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Veröffentlicht am 11.11.2020

Macht, Gewalt, Geld und Korruption

Der stumme Zeuge
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Sao Paulo/Brasilien: Olavo Bettencourt hat alles im Leben erreicht - er ist Inhaber einer bedeutenden Werbeagentur, hat eine bildhübsche Frau und einen Sohn, der einmal seine Nachfolge antreten soll, und ...

Sao Paulo/Brasilien: Olavo Bettencourt hat alles im Leben erreicht - er ist Inhaber einer bedeutenden Werbeagentur, hat eine bildhübsche Frau und einen Sohn, der einmal seine Nachfolge antreten soll, und er ist mit allen bekannten Persönlichkeiten von Politik und Wirtschaft befreundet, für die er ihre dunklen Geschäfte abwickelt und dafür lukrative Aufträge erhält. Doch dann erscheint plötzlich ein Inspektor der Bundespolizei mit der Nachricht, seine Limousine wäre überfallen, der Chauffeur erschossen und sein Sohn entführt worden. Aber es war nicht sein Sohn, es war der taubstumme Junge seiner Hausangestellten Irene, der sich im Wagen befand. Während Bettencourts Frau Mara entsetzt und fassungslos reagiert, will er diesen Umstand für seine Zwecke ausnutzen und fasst einen perfiden Plan …

Der Autor Edney Silvestre wurde 1950 in Brasilien geboren und ist in seinem Heimatland ein bekannter Journalist und Fernsehmoderator. Nach mehreren Jahren als Korrespondent in New York lebt er heute wieder in Brasilien. „Der stumme Zeuge“, 2011 im Original erschienen, ist sein zweiter Roman.

Wer einen klassischen Kriminalroman erwartet, wird wohl enttäuscht werden. Die Entführung eines Kindes ist hier der Aufhänger, um die korrupten Machenschaften von Politik, Finanzwelt und Polizei in Brasilien gegen Ende der 1980er Jahre aufzuzeigen. Es gibt keine Ermittlungen, und die wahren Verbrecher sind eher die Herren der Elite als die kleinen Gangster. Was uns der Autor bietet ist eine unterhaltsame Analyse der Klüngelwirtschaft zwischen den einzelnen Interessengruppen und eine interessante psychologische Studie menschlichen Verhaltens in Stresssituationen. Das Geschehen spielt sich innerhalb zwei Tagen ab, unterbrochen von gelegentlichen Rückblenden, wechselt rasch zwischen den verschiedenen Protagonisten und Schauplätzen und zeichnet somit eine Momentaufnahme im Leben verschiedener Gesellschaftsschichten. Da der kriminalistische Teil leider nur als Nebenstory mitläuft, hat die Geschichte auch kein richtiges Ende. Für einige Personen war es ein Wendepunkt im Leben, andere haben Veränderungen zu erwarten – ansonsten bleibt alles offen.

Fazit: Unterhaltsame Story über die korrupten Verhältnisse in Brasilien Ende der 1980er Jahre. Die Bezeichnung „Kriminalroman“ fand ich irreführend, daher von mir Punktabzug.

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Veröffentlicht am 05.11.2020

Rache ist süß GmbH

Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte
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Nach dem Tod der Mutter muss der engherzige und geldgierige Kunsthändler Victor Alderheim, der durch Erbschleicherei zu seinem Vermögen kam, für seinen unehelichen und dazu noch dunkelhäutigen Sohn Kevin ...

