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Veröffentlicht am 03.12.2018

Etwas erwachsen für ein Kinderbuch, dafür einfallsreich

Oliver Parkins
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"Du scheinst tatsächlich über gewisse Fähigkeiten zu verfügen", fuhr Panzini sinnend fort. "Unter anderen Umständen hätten wir uns auf diese Weise gar nicht begegnen dürfen. Vielleicht bist du tatsächlich ...

"Du scheinst tatsächlich über gewisse Fähigkeiten zu verfügen", fuhr Panzini sinnend fort. "Unter anderen Umständen hätten wir uns auf diese Weise gar nicht begegnen dürfen. Vielleicht bist du tatsächlich derjenige, den wir suchen."
"Was hat das alles zu bedeuten, Mr Panzini?", flüsterte Oliver und konnte den Blick nicht von den durchdringenden Augen des Zirkusdirektors abwenden.
"Es hat zu bedeuten, mein guter Junge, dass du möglicherweise eine große Zukunft vor dir hast. Doch liegt sie nicht in dieser Welt."
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INHALT:
Fairie's Willow im Jahr 1917: Der erste Weltkrieg ist in vollem Gange und Unterhaltung ist eher knapp. Kein Wunder also, dass der junge Oliver Parkins und sein bester Freund Alfie begeistert sind, als plötzlich ein Wanderzirkus ihre kleine Stadt besucht. Doch der Zirkus ist nicht ohne Grund dort - Gauklerfürst Alfonso Panzini kommt aus einer anderen Welt, und er ist auf der Suche nach einem besonderen Jungen, der eine Prophezeiung erfüllen und damit die Menschheit retten soll. Und Oliver scheint der Gesuchte zu sein! Gemeinsam mit Alfie wird er vom Direktor nach Carsalen geführt, ein wundersames Land voller seltsamer Gestalten und Geschehnisse. Doch etwas Böses lauert, das alles vernichten will. Und nur die drei können es aufhalten...

MEINE MEINUNG:
Sprechende Tiere, ein zauberhafter Zirkus und eine überraschende und seltsame Welt - "Die Entdeckung von Carsalen" ist ein von vielen originellen Ideen bereichertes Debüt, das den Anfang der Reihe um Oliver Parkins bildet. Patrick L. Blockum hat einen sehr angenehmen Stil, der besonders bei den authentischen Dialogen überzeugt, dabei aber nicht immer dem Alter der Protagonisten entsprechend kindgerecht bleibt, was für junge Leser kompliziert sein könnte. Am besten kann man die Erzählweise wohl als allwissend einordnen - zwar dreht sich das Ganze hauptsächlich um den jungen Oliver, doch auch die Beweggründe und Gedanken seiner Begleiter erfährt man immer wieder aus dem Text.

Oliver Parkins ist ein mutiger, aber trotzdem bescheidener Hauptcharakter, der einem schnell ans Herz wächst. Er ist schon relativ erwachsen für seine elf Jahre und ist sich seiner Verantwortung durchaus bewusst. Was allerdings an ihm so besonders sein soll, dass er die gesamte Welt retten kann, wird nicht wirklich ersichtlich. Gleichzeitig erleichtert das den kindlichen Lesern, sich in jedem Fall mit ihm zu identifizieren. Alfie ist eindeutig der frechere der beiden Freunde, der kein Blatt vor den Mund nimmt und davon abgesehen größtenteils ans Essen denkt, was ihn sehr sympathisch macht. Und dann sind da noch der Gauklerfürst Panzini und sein sprechendes Eichhörnchen Rodolfo, die beide unterhaltsame und gewitzte Wegbegleiter sind. Die übrigen Charaktere tauchen größtenteils leider immer nur für einen kurzen Zeitraum auf und bleiben daher nicht wirklich im Gedächtnis, auch weil sie oft absichtlich kompliziert wirkende und leicht alberne Namen besitzen, die man sich kaum merken kann.

