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Veröffentlicht am 13.08.2018

Wie das Schicksal es will …

Beim Ruf der Eule
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Auch mit beinahe 80 Jahren betreibt Maeve Maloney noch immer die kleine, von ihrer Eltern geerbte Pension an der See, in der sie Menschen mit geistiger Behinderung beherbergt. Auch wenn sie nach außen ...

Auch mit beinahe 80 Jahren betreibt Maeve Maloney noch immer die kleine, von ihrer Eltern geerbte Pension an der See, in der sie Menschen mit geistiger Behinderung beherbergt. Auch wenn sie nach außen schroff und unnahbar wirkt, zu ihren Gästen ist sie stets liebevoll und herzlich. Ganz anders jedoch zu dem neuen Gast, Vincent Roper, ihn würde sie gerne wieder los werden. Nach über 50 Jahren ist er plötzlich wieder da, der Jugendfreund, den sie damals nie wieder sehen wollte. Er ist der einzige Mensch der noch weiß, dass sie eine Zwillingsschwester hatte, Edie, die wunderbar singen konnte und bestimmt berühmt geworden wäre, hätte das Schicksal nicht so grausam zugeschlagen. Plötzlich sind Maeves Erinnerungen wieder da - und ihre Schuldgefühle, die sie jahrzehntelang verdrängt hatte …

„Beim Ruf der Eule“ ist der Debütroman der US-amerikanischen Autorin Emma Claire Sweeney, die bisher erfolgreich Kunstfeatures und Beiträge über Menschen mit Behinderungen in verschiedenen namhaften Magazinen veröffentlichte. Inspiriert zu dem Roman wurde sie durch ihre Schwester, die an Zerebralparese und Autismus erkrankt ist. Sie lebt heute in London.

Die Idee, über Menschen mit Handicap zu schreiben und eine Pension für Behinderte in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen, finde ich grundsätzlich gut – die Ausführung ist meiner Meinung nach weniger gut gelungen. Die Handlung spielt in zwei Zeitebenen, in den 50er-Jahren und etwa 2013, wobei die Gegenwart in der Vergangenheitsform geschrieben ist und die Geschehnisse vor 60 Jahren in der Gegenwartsform geschildert werden. Warum nur? Das macht das Lesen, zumindest anfangs, sehr anstrengend und hindert den Lesefluss. Überhaupt zieht sich die Geschichte zäh und mühsam dahin. Etwas Spannung entsteht lediglich dadurch, dass man wissen möchte, wie es seinerzeit zu dem Zerwürfnis zwischen Maeve und Vincent gekommen ist. Die Auflösung am Schluss ist dann eher banal.

Überraschend einfühlsam hingegen schildert die Autorin das Verhältnis zu Personen mit Down-Syndrom, über ihre Gefühle und ihre Art zu leben. Man erfährt beispielsweise, dass manche Betroffene, mit etwas Unterstützung, sehr wohl in der Lage sind, ein eigenständiges Leben zu führen. Dass das Leben mit Behinderten einerseits sehr bereichernd sein kann, andererseits aber deren Pflege manche Familien total überfordert, erfährt der Leser ebenfalls in der Geschichte.

Im Epilog berichtet die Autorin, wie sie durch Personen ihres Umfeldes zu diesem Buch angeregt wurde und vieles davon hier übernehmen konnte. Ich muss leider gestehen, dass mich dieser kurze Bericht mehr interessiert und betroffen gemacht hat, als der Roman selbst.

Fazit: Ein Buch, über das man verschiedener Meinung sein kann. Deshalb sollte sich jeder sein eigenes Urteil bilden.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Umsetzung
Veröffentlicht am 03.12.2017

Engel oder Psychopath?

Todesengel
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Ein Rentner wird von zwei Jugendlichen in einer U-Bahn-Station grundlos halb tot geschlagen, drei Skinheads prügeln und treten einen jungen Mann bewusstlos, vier Kerle überfallen eine junge Türkin, ein ...

