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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.12.2020

Die Last der Schuld begleitet dich ein Leben lang

Der letzte Papierkranich - Eine Geschichte aus Hiroshima
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Ein kleiner, feiner Papierkranich- das ist alles, was Ichiro bei Keiko lässt, ein Hinweis, ein Zeichen, ein Versprechen. Bis heute verfolgt Ichiro dieses Ereignis, als die Atombombe unvorhergesehen Hiroshima ...

Ein kleiner, feiner Papierkranich- das ist alles, was Ichiro bei Keiko lässt, ein Hinweis, ein Zeichen, ein Versprechen. Bis heute verfolgt Ichiro dieses Ereignis, als die Atombombe unvorhergesehen Hiroshima zerstörte und somit das bisher bekannte Leben. Alles, was bleibt ist eine Geschichte, die ihn bis heute begleitet und das Gefühl der Schuld, das unsagbar auf seinen Schultern lastet.

Mit einem unglaublichen Feingefühl und einer Mischung aus Prosa und Romantext nähert sich Kerry Drewery mit "Der letzte Papierkranich" dieser unvergesslichen Stunde, als ein Großteil der Stadt Hiroshima dem Erdboden gleich gemacht wurde. Fein recherchiert, voller bildlicher Details und mit einer erschreckenden Nähe zu den Ereignissen skizziert die Autorin die Geschichte von Ichiro und eben auch das Hier und Jetzt. Ein Wechselbad der Gefühle, zwischen Hoffen und Bangen, dabei immer nah an den Charakteren und dem Weg, den diese zurücklegen durchs Leben. Zwischendurch hat mich die schonungslose Brutalität der Schilderungen aus dem Moment gerissen und dazu geführt, dass ich innehalten musste, um dem Gelesenen seinen Raum zu geben. Dieser Roman hat mich wahrlich überrascht und meine Erwartungshaltung übertroffen. Eine Empfehlung für alle, die historisch orientierte Romane lieben, emotionale Prosatexte und sich entführen lassen wollen in eine Welt, in der Papierkraniche den letzten Halt geben

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Veröffentlicht am 08.12.2020

Clash der Kulinarik

Dreck
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Was bedeutet eigentlich Haute Cuisine? Und wo liegt der Ursprung der französischen Küche? Was braucht es, um zu den Spitzenköchen der Welt zu zählen? Definitiv ein Ausflug nach Lyon, die Chance eine Kochlehre ...

Was bedeutet eigentlich Haute Cuisine? Und wo liegt der Ursprung der französischen Küche? Was braucht es, um zu den Spitzenköchen der Welt zu zählen? Definitiv ein Ausflug nach Lyon, die Chance eine Kochlehre anzustreben und somit die Geschichte der Kulinarik neu zu erfinden.

Und diesen Mut besitzt Bill Buford, Autor von "Dreck" und tendenziell Alleskönner, Alles Tester und ein Mann, der Herausforderungen sucht. New Yorker Starautor, Liebhaber diverser Küchen und Familienvater. Er stellt sich der Herausforderung in der Spitzenklasse der französischen Küche Fuß zu fassen und packt dafür kurzerhand Kind und Kegel zusammen, verlässt New York und ohne weitere Planung begibt er sich nach Lyon, ein zuerst kleiner Ausflug des Genuss der zu einem jahrelangen Abenteuer in der Ferne wird. Zwischen Baguette und Hummertürmchen arbeitet sich Bill Buford durch diverse Küchen, Gänge und Spezialitäten, vom Kartoffel schälen über Filetieren- er stellt sich jeder Herausforderung. Nahbar und amüsant erfährt der Leser nicht nur mehr über die Tiefen und zugleich Abgründe der französischen Küche, bekommt hautnah und visuell die Zubereitung diverser Gerichte vorgeführt, sondern erfährt zugleich mehr über das Leben von Bill Buford, gefühlt ohne Distanz, denn ich konnte mittendrin mitfiebern, bei allen Hochs und Tiefs, die die kleine Familie durchläuft.

Mich hat vor allem der Erzählstil gefesselt, einnehmend wie ein guter Freund, der eine wirklich interessante, vielschichtige Geschichte erzählt voller Emotionen und Inbrunst und du dabei schlichtweg mitfiebern musst. Es ist eine Geschichte voller Mut, dem Gefühl, dass sich dranbleiben immer lohnt und dass manchmal alles aufgegeben werden muss, um sich komplett neu zu entdecken. Streckenweise etwas langatmig, aber wie ein guter Wein, der über die Zeit reift. Eine Empfehlung alle, die schon einmal einen Einblick in das Leben hinter den Mauern einer Küche werfen wollten, die kulinarische Reportagen zu schätzen wissen, gepaart mit Aspekten eines Romans in Hinblick auf die Protagonisten und die Lyon bis dato vollkommen unterschätz haben.

