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Veröffentlicht am 15.09.2016

Intensiv und eindrücklich

Böse Lügen
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Die Furchen in ihrem Gesicht verschwinden, ihre Wangen wölben sich. Ist sie etwa tatsächlich im Begriff, mich anzulächeln?
"Ich bin vor Angst um dich halb wahnsinnig geworden", sage ich.
Doch kein Lächeln, ...

Die Furchen in ihrem Gesicht verschwinden, ihre Wangen wölben sich. Ist sie etwa tatsächlich im Begriff, mich anzulächeln?
"Ich bin vor Angst um dich halb wahnsinnig geworden", sage ich.
Doch kein Lächeln, jedenfalls noch nicht, vielleicht bloß die Erinnerung daran, dass so etwas früher einmal möglich war. "Ich war doch noch nicht mal vierundzwanzig Stunden eingebuchtet."
"Ich rede von den letzten drei Jahren."
Los, Catrin. Ein halbes Dutzend Schritte auf mich zu, mehr ist nicht nötig. Ich denke tatsächlich, dass sie genau das tun wird, als das Klirren zerberstenden Glases durch den Sturm dringt. Irgendjemand hat unten ein Fenster eingeschlagen.
Dann hören wir die Explosion.
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INHALT:
Catrin, Callum und Rachel leben auf den Falklands, einer Insel mit nur wenigen Einwohnern, und hatten früher einmal viel miteinander zu tun - bis ihnen eine Tragödie dazwischen kam. Nun besteht zwischen ihnen ein Verhältnis geprägt von Hass, Schuld und vergangener Liebe, das ihnen das Leben schwer macht. Als ein Kind verschwindet, das dritte in drei Jahren, ist die Insel in heller Aufregung, und auch Catrin, Rachel und Callum machen sich auf die Suche. Dabei decken sie nicht nur die Geheimnisse der Gemeinschaft auf, sondern auch die, die tief in ihnen schlummern, und so geraten bald alle drei ins Fadenkreuz der Ermittlungen...

MEINE MEINUNG:
Sharon Bolton ist eine Meisterin der intensiven und spannenden Thriller, was sie unter anderem immer wieder mit den Büchern ihrer "Lacey Flint"-Reihe unter Beweis stellt. "Böse Lügen" ist nun nach längerer Zeit mal wieder ein Einzelband, in dem sie sich die stürmische und kühle Kulisse einer Insel ausgesucht hat. Ihr Stil ist gewohnt großartig, voller wunderschöner wie auch bedrückender Beschreibungen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, und dabei immer auf den Punkt genau. Unterteilt ist der Roman in drei Abschnitte, wobei der erste aus der Ich-Perspektive von Catrin, der zweite aus der von Callum und der dritte aus der von Rachel erzählt wird.

Catrin lernt man als eine bereits gebrochene Frau kennen, die über einen schlimmen Verlust vor drei Jahren nie hinweg gekommen ist. Sie wirkt teilweise etwas kalt und unnahbar, sogar skrupellos, was man aufgrund ihrer Vergangenheit aber verstehen kann - und gerade ihre sehr pragmatische Art macht sie so interessant. Callum ist ihr ehemaliger Liebhaber, ein großer, muskulöser Mann, der gerade dadurch umso mehr mit seiner sanften Güte überrascht. Seine posttraumatische Belastungsstörung nach seinem Einsatz als Soldat geben aber auch ihm Ecken und Kanten. Und Rachel, die als Letzte aus ihrer Sicht erzählt, und die man bis dahin als Monster wahrgenommen hat, zeigt einem noch einmal eine völlig neue Perspektive auf, die ziemlich überrascht. Es gibt teilweise ein paar viele Nebenfiguren, bei denen ich zwei Männer partout nicht auseinander halten konnte, der Rest ist aber wie die Protagonisten großartig charakterisiert. Vor allem die Polizistin Skye und Catrins Exmann Ben bestechen durch ihre gute Ausarbeitung.