Carsalen als Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist ein sehr gut ausgearbeiteter Ort, der vom Aufbau ein wenig an die Ringreiche einer anderen Buchreihe erinnert, aber trotzdem viele eigene und originelle Eigenschaften vorzuweisen hat. Viele Fabelwesen wie Satyrn oder Elfen tauchen auf, haben aber oft noch einen kleinen Twist, der sie besonders macht. Teilweise übertreibt es der Autor aber stark in seinen Beschreibungen: Immer wieder erklärt eine der Figuren den beiden Jungen Dinge, die rein gar nichts mit der Handlung zu tun haben, und daher teilweise anfangen zu langweilen. Zudem ist die Handlung doch sehr einfach gestrickt, was für die Zielgruppe sicherlich gut ist, sich dann aber mit der zeitweise hoch gestochenen Sprache beißt. Durch die Einfachheit kommt es leider auch zu ein paar Logiklücken, die allerdings wohl nur älteren Lesern auffallen werden. Bis zum Ende bleibt unklar, warum genau Oliver nun der Auserwählte ist - da die Geschichte aber noch viele offene Punkte hat und die erste Begegnung mit dem bösen Zauberer noch aussteht, kann diese Erklärung in einem der erwarteten Folgebände noch kommen. Genaueres ist aber noch nicht bekannt.

FAZIT:
"Die Entdeckung von Carsalen" ist ein Debüt, was man dem Roman sprachlich aber kaum anmerkt. Es ist ganz klar ein Kinderbuch, allerdings nur bezogen auf den Inhalt - dafür ist der Schreibstil dann nämlich sehr erwachsen. Der Weltenaufbau und die Protagonisten wissen zu überzeugen. Mir fehlten jedoch ein wenig die Nebenfiguren und im Zwischenteil zogen sich die Geschehnisse etwas. Dafür knappe 3,5 Punkte.

Veröffentlicht am 21.11.2018

Etwas zu weit hergeholte Auflösung

Mädchen aus dem Moor
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Wie von selbst fährt meine Hand zum Mund, als sei ich im Begriff, etwas Schreckliches auszusprechen.
Nein. Das kann ich meinem Mann nicht unterschieben, das kann ich noch nicht einmal denken. Welches ...

Wie von selbst fährt meine Hand zum Mund, als sei ich im Begriff, etwas Schreckliches auszusprechen.
Nein. Das kann ich meinem Mann nicht unterschieben, das kann ich noch nicht einmal denken. Welches Motiv hätte er denn haben sollen, warum hätte er es darauf anlegen sollen, mich loszuwerden? Darauf, dass ich einen tödlichen Unfall baue? Meine Gedanken wirbeln umher wie Flocken in einem Dartmoor-Schneesturm oben auf dem Skirr Hill. Und während ich über die Landstraße brettere, sitzen auf den Telegrafenmasten die Krähen und beobachten mich.
Schwarze Federn, schwarze Augen.
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INHALT:
Seit einem schweren Autounfall, bei dem Kath Redway mit ihrem Auto in einen See stürzte, ist nichts mehr wie zuvor. Aber wie war es vorher überhaupt? An einer Amnesie leidend, kann sie sich nur an weniges von diesem schicksalshaften Tag erinnern, und auch die Woche davor liegt im Nebel. Was ist genau geschehen und wieso scheint alles darauf hinzudeuten, dass das Ganze kein Unfall war? Wer ist der Mann, den ihre Tochter im Moor zu sehen glaubt? Und woher kommt das Gefühl, dass die Menschen in ihrer Umgebung etwas vor ihr verheimlichen? Kath setzt alles daran, die Geheimnisse zu lüften, und bringt damit sich und ihre Familie in große Gefahr...

