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Veröffentlicht am 15.03.2023

Abgebrannt und ausgebrannt

Der Brand
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Ein Brand im gebuchten Feriendomizil in den Bergen war die Ursache, dass Rahel und Peter nun auf einem Bauernhof in der Uckermark gelandet sind. Anstatt beim Wandern ihre in die Jahre gekommene Ehe aufzufrischen ...

Ein Brand im gebuchten Feriendomizil in den Bergen war die Ursache, dass Rahel und Peter nun auf einem Bauernhof in der Uckermark gelandet sind. Anstatt beim Wandern ihre in die Jahre gekommene Ehe aufzufrischen und wieder zueinander zu finden, versorgen sie nun Haus, Garten und Tiere einer alten Freundin, die mit ihrem Mann nach dessen Schlaganfall zur Reha ist. Alles ist wie zu Hause, sie langweilen sich und leben nebeneinander her, ohne ein klärendes Gespräch zu führen. Dann kommt plötzlich ihre Tochter mit ihren beiden kleinen antiautoritär erzogenen Kindern angereist, um ihre Eheprobleme bei den Eltern abzuladen. Auch der in München studierende Sohn kommt unverhofft vorbei – das Chaos ist perfekt …

Daniela Krien, geb. 1975 in Mecklenburg-Vorpommern, wuchs in Jena und im Vogtland auf und studierte in Leipzig Kultur-, Kommunikations- und Medienwissenschaft. Seit 2010 ist sie freie Autorin und lebt heute mit zwei Töchtern in Leipzig. Für ihre Romane erhielt sie 2020 den Sächsischen Literaturpreis.

Das Buch überrascht zunächst mit einem sehr lebendigen, flüssigen Schreibstil, der die herrschende Atmosphäre zwischen den Eheleuten treffend erfasst, sodass der Einstieg in das Geschehen leicht gelingt. Beherrschendes Thema ist die Entfremdung und die erloschene Liebe zwischen Rahel und Peter, das Nachdenken darüber und das Bemühen, etwas zu ändern – so jedenfalls interpretierte ich den Klappentext.

Leider wurden meine hohen Erwartungen bald gedämpft. Ich konnte mich in keine der Personen einfühlen, es geschieht zu viel Oberflächliches und das eigentliche Thema tritt in den Hintergrund. Rahels Gedanken, Reaktionen und Handlungen auf gewisse Situationen waren mir unverständlich – als Psychologin müsste sie meiner Meinung nach anders agieren und reagieren. Zudem werden eine Fülle anderer Probleme oberflächlich angerissen (Geschlechtsidentität, Abtreibung, Suche nach unbekanntem Vater, schwieriges Mutter-Tochter-Verhältnis, sexuelle Untreue, Corona-Virus, Selbstmord etc.), von denen jedoch keines in die Tiefe geht und die einfach so stehen gelassen werden. In Erinnerung bleiben eine Uckermark-Idylle mit Badesee, ein marodes Bauernhaus, ein lahmer Storch, ein altes Pferd und eine verschwundene Katze.

Fazit: Wenn man ohne große Erwartungen an das Buch geht, dann ist es eine humorige, sehr gut geschriebene Unterhaltungsliteratur – nicht mehr, aber auch nicht weniger!

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Veröffentlicht am 08.03.2023

Vater und Sohn

Erstaunen
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Nach dem Tod seiner Frau Aly muss Theo Byrne seinen 9jährigen Sohn Robin alleine großziehen. Keine leichte Aufgabe für den engagierten Astrobiologen, denn der Junge hat das Asperger-Syndrom. Er ist verhaltensauffällig, ...