Ein Rentner wird von zwei Jugendlichen in einer U-Bahn-Station grundlos halb tot geschlagen, drei Skinheads prügeln und treten einen jungen Mann bewusstlos, vier Kerle überfallen eine junge Türkin, ein jüdischer Trainer für Selbstverteidigung wird auf dem Heimweg von einigen jungen Arabern angegriffen – und immer erscheint zur Rettung der Bedrängten ein strahlend weißer Engel, der die Täter brutal bestraft und dann spurlos verschwindet. Die Polizei tappt im Dunkeln und vermutet anfangs falsche Aussagen der Überfallenen - für die Bevölkerung der Stadt jedoch handelt es sich hier um einen Engel, einen Racheengel zum Schutz der Wehrlosen. Doch dann bekommt der Journalist Ingo Praise ein anonymes Video zugeschickt, auf dem der „Todesengel“ zu sehen ist …

Die stets zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft, das oft lebenslange Leid der Opfer und die meist geringe Bestrafung der jugendlichen Täter sind nur einige der Probleme, die der Autor Andreas Eschbach hier aufgegriffen und als spannenden Krimi verarbeitet hat. Der Schreibstil ist dabei von beeindruckender Intensität, ausdrucksstark und lebendig. Man merkt, dass sich der Autor mit dem Thema gründlich auseinander gesetzt hat, es von allen Seiten beleuchtet, ohne für eine bestimmte Seite Partei zu ergreifen. Er überlässt es dem Leser, sich seine eigenen Gedanken zu machen.

Selbstjustiz und Zivilcourage sind die vorherrschenden Themen des Buches. Soll man das Gesetz in die eigenen Hände nehmen, wenn der Staat versagt? Es wird mehr Mut zum Eingreifen gefordert, doch dass der Helfer sich selbst in Gefahr bringt oder sich gar strafbar macht wenn er den Angreifer verletzt – darauf weist niemand hin. Warum werden die Angreifer vor Gericht mit Samthandschuhen angefasst und wegen widriger Umstände, die zu der Tat geführt haben, noch bedauert, während die Opfer mit ihrem physischen, psychischen und materiellen Schaden meist alleine gelassen werden? Und was geschieht, wenn irrtümlich ein Unbeteiligter zu Tode kommt? Ein erschreckender, dramatischer Schluss, der perfekt zur Handlung passt, stimmt sehr nachdenklich und weckt beim Leser zwiespältige Emotionen.

Fazit: Ein empfehlenswertes Buch über ein mehr denn je aktuelles Thema – aufregend und sehr spannend umgesetzt.

Veröffentlicht am 15.04.2024

Dolce Vita in Florenz ?

Das Fenster zur Welt
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Als sich die sechzigjährige britische Kunsthistorikerin Evelyn Skinner und der junge britische Soldat Ulysses Temper 1942 im zerstörten Florenz begegnen, entsteht daraus eine lebenslange Freundschaft. ...

Als sich die sechzigjährige britische Kunsthistorikerin Evelyn Skinner und der junge britische Soldat Ulysses Temper 1942 im zerstörten Florenz begegnen, entsteht daraus eine lebenslange Freundschaft. Sie erklärte ihm die Welt der Kunst, die ihn auch nach dem Krieg, nach seiner Rückkehr nach England, nicht mehr los lies. In der Heimat war alles anders als erwartet. Seine Frau Peggy hatte inzwischen ein Kind von einem Amerikaner, der zurück in seine Heimat gegangen war und auf dessen Rückkehr sie sehnlichst hoffte. Ulysses liebte ihr Kind, die kleine Alys, und nahm sich ihrer gerne an, was Peggy dankbar zur Kenntnis nahm. Als dann einige Zeit später ein Rechtsanwalt aus Italien eintraf der Ulysses verkündete, dass er Alleinerbe von Arturo sei, dem er damals in Florenz das Leben rettete, änderte sich alles. Zusammen mit der kleinen Alys, dem väterlichen Freund und Nachbarn Cressy und dem Papagei Claude fährt Ulysses zurück nach Florenz …

Sarah Winman, geb. 1964 in Ilford, ist eine britische Schriftstellerin und Schauspielerin. Sie wuchs in der Grafschaft Essex auf. Nach ihrem Studium in London arbeitete sie ab 1989 als Schauspielerin in Nebenrollen bei zahlreichen Produktionen für das britische Fernsehen und in Kinofilmen. Sie schrieb bisher sieben Bücher, für die sie einige Anerkennungen und Auszeichnungen erhielt. „Das Fenster zur Welt“ (erschienen am 20.04.2024 beim Verlag Klett-Kotta) ist ihr 8. Roman. Die Autorin lebt heute in London.

