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Julia_Matos

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.03.2022

Glaubwürdige, atmosphärische und informative Zeitgeschichte

Unter dem Roten Stern
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Dies ist ein zeitgenössischer Roman im Stil einer Familiensaga über Leben, Lieben und Arbeiten in der Sowjetrepublik Estland und weiterer Regionen des Baltikums in den 1970ern und 1980ern.
Die Autorin ...

Dies ist ein zeitgenössischer Roman im Stil einer Familiensaga über Leben, Lieben und Arbeiten in der Sowjetrepublik Estland und weiterer Regionen des Baltikums in den 1970ern und 1980ern.
Die Autorin Ira Habermeyer schildert aus der Sicht der jungen Frauen Lagle und Sigrun und der mittelalten Männer Arvo und Enn. Chronologisch, mit gelungenen kursiv gedruckten Einschüben zu prägenden Erlebnissen aus der Vergangenheit. Beleuchtet werden einerseits Liebe, Begehren, Eifersucht, Kultur, Sehnsüchte, Statusdenken und psychische Traumata, andererseits Auswirkungen von Parteientscheidungen und russischer Einflussnahme.

Emotionen werden auf bodenständige Weise vermittelt. Alle Figuren haben ihre Fehler und Macken. Man kann sich hineinversetzen. Erlebnisse und Empfindungen wirken authentisch. Es dominiert eine Stimmung der Melancholie und des Bedauerns, mit Lichtblicken und Ausblicken auf eine mögliche bessere Zukunft. Arvo ist meine Lieblingsperspektive.
Naturgeprägte, bescheidene Orte anstatt die große Weltbühne stehen im Fokus. Wenn demgegenüber Veranstaltungen mit Glamour stattfinden, wird der Kontrast deutlich. Die Atmosphäre ist gut spürbar.

Kleine Schwächen sehe ich darin, dass die Geschichte tempo- und actionarm ist und die Spannungskurve schwankt. Die Sogwirkung hängt von der Offenheit und Wissbegierde der/des jeweiligen Lesenden ab. Der Tonfall wirkt manchmal etwas bieder. In neueren Werken versteht sich die Autorin auf einen direkteren Zungenschlag.

Meine Kenntnisse und mein Verständnis rund um die Geschichte, Kultur und Lebensart Osteuropas haben sich mithilfe der Romane von Ira Habermeyer und Silvia Hildebrandt nachhaltig verbessert. Dabei hilft auch ein Glossar. Ich habe dank der vermittelten Leidenschaft zudem Lust bekommen, Land und Leute persönlich kennenzulernen.
Vor dem Hintergrund des Tagesgeschehens rund um die Ukraine wirkt das Buch brandaktuell.

Das Hardcover-Buch mit Lesebändchen hinterlässt einen hochwertigen Eindruck.

Band 1 der „Himmel-Erde-Schnee–Saga“ endet offen. Erkennbar werden die tiefgründigen Hauptfiguren so in Stellung gebracht, dass Band 2 der Dilogie eine fulminante Weiterentwicklung auf persönlicher und politischer Ebene erwarten lässt. Ich freue mich drauf. Bewertung: 4 Sterne +

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Veröffentlicht am 17.03.2022

Reizvoller Alternate-History-/Nahe-Zukunft-/Mystery-/Urban-Fantasy-Krimi mit offenem Ende

Geistkrieger: Feuertaufe
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Eine Todesfallserie in Verbindung mit spirituellen Mächten erschüttert die Gegend und die sog. Geistkrieger ermitteln. Dabei wechselt die Erzählperspektive zwischen den Teammitgliedern sowie Opfern. Besonders ...

Eine Todesfallserie in Verbindung mit spirituellen Mächten erschüttert die Gegend und die sog. Geistkrieger ermitteln. Dabei wechselt die Erzählperspektive zwischen den Teammitgliedern sowie Opfern. Besonders ist die neuartige Verortung in einem alternativen Nordamerika, das nie kolonialisiert wurde. Dies äußert sich auf anregende Weise: Hochtechnologie, Abschottung, daneben ein hoher Stellenwert der Tier- und Pflanzenwelt, Naturreligion, Ahnenlehre, Mystik, Spiritualität. Die Andersartigkeit macht Freude und ist stets spürbar, in Alltag, Wirtschaft und Siedlungsgestaltung, und macht die Reihe definitiv zu etwas Besonderem.