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Veröffentlicht am 06.12.2020

Willkommen bei der Bank Ihres Vertrauens

Die Liebe Geld
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Hatten Sie schon einmal eine unangenehme Begegnung mit einem Vertreter der Bank Ihrer Wahl? Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass Sie nicht das bekommen am Automaten, was Sie eigentlich wollten? War ...

Hatten Sie schon einmal eine unangenehme Begegnung mit einem Vertreter der Bank Ihrer Wahl? Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass Sie nicht das bekommen am Automaten, was Sie eigentlich wollten? War Ihre Bank Ihnen gegenüber schon einmal übergriffig und haben Sie sich nicht schon einmal gefragt, was die Bank eigentlich alles so über Sie und Ihr privates Leben weiß, sowie welchen Mehrwert das System daraus schöpfen kann?

Wenn alle diese Fragen getrost mit "Nein" beantwortet werden können, dann kommt Ihnen "Die Liebe Geld" von Daniel Glattauer tatsächlich wie eine süffisante Komödie vor, die eine utopische Welt beschreibt, von der wir meilenweit, nein Lichtjahre entfernt zu sein scheinen. Wenn jedoch die oberen Fragen eher ein "Ja" hervorlocken und die eine oder andere Begegnung tatsächlich bereits zum Nachdenken angeregt hat, dann ist der Roman eine bitterböse Skizzierung einer erstaunlichen realen, zukunftsorientierten Welt und für eben diese kurze, aber nachdrückliche, literarische Ohrfeige in das Gesicht unser freiheitsorientierten, selbstständigen Gesellschaft kann ich Daniel Glattauer gegenüber nur meinen Hut ziehen.

In eben diesem Manifest sieht sich Alfred mit der Situation des nahenden Hochzeitstages konfrontiert und möchte dafür entsprechend Geld aus seinen Ersparnissen abheben. Was als kleines Missverständnis beginnt endet in einer weitaus größeren Skizzierung dessen, was die Bank unseres Vertrauens in der Zukunft für uns in petto haben könnte und das ist weit mehr als nur eine Bereitstellung des Geldes.

Bitterböse, scharf gezeichnet und raffiniert gestrickt führt Daniel Glattauer den Leser in die neue Welt der Banken, gefüllt mit, für mich, vielen realen Stricken, die er fulminant utopisch zu Ende strickt, die somit ein so faszinierendes und zugleich erschreckendes Bild ergeben, dass ich immer noch hinterfrage, ob ich gerade bei der richtigen Bank bin und was "richtig" in diesem Zusammenhang überhaupt noch bedeuten kann. Eine Empfehlung für alle, die bereits den einen oder anderen Zweifel am Bankensystem hegen, die bitterbösen Humor lieben und scharfe Dialoge gepaart mit skurrilen Inhalten zu schätzen wissen.

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Veröffentlicht am 06.12.2020

Ein Roman, der abseits allem bisher Bekannten wandelt

Malvita
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Ich beschreibe mich selbst als einen Menschen, der relativ gut Krimis entschlüsseln kann. Ich wäge alle Fakten ab, studiere die einzelnen Protagonisten, suche zwischen den Zeilen nach versteckten Botschaften ...

Ich beschreibe mich selbst als einen Menschen, der relativ gut Krimis entschlüsseln kann. Ich wäge alle Fakten ab, studiere die einzelnen Protagonisten, suche zwischen den Zeilen nach versteckten Botschaften und wenn es nicht allzu komplex ist, kann ich zumindest eine grobe Einschätzung abliefern was das wahre Gesicht der Geschichte betrifft, was die Intention hinter der Storyline ist und im Endeffekt wie eins zum anderen kam.

In dem Fall von "Malvita" von Irene Diwak muss ich zugeben, dass ich bis zum Schluss und über den Schluss hinaus ahnungslos geblieben bin, denn ihre Geschichte, die Erzählart, sowie die Protagonisten, allen voran Christina, sowie ihre Charakterzüge- das alles hat sich zu einem Spinnennetz verwoben, in dem ich gefühlt mit meiner kleinen Ahnung nur eine Fruchtfliege am Rand gewesen zu sein scheine, die das große Ganze, das wahre Böse nicht annähernd begreifen kann.