MEINE MEINUNG:
Ein schwerer Unfall, der ein Familienleben zu zerstören scheint, eine verzweifelte Mutter und eine Spurensuche im nebligen Moor - das klingt äußerst spannend und äußerst atmosphärisch. S. K. Tremayne ist Bestsellerautor und für seine schaurigen Ideen bekannt, was auch beim "Mädchen aus dem Moor" nicht anders ist. Größtenteils wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive der Protagonistin erzählt, die - sehr angenehm - denselben Wissensstand wie der Leser besitzt. Zwischenzeitlich kommen auch noch ihre Schwägerin und ihr Ehemann zu Wort, die deutlich kryptischer berichten, was das Rätselraten umso spannender macht.

Es ist allerdings gar nicht so einfach, einen Zugang zu einer Hauptfigur zu erlangen, die sich selbst eigentlich gar nicht mehr kennt, die nicht weiß, welche Erinnerungen wahr sind und mit welchen ihr Gehirn vielleicht versucht hat, die Lücken zu füllen. Sicher ist aber: Sie ist eine liebende Mutter, die beinahe alles für ihre Tochter tun würde. Diese, Lyla, ist trotz oder auch wegen ihrer Eigenarten ein kleiner Schatz: Sie besitzt eindeutig autistische Züge, die sehr authentisch geschildert und nicht als Effekthascherei genutzt werden. Ihr Trauma durch die Geschehnisse ist nachzuvollziehen und sorgt das ein oder andere Mal tatsächlich für einen Kloß im Hals. Die anderen Figuren bleiben teilweise eher blass - besonders mit dem Ehemann Adam konnte ich mich gar nicht anfreunden, der anstatt zu hinterfragen nur beschuldigt, was nie anständig verurteilt wird.

Atmosphärisch ist der gesamte Thriller aber auf jeden Fall sehr packend - während Kath verschiedene Orte aufsucht, um ihre Erinnerung wieder zu erlangen, macht sie nicht nur schreckliche Entdeckungen, sondern beginnt sich bald auch zu fragen, wem sie eigentlich überhaupt vertrauen kann. Da läuft es einem schon kalt den Rücken hinunter. Im Mittelteil dreht sich das Ganze allerdings ein wenig zu sehr im Kreis, und die Auflösung ist doch relativ stark an den Haaren herbei gezogen. Es gibt ein Motiv, sogar eine Vorgeschichte, das hat mir aber nicht gereicht, um alle Geschehnisse und vor allem die Vorgehensweise des Strippenziehers zu erklären. Niemand kann ahnen, wie die Zielperson reagieren wird und seine Pläne daher so genau ausführen. Das hat dem Showdown leider einiges an Spannung genommen. Der Schluss ist gut gewählt und zufrieden stellend - aber nach dem Nebel und der Düsternis fehlt auch hier irgendwie noch der letzte große Knall.

FAZIT:
"Mädchen aus dem Moor" besitzt eine gute Grundidee, deren Umsetzung besonders mit der dichten Atmosphäre und einigen schaurigen Geschehnissen überzeugen kann. Charaktere und Auflösung stimmten mich allerdings nicht komplett zufrieden. Gute 3 Punkte und insbesondere eine Empfehlung für Fans des Moores.

Veröffentlicht am 02.10.2018

Keine Klageweiber, keine Beerdigungen

Das Gold der Krähen
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Wylan erhob sich, plötzlich begierig darauf, in die Stadt zurückzukehren, um Kaz dabei zu helfen, den Plan durchzuführen. Er war nur widerwillig zum Eistribunal gegangen, hatte Kaz nur widerwillig geholfen. ...

