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Veröffentlicht am 09.04.2017

Unsere Hälfte des Himmels

Unsere Hälfte des Himmels
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Die Rahmenhandlung dieses Romans spielt im Jahr 1971. Lieselottes Leben gleicht einem alten, abgetragenen Kleidungsstück. Es ist langweilig und farblos geworden. Mit ihrem Ehemann hat sie eigentlich nichts ...

Die Rahmenhandlung dieses Romans spielt im Jahr 1971. Lieselottes Leben gleicht einem alten, abgetragenen Kleidungsstück. Es ist langweilig und farblos geworden. Mit ihrem Ehemann hat sie eigentlich nichts gemeinsam. Sie und Eduard leben mehr oder weniger desinteressiert nebeneinander her. Manchmal fragt sich Lieselotte, wie es so kommen konnte und ob sie ihren Mann eigentlich einmal wirklich geliebt hat. Immer häufiger hört oder liest sie, dass andere Frauen für ihre Rechte auf die Straße gehen und demonstrieren. Sie selbst hat nicht den Mut dazu.
Als Lieselotte einen Anruf erhält, dass ihre Mutter einen schweren Unfall hatte und im Koma liegt, ist sie völlig aufgelöst und fährt am nächsten Tag mit der Bahn nach Frankfurt. Ihr Mann bleibt in Kassel zurück. Ihm scheint die ganze Angelegenheit gleichgültig zu sein.
In Frankfurt wohnt Lieselotte in der Wohnung ihrer Mutter Amelie. Dabei lernt sie sehr bald die Nachbarin kennen, Marga, eine junge Stundentin, die mit ihrem Kater „Cat Balou“ gleich nebenan wohnt und mit der sich Lieselotte schnell anfreundet. Bei Marga findet sie Verständnis, und sie hofft, von ihr mehr über Amelie zu erfahren. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter war immer distanziert, und für Lieselotte ist es kaum vorstellbar, dass die stets so starke Amelie nun hilflos und ohne Bewusstsein im Krankenhaus liegt. Als Lieselotte ein altes Foto entdeckt, hofft sie, mehr über die Vergangenheit und über das Schicksal ihres Vaters zu erfahren, worüber ihre Mutter nie gesprochen hat. Ihre Recherchen, die sie mit Margas Hilfe unternimmt, führen sie 36 Jahre zurück, und die Erkenntnisse, die sie über diese Zeit gewinnt, versetzen sie in Erstaunen. Nie hätte sie hinter Amelies kühler Art diese Lebensfreude und Leidenschaft zur Fliegerei erwartet, von der sie nun erfährt.
In diesen Rückblicken ins Jahr 1935 lernt man eine völlig andere Amelie kennen, eine junge Frau mit Träumen und Lebensplänen. Sie und ihre beste Freundin Hanni möchten Pilotinnen werden, was zur damaligen Zeit, unter dem Naziregime, nicht gerade einfach zu erreichen war. Aber die Freundinnen haben feste Vorsätze, die sie sich von niemandem zerstören lassen wollen. Als Amelie sich in Hannas Fluglehrer verliebt, gerät die Freundschaft der beiden jungen Frauen in eine Krise, die alle Beteiligten auf eine Tragödie zusteuern lässt.

In die Rahmengeschichte, die in den frühen 70er Jahren spielt, konnte ich geistig sofort eintauchen. Die Atmosphäre und den Zeitgeist von damals hat die Autorin wunderbar treffend dargestellt. Ich selbst habe das Jahr 1971 als Teenager erlebt und mich beim Lesen direkt wieder in diese Zeit zurück versetzt gefühlt, so gut und farbig ist sie beschrieben. An die erwähnten Musikstücke habe ich noch lebhafte Erinnerungen, und auch die Themen rund um die Frauenbewegung haben mich damals bereits beschäftigt. Wie stark beschränkt die Rechte einer Ehefrau damals noch waren, das wusste ich jedoch bisher nicht und habe es erst jetzt durch diesen Roman erfahren. Lieselottes Wandlung im Verlauf der Geschichte hat mir sehr gefallen, denn die Protagonistin steht für viele Frauen ihrer Zeit. Es musste erst einiges geschehen, sie aus ihrem Alltagstrott zu reißen und wachzurütteln.