Schon die Erzählweise, jede Hauptfigur einzeln über die Tage der Suche nach dem dritten verschwundenen Jungen berichten zu lassen, ist etwas Besonderes. So lernt man zum Beispiel Rachel zu einem Zeitpunkt kennen, zu dem man bereits vieles zu wissen glaubt, und wird so damit konfrontiert, einige dieser Schlüsse wieder über Bord werfen zu müssen. Die Atmosphäre ist unglaublich dicht, vor allem durch das tragische Ereignis in der Vergangenheit, aber auch durch Geschehnisse wie die Strandung von Walen an der Küste, die eine schwere Entscheidung nach sich zieht. Parallel zu den fortschreitenden Seiten wird es auch immer hitziger in der Gemeinde - die sich bald einen Verdächtigen sucht und eine regelrechte Hetzjagd veranstaltet, die niemanden unberührt lässt.

Obwohl schnell aufgelöst wird, was vor Jahren eigentlich zwischen Catrin, Callum und Rachel vorgefallen ist, wird es danach nicht weniger spannend. Es bleibt die Frage nach dem Entführer der verschwundenen Kinder, bei der sich die eigenen Vermutungen immer und immer wieder ändern. Viele Überraschungen und Wendungen sorgen dafür, dass es immer spannend bleibt, ohne dass die Ereignisse allerdings je ins Absurde abrutschen. Die Autorin hält grandios die Balance zwischen aufregenden Thriller-Elementen und der emotional bedrückenden Hintergrundgeschichte. Die plausible, unerwartete Auflösung stellt sehr zufrieden, ebenso wie der Ausgang für alle Beteiligten. Und die letzte schockierende Enthüllung ganz am Schluss lässt einen das Buch ganz bestimmt für lange Zeit nicht vergessen.

FAZIT:
"Böse Lügen" ist ein Thriller wie man ihn von Sharon Bolton erwartet: Die unterschiedlichen Figuren mit interessanten Motiven, die atemberaubende Kulisse und der intensive Stil lassen einem kaum Zeit zum Durchatmen, sodass man die Seiten nur so verschlingt. Aufregend, durchdacht und anders. Dafür gibt es 5 Punkte!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Rätselhaft, anders, oft genial

Am Anfang war das Ende
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Als der Jeep mit quietschenden Reifen anhält und die Staubwolke hinter ihm über die Steppe davonwirbelt, rufe ich dem Ganser zu: "Fang mich auf!" Dann stürze ich mich von der Plattform.
Im selben Augenblick ...

Als der Jeep mit quietschenden Reifen anhält und die Staubwolke hinter ihm über die Steppe davonwirbelt, rufe ich dem Ganser zu: "Fang mich auf!" Dann stürze ich mich von der Plattform.
Im selben Augenblick sehe ich, dass er im Jeep sitzen bleibt. Verflixt, denke ich, ich hab's schon immer zu eilig gehabt. Im letzten Moment breite ich die Arme aus und merke zu meiner großen Erleichterung, dass sie tragen. Ich segle einmal um den Jeep und lande ziemlich elegant auf der Motorhaube.
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INHALT:
Erst herrscht eine unendliche Hitze, die alles verbrennt. Dann geht ein Regen nieder, der einer wahren Sintflut gleicht. Und plötzlich ist nichts mehr, wie es war. Die vier Jugendlichen Dinah, Judit, Gabriel und David werden vom Wasser mitgerissen und treiben lange Zeit auf einem Floß, bis sie schließlich an ein Ufer gelangen. Doch die Welt, die sie vorfinden, gleicht einer Wüste, alles ist zerstört und tot. Und sie haben keine Ahnung, wie sie überleben sollen...

