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Veröffentlicht am 10.05.2023

Zum Teuf’l aber auch, wo steckt bloß Vivien

Der Gentleman
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London, Mitte 19. Jahrhundert. In seinem Haus am vornehmen Pocklington Place lebt der Adlige Lionel Savage in der Überzeugung, er sei ein toller Hecht und ein begnadeter Dichter. Er ist 22 Jahre jung, ...

London, Mitte 19. Jahrhundert. In seinem Haus am vornehmen Pocklington Place lebt der Adlige Lionel Savage in der Überzeugung, er sei ein toller Hecht und ein begnadeter Dichter. Er ist 22 Jahre jung, sieht gut aus, ist sehr kultiviert aber auch sehr faul und lebt gerne über seine Verhältnisse. So muss ihm sein treuer Butler Simmons eines Tages mit Bedauern mitteilen, dass das Geld ausgegangen sei. Nun hat Lionel zwei Möglichkeiten, zu arbeiten oder eine reiche Frau heiraten. Ersteres kommt für den Gentleman ja nicht infrage, also bleibt nur der zweite Weg aus dem Desaster. Eine passende junge Dame aus vermögendem Hause ist bald gefunden, es wird geheiratet und Vivien zieht in das Haus am Pocklington Place ein.

Geld ist zwar nun vorhanden, doch Lionel ist seiner Angetrauten bald überdrüssig. Er empfindet sie als geistlos und nörglerisch, verachtet und hasst sie. Zu allem Übel kommt noch seine Schreibblockade hinzu, er kann nicht mehr dichten und ist verzweifelt. Als einzigen Ausweg sieht er seinen Selbstmord, doch die Umstände, die er seinem treuen Butler dadurch machen würde, halten ihn zunächst davon ab. Während er noch nach einer Lösung sucht, beehrt ihn ein eleganter Gentleman mit seinem Besuch, der sich selbst als Teufel vorstellt. Die beiden unterhalten sich freundschaftlich – und als der Teufel gegangen ist, ist auch plötzlich Vivien verschwunden …

Der US-amerikanische Autor Forrest Leo wurde 1990 in Alaska geboren, wo er auch aufwuchs und mit dem Hundeschlitten zur Schule fuhr. Später machte er einen Bachelor in Schauspiel an der New York University und arbeitete in verschiedenen Berufen. Er war erst 27 Jahre alt, als er sein Debüt „Der Gentleman“ schrieb, das von dem 1973 in Göttingen geborenen Literaturwissenschaftler Cornelius Reiber ins Deutsche übersetzt wurde.

Mit viel Witz und spöttischer Ironie werden wir in die Gepflogenheiten der Londoner Oberschicht im viktorianischen Zeitalter eingeführt – oder was man sich heute darunter vorstellt. Wie am Schluss des Buches zu lesen ist, wurde die Geschichte zunächst als Theaterstück konzipiert, was besonders in der furiosen Schlussszene, in der sämtliche Akteure noch einmal zusammenkommen, zu merken ist. Eine Besonderheit ist auch, dass die Geschichte von Lionel Savage selbst erzählt wird und der Herausgeber des Werkes, Mr Hubert Lancester, ein Verwandter von Savage, in zahlreichen Fußnoten seinen Kommentar dazu abgibt bzw. dessen Aussagen richtigstellt.

Eine Figur nach der anderen betritt die „Bühne“, rasch wechseln die „Kulissen“, es werden allerlei Abenteuer erlebt, Duelle ausgefochten und witzige, schlagfertige Dialoge ausgetauscht. Wir machen die Bekanntschaft mit dem besten Butler Großbritanniens, mit einem Erfinder von Flugmaschinen, mit einem gutaussehenden, kräftig gebauten Abenteurer, mit Lizzie, der quirligen jüngeren Schwester von Lionel, mit Vivien, Lionels schöner und intelligenter Frau – und nicht zuletzt mit dem Teufel, der sich als Buchliebhaber und Literaturkenner entpuppt und Dante Alighieri bei sich zu Hause als Gärtner beschäftigt.

Fazit: Eine intelligente Boulevardkomödie mit viel Witz, selbstverständlich leicht übertrieben, aber immer mit Stil – sehr unterhaltsam und äußerst amüsant.

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Veröffentlicht am 06.05.2023

Wird die Erde so enden?