Richtig dramatisch wird es jedoch in der Vergangenheit. Hier hat die Autorin einige äußerst brisante Themen verarbeitet. Die Fliegerei in der Geschichte ist ein faszinierendes Thema, das hier im Roman vielschichtig und mit all seinen Problemen dargestellt ist. Weibliche Berufsflieger entsprachen so gar nicht dem nationalsozialistischen Idealen, sondern wurden wohl eher als Exoten angesehen. Das Regime sah für Frauen eher ein gemütliches Heim, Mann und Kinder vor.
So gesehen kann ich mir schon vorstellen, dass Hanna den Weg zu ihrem Lebenstraum nicht in dieser Männerdomäne alleine gehen wollte. Erschütternd ist jedoch die Art und Weise ihres Vorgehens und die Erkenntnis, wie schnell freundschaftliche Verbundenheit und Zuneigung in besitzergreifende Eifersucht und sogar in Hass umschlagen kann.
Eigentlich nicht neu für mich, aber doch immer wieder bestürzend ist die Tatsache, wie wenig die Menschen zur Hitlerzeit über ihr eigenes Leben bestimmen konnten, wie stark sie unter Beobachtung standen, nicht nur Angehörige von „Randgruppen“ der Gesellschaft, sondern ganz normale Bürger. Es war eine Zeit, in der es schon gefährlich war, jemanden zu kennen, der dem Regime ein Dorn im Auge war, in dem schon ein einziges Wort todbringend sein konnte.

Dies ist ein vielschichtiger Roman, denn er beleuchtet nicht nur zwei interessante Zeitabschnitte des 20. Jahrhunderts, sondern greift viele besondere Themen auf. Hier erfährt man über ein schwieriges Mutter-Tochter-Verhältnis, das von der Vergangenheit belastet ist, und man erlebt eine junge Frau, die hin und her gerissen ist, zwischen der besten Freundin, ihrem Zukunftstraum und der Liebe ihres Lebens und wie sie an dieser Zerrissenheit fast zerbricht.

Somit bietet dieser Roman nicht nur beste, hochwertige Unterhaltung, sondern daneben auch viel Gesprächsstoff und Themen, über die man noch lange nachdenkt. Da es bei beiden Handlungssträngen sehr stark um die Frauenbewegung geht, denn auch die mutigen Fliegerinnen aus den 20er und 30er Jahren sind bereits Vorreiter der Emanzipation gewesen, passt dieses Buch für mich besonders gut in den März, den Monat, in dem auch alljährlich der Weltfrauentag begangen wird.

Veröffentlicht am 09.04.2017

Die Nachtigall

Die Nachtigall
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Der Roman schildert das Schicksal zweier Schwestern während der Zeit des zweiten Weltkriegs. Vianne und Isabelle sind Französinnen und müssen miterleben, wie ihr Heimatland immer mehr von den Deutschen ...

Der Roman schildert das Schicksal zweier Schwestern während der Zeit des zweiten Weltkriegs. Vianne und Isabelle sind Französinnen und müssen miterleben, wie ihr Heimatland immer mehr von den Deutschen eingenommen wird.
Die Mutter der Schwestern ist früh gestorben, und der Vater hat seine beiden Töchter abgeschoben, möchte nichts von ihnen Wissen. Isabelle und Vianne sind zwei gegensätzliche Charaktere, und so verschieden wie sie sind, so unterschiedlich gehen sie auch die Probleme ihrer Zeit an.
Viannes Mann wird irgendwo in Deutschland in einem Kriegsgefangenenlager festgehalten. So ist sie auf sich allein gestellt und setzt ihre ganzen Bemühungen ein, die schwere Zeit zusammen mit ihrer Tochter zu überleben. Sie ist kein mutiger Mensch, sondern sehnt sich einfach nur nach Frieden und wünscht sich, ihr Mann möge zurück kommen. So versucht sie, sich anzupassen und möglichst unauffällig zu bleiben. Aber je länger der Krieg andauert, umso öfter gerät sie in brisante Situationen und macht auch Fehler im Umgang mit den deutschen Besatzern. Aber sie wächst letztendlich über sich selbst hinaus und beweist eine Stärke, von der sie selbst nicht gewusst hatte, dass sie in ihr steckt.
Ihre jüngere Schwester Isabelle ist eine Rebellin. Als sie, auf der Flucht vor den Deutschen, Paris verlässt, um zu Vianne zu gelangen, lernt sie Gäeton kennen. Der junge Mann ist ein Kämpfer der Résistance. Ohne zu zögern schließt sich Isabell dieser Bewegung an. Später macht sie als die „Nachtigall“ von sich reden. Sie führt abgeschossene Piloten der Alliierten über die Pyrenäen in die Freiheit. Keiner weiß, wer sich hinter dem Namen verbirgt, aber die Deutschen setzen alles dran, die geheimnisvolle Nachtigall zu finden.

Als ich das Buch zum ersten Mal in der Hand hielt und das Cover betrachtete, hatte ich noch eine völlig andere Vorstellung vom Inhalt. Der filigrane Zweig, auf dem die goldfarbene Nachtigall sitzt, deren Körper zugleich eine Ansicht von Paris im Sonnenuntergang zeigt, hat mich auf eine ganz andere Geschichte schließen lassen.
Erhalten habe ich das Buch überraschend, im Zuge einer Lovelybooks-Aktion, von der ich hier: http://klusiliest.blogspot.de/2016/08/uberraschungspost-von-lovelybooks-die.html berichtet habe.
Auch das ganze Beiwerk, die Goldplättchen im Paket, die goldene Feder als Lesezeichen, das alles deutete für mich eigentlich eher auf eine romantische Geschichte hin. Aber von Romantik ist im Roman ganz und gar nichts zu spüren. Zu hart und grausam ist die geschilderte Zeit, in der für die Liebe und für alles Schöne kein Platz war.
Anfangs hatte ich diverse Schwierigkeiten, in die Geschichte hinein zu kommen. Ungefähr das erste Drittel hat sich für mein Empfinden etwas gezogen. Aber dann passiert so viel, die Ereignisse überschlagen sich, und man möchte immer nur weiterlesen, wird völlig von der Handlung vereinnahmt. Die Charaktere der Schwestern haben mir beide sehr gut gefallen, obwohl (oder gerade weil) sie so unterschiedlich sind. Vianne ist eher zurückhaltend in ihrer Art. Sie versucht, ihre Tochter zu beschützen und schlägt sich durch, im täglichen Kampf um die notwendigsten Dinge zum Überleben. Ich konnte sie gut verstehen, und so wie ihr, ging es sicher vielen Frauen damals. Sie wagt nicht, aufzubegehren, als ein deutscher Hauptmann bei ihr einquartiert wird. Isabelle, die zu dieser Zeit gerade bei ihrer Schwester im Haus lebt, kann sich nicht damit abfinden und sucht ständig die Konfrontation. Ihr Benehmen macht Vianne Angst, denn sie befürchtet, ein falsches Wort könnte sie alle in Gefahr bringen.
Bei Isabelle wusste ich teilweise nicht, ob ich ihren ungeheuren Mut bewundern oder über ihre draufgängerische Art den Kopf schütteln sollte.
Zwar spielt auch die Liebe bei den Protagonisten eine Rolle, aber diese ist in Zeiten des Kriegs ungewiss. Besonders an Isabelles Beispiel zeigt sich das sehr deutlich. Gerade ihr Schicksal hat mich letztendlich tief berührt.
Über die Zeit des zweiten Weltkriegs aus dieser Perspektive hatte ich vorher noch nicht viel erfahren Die meisten Berichte, die ich vorher gelesen hatte, spielten direkt in Deutschland oder waren aus dem Blickwinkel von Menschen, die einer damals verfolgten Bevölkerungsgruppe angehörten. Das Ausmaß des Leidens und der Einschränkungen der Bevölkerung Frankreichs während des Kriegs war mir bisher nie so bewusst geworden.
Kristin Hannah hat in diesem Roman, der ihr eine Herzensangelegenheit war, wie sie selbst im Nachwort schreibt, all den Frauen ein literarisches Denkmal gesetzt, die sich damals für Frieden und Freiheit eingesetzt haben, jede auf ihre persönliche Art. Es gab sicher viele ähnliche Schicksale, denen dieser Roman ein Andenken setzt.