MEINE MEINUNG:
Stefan Castas "Am Anfang war das Ende" ist im Original bereits 2010 erschienen und wirkt von der Beschreibung her wie ein Endzeitroman, in dem das Klima verrückt spielt und die gesamte Erde zerstört. Tatsächlich äußern die Charaktere diese Gedanken auch einmal - aber alles stellt sich als ganz anders heraus als es scheint. Der Schreibstil ist sehr umgangssprachlich und jugendlich gehalten, was insbesondere anfangs eine kleine Herausforderung ist. Je weiter die Geschichte voran schreitet, desto mehr gewöhnt man sich jedoch daran und nimmt ihn zuletzt gar nicht mehr wirklich wahr.

Ich-Erzählerin und damit wohl auch Protagonistin ist Judit. Diese zeichnet sich besonders durch ihre Führungsqualitäten aus - während ihre Freundin Dinah anfangs noch den Ton angibt, als alles normal ist, setzt sich Judit nach dem, wie es scheint, Ende der Welt durch. Ihr gelingt es, schnell Verbindungen sowohl zu Menschen als auch zu Tieren aufzubauen, wodurch sie immer wieder Verbündete findet. David wird anfangs als sehr aufbrausend beschrieben, dieser Wesenszug kommt jedoch danach nur noch selten vor - an dieser Stelle wirkte die Figur etwas unfertig. Gabriel ist die gesamte Zeit über der ruhige und vernünftige und somit etwas wie ein Fels in der Brandung, der die Gruppe auch bei Streit zusammenhält; Dinah hingegen setzt sich immer wieder ab, zieht sich in sich zurück und wird einem nie so recht nah. Alle Charaktere, auch später hinzukommende, sind fast ausnahmslos authentisch gestaltet und handeln überwiegend sehr glaubwürdig.

Zu Beginn des Romans - nach dem Prolog jedenfalls, den ich hier nicht vorweg nehmen möchte - wirkt alles ziemlich genau so, wie man sich das vorgestellt hat: Judit führt den Leser in ihre, zugegeben etwas andere, Welt ein, und zeigt ihm ebenso die momentanen Wetterbedingungen auf. Auch der sintflutartige Regen entspricht noch den Erwartungen. Doch sobald die Jugendlichen stranden und sich nach und nach an Land wagen, um den Ort zu erkunden, wird es seltsam. Sehr seltsam sogar. Ein einsames Landhaus, tote und doch nicht so tote Menschen, Müllberge, Ruinen. Immer wieder hören die vier seltsame Geräusche, machen schreckliche Entdeckungen, finden aber auch Verbündete, etwa in dem Schwein Tüchtig. Spannend ist es auf diese Weise durchgehend, während man sich gleichzeitig fragt, worauf genau der Autor denn nun hinaus will.

Eines muss einem vor dem Lesen klar sein: Der Roman verwirrt. Er wirft viele, viele Fragen auf; Fragen, die wichtig sind, die interessant sind, die zum Nachdenken anregen. Aber nicht auf alles wird eine Antwort gefunden. Bei manchem bleiben nur die Spekulationen. Und selbst die Auflösungen ergeben nicht immer Sinn, dafür sind die Erkenntnisse und Enthüllungen zu abstrakt. Wer aber genau so etwas mag, etwas mit einer so abwegige Denkweise und so genialen Ideen anfangen kann, der ist mit diesem Buch gut beraten. Mir jedenfalls hat es gefallen. Und wenn nun noch Teil 2 der Reihe, der 2012 bereits auf Schwedisch erschienen ist, auch auf Deutsch übersetzt wird, dann finden unruhige Leser vielleicht auch auf die letzten Rätsel Antworten.