Wylan erhob sich, plötzlich begierig darauf, in die Stadt zurückzukehren, um Kaz dabei zu helfen, den Plan durchzuführen. Er war nur widerwillig zum Eistribunal gegangen, hatte Kaz nur widerwillig geholfen. Währenddessen hatte er immer geglaubt, dass er seines Vaters Verachtung verdiente, und jetzt endlich konnte er zugeben, dass er irgendwo, an einem verborgenen Ort in seinem Inneren, immer noch darauf gehofft hatte, die Gunst seines Vaters zurückzuerlangen. Nun, was ihn betraf, sollte sein Vater seine Gunst behalten und sehen, was die ihm nützte, wenn Kaz Brekker mit ihm fertig war.
"Na los", sagte er. "Wir werden meinem Vater sein gesamtes Geld stehlen."
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INHALT:
Kaz und seine Krähen hatten den Coup aller Coups geplant - und dann sie sind übel hintergangen worden. Dabei wurde Inej, eines der Mitglieder, entführt, und die gesamte Situation erscheint aussichtslos. Aber Kaz Brekker wäre nicht Kaz Brekker, wenn er nicht bereits neue Pläne schmieden würde: Nicht nur will er das Geld, das ihm versprochen wurde, vor allem will er Inej um jeden Preis zurück. Aber dieses Mal müssen die übrigen Fünf auf's Ganze gehen. Denn abgesehen von dem Leben, das auf dem Spiel steht, haben sie sich noch einige weitere mächtige Feinde gemacht, die ihr Blut sehen wollen...

MEINE MEINUNG:
Da ist sie, die Übersetzung des Abschlusses von Leigh Bardugos viel gelobter Dilogie um eine diebische Bande, "Das Gold der Krähen" im Deutschen. Ohne die originale Trilogie aus dem "Grischaverse" gelesen zu haben, hatte ich mich 2017 in dieses Abenteuer gestürzt - und war nicht enttäuscht worden. Die Autorin hat hier eine Welt geschaffen, in der gefährliche und gefürchtete Magie so perfekt in die ansonsten von Banden und Verbrechern bevölkerten Straßen eingebettet ist, dass es wahre Wonne bereitet, mit den Charakteren durch eben diese zu streifen. Nach dem Vorgänger ist man mit den Gegebenheiten schon vertraut und hat Ketterdam als dreckigen, ruchlosen Ort kennen - und lieben - gelernt. Und trotzdem wird das Erlebnis hier noch gesteigert.

Alle Protagonisten aus dem ersten Teil sind wieder dabei und dieses Mal wird der Leser zu meiner großen Freude auch mit der Perspektive von Wylan belohnt, diesem sanften Jungen aus gutem Hause, der sich überwinden muss, etwas gegen seinen Vater zu unternehmen. Jesper mit seiner großen Klappe und Nina und Matthias, die, obwohl sie sich gefunden haben, ihre Diskussionen nicht sein lassen können, sorgen für einiges an Spaß. Und trotzdem hat jede Figur weiterhin ihr Päckchen zu tragen: Kaz, traumatisiert seit dem Tod einer geliebten Person; Inej, die sich verkaufen musste; Matthias, der sich von seiner Gemeinschaft losgesagt hat. Diese Personen sind meistens alles andere als das, was man "gut" nennen würde, und trotzdem stehen sie füreinander ein, haben ihre eigenen Moralvorstellungen - und sorgen so für große Figurenliebe.

Aber das ist eben nicht alles, was der Autorin so gut gelingt. Dieses Buch hat in der deutschen Übersetzung beinahe 600 Seiten - und nicht auf einer einzigen kommt Langeweile auf. Immer wieder werden ihnen Steine in den Weg gelegt, immer wieder müssen sie neue Pläne schmieden oder einfach improvisieren. Es wird gelogen, betrogen...aber auch geliebt. Sechs Charaktere, drei komplett unterschiedliche Liebesgeschichten, und das funktioniert auch noch. Es wird intensiv, es wird zärtlich, aber niemals drängen sich die romantischen Gefühle in den Vordergrund, immer geht es noch um so viel mehr. Bis zum Ende bleibt die Erzählung auf einem durchgehend hohen Niveau, lässt den Leser die Geschehnisse hautnah miterleben - um ihm dann am Schluss das Herz herauszureißen. Gegen diese Achterbahn der Gefühle war der erste Band quasi eine ruhige Seefahrt. Es ist nicht möglich, sich gegen die Emotionen zu wehren, die ausgelöst werden - und man will es auch gar nicht. Nicht umsonst ist der Leitsatz der Krähen: Keine Klageweiber, keine Beerdigungen.