Während eines Zeitraums von etwa vierzig Jahren begleiten wir Ulysses, Peggy und Alys mit ihren zahlreichen italienischen und englischen Freunden. Wir sind dabei wenn sie sich verlieben, neue Freundschaften knüpfen oder wenn sie im Londoner Pub oder in einer Bar in Florenz ihre Trauer und ihren Verlust teilen und ihre Sorgen zu vergessen suchen. Wir treffen auf Menschen wie Du und ich, mit den gleichen Problemen, wie wir sie alle haben. Man hat den Eindruck es geschieht nicht sehr viel, dennoch ist die Geschichte voll prallen Lebens, was dieses Buch zu einem einzigartigen Leseerlebnis macht. Ganz nebenbei erfahren wir eine Menge über die großartigen Kunstwerke in Italien und besonders in Florenz und über die schreckliche Überschwemmungskatastrophe, von der Florenz und die Toskana 1966 heimgesucht wurden.

Fazit: Ein wunderbar geschriebenes Buch über Menschen und Menschlichkeit, über Liebe und Freundschaft und über Trauer und Schmerz – mitten aus dem Leben gegriffen.

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Veröffentlicht am 09.04.2024

Überleben um die Zukunft zu erleben

Und Großvater atmete mit den Wellen
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Gemeinsam mit seinem Bruder Sverre fuhr Großvater Konrad als Funker während des II. Weltkrieges auf einem Handelsschiff zur See. 1943 werden sie auf dem Weg nach Australien im Indischen Ozean von einem ...

Gemeinsam mit seinem Bruder Sverre fuhr Großvater Konrad als Funker während des II. Weltkrieges auf einem Handelsschiff zur See. 1943 werden sie auf dem Weg nach Australien im Indischen Ozean von einem japanischen U-Boot torpediert und versenkt. Während Sverre gefangen genommen wurde, gelang Konrad in einem Rettungsboot die Flucht. Nach 19 Tagen auf See strandete er, mehr tot als lebendig, auf einer indonesischen Insel. Im dortigen Krankenhaus verliebt sich Konrad in die Krankenschwester Sigrid. Die beiden machen Pläne für eine gemeinsame Zukunft nach dem Krieg, doch dann kommen sie in getrennte japanische Internierungslager. Es herrschen dort schreckliche Zustände und jeder muss ums nackte Überleben kämpfen. Doch dann schlägt das Schicksal erbarmungslos zu …

Die Autorin Trude Teige wurde 1960 in einem kleinen Ort an der Küste Norwegens geboren. Sie ist ausgebildete Übersetzerin und Journalistin und arbeitete viele Jahre als Reporterin und Nachrichtensprecherin beim norwegischen Sender TV2. Als Schriftstellerin debütierte sie 2002 mit einem historischen Roman, in dem sie viele Erlebnisse ihrer Urgroßmutter verarbeitete. Sie hat drei erwachsene Kinder und lebt mit ihrer Familie am Oslofjord. Das Original des Romans „Als Großmutter im Regen tanzte“ war bereits 2015 ein Bestseller in Norwegen, bei uns stand der erste Band der Generationen-Reihe monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste von 2023. Der zweite Teil „Und Großvater atmete mit den Wellen“ ist am 27.03.2024 erschienen.

