligt. Ein immer wiederkehrendes Motiv in dem Roman ist das Motiv des größer werdenden Flecks: Als Kathleens Mutter ihr eine Packung Eier nach London schickt und eins der Eier zerbricht, wird der Fleck auf dem Teppich trotz Kathleens verzweifelter Versuche, den Fleck zu entfernen, immer größer. Auch nachdem Nadine Kathleens ehemaliges Elternhaus kauft und in ein Ferienhaus umwandelt, kehrt irgendwann der nasse Fleck an der Hauswand, der von einem undichten Wasserrohr herrührt, zurück. Der Fleck steht symbolisch für Kathleens Herkunft: Je angestrengter sie versucht, diese zu verbergen, zu negieren, desto stärker tritt sie wieder hervor. Doch das letzte Kapitel des Romans lautet „Wiederkommen“ – ein Versprechen, eine Vorahnung für die letztliche Versöhnung mit der eigenen Herkunft und Vergangenheit?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.02.2024

Eine Freundschaft in Rumänien

Lichtungen
0

„Ob es im Westen alles gab? Ob man wirklich überall hinreisen konnte? Ob eine Sprache für ein Land reichte? Für das Sagbare und Unsagbare, Offensichtliche und Verborgene, Wahre und Unwahre?“

Lev und Kato ...

„Ob es im Westen alles gab? Ob man wirklich überall hinreisen konnte? Ob eine Sprache für ein Land reichte? Für das Sagbare und Unsagbare, Offensichtliche und Verborgene, Wahre und Unwahre?“

Lev und Kato verbindet eine besondere Freundschaft. Als Lev sich am tiefsten Punkt in seinem Leben befand, war Kato diejenige, die ihn aus dem Zustand größter Hoffnungslosigkeit herausholte. Seitdem sind die beiden unzertrennlich und vertrauen einander bedingungslos. Als Kato das Heimatdorf und auch die Landesgrenzen hinter sich lässt, fühlt sich Lev verraten und er lässt viel Zeit verstreichen bevor er Kato in Zürich besuchen kommt. Zusammen mit Lev erleben wir das Wiedersehen und lernen in umgekehrt chronologischer Reihenfolge die Phasen und Ereignisse in Levs Leben kennen, die ihn als Menschen besonders geprägt haben.

Mit „Lichtungen“ legt uns die Autorin Iris Wolff einen sehr atmosphärischen Roman vor, den man am besten als ein Buch der leisen Klänge bezeichnen könnte. Es ist ein unaufgeregtes, aber trotzdem sehr intensives Buch. Mit nur wenigen Worten wird eine ganze (Innen)Welt erschaffen, die da Erzählte hautnah miterleben lässt. Wir tauchen in Levs Innen- und Außenleben ein und erfahren auf diese Weise wie ein empfindsamer Mensch im kommunistischen Rumänien aufwächst und wie er seine innere Freiheit trotz widriger politischer Umstände bewahrt. Iris Wolff hat sich in ihrem Roman „Lichtung“ für die zeitlich umgekehrte Chronologie der Erzählung entschieden. Mir persönlich hat diese Erzählweise etwas den Zugang zu dem Erzählten, der Hauptfigur und den weiteren in Erscheinung tretenden Figuren erschwert und ich weiß nicht, ob ich den Roman in klassisch chronologisch erzählter Form nicht besser gefunden hätte. Nichtsdestotrotz ist „Lichtungen“ ein wahrer Schatz unter den Neuerscheinungen, da Iris Wolff ohne Zweifel zu den Autorinnen gehört, die das „Sagbare und Unsagbare, Offensichtliche und Verborgene, Wahre und Unwahre“ in Worte zu kleiden weiß.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere