Profilbild von KlaasHarbour

KlaasHarbour

aktives Lesejury-Mitglied
offline

KlaasHarbour ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit KlaasHarbour über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.04.2022

Zu viel des Schlechten?

New York und der Rest der Welt
0

„New York und der Rest der Welt“ ist die deutsche Version des „Fran Lebowitz Reader“ des Jahres 1994, welcher wiederrum ihre Bücher „Metropolitan Life“ und „Social Studies“ verbindet. Dass diese Bücher, ...

„New York und der Rest der Welt“ ist die deutsche Version des „Fran Lebowitz Reader“ des Jahres 1994, welcher wiederrum ihre Bücher „Metropolitan Life“ und „Social Studies“ verbindet. Dass diese Bücher, nun über 30 Jahre später in Deutschland erscheint, liegt wohl am Erfolg der Netflix-Serie „Pretend It’s a City“ in der Fran Lebowitz sich mit Martin Scorsese über Alles und Nichts unterhält.

Um Alles und Nichts geht es auch in dem nun erschienen Buch, reihen sich hier doch Themen von Demokratie bis hin zu schlechter T-Shirt-Wahl aneinander. Dabei steht in vielen Rezensionen, Lebowitz sei schonungslos. Das stimmt, sie nimmt kein Blatt vor den Mund, egal wen sie damit treffen könnte. Zu Anfang wirkt das lustig, amüsant und nach einer willkommenen Abwechslung. Schnell merkt man aber, dass Lebowitz in ihren Kolumnen auf eine gewisse Art ein one-trick pony ist und nicht wirklich mehr als austeilen und meckern kann. Das war für mich hin und wieder charmant und sehr ehrlich, meistens fiel mir jedoch ihr erhobener Zeigefinger, auf, ihre Meinung, jeder ihre Ratschläge sei universell und dass am Ende doch wenig dabei heraus kommt, bleibt oder bei mir widerhallt. Ähnlich verhielt es sich bei den verschiedenen Themen des Buches. Nach wenigen Seiten, in denen ein „Problem“ abgearbeitet wurde, springt man zu einem gänzlich anderen. Das ist zuerst frisch, schnell zu lesen, nutzt sich aber dann in seiner Variabilität ab, wird austauschbar und wahllos. Es wird an nichts über die ganze Länge festgehalten, wodurch Kohärenz oder ein bleibender Eindruck entstehen könnten, außer: alles Mist da draußen. Diese Abwechslung verdankt das Buch der Herkunft seiner enthaltenen Kapitel, welche zuvor (zu große Teilen) als Kolumnen in verschiedenen Magazinen erschienen. Vielleicht sind diese Kolumnen dort auch wirklich gut aufgehoben und ein regelmäßiger Spaß für Lesende, auf über 300 zusammenhängende Seiten transportiert sich dieser Spaß jedoch für mich nicht.

Dass ihre Ansichten natürlich aufgrund ihres Ursprungs aus den 90ern heute auch etwas outdated sind, ist klar, aber für mich kein Kritikpunkt – das sind andere Bücher dieser Zeit auch. Trotzdem bleibt für mich der Eindruck, dass zu viel Lebowitz das Leben genauso wenig bereichert, wie zu wenig.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.03.2022

Und nun?

My Body
0

Das Buch beginnt mit einem Zitat aus John Bergers „Sehen“, in dem er die Absurdität beschreibt, mit der wir eine nackte Frau für ihre sündige Eitelkeit verurteilen, gleichzeitig sie aber auch selbst anschauen. ...

Das Buch beginnt mit einem Zitat aus John Bergers „Sehen“, in dem er die Absurdität beschreibt, mit der wir eine nackte Frau für ihre sündige Eitelkeit verurteilen, gleichzeitig sie aber auch selbst anschauen. Ohne das Original-Buch ist es schwer festzulegen, um welches Gemälde es sich handelt, es könnte jedoch von Hans Melming stammen. Melmings „Eitelkeit“ ist Teil der Vorderseite des „Triptychon der Irdischen Eitelkeit und der Himmlischen Erlösung“ von 1485, welches die nackte Frau einrahmt von einer tanzenden Leiche und dem tanzenden Teufel zeigt. Eine Metapher für das gesamte Buch? Wie die Frau in dem Gemälde wirft Emily Ratajkowski uns einen leicht genervten, herausfordernden Blick zu, da wir sie als Model auf ihren Körper reduzieren, während sich in Wahrheit links und rechts Abgründe aus sexuellen Übergriffen, Erniedrigungen und Respektlosigkeiten auftun – und die Täter unbescholten weitertanzen.

