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Veröffentlicht am 20.05.2022

Familie – die Last tragen die Frauen …

Die Wut, die bleibt
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„Haben wir kein Salz?“ Dieser beiläufig beim Abendessen dahin geworfene Satz war für die dreifache Mutter Helene der Anlass, wortlos aufzustehen, auf den Balkon zu gehen und sich vom fünften Stock in die ...

„Haben wir kein Salz?“ Dieser beiläufig beim Abendessen dahin geworfene Satz war für die dreifache Mutter Helene der Anlass, wortlos aufzustehen, auf den Balkon zu gehen und sich vom fünften Stock in die Tiefe zu stürzen. Zurück bleibt die geschockte Familie, Ehemann Johannes, die fünfzehnjährige Lola, der vier Jahre alte Maxi und Lucius, der gerade mal 18 Monate alt ist. Wie zuvor Helene überfordert war, ist es nun ihre Familie. Wie soll es weiter gehen? In der Not springt Helenes beste Freundin Sarah ein, die selbst keine Kinder hat und dank ihrer Selbstständigkeit auch zeitlich dazu in der Lage ist. Vorübergehend nur, wie sie meint, um ihre eigene Beziehung nicht zu gefährden …

„Die Wut, die bleibt“ ist der vierte Roman der 1983 in Hallstein bei Salzburg geborenen österreichischen Schriftstellerin Mareike Fallwickl. Bereits ihr zweiter Roman „Dunkelgrün, fast schwarz“ schaffte es auf Platz 8 der ORF-Bestenliste und war für den Österreichischen Buchpreis nominiert. Die Autorin lebt heute mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Hof bei Salzburg.

Wut, ja, blanke Wut war es, die mich beim Lesen begleitete. Wut auf Helene, die ihre Kinder im Stich ließ, Wut auf Sarah, die dann klaglos Helenes Mutterpflichten übernimmt, Wut auf Johannes und die Männer allgemein, die zu viel von ihren Frauen fordern und selbst im Haushalt nicht mithelfen, und Wut auf die Jugendlichen die glauben, Probleme mit brutaler Gewalt lösen zu können.

Ein Buch das aufrüttelt, erschüttert, und das, da man vieles nicht widerspruchslos hinnehmen kann, zum Diskutieren herausfordert. Der Schreibstil der Autorin gefällt mir außerordentlich gut, denn man kann sich sehr gut in die einzelnen Personen und die geschilderten Örtlichkeiten hinein versetzen. Inhaltlich hätte ich allenfalls zu bemängeln, dass der männliche Teil der Bevölkerung hier durchweg schlecht wegkommt. Sie sind meist ignorant, selbstsüchtig oder gar gewalttätig, wenn sie denn mal zu Hause sind. Ein Lichtblick ist am Ende des Buches in der Danksagung der Autorin, wo sie ausdrücklich ihrem Mann dankt, dass er sich die Fürsorgepflicht für die Kinder mit ihr teilt und sie in Gleichberechtigung leben. Ja, es gibt sie noch, besonders unter den Jüngeren, die netten Männer - was wohl ihren Müttern und deren Erziehung zu verdanken ist.

Etwas ungewollt Heiteres möchte ich noch erwähnen, das wohl beim Korrekturlesen übersehen wurde: S. 219 im Buch: Johannes kommt nachts betrunken nach Hause und ist mit dem Auto gefahren. Sarah macht ihm deshalb Vorwürfe: „Du Arschloch“, flüstert sie, du kannst nicht einfach so viel trinken, du hast doch Verantwortung!“ „Deswegen trinke ich ja!“, sagte er, viel zu laut und donnernd. „Genau deswegen!“ Er drückt sich an ihr vorbei ins Bad, schlägt Sarah die Nase vor der Tür zu. Ich fand diesen letzten Satz, trotz aller Tragik, zum Schmunzeln.
Fazit: Kein Roman zum Wohlfühlen, sondern eine Geschichte die nachdenklich macht, zu Diskussionen anregt und die hoffentlich moderne Mütter dazu veranlasst, ihre Söhne zu nicht zu verhätscheln, sondern zu verantwortungsvollen Männern zu erziehen. Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 15.05.2022

Was ist Glück?