Nach dem Tod seiner Frau Aly muss Theo Byrne seinen 9jährigen Sohn Robin alleine großziehen. Keine leichte Aufgabe für den engagierten Astrobiologen, denn der Junge hat das Asperger-Syndrom. Er ist verhaltensauffällig, leicht reizbar, neigt zu Wutanfällen und dreht durch, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen läuft. Dabei ist er hochbegabt und interessiert sich brennend für Tiere und Pflanzen und deren Arterhaltung in Zeiten des Klimawandels. Theo weigert sich das Verhalten des Jungen als Krankheit zu sehen und ihm Medikamente zu geben, stattdessen fährt er mit ihm einige Tage in die Smoky Mountains in der Hoffnung, dort Besserung zu erzielen. Wieder zurück in Madison weigert sich Robin zur Schule zu gehen und das Jugendamt droht Theo mit Kindesentzug. Ein Lichtblick bietet sich dem besorgten Vater durch die neuartige Möglichkeit, die Hirnaktivität therapeutisch zu beeinflussen. Tatsächlich zeigt die Behandlung gute Erfolge – bis die Regierung dem Labor die Fördermittel streicht und weitere Experimente verbietet …

Richard Powers, geb. 1957, ist einer der bedeutendsten US-amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Er ist bekannt dafür, in seinen Werken komplexe naturwissenschaftliche und philosophische Themen zu verarbeiten. Er veröffentlichte bisher sieben Romane - mit „Erstaunen schaffte er es 2021 auf die Shortlist des Booker Prize. Der Autor lebt heute in Urbania/Illinois.

Wie in allen seinen Büchern behandelt der Autor auch in
„Erstaunen“ wieder brisante, aktuelle Themen. Neben der bewegenden Vater-Sohn-Beziehung ist es eine Liebeserklärung an die Natur - und eine Anklage an die Menschheit über den allzu sorglosen Umgang mit ihr. Wir erfahren, wie ein Astrobiologe sich Leben im Universum auf weit entfernten Planeten vorstellt und lesen kritisch über ein reaktionäres Amerika unter einem Präsidenten, dessen Handlungen uns leider noch allzu gut in Erinnerung sind.

Wie gewohnt schreibt Powers flüssig, präzise und schnörkellos und ist in der Lage, dem Leser auch die kompliziertesten naturwissenschaftlichen Vorgänge verständlich zu beschreiben. Er erzählt die Geschichte aus Sicht des Vaters, so dass man seine zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankenden Gefühle hautnah miterlebt. Neben Anlehnungen an Greta Thunbergs Aktionen zum Klimaschutz und großartigen Naturbeschreibungen erfährt man auch noch ganz nebenbei Neuigkeiten in Sachen Neurologie und Gehirnforschung.

Fazit:* Ein Buch das ich gerne weiter empfehle, da es eine Fülle von Emotionen beim Leser hinterlässt.

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Veröffentlicht am 25.02.2023

Sein Leben war Mühsal und Arbeit - aber trotz allem lebenswert

Ein ganzes Leben
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Nach dem Tod seiner Mutter kommt der etwa vierjährige Andreas Egger im Sommer 1902 auf den Hof seiner Verwandten in einem österreichischen Bergdorf. Dort erwarten das Kind harte Arbeit und viel Schläge, ...

Nach dem Tod seiner Mutter kommt der etwa vierjährige Andreas Egger im Sommer 1902 auf den Hof seiner Verwandten in einem österreichischen Bergdorf. Dort erwarten das Kind harte Arbeit und viel Schläge, was der Bub klaglos hinnimmt. Als er acht Jahre alt ist, bricht ihm der Bauer bei einer Prügelattacke das Bein, den Knochen wächst krumm zusammen und Andreas hinkt fortan. Trotzdem wird aus ihm ein besonders kräftiger junger Mann, der sich nach seinem 18. Geburtstag einem Angriff des Bauern widersetzt und ihm droht, ihn umzubringen. Er verlässt daraufhin den Hof und nimmt jede Arbeit an, bis er von dem verdienten Geld ein kleines, steiniges Grundstück mit einer Hütte oberhalb des Dorfes pachten kann. Er lernt Marie kennen, die neue Hilfskraft in der Dorfwirtschaft. Um ihr einen Heiratsantrag zu machen und eine Familie gründen zu können, arbeitet er nun beim Bautrupp der Firma, die die neue Seilbahn auf den Berg errichtet. Marie nimmt seinen Antrag an und zieht zu ihm in seine Hütte. Die beiden verbringen eine glückliche Zeit miteinander, bis das Schicksal grausam zuschlägt …