Nach dem Tod der Mutter muss der engherzige und geldgierige Kunsthändler Victor Alderheim, der durch Erbschleicherei zu seinem Vermögen kam, für seinen unehelichen und dazu noch dunkelhäutigen Sohn Kevin sorgen. Unnütze Geldausgaben, die ihm mit der Zeit lästig sind. So fliegt Victor kurzerhand mit Kevin nach Afrika und setzt ihn in der Savanne aus, wo er vom Medizinmann Ole Mbatian als der lang ersehnte, und nun von Gott gesandte, Sohn entdeckt und aufgenommen wird. Dort unter den Massai fühlt Kevin sich wohl, bis er Jahre später am Ritual der Beschneidung teilnehmen soll. Das gefällt ihm absolut nicht, und so machte er sich auf den Weg in seine alte Heimat Schweden, nicht ohne vorher noch als Andenken und Zahlungsmittel für unterwegs zwei Bilder seines Ziehvaters mitzunehmen. Auch Ole macht sich auf den Weg nach Schweden, er will seinen Sohn wieder haben. In Stockholm treffen sie sich und mit Hilfe von Hugo Hamlin, Geschäftsführer der „Rache ist süß GmbH“, schmieden sie einen Plan, um sich an Victor Alderheim zu rächen …

Der schwedische Autor Jonas Jonasson wurde 1961 in Växjö/Småland geboren. Nach seinem Studium in Göteborg arbeitete er 20 Jahre lang als Journalist und selbständiger Medienberater, bis er nach Ponte Tresa im Tessin an den Luganersee zog, wo sein erstes Werk „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ entstand. Seit Herbst 2011 lebt Jonasson mit seinem Sohn wieder in Schweden. Er schrieb noch drei weitere Romane, die allesamt viel Beachtung fanden. „Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte“ ist das fünfte Buch Jonassons.

Eine herrlich verrückte Geschichte voller Situationskomik, die uns der Autor hier serviert. Wir erleben die Jagd nach zwei (real existierenden) millionenschweren Gemälden der deutsch-afrikanischen Künstlerin Irma Stern und einen irrwitzigen Rachefeldzug, bei dem sich die Ereignisse schier überschlagen. Skurrile Figuren, von denen die meisten trotz ihrer Schrullen und Verschrobenheit doch recht liebenswert sind, bevölkern das Geschehen. Der unverwechselbare Schreibstil des Autors, erfrischend schlicht gehalten und immer passend zu seinem ganz eigenen sarkastischen schwarzen Humor, fesselt den Leser und lässt ihn aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus kommen. Auch für ausreichend Spannung ist gesorgt, denn für Geld gehen manche Zeitgenossen auch gerne mal über Leichen.

Fazit: Ein MUSS für Freunde des schwarzen Humors und eine Empfehlung für Leser, die nicht alles für bare Münze nehmen.

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Veröffentlicht am 31.10.2020

Gefährlicher Widerstand

Nachtzug
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SS-Rottenführer und KZ-Aufseher Hans Keppler hat zwei Wochen Weihnachtsurlaub, den er in der polnischen Kleinstadt Sofia verbringt. Er ist psychisch am Ende, kann und will nicht mehr ins Lager zurück, ...

SS-Rottenführer und KZ-Aufseher Hans Keppler hat zwei Wochen Weihnachtsurlaub, den er in der polnischen Kleinstadt Sofia verbringt. Er ist psychisch am Ende, kann und will nicht mehr ins Lager zurück, zu viel hat er gesehen und erlebt. Er vertraut sich deshalb einem Priester an, schildert ihm seine Nöte. Zusammen mit den beiden Ärzten Dr. Jan Szukalski und Dr. Maria Duszynska entwickeln die vier einen Plan, wie sie Hans helfen und gleichzeitig den deutschen Besatzern schaden können – Hans soll eine Fleckfieber-Erkrankung vortäuschen, die sich dann zur Epidemie ausweiten soll. Etwa zur selben Zeit versammelt sich in einer Höhle eine Gruppe von Widerstandskämpfern. Sie wissen, was nachts in den versiegelten Zügen nach Auschwitz transportiert wird und planen, einen Zug zu überfallen und die dem Tod geweihten Menschen darin zu befreien. Ihre Aktivitäten bleiben nicht unentdeckt und gefährden ungewollt den Plan einer vorgetäuschten Fleckfieber-Epidemie …

Barbara Wood wurde 1947 in Warrington bei Liverpool geboren, wanderte aber 1954 mit den Eltern und ihrem älteren Bruder in die USA aus und wuchs in Südkalifornien auf. Nachdem Besuch der High School in Los Angeles schrieb sie sich an der University of California in Santa Barbara ein, um das Hauptfach Französisch mit dem Nebenfach Anthropologie zu studieren. Seit 1980 ist sie hauptberuflich als Schriftstellerin tätig und schrieb zahlreiche Romane, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden. Die Heldin fast jeder Geschichte ist eine emanzipierte Frau. Ihre Bücher spielen an den unterschiedlichsten Schauplätzen, die sie vor dem Schreiben genau recherchiert und meist mit ihrem Mann George auch aufsucht.