Ich kann nicht sagen, dass mir der Roman „gefallen“ hat, zu schrecklich sind die damaligen Ereignisse, die geschildert werden und die leider einen nur allzu realen Hintergrund haben. Aber die Geschichte hat mich beeindruckt, erschüttert und mitgerissen, und sie klingt immer noch nach.

Veröffentlicht am 08.04.2017

Das Haupt der Welt

Das Haupt der Welt
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Man schlägt dieses Buch auf, bewundert gerade noch die hochwertige Ausstattung und den schönen Einband, versucht sich auf den ersten Seiten die fremdartigen Namen, besonders der slawischen Protagonisten, ...

Man schlägt dieses Buch auf, bewundert gerade noch die hochwertige Ausstattung und den schönen Einband, versucht sich auf den ersten Seiten die fremdartigen Namen, besonders der slawischen Protagonisten, einzuprägen, und ehe man sich versieht, findet man sich in einer fremden, alten Welt wieder, von der man gar nicht mehr lassen möchte.
Mit der Handlung ihres neuen Buches hat sich Rebecca Gablé in heimatliche Gefilde begeben. Ihre bisherigen historischen Romane spielten fast ausnahmslos in England, aber diesmal führt uns die Geschichte nach Sachsen und Ostfranken, zur Regierungszeit von König Otto I.
Schon das Bild der heiligen Lanze auf den Einband und der Buchtitel weisen auf Otto als Hauptperson hin, denn der König erhielt von Widukind v. Corvey damals wirklich den Beinamen „Haupt der ganzen Welt“, und die Lanze spielt eine gravierende Rolle in der Handlung. Es kommen im Verlauf der Handlung sehr deutlich die Probleme zutage, die Otto dabei hat, die Grenzen seines Reiches zu sichern und zu erweitern.
Für mich persönlich jedoch ist der eigentliche Held des Romans der slawische Prinz Tugomir, der von König Heinrichs Heer gefangen und als Geisel mitgenommen wurde. Auch später, unter Ottos Herrschaft, ist er lange Zeit ein Unfreier, der sich jedoch durch seine Heilkünste einen Namen und unentbehrlich macht. Nicht nur Otto rettet er durch seine Kenntnisse das Leben, sondern auch vielen seiner Untertanen, und doch begegnen ihm die Sachsen mit Vorurteilen und Arroganz, denn für sie sind die Angehörigen der östlichen Völker Ungläubige, die missioniert werden müssen. Tugomirs Gefühle dem Sachsenherrscher gegenüber schwanken zwischen Hass und Loyalität. Es dauert viele Jahre, bis König Otto in ihm den Freund erkennt und ihn um Hilfe bittet. Ein weiterer Lieblingscharakter von mir ist Ottos Halbbruder Thankmar, der durch Offenheit und einen gewissen Sarkasmus auffällt, in der historischen Entwicklung leider nicht gerade gut wegkommt und herbe Enttäuschungen und Schicksalsschläge einstecken muss.

Ein interessanter Aspekt dieses Romans ist, dass die meisten der beschriebenen Charaktere real existiert haben und die fiktiven Figuren deutlich in der Minderzahl sind. Über viele der historisch belegten Personen ist wenig bekannt, und Rebecca Gablé hat ihnen ein packendes Schicksal auf den Leib geschrieben, wobei sie stets möglichst nah’ den wirklichen Verlauf der Geschichte berücksichtigt. Dies tut sie mit einer Gründlichkeit und Detailtreue, dass man sich sehr gut in die damalige Zeit hineinversetzen kann und eine plastische Vorstellung davon hat, wie es damals gewesen sein könnte. Bei ihren Ausführungen spart die Autorin nicht an brutalen Szenen, ohne sie jedoch unnötig auszuschlachten. Sie passen einfach ins Bild, denn damals war das Leben sicher kein Honigschlecken, und Kriege waren schon immer grausam. Auf der Basis intensiver und ausgezeichneter Recherchen baut sich die Handlung faszinierend und lebendig auf. Mitreißend geschrieben und mit dem ihr eigenen feinen Humor gewürzt hat Rebecca Gablé wieder ein grandioses und absolut lesenswertes Epos geschrieben, das für mich zu den Highlights des Jahres 2013 zählt.