Robert Seethaler, geb. 1966 in Wien, ist ein österreichischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Schauspieler, der an Theatern in Wien, Berlin, Stuttgart und Hamburg mitwirkte. Für seine Romane erhielt er eine Reihe von Preisen und Stipendien. „Ein ganzes Leben“ stand 2016 auf der Shortlist für den Internationalen Booker Prize. Seethaler, der an einem angeborenen Augenfehler leidet (minus 17 Dioptrien), ist Vater eines 2009 geborenen Sohnes und lebt in Berlin-Kreuzberg und Wien.

Der Schreibstil des Autors ist klar und schnörkellos, dennoch einfühlsam mit sehr viel Tiefgang. Mit einfachen Worten entführt er uns in die Bergwelt zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, erzählt von dem kargen, entbehrungsreichen Leben der Bergbauern und lässt uns den allmählichen Wandel zur Moderne miterleben. Wir sind mit Andreas Egger im Krieg, erleben die Grausamkeiten russischer Gefangenschaft und seine Rückkehr ins heimische Bergdorf, wo er bald als Wanderführer sein Auskommen hat. Ohne zu jammern nimmt dieser schweigsame Mann, der stets ein Außenseiter ist, seine Schicksalsschläge hin und wir bekommen einen Eindruck davon, was ein Mensch in der Lage ist zu ertragen. Mit 79 Jahren, kurz bevor ihn ein sanfter Tod heimsucht, blickt er staunend auf sein Leben zurück – und wir staunen mit ihm.

Fazit: Eine ebenso einfache wie ergreifende Geschichte, schön und poetisch erzählt – sehr empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 18.02.2023

„Eine Liebeserklärung an die Welt der Bücher“

Sunwise Turn
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Im Jahr 1916 eine moderne Buchhandlung mitten in New York zu eröffnen war gewiss nicht einfach, dennoch wagte es die Autorin Madge Jenison (1874-1960) gemeinsam mit ihrer Freundin Mary Mowbray-Clarke (1874-1962). ...

Im Jahr 1916 eine moderne Buchhandlung mitten in New York zu eröffnen war gewiss nicht einfach, dennoch wagte es die Autorin Madge Jenison (1874-1960) gemeinsam mit ihrer Freundin Mary Mowbray-Clarke (1874-1962). Beide waren keine Buchhändlerinnen und hatten vom Handel und Verkauf keine Ahnung, jedoch liebten sie Bücher und wollten diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.

Mit viel Humor schildert die Autorin ihre anfänglichen Bemühungen und ihr zunächst grandioses Scheitern. Doch der ungeheure Fleiß und die Liebe der beiden Damen zu Büchern zahlte sich nach und nach aus, „Sunwise Turn“, wie sie ihren Laden liebevoll nannten, wurde bald zu einer Institution in Manhattan. Millionäre verkehrten dort ebenso wie Intellektuelle, und manch einfacher, bedürftige Mensch bekam auch dann und wann ein Buch geschenkt. Im Laden wurden Lesungen abgehalten und fanden Veranstaltungen statt und für Kunden wurden eigens auf sie abgestimmte Literaturlisten erstellt.

In einem lebendigen humorvollen Erzählstil berichtet Madge Jenison ihre eigenen Erlebnisse. Wir erfahren wie z. B. wie Peggy Guggenheim ehrenamtlich Bücher für den Laden auslieferte, oder wie ihr völlig fremde Menschen ihre Lebensgeschichten anvertrauten. Als autobiografisches Werk der Autorin ist das Buch somit auch ein Stück Zeitgeschichte und zeugt davon, dass es auch damals schon für Frauen möglich war, mit viel Energie und zähem Fleiß ihren Traum zu verwirklichen.