Die Definition von Glück
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Zwei Frauen um die Fünfzig - Clarisse in Paris und Ève in New York. Sie kennen sich nicht, ihr Leben verlief in verschiedenen Bahnen - und doch haben sie eine Gemeinsamkeit. Clarisse wuchs als Einzelkind ...

Zwei Frauen um die Fünfzig - Clarisse in Paris und Ève in New York. Sie kennen sich nicht, ihr Leben verlief in verschiedenen Bahnen - und doch haben sie eine Gemeinsamkeit. Clarisse wuchs als Einzelkind auf, heiratete früh, trennte sich bald wieder, wurde von den Männern ausgenutzt und musste viele Schicksalsschläge hinnehmen. Ève hingegen wuchs sehr behütet auf, hatte drei Brüder und ist seit vielen Jahren mit Paul glücklich verheiratet. Eines Tages erhält sie einen Anruf aus Paris …

Die französische Autorin Catherine Cusset wurde 1963 in Paris geboren, wo sie auch ihre Jugend verbrachte. Sie studierte an der Universität Paris Diderot und an der Yale University, wo sie jeweils einen Doktortitel erwarb. Von 1991 bis 2002 unterrichtete sie an der Yale University französische Literatur des 18. Jahrhunderts, bevor sie sich ganz dem Schreiben zuwandte. Inzwischen schrieb sie zahlreiche Romane, die besonders in Frankreich großen Anklang fanden und vielfach ausgezeichnet wurden. Seit 30 Jahren lebt sie in den USA und wohnt mit ihrem amerikanischen Ehemann und ihrer Tochter in Manhattan – ihre Sommer verbringt sie in der Bretagne.

Der Roman „Die Definition von Glück“ lässt uns sehr intensiv teilhaben am ereignisreichen Leben zweier sehr unterschiedlichen Frauen und deren verschiedenen Auslegungen von Glück. Während eine ihr Glück in vielen wechselnden Beziehungen sucht, schätzt die andere ihre beständige Partnerschaft. Zunächst verlaufen ihre Lebenswege getrennt voneinander, bis ein Zufall ihr Schicksal miteinander verknüpft und einige Jahre parallel laufen lässt.

Den Schreibstil empfand ich zu Beginn der Geschichte als sehr schlicht und einfach, was sich jedoch mit fortlaufendem Geschehen wohltuend änderte. Die Ausdrucksweise wurde präziser und anschaulicher und erzeugte somit ein wunderbar klares Bild der Menschen und ihres Umfelds. Nicht immer waren mir die Protagonisten sympathisch, doch immer sind sie lebensecht beschrieben. Der Roman verursacht eine Achterbahnfahrt der Gefühle, Hochs und Tiefs wechseln ab und man schwankt ständig zwischen Komik und Tragik. Neben der Suche nach Liebe und Glück, neben Enttäuschung und häuslicher Gewalt, lässt uns die Autorin ganz nebenbei auch am Zeitgeschehen teilhaben. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 sind ebenso in die Handlung eingeflochten wie Mee-Too, Präsidentenwahl in den USA und Auswirkungen der Corona-Pandemie.

Fazit: Ein interessanten Buch mit vielseitigen Themen, das ich gerne weiter empfehle!

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Veröffentlicht am 08.05.2022

24 Stunden der Entscheidung …

Der Papierpalast
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Wie jedes Jahr verbringt Elle Bishop mit ihrer Familie den Sommer auf Cape Cod im „Papierpalast“, einer heruntergekommenen Ansammlung von Ferienhütten, die ihr Großvater einst erstellt und innen mit Pappe ...

