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Julia_Matos

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.10.2018

Hoffnung und Dramen im Hamburg und Wien des Jahres 1893/94

Eine neue Zeit
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Ich empfehle, vorher Band 1 gelesen zu haben.
Band 2 spielt im Zeitraum Januar 1893 bis Februar 1894 rund um die Mitglieder der Familie Hansen.
Beim Auftaktband war ich sehr schnell in die Atmosphäre eingetaucht ...

Ich empfehle, vorher Band 1 gelesen zu haben.
Band 2 spielt im Zeitraum Januar 1893 bis Februar 1894 rund um die Mitglieder der Familie Hansen.
Beim Auftaktband war ich sehr schnell in die Atmosphäre eingetaucht und hatte alle Erlebnisse mit großer Spannung mitverfolgt. Die in Kamerun spielenden Szenen waren damals besonders intensiv für mich.
So leicht fiel es mir diesmal nicht, obwohl ich die vorangegangenen Geschehnisse trotz fehlender Inhaltszusammenfassung wieder schnell präsent hatte.
Die Sorge um ein älteres krankes Familienmitglied konnte mich leider nicht mitreißen. Luises Gedanken und Gefühle rund um Geschlechterrollen drehen sich gefühlt viel im Kreis. Zwar nachvollziehbar, aber mit Längen behaftet.
Schade, dass sich in Kamerun zwar Dramatisches abspielt, dies aber nur vergleichsweise nüchtern in Briefen verarbeitet wird. Und damit auch das Thema Europäische Kolonialzeit und das Leben in den Stämmen weniger emotional und einprägsam wiedergegeben ist. Da Ellin Carsta ohnehin den auktorialen Erzählstil verwendet, wäre ein Trip in die Ferne eigentlich kein Problem und kein Geheimnisverrat gewesen und hätte um Dramatik, Exotik, Bildgewalt und Wissensschatz bereichern können. So habe ich eben meine eigene Vorstellungskraft bemüht.
Etwa ab der Hälfte hat mir die Geschichte besser gefallen. Emotional getragen insbesondere durch Karl (unschuldig in seinem Inneren zerrissen), Frederike (man wünscht ihr einfach Glück bei allem, was sie sich wünscht) und Luise (die leider verhärmt ist und mir zuletzt besser gefiel, was aber an der ihr zugedachten Rolle im Gesamtgefüge des Werks liegt).
Mir gefällt die ausgestrahlte subtile Erotik. Die Intrige wäre bestimmt spannender, wenn der Klappentext offener gestaltet wäre. Einiges gestaltet dich leider vorhersehbar.
Naturgemäß ist der Mitfühlfaktor am höchsten, wenn es um Liebe und die Existenz anstatt um das Erlangen von mehr Ansehen oder Geld geht.
Lobend hervorheben möchte ich noch, dass ich mich durch die Umgebungsbeschreibungen gut ans Ende des 19. Jahrhunderts zurückversetzt fühle.
Band 3 möchte ich lesen. Ein bisschen fies ist der Cliffhanger, den hätte ich nicht gebraucht, weil ich auf die weitere Entwicklung der Hansens und ihrer Liebsten ohnehin neugierig bin.
Ich würde mir wünschen, dass in der Fortsetzung die Motive der „Bösewichte“ mehr gewürdigt werden, um das Schwarz-Weiß-Schema stärker zu durchbrechen.

Veröffentlicht am 24.09.2018

Liebe im Ersten Weltkrieg – berührend

In der Nacht weint meine Stadt
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Diese Novelle erzählt eine Geschichte um Liebe im Krieg, die im Roman „Was wir zu hoffen wagten“ vorkommt, ausführlicher. Die Liebenden Godelieve und Scott sind dort Nebenfiguren.
Liest man beides, ist ...