Fazit: Ein Buch nur für Buchliebhaber und Bücherbesessene – alle anderen lassen es lieber!

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Veröffentlicht am 18.02.2023

Familiengeheimnisse

Als Großmutter im Regen tanzte
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Um aus ihrer lieblosen Ehe auszubrechen flieht Juni in das Haus ihrer verstorbenen Großeltern und hofft, auf der kleinen der norwegischen Küste vorgelagerten Insel zur Ruhe zu kommen. Dort entdeckt sie ...

Um aus ihrer lieblosen Ehe auszubrechen flieht Juni in das Haus ihrer verstorbenen Großeltern und hofft, auf der kleinen der norwegischen Küste vorgelagerten Insel zur Ruhe zu kommen. Dort entdeckt sie beim Aufräumen ein Foto, das Großmutter Arm in Arm mit einem deutschen Soldaten zeigt. Als sie dann noch die Heiratsurkunde ihrer Großeltern findet wird ihr klar, dass in ihrer Familiengeschichte ein Geheimnis verborgen ist. War das vielleicht der Grund, warum ihre Mutter Lilla mit Großmutter immer Streit hatte? Und warum liebte es Großmutter Thekla so sehr, bei Regen im Freien zu tanzen? Junis Neugier ist geweckt, sie forscht weiter, unterstützt von Nachbar Georg. Die Spur führt die beiden nach Deutschland, wo sie auf die schrecklichen Nachkriegs-Ereignisse in der Stadt Demmin stoßen …

Die Autorin Trude Teige wurde 1960 in einem kleinen Ort an der Küste Norwegens geboren. Sie ist ausgebildete Übersetzerin und Journalistin und arbeitete viele Jahre als Reporterin, Nachrichtensprecherin und Programmmanagerin beim norwegischen Sender TV2. Als Schriftstellerin debütierte sie 2002 mit einem historischen Roman, in dem sie viele Erlebnisse ihrer Urgroßmutter verarbeitete. Das Original des Romans „Als Großmutter im Regen tanzte“ war bereits 2015 ein Bestseller in Norwegen, ist inspiriert von tatsächlichen Ereignissen und Menschen und wurde für den Bookstore-Preis nominiert. Trude Teige hat zwei Töchter und lebt in einem Vorort von Oslo.

Dass der Zweite Weltkrieg viel Leid über Europa brachte, dürfte allgemein bekannt sein. Dass aber auch norwegische Frauen, die sich in einen deutschen Besatzungssoldaten verliebten, Schreckliches durchmachen mussten, wusste ich bisher nicht. Von solch einem Schicksal erzählt dieser Roman, von Schande, Bloßstellung, Angst, Hoffnungslosigkeit, verdrängter Trauer und versuchtem Vergessen.

In sachlichem, beinahe als nüchtern zu bezeichnendem Schreibstil beschreibt die Autorin in zwei Zeitebenen abwechselnd Junis Suche nach der Wahrheit und Großmutter Theklas Erlebnisse im Nachkriegsdeutschland. Dabei schreckt sie auch vor gewalttätigen, brutalen Szenen nicht zurück und schildert diese ohne zu verurteilen. Wir erleben den Einzug der Roten Armee und erfahren vom Massensuizid in der Kleinstadt Demmin, bei dem sich aus Angst vor den russischen Soldaten mehrere Hundert Personen mit ihren Angehörigen das Leben nahmen. Die entsetzlichen Erlebnisse wirken nach und beeinflussen auch das Leben der nachfolgenden Generationen. Diese Einzelheiten lassen sich nur ertragen, weil wir immer wieder zur Enkelin Juni zurückkehren, sie bei ihren Recherchen begleiten, an ihrem neuen Leben auf der Insel teilhaben. Dass sie am Ende ein neues Glück findet, stimmt versöhnlich.

Fazit: Sehr gut recherchierte und spannend geschriebene Lebens- und Liebesgeschichte, bei der man viel über die unmittelbare Zeit nach Kriegsende erfährt – ein Buch, das noch lange nachhallt.

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