Mit dem Roman „Nachtzug“ zeigt die Autorin eine andere Facette ihres vielseitigen Könnens. Auf eindrückliche, höchst lesenswerte Weise verbindet sie ein Kapitel dunkelster Zeitgeschichte mit einem Romangeschehen, in dem alles überzeugt und nichts konstruiert wirkt. Der Schreibstil ist lebendig und flüssig, Ereignisse und Begebenheiten des aktiven und passiven Widerstandes gegen den Terror der Nazis sind dabei realitätsnah und stimmig erfasst. Es ist ein Denkmal für alle, die im Krieg ihr Leben lassen mussten und zugleich ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit, gegen Hass und Feindseligkeit. Das Buch endet in der Gegenwart mit einer erfreulichen Begegnung, die den Leser nach dieser doch sehr traurigen und bedrückenden Geschichte wieder hoffnungsvoll stimmt.
Fazit: Empfehlenswert für Leser, die an der Geschichte des II. Weltkrieges interessiert sind.

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Veröffentlicht am 24.10.2020

In Würde sterben …

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
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Ursprünglich hatte sich Fred Wiener, als er sich zum ehrenamtlichen Sterbebegleiter ausbilden ließ, seine Tätigkeit viel leichter vorgestellt, denn gleich bei seiner ersten Aufgabe läuft einiges schief. ...

Ursprünglich hatte sich Fred Wiener, als er sich zum ehrenamtlichen Sterbebegleiter ausbilden ließ, seine Tätigkeit viel leichter vorgestellt, denn gleich bei seiner ersten Aufgabe läuft einiges schief. Karla Jenner-García, die an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist, hat genaue Vorstellungen darüber, wie sie die ihr noch verbleibende Zeit verbringen will – und dabei ist Fred ihr zunächst eher hinderlich als hilfreich. Wesentlich hilfreicher für die ehemalige Fotografin hingegen ist Phil, Freds 13jähriger Sohn, den sie mit der Aufgabe betraut, ihre umfangreiche Negativ-Sammlung zu digitalisieren. Ihm hat es Fred auch zu verdanken, dass sein Kontakt zu Karla wieder hergestellt wird, nachdem seine Bemühung, der Sterbenden noch eine letzte Überraschung zu bereiten, gründlich danebengegangen ist. Endlich wird er von Karla akzeptiert und auch das Verhältnis zu seinem Sohn bessert sich zusehends. Zwischen den drei so unterschiedlichen Menschen entsteht eine tiefe Verbundenheit …

Susann Pásztor ist eine deutsche Schriftstellerin. Sie wurde 1957 als Tochter eines ungarischen Vaters und einer deutschen Mutter in Soltau geboren. Sie studierte Kunst und Pädagogik und arbeitet heute als Autorin, Übersetzerin und Illustratorin in Berlin. In der Stiftung Lazarus-Diakonie Berlin erhielt sie eine Ausbildung und ist seit den 2010er-Jahren im ambulanten Hospizdienst ehrenamtlich tätig. „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ ist ihr dritter Roman, für den sie 2018 den Evangelischen Buchpreis erhielt.

Es ist schon erstaunlich, wie man über eine so schwierige Materie so leicht und locker schreiben kann. Die Autorin versteht es ausgezeichnet dem Thema Sterbebegleitung, das sehr gerne verdrängt wird, seine Natürlichkeit zu geben und den Leser unbefangen damit vertraut zu machen. Die Vergänglichkeit unseres Daseins, Krankheit und Tod, gehören zum Leben und werden hier unaufdringlich, ohne Pathos und mit sehr viel Feingefühl behandelt. Gelegentlich eingestreute humorvolle Begebenheiten lockern auf, regen zum Schmunzeln an und nehmen den Ereignissen die Schwere. Die einzelnen Charaktere sind sehr lebensecht und realistisch ausgearbeitet, unvollkommen wie im richtigen Leben. Die Autorin hat ein feines Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen und lässt die Geschichte optimistisch ausklingen.