Veröffentlicht am 08.03.2017

Die Irak-Mission

Die Irak-Mission
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Der Roman ist im Präsens geschrieben, und diese Schreibweise bringt mir eine Geschichte immer besonders nahe. Bildhaft und sehr authentisch schildert die Autorin die Ereignisse im Nordirak, wohin die Chirurgin ...

Der Roman ist im Präsens geschrieben, und diese Schreibweise bringt mir eine Geschichte immer besonders nahe. Bildhaft und sehr authentisch schildert die Autorin die Ereignisse im Nordirak, wohin die Chirurgin Claire dem Hilferuf eines alten Freundes folgt. Als sie nach Ibrahims Anruf aufbricht, um ihn in Kirkuk bei der Versorgung der vielen verletzten Kinder zu unterstützen, weiß sie noch nicht, auf was sie sich da einlässt, denn ihre Mission ist einerseits wichtig, aber auch sehr gefährlich.
Drei Frauen begleiten sie, um mit ihr zu arbeiten. Doch bereits auf dem Weg nach Kirkuk ergeben sich ungeahnte Hindernisse und Gefahren.
Zur gleichen Zeit ist auch ein Mitarbeiter des BND unterwegs in den Irak. Robert hat eine besondere Mission zu erfüllen und spielt eine wichtige Rolle im Roman.
Und da ist dann noch Gulala, die ebenfalls einige Zeit in Deutschland lebte und seit dieser Zeit mit Ibrahim befreundet ist. Gulala ist eine sympathische, intelligente Frau, aber seit ihrer Heirat lebt sie weitgehend isoliert. Rizgar, ihr Mann, ist nicht an ihrer Meinung interessiert und sieht ihren Platz einzig und allein im Haus. So ist sie in erster Linie für ihre Söhne da und schreibt heimlich brisante Berichte, die jedoch nicht zur Veröffentlichung kommen, da im Nordirak ein absoluter Funkstopp herrscht, denn der Flugzeugabsturz soll unter allen Umständen vertuscht werden.

Die Autorin hat einen sehr fesselnden, eindringlichen Schreibstil. Kirkuk ist in der Handlung ein Brennpunkt, wo viele verschiedene Interessen aufeinanderprallen. Die Protagonisten arbeiten unter Lebensgefahr, sitzen quasi ständig wie auf einem Pulverfass, das jeden Moment explodieren kann. Dass sie trotzdem tun, was getan werden muss, setzt ungeheuer viel Mut und Idealismus voraus. Sehr plastisch wird die Lage beschrieben, indem man Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt der verschiedenen Charaktere erhält. Die Geschichte ist so packend dargestellt, dass sie mich bis in meine Träume verfolgte.
Sie bietet jede Menge Stoff zum Nachdenken. Man erfährt hier eine Welt der Männer, die getrieben sind von Ehre, Rache und Machthunger und dies alles mit Brutalität und Waffengewalt erzwingen wollen. Obwohl Frauen in diesem Gefüge nach außen hin wenig zu sagen haben, liegt doch bei ihnen, in ihrem Wunsch nach Frieden, die wahre Stärke, eine große, unerschütterliche Kraft, die alles vorantreibt und tatsächlich etwas bewirkt.

Diese weibliche Urkraft, die Carola Wegerle in ihrem Roman sehr deutlich zum Ausdruck bringt, ist für mich die schlüssige und wichtige Aussage der Geschichte. Aus diesem Grund ist meines Erachtens heute, am internationalen Frauentag, der perfekte Zeitpunkt, meine Rezension zu veröffentlichen.

Veröffentlicht am 02.03.2017

Bartleby, der Schreiber

Bartleby, der Schreiber
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Diese kleine Geschichte spielt an der Wallstreet. Es sind keine Zeitangaben gemacht, aber die Erzählung wurde im Jahr 1853 veröffentlicht, und ich vermute, dass auch die Handlung ungefähr Mitte des 19. ...