FAZIT:
"Am Anfang war das Ende" von Stefan Casta spaltet die Welt der Leser, so viel ist klar. Das gesamte Szenario ist verwirrend und stellenweise konfus, rätselhaft und gruselig. Ebenso aber auch spannend und oftmals schlichtweg genial. Es ist abstrakt und es wird definitiv nicht jedem gefallen. Wer seine Schwierigkeiten mit solchen Konstrukten hat, sollte die Finger davon lassen. Allen anderen empfehle ich einen Blick - der Versuch ist es wert. 4,5 Punkte von mir!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Spannend, düster, intensiv

Meine Seele so kalt
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Patrick nickt, und ich sehe die Last, die auf ihm ruht. Er setzt sich auf die Fersen. "Bei Tagesanbruch fahren wir wieder raus", erklärt er mit lebloser Stimme, "aber niemand tut mehr so, als hätten wir ...

Patrick nickt, und ich sehe die Last, die auf ihm ruht. Er setzt sich auf die Fersen. "Bei Tagesanbruch fahren wir wieder raus", erklärt er mit lebloser Stimme, "aber niemand tut mehr so, als hätten wir noch eine Chance." Dann schließt er die Augen, legt den Kopf in meinen Schoß und weint offen um den Vater und seinen Sohn, die trotz aller Warnschilder so zuversichtlich aufs Meer hinausgefahren sind.
Ich streichele Patricks Haar und lasse meinen eigenen Tränen freien Lauf. Ich weine um einen Jungen allein im Meer. Ich weine um seine Mutter. Ich weine um die Träume, die mich des Nachts heimsuchen. Ich weine um Jacob, um meinen kleinen Jungen.
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INHALT:
An einem verregneten, dunklen Novemberabend gehen der fünfjährige Jacob und seine Mutter wie jeden Tag nach Hause, als ihr Glück jäh zerstört wird. Der Junge läuft aufgeregt vor, ein Auto kommt angerast, erfasst und tötet ihn - und der Fahrer flieht vom Tatort. Die Polizei sucht fieberhaft nach dem Täter, kommt jedoch nicht weiter. Jenna Gray bricht indes alle Brücken hinter sich ab und zieht in ein verschlafenes Dorf an der Küste, um ihren Schmerz zu vergessen. Doch sie scheint verfolgt zu werden und mit aller Macht drängt ihre tief vergrabene Vergangenheit an die Oberfläche...

MEINE MEINUNG:
Clare Mackintosh hat selbst lange Zeit bei der Polizei gearbeitet, ehe sie ihr Debüt "Meine Seele so kalt" schrieb - und das merkt man dem Roman auch an. Hier wurde nicht nur gut recherchiert, sondern eigene Erfahrungen sind eindeutig mit eingeflossen, was das Ganze so realistisch wirken lässt. Erzählt wird die Geschichte im ersten Teil aus der Ich-Perspektive von Jenna und der personalen Sicht des Detektivs Ray, im zweiten Teil kommt noch eine weitere Stimme hinzu. Durch die detailreichen, teils sehr düsteren Beschreibungen kommt schnell eine beklemmende Atmosphäre auf, die perfekt den tragischen Hintergrund unterstreicht.

Jenna ist eine Person, mit der schnell die Identifikation gelingt - ihr Schmerz, ihre Trauer und ihre Angst sind gut nachzuvollziehen, jedenfalls sobald man einige ihrer Motive und Gründe näher kennen lernt. Auch Ray ist eine Figur, die man gern begleitet, weil er so menschlich ist und durchaus auch Fehler begeht. Ian Petersen ist dann dagegen einer der hassenswertesten Charaktere, die ich je erlebt habe - und auch, wenn seine Darstellung zum Schluss ein wenig übertrieben wirkt, ist man bis dahin doch fasziniert von seiner Art. Auch Nebenfiguren wie die Auszubildende Kate, die Campingplatz-Besitzerin Bethan oder der Tierarzt Patrick können mit ihrer Individualität überzeugen, sodass es bald schwierig wird, sich von ihnen und ihren Geschichten zu lösen.