Sturz in die Sonne
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Es ist Juli, drei Monate hat es nicht mehr geregnet, drei Monate nur Sonnenschein. Am Ufer des Genfer Sees drängen sich die Badenden und suchen Abkühlung. Die Hitze ist zwar ungewöhnlich, aber niemand ...

Es ist Juli, drei Monate hat es nicht mehr geregnet, drei Monate nur Sonnenschein. Am Ufer des Genfer Sees drängen sich die Badenden und suchen Abkühlung. Die Hitze ist zwar ungewöhnlich, aber niemand macht sich Sorgen. Auch nicht, als die ersten Zeitungen veröffentlichten, dass die Erde infolge eines Gravitationsunfalls auf die Sonne zustürzen würde. Was nicht sein darf kann auch nicht sein, denken alle, und so geht das Leben zunächst seinen gewohnten Gang weiter. Doch bald merkt auch der letzte Zweifler, dass etwas nicht stimmen kann. Die Gletscher schmelzen, die Flüsse und Seen verdunsten allmählich und die Hitze wird selbst in den Bergen unerträglich. Die Regierung appeliert zur Vernunft - vergebens. Anarchie bricht aus, Zerstörungswut greift um sich, Überfälle häufen sich, jeder ist sich selbst der nächste …

Charles Ferdinand Ramuz, der Autor dieses Romans, lebte von 1878 bis 1947 in der Schweiz. Er war Schriftsteller, Lyriker, Essayist und Nationaldichter und gilt als bedeutendster Vertreter der Schweizer Literatur in französischer Sprache.

Bereits im Jahr 1922 erschien der Roman unter dem Originaltitel „Présence de la mort“ – eine Neuauflage unter dem deutschen Titel „Sturz in die Sonne“ wurde von Steven Wyss, der als freier Übersetzer in Zürich lebt, übersetzt und vom Limmat Verlag Zürich im Mai 2023 veröffentlicht.

1922, als der Roman erstmals erschien, konnte der Autor noch nichts von der Bedrohung der globalen Erderwärmung wissen, die sich heute abzeichnet. Das düstere Bild, das Ramuz in diesem visionären Text zeichnet, liest sich daher wie eine Prophezeiung. Auf den außergewöhnlichen, verdichteten Schreibstil des Autors muss man sich einlassen, sonst ist man verloren und hat nichts von der Lektüre.

Reiche und Arme, Kranke und Gesunde, es gibt nichts mehr, was die Menschen voneinander unterscheidet (Ende Kapitel XIII)

So ist der Mensch gemacht, dieses Nichts, das alles ist, und dann ist alles wieder nichts mehr (Ende Kapitel XXIII)

Fazit: Wer wissen möchte, wie sich die Menschen bei tatsächlicher Bedrohung einmal verhalten werden, der möge dieses Buch lesen – ich bin erschüttert und werde ab sofort mehr auf mein Umweltbewusstsein achten!

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Veröffentlicht am 03.05.2023

Die kleine Kneipe beim Markt

Das Café ohne Namen
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Wir befinden uns in Wien im Jahr 1966, Robert Simon ist jetzt 31 Jahre alt. Er hatte es bisher nicht leicht im Leben, hat in den Nachkriegsjahren als Waise sehr viel Leid erfahren. Seit einigen Jahren ...

Wir befinden uns in Wien im Jahr 1966, Robert Simon ist jetzt 31 Jahre alt. Er hatte es bisher nicht leicht im Leben, hat in den Nachkriegsjahren als Waise sehr viel Leid erfahren. Seit einigen Jahren lebt er nun als Untermieter bei der Witwe Martha Pohl und verdient seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten am Karmelitermarkt. Mit seinen geringen Ersparnissen pachtet er ein altes, leer stehendes Café, renoviert es und erweckt es wieder zum Leben. Er schuftet schwer, aber es lohnt sich, denn bald trifft sich dort zum Feierabend die Nachbarschaft mit den Markthändlern, Arbeiterinnen und Schaustellern. Man plaudert, tauscht Geschichten aus, trinkt sein Feierabendbier oder auch einen Schoppen Wein, isst ein Schmalzbrot mit eingelegten Gurken, mehr hat die Speisekarte nicht zu bieten, und ist zufrieden so wie es ist. Simon, wie er allgemein genannt wird, stellt die arbeitslose Näherin Mila als Hilfskraft ein, die ihn nun tatkräftig unterstützt. Es folgen Jahre relativer Zufriedenheit - doch die Zeiten ändern sich, nichts dauert ewig …