Wie jedes Jahr verbringt Elle Bishop mit ihrer Familie den Sommer auf Cape Cod im „Papierpalast“, einer heruntergekommenen Ansammlung von Ferienhütten, die ihr Großvater einst erstellt und innen mit Pappe ausgekleidet hatte. Elle ist jetzt 50 Jahre alt, glücklich verheiratet mit Peter, mit dem sie drei Kinder hat. Wie jedes Jahr wird mit Freunden gefeiert, doch diesmal ist etwas anders. Elles Jugendfreund Jonas, mit dem sie ein dunkles Geheimnis verbindet, verbringt nach vielen Jahren wieder seinen Urlaub auf dem Cape, diesmal zusammen mit seiner Frau Gina. Und während drinnen Familie und Freunde fröhlich feiern, haben draußen Elle und Jonas im Schutz der Dunkelheit zum ersten Mal Sex. Elle ist verwirrt als sie entdeckt, dass sie ihren Mann liebt und sich nach Jonas sehnt. Sie wird sich entscheiden müssen …

„Der Papierpalast“ ist der erste Roman der US-Amerikanerin Miranda Cowley Heller, die bisher Serien bei HBO entwickelte. In ihrer Jugend verbrachte sie jeden Sommer auf Cape Cod. Heute lebt sie in Kalifornien.

Es braucht schon eine gewisse Lebenserfahrung, um diese Geschichte richtig zu verstehen und ein Verständnis für die zwiespältigen Gefühle unserer Protagonistin zu entwickeln. Die Autorin war bereits Mitte 50 als sie dieses Buch schrieb – vorher ging es nicht, wie sie selbst sagt. Doch nun ist es ihr perfekt gelungen, diesen Zwiespalt zwischen Pflichtbewusstsein und Sehnsucht nach Veränderung zu beschreiben, der aufkommt, wenn man die Lebensmitte bereits erreicht hat. Es braucht viel Mut sein Leben zu ändern, denn man könnte diesen Schritt vielleicht später bereuen – doch genau so viel Mut ist auch nötig, alles beim alten zu belassen.

Einen Tag hat Elle Bishop Zeit sich zu entscheiden - 24 Stunden, in denen sie auch über ihr bisheriges Leben, ihre Familie und ihre Kindheit nachdenkt. Wir erfahren vom Verhältnis zu ihrer älteren Schwester Anna, von ihren Großeltern, von den ständig wechselnden Beziehungen ihrer Eltern und von Stiefvätern und Stiefgeschwistern. Heitere, unbeschwerte Momente wechseln sich ab mit Demütigungen, sexuellen Übergriffen, Vergewaltigung, Inzest und Mord. Neben diesen Schattenseiten des Lebens lässt uns die Autorin auch teilhaben an glücklichen Momenten: wir verbringen unbeschwerte Stunden in flirrender Sommerhitze am Strand, wir streifen durch unberührte Wälder und schwimmen mit den Fischen im malerischen kühlen See. Dieser Kontrast und die wortgewaltige Sprache ist es, was diesen Roman so einzigartig und lesenswert macht. Als Leser hat man ständig das Gefühl, auf eine Katastrophe zuzusteuern und selbst das Ende ist so gekonnt formuliert, dass jeder sich seine eigenen Gedanken machen und für sich den passenden Schluss finden kann.

Fazit: Dieses Buch kann ich der reiferen Leserschaft uneingeschränkt empfehlen – für mich war es ein Highlight.

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Veröffentlicht am 03.05.2022

Mensch und Natur in den Pyrenäen

Singe ich, tanzen die Berge
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Ein Gewitter in den Bergen kann tödlich enden, das musste Bauer Domènec am eigenen Leib erfahren – doch für die Hinterbliebenen geht das Leben weiter, mal beschwerlich, mal besinnlich und oft auch gelöst ...

Ein Gewitter in den Bergen kann tödlich enden, das musste Bauer Domènec am eigenen Leib erfahren – doch für die Hinterbliebenen geht das Leben weiter, mal beschwerlich, mal besinnlich und oft auch gelöst und heiter. Die Natur fordert von jedem ihren Tribut, darüber können die Berge, die Wolken, der Wind und die Tiere ein Lied singen – und die Verstorbenen und die Geister des Waldes erzählen dazu ihre magischen Geschichten.