Indem der Thriller in (anfänglich) zwei Sichten aufgeteilt wurde, verfolgt man an zwei unterschiedlichen Orten die Geschehnisse und erlebt so auf der einen Seite, wie der Fahrer des Unfallautos ermittelt wird und auf der anderen, wie Jenna mit dem Ganzen umgeht. Eigentlich glaubt man dadurch, einiges zu wissen und der Lösung auf der Spur zu sein - aber weit gefehlt. Etwa nach der Hälfte des Buches kommt es zu einem Plot Twist, den so wohl keiner erwartet hätte. Hier zeigt sich Clare Mackintoshs Können, der es gelingt, einen über so lange Zeit auf eine völlig falsche Fährte zu schicken. Aber trotz dieser großen Enthüllung nimmt die Spannung danach nicht ab - im Gegenteil, sie wird eher noch einmal gesteigert.

Denn das ist beileibe nicht das einzige Geheimnis, das den Ermittlern zu schaffen macht. Gemeinsam mit ihnen kann der Leser nun hervorragend miträtseln ob der verschiedenen Beweggründe und der Dinge, die verschwiegen werden. Nicht alles ist so einfach wie es aussieht, und gerade das macht den Kniff aus. Das einzige Element der Geschichte, das mir nicht sonderlich gefiel, war der Nebenstrang um die Familie des Detektivs, der für meine Verhältnisse nicht gut genug aufgelöst wird. Ansonsten aber überzeugt die Auflösung - wenn sie auch an einer Stelle ein wenig zu konstruiert ist - und das Ende wird noch einmal richtig fesselnd und nervenaufreibend. Genauso stelle ich mir den packenden Schluss eines Psychothrillers vor.

FAZIT:
"Meine Seele so kalt" ist ein Thriller, der anfangs einigermaßen gewöhnlich die Ermittlungsarbeit zu einem Todesfall und den Umgang mit der Trauer beschreibt - um dann mit einer gewaltigen Wendung so ziemlich alles umzuwerfen. Clare Mackintoshs Debüt bleibt durchgängig spannend und kann immer wieder überraschen - da trüben die wenigen Kritikpunkte kaum das Bild. Knappe 4,5 Punkte!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Viel verschenktes Potenzial

Skin - Das Lied der Kendra
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Ein dunkles Gewicht senkte sich auf mich herab, und ich sackte am Tisch in mich zusammen. Anscheinend war ich mit Wissen begabt, besaß aber nicht genug Verstand und Intuition, um es gut zu nutzen.
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INHALT:
Britannien ...

Ein dunkles Gewicht senkte sich auf mich herab, und ich sackte am Tisch in mich zusammen. Anscheinend war ich mit Wissen begabt, besaß aber nicht genug Verstand und Intuition, um es gut zu nutzen.
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INHALT:
Britannien im Jahre 43 n. Chr.: Die junge Ailia ist als Säugling auf der Türschwelle der Stammesküche gefunden und seitdem von der Kochmutter großgezogen worden. Dadurch kann sie ein behütetes Leben führen - doch das Unwissen über ihre Herkunft nagt an ihr. Denn in Caer Cad, wo sie lebt, erhält man von der Mutter ein Tier-Totem, eine Haut, und da Ailia diese nicht kennt, werden ihr Wissen und Anerkennung verwehrt. Aber dann trifft sie eines Tages am Fluss den faszinierenden Taliesin und erkennt durch die Treffen mit ihm, dass besondere Fähigkeiten in ihr schlummern. Und dass sie eventuell die einzige Rettung für ihren Stamm ist, jetzt, wo die Armee der Römer näher rückt - bereit, all ihre Landsleute auszulöschen...

MEINE MEINUNG:
Das erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung, eine düstere, wenig zivilisierte und völlig andere Zeit. Faszinierend, von einem so alten Britannien zu lesen, den Sitten und Bräuchen der Menschen. Zwar entstammen diese natürlich einem Fantasy-Roman rund um Stämme, die den "Müttern" (ergo Göttern) huldigen, doch die Lebensweise und insbesondere die Bedrohung durch die Römer ist historisch akkurat und damit sehr spannend. Leider macht der ziemlich dröge Stil, der keine Atmosphäre oder Nähe schafft, vieles zunichte und lässt es selten zu, dass man von den Geschehnissen wirklich gefesselt ist.