FAZIT:
Den ersten Band der "Glory or Grave"-Dilogie mochte ich. Aber "Das Gold der Krähen" habe ich geliebt. Schon vertraut mit den unterschiedlichen Charakteren und ihren Eigenarten, fällt es leichter, sich direkt auf diese Welt, ihre Magie und ihre Banden einzulassen. Leigh Bardugo versteht es meisterhaft, ihre Figuren zum Leben zu erwecken, und ebenso, den Leser immer wieder zu schockieren und zu überraschen. 5 Punkte!

Veröffentlicht am 01.10.2018

Anfangs relativ langatmig

Hazel Wood
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Finch seufzte - ein Seufzen, aus dem ich nicht schlau wurde. "Lass uns versuchen, zu schlafen. Morgen wird ein langer Tag."
In mir drängten sich die Fragen. Wieso hilfst du mir? Glaubst du, ich werde sie ...

Finch seufzte - ein Seufzen, aus dem ich nicht schlau wurde. "Lass uns versuchen, zu schlafen. Morgen wird ein langer Tag."
In mir drängten sich die Fragen. Wieso hilfst du mir? Glaubst du, ich werde sie finden? War das wirklich die doppeltote Katherine? Aber er hatte sich schon von mir weggedreht. Das Mondlicht malte eine weiße Straße von seinem Scheitel den Rücken hinunter. Je länger ich daraufstarrte, desto mehr schien es, als teilte das Licht ihn entzwei und legte unter seiner Haut etwas Leuchtendes frei.
Ich drehte mich ebenfalls um und schloss die Augen. Doch es dauerte lange, bis ich einschlief.
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INHALT:
Schon seit ihrer Kindheit werden Alice und ihre Mutter vom Unglück verfolgt: Mal brennt ihre Wohnung ab, mal wird Alice von einem Unbekannten entführt. Nach Jahren der Flucht scheint nun aber etwas Ruhe eingekehrt zu sein - bis plötzlich ihre Großmutter Althea stirbt und ihre Mutter verschwindet. Hat das alles mit den Märchen zu tun, die Althea vor Jahrzehnten verfasst hat und die sie berühmt machten? Alice wurde ausdrücklich gewarnt, jemals nach Hazel Wood zu suchen, dem Ort, an dem ihre Großmutter lebte, aber sie ahnt, dass sie nur dort Antworten finden wird. Also macht sie sich auf zu einer Reise ins Ungewisse, gemeinsam mit dem reichen Finch, von dem sie nicht weiß, ob er nun ihr helfen will, oder eher sich selbst...

MEINE MEINUNG:
Neuerzählungen alter und beliebter Geschichten wie Märchen kommen nicht aus der Mode. Auch Debüt-Autorin Melissa Albrecht hat sich für "Hazel Wood" einen Klassiker ausgesucht: Alice im Wunderland. Außer des Namens der Protagonistin und einiger seltsamer Begebenheiten sowie Figuren haben die beiden inhaltlich aber gar nicht mal so viel miteinander zu tun. Fehlende Originalität kann man der Schriftstellerin also nicht unterstellen. Ihr Schreibstil ist sehr bildlich, durchsetzt von Metaphern und märchenhaften Dialogen, die allerdings teilweise beinahe schon zu abgehoben klingen.

Alice aus diesem Roman ist definitiv nicht die Alice, wie man sie kennt. Weder stammt sie aus gutem Hause, noch ist sie eine unschuldige 14-jährige, die einem Kaninchen folgt. Stattdessen ist sie eine Protagonistin, die eine unerklärliche Wut in sich verspürt und sich nirgendwo richtig zuhause fühlt außer dort, wo ihre Mutter Ella ist. Sie kommt im Laufe der Handlung sich selbst auf die Spur, bleibt jedoch immer etwas unnahbar. Ellery Finch ist das genaue Gegenteil: Immerzu bemüht, fröhlich zu sein, in Wahrheit jedoch ständig auf der Suche nach mehr, nach seiner Bestimmung. Er jagt zwar einem Traum hinterher, ist aber ansonsten sehr bodenständig und weiß sich auch gegen Alice' Stimmungen zu wehren. Figuren wie die Mutter Ella oder Märchenerzählerin Althea lernt man nur relativ knapp kennen, dafür sind auch diese beiden aber sehr gut ausgearbeitet.