Diese Novelle erzählt eine Geschichte um Liebe im Krieg, die im Roman „Was wir zu hoffen wagten“ vorkommt, ausführlicher. Die Liebenden Godelieve und Scott sind dort Nebenfiguren.
Liest man beides, ist man gespoilert für’s andere Werk.
Ich habe zuerst den dicken Roman gelesen und unter Unterhaltungs- und Lernaspekten sehr genossen. Es ist spürbar, dass Michaela Saalfeld sich auskennt und mit Leidenschaft schreibt.
Die Figuren in der Novelle finde ich liebenswert. Godelieve und Scott wirken lebendig. Sie sind zu Beginn gewissermaßen desillusioniert vom Leben. Es ist berührend, wie sie sich als Liebespaar, um das herum der Weltkrieg tobt, gegenseitig Kraft verleihen. Wobei mir die weibliche Innensicht etwas zu kurz kam, über ergänzende andere Perspektiven aber dennoch mein Herz erreicht wurde.
Fietje, 12 Jahre alt im Jahr 1914, Bewohner der umkämpften belgischen Stadt Ypern, hat bei mir schon mit den ersten Zeilen Sympathiepunkte gesammelt. Aufbauend wirkt sein frecher Tonfall und wie er seinen Beitrag leistet und hieran wächst (Zitat: „… weil ich seither weiß, wer ich bin.“). „Wuffkank“ mochte ich ohnehin schon zuvor.
Schön, dass die Autorin die kapitelweise wechselnde Perspektive sprachlich je nach Alter und Intellekt der Figur ausschmückt.
Eindringliche Umgebungsbeschreibungen. Im Mittelpunkt des Krieges verortet und damit psychologisch hart. Zum Mitfühlen anregend. An der Grenze zum Kitsch vorbeischrammend.
Ich nehme an, dass die harten Fakten, nämlich das Schicksal der belgischen Stadt Ypern, nach einmaligem Lesen im Gedächtnis hängenbleiben.
Ein Stern Abzug, weil ich vergeblich auf einen Wow-Effekt gewartet habe. Das Spannungslevel war dadurch gemindert, dass ich von Beginn an wusste, wie es für alle Figuren ausgeht.

Veröffentlicht am 16.09.2018

Ach so, logisch, Autor 1 und Autor 2 haben einen kleinen Humor gemacht …

Instabil - Die Zukunft ist Schnee von Gestern
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Spoiler enthalten Ein würdiger Trilogie-Abschluss, der den roten Faden erkennen lässt. Figuren, die ein Gefühlschaos durchmachen, dabei ihrem Charakter treu bleiben und nachvollziehbar handeln. Mitfiebern, ...

Spoiler enthalten Ein würdiger Trilogie-Abschluss, der den roten Faden erkennen lässt. Figuren, die ein Gefühlschaos durchmachen, dabei ihrem Charakter treu bleiben und nachvollziehbar handeln. Mitfiebern, bangen, rätseln, spekulieren, erschüttert sein, sich freuen, lachen – man bucht bei Büchern von Thariot und Sam Feuerbach eine unterhaltsame Gefühlsachterbahnfahrt.
Besonders habe ich mich diesmal über das Kennenlernen eines liebenswerten Haudegens gefreut, der in Band 1 und 2 nur erwähnt wurde. Dieses Warten hat sich gelohnt. Siggi lässt uns - mal spaßig, mal tiefsinnig - an seiner sich verändernden Weltanschauung teilhaben. Auch an ein bisschen Dystopie - was in einem Zeitreise-Thriller nicht fehlen sollte - wurde gedacht. Und natürlich gibt’s einen aufregenden Showdown. Dass (Nah-)Toderfahrungen im Laufe der Trilogie an Brisanz verlieren, ist nicht schlimm, denn der Erzählstil mit wechselnden Perspektiven wirkt positiv auf die Dramatik. Unsicherheitsfaktoren, Wendungen und neue Ideen halten die Spannung bis zum Schluss hoch.
Zu dem Ende verbleibt mein Eindruck, dass hier nichts erzwungen werden sollte. Es wird nicht für alle Figuren ein klarer Abschluss skizziert. Vielmehr wird es den verbliebenen Charakteren überlassen, ihre Zukunft selbst zu gestalten. Das wirkt auf mich absolut stimmig.
Wie unterschiedlich die Zeitreisenden mit ihrer Instabilität umgehen, vermittelt für geneigte Leser unterschwellig eine Moral.
Die vielfältigen neckischen Dialoge - mit und ohne Siggi - bilden mein Highlight. Gut vorstellbar, dass für so manche leicht überspitzte Darstellung das ehemalige berufliche, vor allem aber das private Umfeld hergehalten hat. Kompliment an die Ehefrauen und Töchter, die sie zu solchen Frauenverstehern geformt haben. Überlasst die Vogelhäuschen aber bitte anderen Leuten und schreibt jetzt und in Zukunft bitte einfach weiter. Sehr gern auch gemeinsam.

Veröffentlicht am 16.09.2018

Breit gefächerter Kenntniszuwachs, gute Orientierungshilfe

Welt in Gefahr
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Seit Längerem habe ich kein Polit-Sachbuch gelesen. Als 30-jährige politisch Interessierte stille ich meinen Wissensdurst ansonsten durch gelegentlichen Polit-Talk im TV, die lokale Zeitung und Internetmedien. ...