Hinzu kommt eine furchtbare Protagonistin. Ailia ist nicht perfekt und prinzipiell ist das positiv - denn wer will schon lesen, wie jemand alles richtig macht? Doch Ailia ist leider der Egoismus in Person: Sie hat trotz ihrer Hautlosigkeit so viele Privilegien und will doch immer noch mehr, sie vernachlässigt kranke oder im Sterben liegende Personen, um bei ihrem Liebsten zu sein und hält sich äußerst selten an wichtige Anweisungen. Ihre Selbstzweifel sind zwar teilweise verständlich, nerven aber irgendwann, und das Schlimmste: Sie lernt nicht aus ihren Fehlern, was sie unerträglich macht. Ihr Love-Interest Taliesin verhält sich oft ebenso egoistisch wie sie, bleibt ansonsten aber vollkommen blass und austauschbar, ohne besondere Eigenschaften. Die Nebenfiguren sind da überzeugender: Die gutmütige, schützende Kochmutter, die weise Stammesführerin Fraid oder der Gereiste Llywd, sie alle wecken einzeln mehr Gefühle in einem als die Protagonisten zusammen.

Die Geschichte selbst hätte so gut sein können: Die Bedrohung durch die Römer und Ailia als die einzige Rettung, obwohl sie keine Haut und damit auch keine Identität hat. Ihr Weg zu den Müttern, ihre Berufung, ihr Wissenserwerb - so viele tolle Ideen, die so schlecht umgesetzt werden. Das Ganze beginnt schon mit der sofortigen Liebe zwischen Ailia und Taliesin, die nicht nachvollziehen ist, für Ailia aber der gesamte Lebensinhalt. Sie vergisst bei ihm grundsätzlich alles um sich herum und er ist ihr einziger wirklicher Antrieb. Denn Frauen können ja nicht ohne Mann. Ansonsten passiert auf den ersten 200 Seiten sehr, sehr wenig: Immer wieder Diskussionen über das Verhalten den Römern gegenüber, Ailias Hin- und Hergerissenheit zwischen ihrer Liebe zu Taliesin und ihrem Verlangen nach dem schönen Ruther (ein Dreieck, wer hätte das gedacht) und ihre vielen, vielen Missgeschicke. Inhaltlich ist das Ganze also äußerst mau.

Für einen solchen Roman hat die Protagonistin auch relativ viel Sex - prinzipiell ja nicht schlimm, aber nach einer recht verstörenden solchen Szene mit einem Fisch, war es zumindest für mich mit der Glaubwürdigkeit vorbei. Weder als Ailia ihre Bestimmung findet, noch als etwaige Bedrohungen immer näher rücken, konnte ich dem Ganzen noch etwas abgewinnen. Einzig dezent fesselnd ist der schwelende Hass zwischen Ailia und einer anderen Frau, die ein Geheimnis über das Mädchen kennt und es nicht preisgeben will, weil - natürlich, Ailia sie schlecht behandelt hat. Erst zum Ende hin entfaltet das Buch dann endlich sein Potenzial und überrascht mit brutaler, unnachgiebiger Gewalt als Konsequenz der vorherigen Geschehnisse. Ob das reicht, um den Folgeband lesen zu wollen, muss jeder für sich selbst entscheiden.

FAZIT:
"Skin: Das Lied der Kendra" hätte so genial sein können: Eine tolle Idee und ein großartiges Setting sprachen sehr dafür. Aber die Umsetzung ist langweilig und die Protagonistin so egoistisch wie die Liebesgeschichte öde. Ilka Tampke hat hier leider keine gute Arbeit geleistet. Von mir gibt es dafür ganz knappe 2 Punkte.