Was mir bei dem Titel definitiv zu kurz kam, war Hazel Wood selbst. Die erste Hälfte des Romans besteht nur daraus, dass Alice und Finch sich gemeinsam auf die Suche machen und dabei allerlei kryptischen Hinweisen folgen und seltsamen Menschen begegnen. Erst sehr spät treten sie überhaupt in den Märchenwald ein und finden die Antworten, nach denen sie gesucht hatten. Dafür weiß die Autorin ab diesem Zeitpunkt aber auch mit ihrem Einfallsreichtum zu begeistern. Schon zuvor lässt sie mir ihren düsteren Märchen Schauer über den Rücken rieseln, und dem Sog des Hinterlandes kann sich bis zum Ende kaum entzogen werden. Nicht ohne Grund erscheint nächstes Jahr ein Buch mit allen Märchen - denn gerade diese sind es, die die größte Faszination ausmachen. Wären schon mehr von ihnen in diesem Roman gewesen: Eventuell hätte er mir noch besser gefallen.

FAZIT:
"Hazel Wood" ist ein besonderes Buch, das gar nicht mal so stark an "Alice im Wunderland" angelehnt ist, wie man glauben könnte. Der ganze Roman ist sehr düster, durchsetzt von blutigen und schaurigen Märchen, die ihren Weg in die Realität finden. Leider hat er aber auch seine Längen, besonders in der ersten Hälfte. Dafür gibt es 3,5 Punkte.

Veröffentlicht am 01.10.2018

Intensiv und auch heute noch erschütternd

Beale Street Blues
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Sharon hatte die ganze Zeit über nichts gesagt. Ernestine hatte mich ihr übergeben, aber Sharon hatte mich gar nicht angefasst. Sie hatte was viel Verrückteres gemacht, nämlich mich gehalten und beruhigt ...

Sharon hatte die ganze Zeit über nichts gesagt. Ernestine hatte mich ihr übergeben, aber Sharon hatte mich gar nicht angefasst. Sie hatte was viel Verrückteres gemacht, nämlich mich gehalten und beruhigt - ohne mich zu berühren.
"Na denn", sagte sie, "die Männer sind wohl eine Weile weg, und Tish braucht Ruhe. Gehen wir schlafen."
Aber ich wusste, dass sie mich ins Bett schickten, damit sie noch ein bisschen aufbleiben konnten, ohne mich, ohne die Männer, ohne irgendwen, um damit fertigzuwerden, dass Fonnys Familie sich einen Dreck um ihn scherte und keinen Finger rühren würde, um ihm zu helfen. Wir waren jetzt seine Familie, die einzige Familie, die er hatte: Jetzt hing alles von uns ab.
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INHALT:
Seit ihrer Kindheit waren Tish und Fonny bereits befreundet, bevor sie ihre Liebe zueinander entdeckten. Nun ist Tish schwanger. Alles könnte so gut sein, säße Fonny nicht im Gefängnis für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Denn beide sind schwarz - und der Rassismus in Amerika ist so tief verankert, dass allein die Hautfarbe ausreicht, um angeklagt zu werden. Tishs Familie unternimmt alles, um den jungen Mann aus dem Gefängnis zu holen, doch mit unzuverlässigen Zeugen und der Aussage eines Polizisten scheint das Unterfangen beinahe aussichtslos...