Seit Längerem habe ich kein Polit-Sachbuch gelesen. Als 30-jährige politisch Interessierte stille ich meinen Wissensdurst ansonsten durch gelegentlichen Polit-Talk im TV, die lokale Zeitung und Internetmedien. Diesmal haben mich Titel und Klappentext spontan angesprochen. Klang danach, als sei hier in einem weiten politischen Spektrum anhand eines einzigen Buches viel Kenntniszuwachs möglich.
Den Autor Wolfgang Ischinger hätte ich bisher nicht zuordnen können. Diesen intelligenten und erfahrenen Wegbegleiter der deutschen und internationalen jüngeren Geschichte kennenzulernen, hat mich sehr gefreut. Weil ich vorrangig abends nach einem anstrengenden Arbeitstag lese, hat mich vor allem positiv eingenommen, dass sich dieses Sachbuch weniger anstrengend lesen lässt als erwartet. Hätte es mir „trockener“ vorgestellt. Sprachlich und stilistisch habe ich keinen Grund zur Beschwerde. Lob an das Lektorat. Der Inhalt stellt sich für den Politik-Laien durchaus anspruchsvoll und komplex dar, ist aber auch durchzogen mit vertiefenden Erläuterungen. Angereichert mit anschaulichen Beispielen aus Ischingers reichhaltigem Diplomatendasein, z. B. seinen Antritt bei der Queen oder wie er DDR-Bürger vom Botschaftssitz in Prag mit dem berühmten Zug in die Freiheit begleitete. Das fand ich faszinierend, spannend, ich konnte mich in Situationen hineinfühlen, es hat Emotionen bei mir hervorgerufen, auch wenn ich zu den meisten Schilderungen keine Zeitzeugin bin. Hierdurch entkommt man zeitweise der Informationsflut „Wer/Wann/Was/Wo“, das Wissen kann sich besser verfestigen. Manches ist auf den eigenen Alltag übertragbar, z. B. Tipps zu diplomatischem und kommunikativem Verhalten.
Mir gefällt, dass die neun Kapitel feingliedrig unterteilt und mit teils unorthodoxen, auflockernden (z. B. „Beziehungsarbeit mit Hundenapf und Cocktailbar“) oder provokanten (z. B. „Irakkrieg 2003 - „Oder sind Sie ein Rassist, Ischinger?““) Unter-Überschriften versehen sind. Hierdurch wurde meine Neugierde geweckt, oft fühlte ich mich animiert, noch ein paar Seiten mehr zu lesen als ursprünglich beabsichtigt.
Erwartungsgemäß ist dieses Sachbuch inhaltlich sehr breit gefächert. Diplomatische Beziehungen und Sicherheitspolitik in Deutschland und Europa sind in den Fokus gestellt, große Abschnitte außerdem den USA und Russland gewidmet. Beleuchtet werden die letzten Jahrzehnte sowie ganz aktuelle Entwicklungen. Krisen, ihre Anfänge, Ursprünge, Wandlungen, Signalwirkungen bestimmter Handlungen, nationale und internationale Abhängigkeiten, prägende Personen. Zu meiner Freude auch Erfolge und Hoffnungspendendes, sodass das Buch nicht emotional völlig „herunterzieht“. Ischinger zeigt argumentierend allerlei Handlungsoptionen und -empfehlungen auf, fasst dabei auch zusammen und schafft Bildnisse. Kritiker könnten augenzwinkernd erwähnen, dass er oft seine eigene Rolle und seine reichhaltigen Beziehungen betont, aber es ist m. E. völlig legitim, seinen Stolz auf diese Weise auszudrücken.
Von Wow-Effekten in den Erkenntnissen und Botschaften kann man schlussendlich nicht sprechen. Typischerweise gibt es kein einfaches Patentrezept. Wer sich sehr viel mit den dargestellten Themen beschäftigt, könnte enttäuscht sein. Ischinger brilliert in seinem Metier. Demzufolge ist z. B. der Klimawandel nur Randthema. Auch nur wenig Raum bekommen Auswirkungen technischer Innovationen, die im Zwiespalt zwischen Sicherheit und Freiheit, in Bezug auf Überwachung und Militär an Bedeutung gewinnen. Trotzdem: Dieses Buch hat einen wertvollen Beitrag geleistet, das Weltgeschehen für mich als Laien etwas mehr zu „entwirren“. Ich fühle mich sensibilisiert und ein kleines bisschen klüger. Dafür vielen Dank.

Veröffentlicht am 14.09.2018

Astronauten, Technik und viel Kawumm

Ganymed Erwacht
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Ein Werk, das mich zwiespältig zurücklässt.
Objektiv betrachtet viele Stärken: gut durchdachter und zum Nachdenken anregender Weltenbau, temporeich, hoher Wert auf wissenschaftlicher und technischer Genauigkeit ...