Ein verwirrendes Kaleidoskop mystischer Begebenheiten und rätselhafter Rückblicke macht den Leser in vielen kurzen Kapiteln mit der Familie und den Freunden des toten Domènec bekannt. Sie alle leben in einem kleinen Dorf in den Pyrenäen, nahe der französischen Grenze, wo das Leben beschwerlich ist und die Natur noch die Vorherrschaft hat. Oft schweifen die Gedanken ab, berichten von Hexenverbrennung im 17. Jhdt., vom spanischen Bürgerkrieg oder gar in einer Bildergeschichte von der Entstehung der Pyrenäen.

„Singe ich, tanzen die Berge“ ist der zweite Roman der jungen katalanischen Autorin Irene Solà, der 2020 mit dem Europäischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde.

Fazit: Ein sehr poetisches Buch in einer experimentellen Sprache, in vielen kurzen Episoden, deren Sinn und Zusammenhang sich nur ganz allmählich erschließt.

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Veröffentlicht am 30.04.2022

Aufstieg und Absturz …

Die Schuld
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Der junge Anwalt Clay Carter war bisher in Washington D.C. nur als Pflichtverteidiger tätig, als er vom Vater seiner Freundin Rebecca das Angebot eines besser bezahlten Jobs erhielt. Er lehnte ab, da er ...

Der junge Anwalt Clay Carter war bisher in Washington D.C. nur als Pflichtverteidiger tätig, als er vom Vater seiner Freundin Rebecca das Angebot eines besser bezahlten Jobs erhielt. Er lehnte ab, da er nicht vom Wohlwollen ihrer begüterten Eltern abhängig sein wollte. Es kam zur Trennung. Einige Tage später bekam er von einem Unbekannten namens Max Pace das lukrative Angebot, für einen großen Pharmakonzern, dessen Medikament vermutlich bisher unbescholtene Bürger zu Mördern machte, einen raschen Vergleich mit den Angehörigen der Opfer zu schließen. Es gelang ihm und Clay Carter wurde über Nacht zum Millionär. Als er daraufhin von einem ähnlichen Fall erfuhr, begann er sich auf Sammelklagen zu spezialisieren. Ein Vergleich mit dem Hersteller des Medikaments verhalf ihm zu etwa 100 Millionen Dollar. Mit dem plötzlichen Wohlstand änderte sich auch sein Leben …

Der US-amerikanische Schriftsteller John Grisham, geb. 1955, ist Rechtsanwalt und Politiker der Demokratischen Partei. Er schreibt hauptsächlich Kriminalromane und Thriller mit juristischem Hintergrund, die meist auf den Bestsellerlisten erscheinen. „Die Schuld“ aus dem Jahre 2003 war wochenlang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste zu finden.
„Wenn deiner der mit Mühe kaum, gekrochen ist auf einen Baum, schon meint dass er ein Vogel wär, so irrt sich der“ (Wilhelm Busch) - treffender kann man den Plot kaum beschreiben, als mit diesem Zitat von Wilhelm Busch. Ein junger Anwalt, bisher nur Pflichtverteidiger, erhält eine einmalige Chance. Er kommt zu Geld, viel Geld, und hat großen Erfolg. Dieser steigt ihm zu Kopf, er entwickelt sich zum Krösus und gibt das Geld mit vollen Händen aus. Das geht eine gewisse Zeit gut, dann rächt sich das Schicksal …

Das Spannende an diesem Roman ist nicht nur der Aufstieg und Fall des Protagonisten, sondern der Einblick in die Machenschaften der Rechtsanwälte, die der Autor hier charakterisiert. Die in den USA gängige Praxis der Sammelklagen ist für die Betroffenen meist nur Augenwischerei, das große Geld wird von den Anwälten verdient. Ich fand es sehr interessant darüber zu lesen und mutig von Grisham in dieses Wespennest zu stechen. Trotz einiger Längen und vieler Fachbegriffe eine unterhaltsame Lektüre.

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