MEINE MEINUNG:
"Beale Street Blues", das vorletzte Werk des afroamerikanischen Autors James Baldwin, erzählt die Geschichte einer Liebe, die unter keinem guten Stern steht - allein, weil die Liebenden nicht weiß sind. Es erzählt die Geschichte eines Justizsystems, das so von Vorurteilen und Rassismus durchdrungen ist, dass Gerechtigkeit unmöglich scheint. Und vor allem stammt es aus dem Jahre 1974, spielt also auch vor über 40 Jahren - und trotzdem habe ich das während des Lesens immer wieder vergessen. Das verdeutlicht nicht nur die Zeitlosigkeit der Erzählung, sondern, viel schlimmer, dass sich seitdem zu wenig geändert hat. Und das ist erschreckend.

Tish und Fonny kennen sich seit ihrer Kindheit, sind gemeinsam aufgewachsen und haben nun auch tiefere Gefühle füreinander entdeckt. Doch kaum sind sie miteinander glücklich, werden sie schon wieder auseinander gerissen. Es lohnt sich, nicht den Klappentext zu lesen, weil im Roman selbst erst sehr spät angesprochen wird, weshalb genau Fonny nun eigentlich im Gefängnis sitzt. Denn Erzählerin Tish - beeindruckend glaubwürdig von einem Mann geschrieben - geht viel auf die gemeinsame Geschichte ein, auf die Zusammengehörigkeit, die die schwarzen Bürger miteinander empfinden, auf die Familien und ihre Zukunft. Alle Figuren zeichnet eine große Ambivalenz aus: Einerseits fühlen sie den Rassismus der weißen Mitbürger, andererseits handeln sie umgekehrt mittlerweile auch so; einerseits sind die meisten Figuren Frauen, andererseits behandeln sie andere ihres Geschlechtes mit wenig Mitgefühl. Tish als Protagonistin ist dagegen eine sehr sanfte Erzählerin, die trotzdem mit ihrem Mut begeistert.

Schwierig ist aber, sich darüber klar zu werden - und vor allem in Worte zu fassen -, was man da beim Lesen eigentlich fühlt und erlebt. Da ist zum einen dieses Leben, das sich nicht nur von dem der jetzigen Zeit unterscheidet, sondern differenzierter auch von dem, das "wir Weißen", zu denen ich nun einmal gehöre, führen. White Privilege ist kein Mythos, sondern Fakt, und das merken die Protagonisten hier ganz deutlich: Ein weißer Polizist ist es, der ihnen das größte Leid zufügt, das sie sich hätten ausmalen können. Das resultiert in gegenseitigem Hass, obwohl ein weißer Anwalt versucht, ihnen zu helfen. Zum anderen ist es schwierig, herauszulesen, welche Ansichten der Autor selbst hier eigentlich vertritt: Die Frauen werden geschlagen, sie ziehen sich gegenseitig in den Schmutz, das Opfer der Vergewaltigung wird ohne Nachsicht behandelt - sind Frauen also weniger wert? Oder bietet das Ganze nur eine Sicht darauf, wie sehr Menschen verrohen, wenn sie immer nur schlecht behandelt werden? In diesem Zusammenhang ist das Nachwort von Daniel Schreiber sehr wichtig, das tiefere Einblicke bietet und hilft, die Geschehnisse einzuordnen. Und über diese nachzudenken, was nach der Lektüre unvermeidlich ist.

FAZIT:
"Beale Street Blues" ist kein einfacher Roman: Schwer einzuordnen, mit komplexen Charakteren, die abgesehen von der Hautfarbe nicht in Schwarz und Weiß unterteilt werden können. Er ist auch keine Liebesgeschichte, wie man vielleicht durch den Trailer zur neuesten Verfilmung glauben könnte. Aber er ist wichtig. Er zeigt auf, wie essentiell es ist, sich gegen Rassismus zu stellen, gegen die schlechte Behandlung von Frauen, gegen Vorurteile. Es hat sich bisher zu wenig geändert, das wird während des Lesens immer wieder klar. Dringend lesenswert! 4 Punkte.