Ein weiterer Pluspunkt ist, dass das Privatleben der Protagonisten eine große Rolle spielt, aufregenden Wandlungen unterworfen ist und neugierig auf die weitere Entwicklung macht. Mich reizt besonders der Verlauf rund um Finnley, Taima und Chenoa. Die ersten beiden habe ich bereits in der optionalen kostenlosen Novelle, die zeitlich der Hauptgeschichte vorangestellt ist, kennen und lieben gelernt. Es gibt voreingenommene, argwöhnische sowie boshafte Gegenspieler und schwer auszurechnende Nebenfiguren, die angenehm zum Miträtseln animieren.

Die Geschichte wirkt bildhaft, sprachlich gelungen und lässt sich flüssig lesen. Der Verlauf ist schwer vorhersehbar. Die Spannungskurve schwankt, hält sich immer auf einem guten Niveau.

Achtung, der Roman ist nicht eigenständig. Das Ende liefert Zwischenergebnisse, lässt viele Fragen offen, fällt ziemlich abrupt aus. Es gilt, sich „Libellenfeuer“ zu besorgen, um zu erfahren, wie es in der Mordserie und in den Beziehungen der Charaktere weitergeht. Ich möchte das Lesen der Geisterkrieger-Reihe fortsetzen. Gerne mehr von Taima, sie kam diesmal sehr kurz. Bewertung: 4 Sterne +

Ergänzt wird die Geschichte von Sonja Rüther um eine Kurzgeschichte von Markus Heitz mit beachtlicher Länge (79 % bis 99 %). Lose angebunden an die „Geistkrieger“, aber mit anderer Verortung (Japan) und Figuren. Hätte man auch anderweitig platzieren und losgelöst lesen können. Fühlt sich an wie ein Agenten-Thriller, ist reich an futuristischen Elementen, Tempo, Action und Wendungen, enthält zudem Humor, ist abgeschlossen, auch hierfür Dank und Daumen hoch.

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Veröffentlicht am 22.02.2022

Visionäres, spannendes, atmosphärisches Zukunftsszenario mit Sogwirkung

Athos 2643
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Dies ist ein SF-Ermittler-Thriller/-Krimi im Stil von „Drohnenland“ und „Hologrammatica“ von Tom Hillenbrand, der in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes ist, mich bestens unterhalten und zum Nachdenken ...

Dies ist ein SF-Ermittler-Thriller/-Krimi im Stil von „Drohnenland“ und „Hologrammatica“ von Tom Hillenbrand, der in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes ist, mich bestens unterhalten und zum Nachdenken angeregt hat.

Die Handlung ist räumlich (kleiner, karger, lebensfeindlicher Neptunmond) und figurenmäßig begrenzt. Es ist erstaunlich, wie es dem Autor Nils Westerboer gelingt, eine komplexe, schwer vorhersehbare und wendungsreiche Geschichte zu erzählen und auf jeder Seite Science-Fiction-Flair zu versprühen. Die Stimmung ist angespannt bis bedrohlich, aufgelockert durch gelegentlichen ansprechenden (nicht flachen) Humor.

Personale Erzählerin im ungewohnten Präsens ist eine künstliche Intelligenz, die den Ermittler unterstützt und das Bildnis einer schönen jungen Frau annehmen kann. Sie agiert scharfsinnig, charmant, mit trockenem Humor und ist Veränderungen unterworfen. Der entstehende Blickwinkel auf das Szenario und ihren „Schützling“ ergibt (ähnlich der Killerbot-Romane von Martha Wells) einen faszinierenden Erzählstil.
Ein weiteres Herausstellungsmerkmal bildet die lebenserhaltende KI des Mondes, die umerzogen werden soll und sich dagegen zur Wehr setzt.
Rüd ist ein engagierter Ermittler mit Ecken und Kanten, verletzlich und mit Vergangenheit. Er wirkt sehr individuell und ich habe ihn in seiner unperfekten Art ins Herz geschlossen.
Die wenigen Mondbewohner wirken vielschichtig, bergen viele Rätsel und Überraschungen.
Man findet hier also eine grandiose Figurenzeichnung bis in die Nebenrollen.
Originell sind auch die Auszüge aus fiktiven Fach- und Geschichtsbüchern.