Das Buch umfasst die Zeitspanne von 1943 bis 1947. Im Fokus steht Konrad, der Großvater von Juni, die diesmal nur im Vor- und Nachwort vorkommt. Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven und Sichtweisen der Protagonisten Konrad und Sigrid, so dass man als Leser deren Empfindungen und Gefühle intensiv erfährt. Zu Anfang ist das Erzähltempo recht hoch, wird jedoch bedächtiger wenn es um die Geschehnisse im Lager geht. Diese werden sehr anschaulich geschildert, sei es die Willkür der japanischen Besatzung, der Mangel an Nahrung, die hygienischen Verhältnisse und die damit verbundenen Krankheiten. Dabei zeigt sich, dass es bei Zusammenhalt und Zuversicht möglich sein kann, auch bei widrigsten Bedingungen zu überleben. Es scheint am Ende alles gut zu werden, doch dann schlägt das Schicksal unerbittlich zu …

Fazit: Ein fesselndes und aufrüttelndes Buch, das uns ganz nebenbei die weniger bekannte Seite des Krieges mit der Schreckensherrschaft der Japaner im Pazifik aufzeigt.

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Veröffentlicht am 09.04.2024

Anatomie einer Ehe

Jahre später
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April ist jetzt 30 Jahre alt und angehende Schriftstellerin. Sie lebt immer noch in Berlin, ihr Sohn Julius ist bereits im Teenageralter. Bei einer Lesung lernt sie den charismatischen Chirurgen Ludwig ...

April ist jetzt 30 Jahre alt und angehende Schriftstellerin. Sie lebt immer noch in Berlin, ihr Sohn Julius ist bereits im Teenageralter. Bei einer Lesung lernt sie den charismatischen Chirurgen Ludwig kennen, dessen besitzergreifende Art ihr imponiert. Als er ihr einen Antrag macht, scheint für April ein normales bürgerliches Leben möglich. Sie zieht zu ihm nach Hamburg und heiratet ihn, obwohl sie ihn nicht liebt. Bald fühlt sie sich unglücklich, sieht ihre Träume entschwinden, daran ändert auch die Geburt des gemeinsamen Kindes Samuel nichts. Doch was will sie eigentlich, welche Träume hat sie? Es folgen Trennung, Rückkehr nach Berlin und ein erbitterter Scheidungskrieg – und April ist immer noch unglücklich …

Angelika Klüssendorf ist eine deutsche Schriftstellerin, die 1958 in Ahrensburg/Schleswig Holstein geboren wurde und in der DDR aufwuchs. 1985 übersiedelte sie nach Westdeutschland. Sie schrieb einige Erzählungen und Romane, darunter die Trilogie „Das Mädchen“, „April“ und „Jahre später“, die wegen ihrer außergewöhnlichen Sprache in Literaturkreisen große Beachtung fanden und für die sie zahlreiche Ehrungen und Preise erhielt. Die Autorin hat zwei Kinder und war mit dem Vater ihres Sohnes, dem Journalisten und FAZ-Mitherausgebers Frank Schirrmacher, verheiratet. Seit 2017 ist der Schriftsteller Torsten Schulz ihr zweiter Ehemann.

In „Jahre später“, dem dritten Band der stark autobiografischen Reihe, können wir das Leben der inzwischen erwachsenen April weiter verfolgen und sie in ihrer schwierigen Ehe begleiten. Noch immer ist sie einzelgängerisch, voller Extreme und häufig verzweifelt, aber dennoch voller Kraft und innerer Stärke. Als Ehefrau ist sie auf Dauer ihrem narzisstischen Mann, der sich oft nicht im Griff hat und sich in Lügen verstrickt, nicht gewachsen. Die Pressekritik erlaubte sich dabei, zwischen Aprils Ehemann, dem Chirurgen Ludwig, und Klüssendorfs erstem Ehemann Frank Schirrmacher Parallelen zu ziehen.

Es ist keine leichte Kost, die uns die Autorin hier serviert. Ihr Schreibstil ist präzise und unverblümt, dabei jedoch immer zurückhaltend, leise und diskret. In den kurzen Sätzen ohne schnörkelige Umschreibungen kommt die innere Zerrissenheit, in der sich April befindet, sprachlich gut zum Ausdruck. Die zwischenmenschlichen Beziehungen der Protagonisten sind manchmal sehr sensibel und gefühlvoll, dann aber wieder voll brutaler Gleichgültigkeit und zerstörerischem Misstrauen. Da Klüssendorf nicht verurteilend schreibt, bleibt dem Leser genügend Raum für eigene Gedanken.

Fazit: Gut gelungener, logischer und stimmiger Abschluss dieser lesenswerten Trilogie.

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