Robert Seethaler, geb. 1966 in Wien, ist ein österreichischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Schauspieler. Für seine Romane erhielt er eine Reihe von Preisen und Stipendien. Seethaler, der an einem angeborenen Augenfehler leidet (minus 17 Dioptrien), ist Vater eines 2009 geborenen Sohnes und lebt in Berlin und Wien. „Das Café ohne Namen“ ist 2023 bei claassen, einem Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, erschienen und ist der achte Roman des Autors.

Wie in allen Romanen Seethalers ist auch hier sein Schreibstil sehr flüssig und lebendig und vermittelt mit liebevollen und gut recherchierten Details auch viel regionales Flair. Mit viel Einfühlungsvermögen berichtet er über Robert Simons Schicksal und über das Leben seiner Freunde und Gäste. Wir lernen ihre Sorgen und Nöte kennen, dürfen aber auch teilhaben an angenehmen Ereignissen und glücklichen Momenten. Es geschieht nicht viel, die Menschen gehen ihren alltäglichen Geschäften nach - und ganz allmählich kommen die Neuerungen in einer Zeit des Aufbruchs.

Auch wenn kein Happy End in Sicht ist, war ich gerne Gast im Café ohne Namen und werde die Leute, die ich dort angetroffen habe, noch lange in Erinnerung behalten.

Fazit: Ein ruhiger, beschaulicher Roman, den ich gerne weiter empfehle!

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Veröffentlicht am 01.05.2023

Endzeitszenario

Und dann verschwand die Zeit
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Um ihre Kinder auch noch nach der drohenden Katastrophe in Sicherheit zu wissen haben ihre Eltern, beide Umweltwissenschaftler, ihr früheres Feriendomizil High House in jahrelanger Arbeit renoviert und ...

Um ihre Kinder auch noch nach der drohenden Katastrophe in Sicherheit zu wissen haben ihre Eltern, beide Umweltwissenschaftler, ihr früheres Feriendomizil High House in jahrelanger Arbeit renoviert und Grandy, das Faktotum des Ortes, als Verwalter eingesetzt. Caro ist achtzehn und ihr kleiner Halbbruder Pauly erst vier, als der Anruf ihrer Eltern kommt, sie sollen London unverzüglich verlassen und High House aufsuchen, das weiter im Norden an einem Fluss auf einer Anhöhe nahe am Meer liegt. Das ehemalige Sommerhaus ist umgebaut und verfügt nun über ein eigenes Gezeitenbecken, eine Mühle, einen großen Gemüsegarten, einen Trinkwasserbrunnen und eine Scheune voller Vorräte. Als die beiden dort ankommen, werden sie von Grandy und seiner Enkelin Sally empfangen. Abgeschieden von der Zivilisation müssen die vier Menschen jetzt miteinander auskommen. Doch das Leben ist hart, die Winter nass und kalt und die Sommer glühendheiß – und die Vorräte sind begrenzt. Wie lange sind sie dort noch in Sicherheit vor dem einsetzenden Regen und der steigenden Flut?

Jessie Greengrass, geb. 1982, ist eine britische Schriftstellerin, die heute in Berwick-upon-Tweed lebt. Sie studierte Philosophie in Cambridge und London. 2015 veröffentlichte sie einen Band mit Erzählungen, für den sie den Somerset Maugham Award und den Edge Hill Short Story Prize erhielt. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 2018 mit dem Titel „Sight“, es folgte 2021 „The High House“, der nun, 2023, unter dem deutschen Titel „Und dann verschwand die Zeit“ vom Verlag Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht wurde.

Der Roman ist eine Dystopie über eine Zeit, die zwar in weiter Ferne zu liegen scheint, vielleicht aber schon näher ist als man zu glauben vermag. Es war anfangs etwas verwirrend, den Kontext der Geschichte herauszufinden, doch nach und nach ergibt das ganze einen Sinn. Bald müssen vier Menschen zusammen in einem Haus abseits der Zivilisation leben und versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Durch die ausgefeilte Schreibweise der Autorin haben wir das präzise Bild der Landschaft, des Anwesens und auch der Eigenheiten seiner Bewohner vor Augen, die sie abwechselnd in den einzelnen Kapiteln zu Wort kommen und über ihre Sichtweise berichten lässt.