Fazit: Ein schönes, ein berührendes Buch, dem ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung geben kann.

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Veröffentlicht am 17.10.2020

Auf der Suche nach sich selbst …

Ada
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Mit ihrer Familie hat Ada schon vor Jahren gebrochen, aber um ihren Bruder wieder zu sehen geht sie ins Theater, es ist der 9. November 1989, der Tag des Mauerfalls. Sie verfehlt ihn, lässt sich dann alleine ...

Mit ihrer Familie hat Ada schon vor Jahren gebrochen, aber um ihren Bruder wieder zu sehen geht sie ins Theater, es ist der 9. November 1989, der Tag des Mauerfalls. Sie verfehlt ihn, lässt sich dann alleine von den Massen durch die Straßen Berlins schieben und hängt ihren Gedanken nach. Wer ist sie, wo gehört sie hin? Sie ist jetzt 45 Jahre alt, in Argentinien aufgewachsen, lebt aber seit ihrem 9. Lebensjahr wieder in Berlin - aber ist sie hier auch zu Hause? Um ihre Identität zu klären und zu sich selbst zu finden begibt sie sich in die Hände eines Psychologen, dem sie nach und nach ihre Lebensgeschichte erzählt …

Der Autor Christian Berkel ist ein bekannter deutscher Schauspieler. Er wurde 1957 in West-Berlin geboren und ist mit der Schauspielerin Andrea Sawatzki verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne.

In seinem erstem Roman „Der Apfelbaum“ aus dem Jahr 2018 beschreibt Berkel die Geschichte seiner Familie und setzt sich dabei mit Eltern und Großeltern auseinander. Sein zweiter Roman „Ada“ ist als Fortsetzung seiner Familiengeschichte gedacht, wobei es sich bei der Protagonistin Ada um eine fiktive Person handelt, denn Berkel hat keine Schwester. Laut Aussage des Autors ist das Ganze als Trilogie geplant und ein dritter Teil bereits in Bearbeitung.

Es ist Adas Lebensgeschichte die sie nun, 45jährig, bei einem Psychologen aufarbeitet. Sie ist planlos und unzufrieden mit ihrem Leben, zerrissen von Ängsten und Zweifel über ihre Herkunft und ohne Perspektive für die Zukunft. Sie leidet unter dem Schweigen der Eltern, weiß nichts über die NS-Zeit, weiß nicht wie ihre jüdische Mutter den Krieg überstand und wie ihr Vater die Gefangenschaft überlebte. Sie erlebt das Wirtschaftswunder, den Mauerbau und die Studentenrevolten der 68er-Jahre, macht Erfahrungen mit Drogen und fliegt 1969 nach Amerika, um drei Tage in Woodstock dabei zu sein.

Dieses Buch zu beurteilen fällt mir nicht leicht. Dass der Autor schreiben kann hat er hier wieder bewiesen, dennoch konnte mich die Geschichte nicht packen. Wenn in dieser Familie nicht über die Vergangenheit geredet wurde, dürfte es sich wohl eine Ausnahme handeln und man muss es so hinnehmen. (In anderen Familien, so auch in meiner, war die NS-Zeit und ihre Folgen durchaus ein Thema.) Adas Lebensgeschichte, die sie in Ich-Form dem Leser selbst erzählt, fand ich in Ansätzen tatsächlich interessant, störend und verwirrend jedoch waren für mich die rasanten Zeitsprünge und Adas teils bizarren Gedankengänge. Ebenso seltsam fand ich den Schluss, der wohl das Interesse auf eine Fortsetzung wecken soll.

Fazit: Ein Buch das unterhält und durch seine Thematik den Leser zum Nachdenken anregt.

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