Neben einer spannenden Rahmenhandlung in detailreich-atmosphärischem, gut greifbarem Umfeld werden auch philosophische Fragestellungen, zum Beispiel zu Religion und zu Unterschieden zwischen Mensch und KI, aufgegriffen. Die technischen Ideen haben zudem meinen Horizont erweitert. Erhaltene Denkanstöße haben Anspruch und werden mich noch länger begleiten.
Die Wortgewandtheit erzeugt Assoziationen zum prämierten Autor Clemens J. Setz.

Zur Verständlichkeit und zum Adressatenkreis: Für mich (studiert, technikaffin, aber ohne naturwissenschaftlichen/technischen Beruf, SF-Leserin seit 5,5 Jahren) war es herausfordernd. Der Autor denkt aktuelle Technik weiter und erfindet viele Begriffe, erläutert diese bei erstmaliger Erwähnung oder im angehängten Glossar. Nicht immer verfestigt sich das sofort. Herumblättern hemmt manchmal den Lesefluss. Den Schwierigkeitsgrad sehe ich bei etwa 6,5 von 10, nicht ideal für Neulinge im SF-Genre.

Ob das durchaus realistische Zukunftsszenario eher Dystopie oder Utopie ist, muss am Ende jede Leserin und jeder Leser selbst entscheiden. Die letzten Zeilen des Romans sind nicht meins, was aber Geschmackssache ist. Das Buch lässt keine Fortsetzung erwarten. Ich habe es gierig verschlungen. Ein Highlight meines Lesejahres 2022! Mein erster Roman von Nils Westerboer wird sicherlich nicht mein letzter gewesen sein.

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Veröffentlicht am 08.02.2022

Mix aus Unterhaltung, politischem Statement und Ratgeber für eine von einer künstlichen Intelligenz gesteuerte Weltordnung

Pantopia
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Das Buch beschreibt im personalen Erzählstil über einen Zeitraum von etwa drei Jahren erste Schritte hin zu einer neuen Weltordnung, mit der ersten echten Künstlichen Intelligenz als Initiator und Steuerzentrale.
Achtung, ...

Das Buch beschreibt im personalen Erzählstil über einen Zeitraum von etwa drei Jahren erste Schritte hin zu einer neuen Weltordnung, mit der ersten echten Künstlichen Intelligenz als Initiator und Steuerzentrale.
Achtung, dieses Buch politisiert sehr stark und ist keine typische Belletristik, mit der man dem Alltag entflieht. Vom Leser wird erwartet, sich mit aktuellen globalen Problemen und Ungerechtigkeiten und mit Thesen zu deren Verbesserung auseinandersetzen zu wollen. Die Autorin Theresa Hannig sympathisiert erkennbar mit Fridays for Future, Extinction Rebellion, Diversity-Bewegungen usw.. Diese Haltung und dazugehörige Reden und Ansprachen werden in die Protagonisten projiziert und in die Handlung eingebettet. Meine Meinung dazu ist zwiegespalten. Einerseits trifft es den Zeitgeist, mit vielem gehe ich konform und ich mag die spürbar dahinter stehende Leidenschaft. Andererseits nimmt der Stil streckenweise belehrende, aufdringliche Züge an und macht Figuren und Abläufe vorhersehbar (Schwarz-Weiß-Zeichnung). Über allem schwebt eine utopische Stimmung/Vorahnung. Oft gelingen schwierige Vorhaben zu leicht. Mehr Thrill wäre möglich gewesen. Einwände geraten zu kurz: Gefahren künstlicher Intelligenz, Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle, Gegenwehr der Politik, Wirtschaft und anderer Kulturen und Religionen werden angeschnitten und hätten mehr Raum verdient.
Ich mochte besonders die dahinter stehenden neuartigen Ideen (z. B. Kapitalismus als Schlüssel zum Erfolg). Einblicke in die KI-Entwicklung und Kommunikation sind von großartigen Gleichnissen und Humor geprägt.
Wissenswert ist noch, dass der Roman niedrigschwellig angelegt ist, flüssig lesbar ohne Vorkenntnisse.
Fazit: Die Schwerpunktsetzung war nicht ganz meins. Mehr Überraschungen, mehr kritisches Auseinandersetzen, weniger Penetranz und Propaganda hätte ich mir gewünscht. Aber insgesamt habe ich es doch gern, mit Spannung, Interesse und Spaß gelesen und viel genickt, daher vergebe ich knappe vier Sterne.
Lesetipps: Netzkind-Trilogie von Jens Eckhardt, Singularity von William Hertling, Singularity von Joshua Tree.
Nachtrag: Der Roman animiert zum Austausch und zu anregenden Diskussionen. Die Botschaften hallen spürbar und auf positive Weise nach. Dafür Daumen hoch.