Nach dem langen Aufbau aus manchmal schwer zu verdauenden Geschichten, die noch viel schlimmer zu erleben gewesen sein müssen (Trigger-Warnung) und bis zur Dissoziation ihres eigenen Körpers führen, hatte ich fest damit gerechnet, dass ein body-positives Argument aufgemacht wird, so wie es bereits auf Seite 2 in der Einleitung heißt: „Warum sollten wir uns anpassen, uns für unsere Körper entschuldigen und sie verhüllen? Ich hatte keine Lust mehr, mich schuldig zu fühlen, wie ich mich auf eine bestimmte Weise präsentierte.“, eine Rechtfertigung wie Gleichberechtigung und die Körperlichkeit des Modelbusiness zusammengehen. Für mich ist es dabei kein Problem, dass dieses Argument nicht weiter angesprochen wurde, sondern viel mehr, dass gar kein Argument angeführt wurde. Auf den 250 wirklich gut geschrieben Seiten (auf Details fokussiert, die nicht von einem guten Lektorat oder Schreibkursen, sondern von Talent herrühren müssen) wird leider bis zum Schluss nicht klar, worin die Kernaussage des Buches liegt. Selbst bei dem großartigen vorletzten Kapitel, in dem ich dachte, mit all ihrer Wut, allem Frust und aller Selbstermächtigung holt sie jetzt zum großen Schlag nicht nur gegen eine einzelne Person, sondern gegen ein ganzes System aus, blieb ich nach dem Lesen zurück und fragte mich „und jetzt?“.

Das ist die Frage, welche mich während und nach dem Lesens und auch in den Tagen danach immer noch begleitet. Wieso hat sie all das aufgeschrieben? Als Therapie? Als Anklage? Oder als Streitschrift, deren Argument ich einfach nicht erkannt hat? Und das ist unglaublich Schade, da zwischen den Zeilen (und manchmal sogar in den Zeilen) so wichtige Aussagen zu finden sind, dass sie sich zum Ende hin eigentlich zu einer Aufforderung, einer Warnung, einer Handlungsanweisung an die Lesenden hätten verdichten müssen. Oder ist genau dies das Ziel? Dass die Lesenden mit einer Frage zurückbleiben, die auffordert, selbst weiterzudenken, sich zu informieren und selbst nach Handlungen zu suchen: und nun?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 20.01.2022

Ein (viel zu kurzes) Debüt, dass hoffentlich kein One-Hit-Wonder wird

Zusammenkunft
0

Natasha Brown nimmt uns mit durch ein paar Tage und doch die gesamte Lebensrealität unser Protagonistin. Nicht nur erfahren wir nie ihren Namen, auch spricht sie selbst fast nie direkt mit den anderen ...

Natasha Brown nimmt uns mit durch ein paar Tage und doch die gesamte Lebensrealität unser Protagonistin. Nicht nur erfahren wir nie ihren Namen, auch spricht sie selbst fast nie direkt mit den anderen Figuren, sie spricht nur mit dem / der Lesenden in ihren Gedanken, reißt das Umfeld im Finanzviertel Londons aber genauso passend an wie die angespannte Idylle im Landhaus der Eltern ihres Freundes. Denn mehr als ein scheues Anreißen von Szenen geschieht nicht – wie in einem Drehbuch oder einem Notizbuch fällt das Licht auf manchmal wahllos angeordnete Situationen und schafft so nach und nach ein vollständiges Bild. Einige Stellen sind dabei so sprunghaft, dass sie untergehen, andere so packend beschrieben, dass man sie sofort vor Augen hat. Einige Figuren so flüchtig erwähnt, dass man ihre Namen vergisst, andere so spitzfindig beobachtet, dass man sie sofort im eigenen Umfeld wiedererkennt. Durch die zugehörigen Freiräume und Lücken im Schriftsatz unterstützen diese Erzählweise und geben ihr eine zweite Ebene, unterstreichen das Prinzip der Versatzstücke, die auch in anderer Reihenfolge erzählt werden könnten und doch vom gleichen Leben berichten. Leider begleiten wir nur 113 Seiten dieses Lebens. Ich hätte gerne gesehen, wie es weitergeht, was die Autorin noch aus den Situationen und der Geschichte hätte herausholen könnte. Insbesondere die politischen Untertöne hätten sich auf 300 Seiten noch mehr verdichtet, denn es wird klar, es geht nicht nur um die Zusammenkunft von Menschen im Landhaus, sondern auch eine Zusammenkunft verschiedener Lebensumstände, Überbleibsel einer (verdrängten) Vergangenheit und Vorurteile.

Ein Debüt, dass gerne noch mehr Platz im Regal einnehmen dürfte. Schon jetzt bin ich gespannt, wie das nächste Buch von Natasha Brown sein wird und ob sie ihren Schreibstil beibehält.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.09.2020

Moderner historischer Roman mit wichtiger Thematik

Die Wahnsinnige
0

Genähert habe ich mich dem Buch mit der Erwartung einen spannenden, historischen (biographischen) Roman zu lesen. Doch schon das Cover hat mich stutzen lassen, dachte aber, dass der Verlag einfach eine ...