Diese kleine Geschichte spielt an der Wallstreet. Es sind keine Zeitangaben gemacht, aber die Erzählung wurde im Jahr 1853 veröffentlicht, und ich vermute, dass auch die Handlung ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts spielt. „Bartleby, der Schreiber“ entstammt der Feder von Herman Melville, dem Verfasser des weltberühmten Klassikers „Moby Dick“.

Die Ereignisse sind aus der Sicht eines älteren Notars geschildert. Der Ich-Erzähler hat seine Kanzlei an der Wallstreet. Die Aussicht aus seinem Büro ist trist, denn man starrt auf die Mauern der umstehenden Hochhäuser. Der Notar, der durchgehend anonym bleibt, hat mehrere angestellte Schreiber, deren Charakterzüge und Eigenheiten er zuerst ausführlich darlegt. Da die Arbeit im Büro ständig zunimmt, sieht sich der Notar genötigt, einen weiteren Schreiber bzw. Kopisten einzustellen. Auf seine Anzeige hin meldet sich ein junger Bewerber namens Bartleby, und er nimmt den stillen Mann auch gleich unter Vertrag. Bartleby erweist sich in der ersten Zeit als fleißig und gewissenhaft. Aber als der Notar ihn eines Tages bittet, eine extra Aufgabe für ihn zu erfüllen, antwortet Bartleby: „Ich würde vorziehen, das nicht zu tun.“ Im ersten Augenblick ist sein Chef empört, dann verstört, denn mit einer Weigerung hat er nicht gerechnet. Allerdings erfolgte diese so sanft und leise, dass dem Notar der Wind aus den Segeln genommen wurde. In der folgenden Zeit werden derartige Weigerungen Bartlebys häufiger und erfolgen immer mit den Worten: „Ich würde vorziehen, das nicht zu tun“. Sie führen letztendlich zur völligen Selbstaufgabe des Schreibers.

Der Notar weiß nicht, was er tun soll, denn irgendwie hat Bartlebys Verhalten etwas Anrührendes. Wie sich herausstellt, verlässt er die Kanzlei nicht, sondern lebt in seinem Büro. Einerseits hat sein Chef Mitleid, und doch möchte er ihn am liebsten loswerden, aber etwas hält ihn davon ab, den Mann auf die Straße zu setzen. Bartleby widersteht allen Überredungskünsten, die Kanzlei mit einer Abfindung zu verlassen. Der Inhaber sieht keine andere Möglichkeit, als sein Büro zu verlegen. Die Folgen dieses Umzugs sind fatal. Der Notar kann zwar Bartleby damit aus seinem Gesichtsfeld bannen, aber nicht aus seinen Gedanken, und immer noch fühlt er sich für den einsamen, stillen Mann verantwortlich.

Die Geschichte umfasst gerade einmal siebzig Seiten, und doch schafft es dieses kleine Büchlein, mehr Emotionen freizusetzen als so mancher Wälzer. Ich habe Bartlebys Schicksal mit sehr gemischten Gefühlen verfolgt und wurde ständig hin und her gerissen zwischen Unverständnis und Mitgefühl. Der Ich-Erzähler bleibt anonym und gesichtslos bis zuletzt, und doch gelingt es dem Leser, sich in den Notar hinein zu versetzen. Man kann seine Zweifel und Befürchtungen gut verstehen. Es spricht für ihn, dass er sich so lange um Bartleby bemüht. Man kann nur erahnen, was in dem stillen Schreiber vorgeht. Seine ganze Erscheinung wirkt so einsam und anrührend. Obwohl man nur wenig über ihn erfährt, hofft man auf eine Wendung zum Guten. Erst ganz zuletzt erfährt man ein wenig über Bartlebys Vorgeschichte, die wohl sein Leben geprägt hat.

Die Person Bartlebys mutet einerseits grotesk an, aber dabei ist diese Erzählung so dicht und ergreifend geschrieben und so eindrucksvoll, dass sie einen einfach berühren muss. Ich für meinen Teil werde Bartleby sicher so schnell nicht vergessen.