Ein Werk, das mich zwiespältig zurücklässt.
Objektiv betrachtet viele Stärken: gut durchdachter und zum Nachdenken anregender Weltenbau, temporeich, hoher Wert auf wissenschaftlicher und technischer Genauigkeit und Realismus.
Doch subjektiv hat bei Handlung und Figuren das gewisse Etwas gefehlt, um mich zu fesseln. Nicht so faszinierend originell, amüsant, wendungsreich oder zum Mitfühlen einladend wie z. B. bei Thariot und Edenhofer, die Beschreibungen nicht so lehrreich wie z. B. bei Morris.

In der Vergangenheits- und Er-/Sie-Form schlüpft man kapitelweise wechselnd in den Bewusstseinshorizont von Rachel, Astronautin, und von Theodore, Ex-Polizist, Veteran und Mitglied in einem Söldnerteam in Los Angeles zur Beschaffung zwielichtiger Gegenstände. Die eine Perspektive ist durch Technik und Astronautenumfeld geprägt, in der anderen herrscht viel Flucht und Kampf. Gereifte Persönlichkeiten, mit einer Vergangenheit, die es faszinierenderweise stückchenweise aufzudecken gilt, was Tiefe verleiht. Ich hätte mir eine noch intensivere Charakterzeichnung gewünscht. Über weite Strecken werden die actionreiche Handlung, das düstere und technisch geprägte Umfeld und die wörtliche Rede vergleichsweise nüchtern und ohne deutliche Alleinstellungsmerkmale im Sprach- und Gedankenmuster wiedergegeben. Man kann dies der Authentizität zuschreiben, denn Gefühlsausbrüche sind in der beruflichen Funktion der Hauptfiguren unangebracht. Dennoch bleibt für mich festzuhalten: Sätze, die - teils in der Nachbetrachtung - den emotionalen Ausnahmezustand zu Tage fördern und herzerwärmend wirken, habe ich begierig aufgesogen. Hierbei haben sie Sympathiepunkte gesammelt. Gern hätte ich noch mehr solche Betrachtungen innerhalb der eigentlichen Szenen wahrgenommen, um - insbesondere in Momenten der Lebensgefahr und des inneren Konflikts - intensiv mitzufühlen oder über trockenen Humor zu schmunzeln, anstatt den Verlauf und das Schicksal der Figuren einfach interessiert zu beobachten. Das ist zweifellos Geschmackssache.
Von den Nebenfiguren habe ich mir noch kein genaueres Bild machen können.
Das Buch ist nicht besonders lang, und die Charaktere bergen durchaus Potenzial.

Es gibt 21 Kapitel mit jeweils etwa 15 Minuten Länge, ein angenehmer Turnus. Man kann sich hineindenken und es geht in jedem Kapitel mit spannenden Weiterentwicklungen temporeich zu.
Mir gefällt, dass die Handlung einige Rätsel aufwirft, denn ich mag es, zu spekulieren, z. B. über die Ursachen von Veränderungen, Täter-Identitäten und Beweggründe mysteriöser Figuren.
Atmosphäre wird durch verständliche Beschreibungen von Technischem und dem düsteren Umfeld erzeugt.
Es ist aufmerksames Lesen gefragt, um die Fokussierung (Missionsziele usw.) aufrechtzuerhalten.

Besonderes Lob verdient die Zeitlinie am Ende des Buches. Hier ist kurz, eindrucksvoll und schmerzlicherweise auch realistisch wiedergegeben, welche wesentlichen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen sich laut Weltenbau des Autors Joshua Tree zwischen 2018 und 2058 ergeben. Ich habe es gern gleich zu Beginn des Buches gelesen und so ein gutes Grundverständnis zur bedrohlichen Atmosphäre und dem Machtgefüge rund um vier Großkonzerne erlangt.
Das spoilerfreie Personenregister und ein Glossar sind nützliche Nachschlagewerke.

„Ganymed erwacht“ endet unabgeschlossen. Band 2 der Trilogie erscheint am 1. Juni 2018. Ob meine Neugierde zum Weiterlesen ausreicht, weiß ich noch nicht. Den Autor werde ich weiterverfolgen. Meine drei Sterne sind mit Tendenz zu vier Sternen und in dem Kontext zu verstehen, dass ich sehr viele verschiedene Genres lese.

Als Noch-Sci-Fi-Neuling würde ich für Genre-Einsteiger sowie Leser, die hohen Wert auf Gefühlsschilderungen oder Humor legen, keine Leseempfehlung aussprechen.
Wer eine hohe Affinität zu dystopischer, realitätsnaher und temporeicher Science Fiction mit futuristischer Technik, Kampf- und Astronautenszenen hat, ist hier gut bedient.