Wohl ganz bewusst hat die Autorin den Fokus auf das Zusammenleben der Personen und deren Überleben gesetzt, denn was in der weiteren Umgebung und in anderen Ländern geschieht, wird nicht erwähnt. Die Spannung wird dadurch aufrecht erhalten, dass man als Leser ständig darüber nachdenkt und rätselt, wie lange der alte Grandy noch lebt und was nach seinem Tod passieren wird. Wie sieht das Leben der drei jungen Menschen in der Zukunft aus? Wird sich ihre Situation einmal ändern?

Fazit: Ein sehr emotionaler Roman der aufrüttelt und uns zeigt, wohin die bisherige Mentalität der Gleichgültigkeit führen wird. Wir müssen unsere Einstellung zur Natur ändern, bevor es zu spät ist. Meine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 27.04.2023

Es braucht wenig, um zufrieden und glücklich zu sein

Das Leben ist gut
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Seit fünfundzwanzig Jahren sind Max und Tina schon verheiratet, jetzt sind sie zum ersten Mal getrennt. Tina ist in Paris, wo sie eine Gastprofessur erhalten hat, während sich Max um die drei halbwüchsigen ...

Seit fünfundzwanzig Jahren sind Max und Tina schon verheiratet, jetzt sind sie zum ersten Mal getrennt. Tina ist in Paris, wo sie eine Gastprofessur erhalten hat, während sich Max um die drei halbwüchsigen Söhne kümmert. Er betreibt eine kleine Bar, wo sich abends die Stammgäste aus allen Gesellschaftsschichten der Stadt treffen, und ist nebenbei auch noch Schriftsteller. Max vermisst seine Frau samt ihrer Schrullen und Marotten. Voller Liebe denkt er an sie, während er seine täglichen Arbeiten verrichtet. Er ist glücklich mit seinem Leben, so wie es ist. Veränderungen mag Max nicht, er liebt seine Heimat, die große weite Welt kommt ja in den Erzählungen seiner Freunde und Gäste zu ihm - mehr braucht er nicht für ein zufriedenes Leben …

Alex Capus ist ein Schweizer Schriftsteller, der 1961 in Frankreich als Sohn einer Schweizerin und eines Franzosen geboren wurde. 1966 zog seine Mutter mit ihm in die Schweiz, wo er später an der Universität Basel Geschichte, Philosophie und Ethnologie studierte. 1994 veröffentlichte er seinen ersten Erzählband - Kurzgeschichten, historische Reportagen und Romane folgten, für die er etliche Auszeichnungen erhielt. Mit seinem Roman „Léon und Louise“ war er 2011 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Geschichtlich überlieferte Tatsachen recherchiert er sorgfältig und verknüpft diese gerne mit fiktiven Geschichten, die oft in der Schweiz spielen. Der Roman „Das Leben ist gut“ (2016) enthält einige Details, die Rückschlüsse auf Capus‘ eigenes Leben zulassen. Der Autor ist verheiratet und Vater von fünf Söhnen. Er lebt heute als freier Schriftsteller in Olten/Schweiz.

Wie wohltuend einmal ein Buch zu lesen, in dem der Protagonist nicht nach dem Sinn des Lebens sucht oder seine diversen Probleme zu bewältigen hat. Der Reiz dieses Romans besteht darin, dass wir den Protagonisten eine Woche lang durch sein ganz normales, unspektakuläres Leben begleiten. Er lässt uns teilhaben an seinen Gesprächen mit Freunden und Gästen und an seinen Gedanken über das alltägliche Glück, über schöne Erinnerungen und die innige Liebe zu seiner Familie. Er erinnert sich auch an vergangene Tage, an alte und neue Freundschaften und lässt uns fühlen, dass er mit sich und der Welt im Reinen ist. Es geschieht nicht viel in diesem Leben, aber das merkt man als Leser eigentlich erst, wenn man das Buch am Schluss mit einem angenehmen, zufriedenen Gefühl zuklappt.

Fazit: Ein kleines feines Buch, das Ruhe ausstrahlt und wohltuend zu lesen ist.

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