Christina reist nach Malvita zur Hochzeit ihrer Cousine, die sie bisher nicht wirklich kennt, sowie den ganzen restlichen Familienzweig, aber es ist eine gefundene Abwechslung für sie in diesem Moment und ihr fotografisches Talent ist gefragt, sodass sie diesen Job nicht ablehnen kann. Sie stößt in Malvita auf eine Riege dominanter Frauen in ihrer Verwandschaft, die alle ihr eigenes Ziel verfolgen und als Christina langsam die Zeichen zu deuten weiß, steht sie bereits selbst mit dem Rücken zum Abgrund.

Ein skurriles Ereignis reiht sich an das nächste, nichts ist durchschaubar, kein roter Faden erkennbar. Irene Diwak wirbelt alles durcheinander, überrascht, verblüfft und hinterlässt sprachlose Leser. Ich konnte mich beim Lesen von dem beklemmenden Gefühl nicht lösen permanent im falschen Film zu sein. Unbequem, unangenehm und auf ironische Art und Weise süffisant begleitet der Leser Christinas Reise durch ihre eigene Familie, die Laster der Vergangenheit und Entscheidungen für die Zukunft. Eine Empfehlung für alle, die sich auf eine außergewöhnliche, komplizierte Geschichte einlassen wollen, die schwarzen Humor zu schätzen wissen und die Skurilles nicht scheuen.

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Veröffentlicht am 06.12.2020

Manchmal ist das Leben an sich die größte Herausforderung

Die Geschichte von Ulrich, der bei Ikea einzog und das Glück fand
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Ich bin der Typ Mensch, der gerne in einem Café sitzt, still und gedankenversunken Menschen beobachtet und es genießt für einen Moment Teil des Lebens der anderen zu sein, wohin auch immer die Wegen der ...

Ich bin der Typ Mensch, der gerne in einem Café sitzt, still und gedankenversunken Menschen beobachtet und es genießt für einen Moment Teil des Lebens der anderen zu sein, wohin auch immer die Wegen der anderen führen mögen. Oder sich im Möbelhaus überlegt, welcher Antrieb die Menschen dorthin bewegt. Ist es ein Umzug, ein Neuanfang oder einfach der Wunsch nach einer kleinen, zarten Veränderung? Ziehen Menschen zusammen oder auseinander oder vergrößert sich die Familie? Es sind eben diese Begegnungen, die auch Ulrich begeistern und er nimmt sich die Zeit eben genau diese kleinen, feinen Momente mitzunehmen und dabei für einen Moment sein eigenes Leben zu vergessen.

Ulrich lässt sich als ein Junggeselle mittleren Alters beschreiben, der in einer Wohnung lebt, die er nicht unbedingt liebt, einen Job ausübt, der ihn nicht glücklich macht und als dann auch noch kurz nacheinander seine Eltern versterben, Ulrich seinen Job verliert und das Leben somit gefühlt aus der Verankerung reißt, sieht sich Ulrich einer ganz neuen Herausforderung gegenüber: dem Leben.

"Die Geschichte von Ulrich, der bei Ikea einzog und das Glück fand" von A.S. Dowidat ist eine sanfte Geschichte, zart und leicht und nimmt den Leser mit auf eine Reise eines empathischen Menschen mit Namen Ulrich, mit dem sich sehr viele Leser ein Stück weit identifizieren können oder zumindest jemanden kennen, der Ulrich gleicht. Es fehlt ihm an Mut und Aufgeschlossenheit das Leben bei den Hörnern zu packen, was aber dringend notwendig wäre und so flüchtet er in den Ikea seiner Wahl, entgeht der Welt und somit auch dem Schmerz des Verlustes, dem Schmerz über das ein stück weit eigene, verkorkste Leben. Das Ganze liest sich zeitweise wie eine Parabel, ein Gleichnis, eine Reise zu sich selbst die Ulrich unternimmt und dabei die Menschen in seinem Umfeld neu sieht, neu bewertet und schlussendlich bereit ist, sich dem Leben zu stellen. Eine kleine, kurzweilige Geschichte, die mich dennoch nachträglich bewegt hat, eben einer dieser Romane, die zwar nicht durch epische Sprachgewandtheit glänzen, jedoch vielmehr durch die sehr treffenden Aussagen und der ungewöhnlichen Kontextsetzung. Eine Empfehlung für alle, die offen sind für eine achtsame Reise zu sich selbst, die aus der Beobachtung von Menschen sehr viel ziehen können und die es lieben, kleine, feine Geschichten über das Leben zu lesen, die einen zum Lächeln bringen.

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