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Veröffentlicht am 16.12.2021

Band 1 von 2: Langatmig, unfehlbare Heldin, fraglicher Fokus, USA-fixierter Weltenbau

Die Berechnung der Sterne
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Erzählt wird ein Alternate-History-Szenario in den 1950ern der USA: Was wäre, wenn die Erschließung des Weltraums nötig wäre, um das Überleben der Menschheit zu sichern? Nachdem mich „NSA – Nationales ...

Erzählt wird ein Alternate-History-Szenario in den 1950ern der USA: Was wäre, wenn die Erschließung des Weltraums nötig wäre, um das Überleben der Menschheit zu sichern? Nachdem mich „NSA – Nationales Sicherheits-Amt“ von Andreas Eschbach und der Film „Hidden Figures“ begeisterten, hatte ich große Erwartungen an „Die Berechnung der Sterne“.

Der Roman ist leicht und flüssig lesbar. Ich-Erzählerin Elma führt durch die actionarme, aber nie langweilige Handlung. Es fällt mir schwer, mich mit ihr zu identifizieren. Mathematisches Genie wurde ihr in die Wiege gelegt, sie ist engagiert, eine tolle Ehefrau und Verwandte, denkt ständig herzensgut. Sie hat Angst, vor größeren Gruppen zu sprechen, brilliert dann aber doch. Kurzum: Zu perfekt. Der Ehemann genauso. Es wirkt zu wenig authentisch und offenherzig und macht zudem den Verlauf vorhersehbar.

Elmas Mikrokosmos fühlt sich insbesondere mittig zu langatmig an. Man erfährt wenig davon, was sonst so auf der Erde passiert. Millionen sterben, die Menschheit steht vor dem Abgrund. Was wird abseits vom Astronautenprogramm unternommen? Man erwartet Katastrophenszenarien, gewinnt aber den Eindruck, dass sich an Lebensumständen, Problemen (z. B. Oberflächlichkeit) und Zukunftsplanungen kaum etwas geändert hat oder kein Interesse daran besteht.
Beschwerden über Diskrimierung von Schwarzen und Frauen bilden einen elementaren und wertvollen Bestandteil der Handlung, wirken aber manchmal zu einseitig und gewollt. Vielleicht hätte man reizvollen Nebenfiguren mehr Raum geben sollen.

Der Roman endet offen. Es ist unklar, wann die deutsche Übersetzung von Band 2 von 2 (im Englischen: The Fated Sky) veröffentlicht wird. Ich hätte mir vorab eine Kennzeichnung gewünscht.
Lob dafür, dass die Autorin im Nachwort offenlegt, bei welchen Aspekten sie von der Realität abwich und an welche realen Persönlichkeiten einige Figuren angelehnt sind.

Fazit: Intention grandios, Umsetzung zu gewollt, Blickrichtung eng, Figuren mit gefühlt zu wenig Ecken und Kanten und zu vielen Luxusproblemen, streckenweise mehr Tempo oder Action wünschenswert, Cliffhanger mit interessantem Ausblick.
Trotz aller Kritik könnte ich mir vorstellen, Band 2 zu lesen - gefühlt geht es jetzt so richtig los und ich bin neugierig, wie es weitergeht.

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