Genähert habe ich mich dem Buch mit der Erwartung einen spannenden, historischen (biographischen) Roman zu lesen. Doch schon das Cover hat mich stutzen lassen, dachte aber, dass der Verlag einfach eine moderne Aufmachung gewählt hat. Doch schnell stellt sich heraus, dass es der Autorin gar nicht unbedingt primär um die Erzählung rund um das Leben Johanna der Wahnsinnigen geht, sondern diese nur als Grundgerüst für die Schilderung eines Schicksals ist, dass über Alter, Geschlechter und Lebensweisen übertragbar ist, jedoch vor allem einen feministischen Unterton mit einigen posterreifen Zitaten birgt. Dabei wirkt die Handlung aber nicht gewollt oder gezwungen, kann zwar analysiert werden, unterhält aber vordergründlich. Atmosphärisch und farbenreich begleiten wir die Protagonistin auf ihrer Tortur, die einige Überraschungen enthält. Schnell und abwechslungsreich wechseln die Schauplätze, ohne willkürlich oder unzusammenhängend zu wirken. Durch die Kürze des Buches, die gerade so gewählt ist, dass man sich wünscht, es wären noch mehr Seiten gefolgt, entsteht außerdem eine gewisse Spannung, die bei mir großes Interesse an Johanna der Großen und ihrem Lebensweg geweckt hat.

Alexa Hennig von Lange hat einen modernen historischen Roman geschrieben, der es gar nicht sein will, sondern als feministisches Werk fragt, wer sind wirklich die „Wahnsinnige(n)“. Ganz nebenbei ist das Buch wohl in einer der schönsten Aufmachungen des Jahres erschienen, vom Cover über den Schriftsatz und der Papierdicke bis hin zur Einbandfarbe – ein voller Erfolg.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.08.2020

Wichtiges Thema, mittelmäßige Umsetzung

Die Sommer
0

Ich bin nicht der typische Leser von zeitgenössischen Romanen. Trotzdem versuche ich immer wieder, mir dieses Feld zu erarbeiten und habe erwartet, hier ein Buch voller wichtiger Botschaften mit einer ...

Ich bin nicht der typische Leser von zeitgenössischen Romanen. Trotzdem versuche ich immer wieder, mir dieses Feld zu erarbeiten und habe erwartet, hier ein Buch voller wichtiger Botschaften mit einer (oder mehreren) Lebensgeschichten zu erleben, die mich nicht nur den Romanen, sondern auch dem Thema der Unterdrückung von Kurden, der Flucht und dem Zwiespalt der in Deutschland lebenden, näherbringt. Verfehlt hat Ronya Othmann dieses Ziel nicht, ich werde definitiv mehr auf diese Thematiken in den vielen Nachrichten-Newslettern achten, die tagtäglich per Mail reinkommen. Jedoch konnte sie mich leider nicht packen und für ihr Buch begeistern. Ich überlege immer, was die Autorin bei ihrer Art des Erzählens gedacht hat: Wir erleben keinen stringent erzählten Roman, sondern eine Aneinanderreihung (biographischer?) Bausteine, fast wie in einem Tagebuch. Vielleicht soll es das auch sein, ein Erinnerungs-Tagebuch, bei dem man sich Jahre später auch nicht mehr an den zeitlichen Rahmen erinnert und plötzlich feststellt, dass zwischen dem ersten und zweiten Absatz ganze drei Jahre verstrichen sind? Die ganze Erzählweise ist natürlich sehr romantisch, jedoch konnten mich die endlosen Berichte über das Dorf einfach nicht packen – ab Seite 100 habe ich quergelesen und nur noch ausgewählte Passagen ausgiebig verfolgt. Ab Seite 200 schlägt die Geschichte dann um in eine Erzählung eines zerrissenen Erwachsenwerdens. Anders als der Klappentext verspricht, kommt jedoch der Punkt, an dem sich Leyla, die Protagonistin widersetzt, nie (oder habe ich ihn überlesen?). Sie sträubt sich gegen ihr Leben in Deutschland, möchte ihrer Familie in Syrien helfen, und doch passiert wenig in diese Richtung – oder ist das genau das, was die Autorin über das Leben in Deutschland aufzeigen möchte? Die gleiche Frage stelle ich mir in Bezug darauf, was aus dem Buch wie in Echt passiert ist und zu welchen Ereignissen passt – hat die Autorin extra wenig Kontextuelles eingebaut, damit der Leser anfängt selbst zu recherchieren und sich zu bilden? Auch das Ausbleiben von Anführungszeichen stellt mich vor die Überlegung: ein Gimmick, oder soll dadurch die Distanz zum Leser abgebaut werden?

Egal wie wichtig eine Geschichte ist, wie dringlich ein Thema, wenn das Buch mich als Leser nicht packen kann, fehlt mir etwas, um es in seinem vollen Potential auszuschöpfen und zu lesen. Zurück bleibt der Geschmack, ich hätte etwas verpasst, das vorher versprochen wurde und viele Fragen zum Schreib- und Erzählstil. Für mich ein Buch, dass mich trotz der erschreckenden Schilderungen zwar auf das Thema aufmerksam gemacht, erzählerisch jedoch leider kalt gelassen hat.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere