Profilbild von KrimiElse

KrimiElse

Lesejury Profi
offline

KrimiElse ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit KrimiElse über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.10.2017

Cleverer Spionagethriller

Der Preis, den man zahlt
0

Ein abgebrühter Geheimagent in den Wirren des spanischen Bürgerkrieges 1936, ein Auftrag, hinter dem sich ein unglaubliches politisches Komplott verbirgt und Sucht nach dem Leben und der Liebe sind die ...

Ein abgebrühter Geheimagent in den Wirren des spanischen Bürgerkrieges 1936, ein Auftrag, hinter dem sich ein unglaubliches politisches Komplott verbirgt und Sucht nach dem Leben und der Liebe sind die Zutaten zu diesem Agentenroman, der ein bisschen an Film-noir-Klassiker mit kettenrauchenden melancholischen einsamen Wölfen, schönen Frauen in mehr oder weniger heruntergekommenen Hotelbars und ständig lauernder Gefahr erinnert.

Der Autor Arturo Perez-Reverte bietet in seinem Roman „Der Preis, den man zahlt“ eine äußerst spannende und gekonnte Mischung aus Agententhriller und Historienroman. Er erzählt eine verstrickte und abgründige Geschichte und wird in meinen Augen völlig zu recht als Umberto Eco in Steven-King-Manier gelobt.
Natürlich sollte man bei solch einem Buch keine ganz große Literatur mit tiefschürfenden Einblicken in die Seelen der Charaktere erwarten, und das versucht das Buch auch nicht zu sein. Es ist ein sehr gut geschriebener, fesselnder Spannungsroman vor dem hochinteressantem historischen Hintergrund der Bürgerkrieges in Spanien 1936 zwischen den militärischen Putschisten und Falangisten auf der einen und den Kommunisten und Anarchisten auf der anderen Seite, der mit Blick auf den mit allen Wassern gewaschenen Agent Lorenzo Falcó eine Geschichte von Gewissenlosigkeit, Loyalität und Menschlichkeit am Rande des Abgrundes erzählt, von politischer Leidenschaft und Opferbereitschaft und davon, wie Menschen letztlich nur Figuren auf dem großen Spielbrett beim Kampf um die Macht sind.

Die auf wahren Ereignissen basierende Geschichte begleitet Lorenzo Falcó, den Agenten einer Spezialeinheit des Franco-Geheimdienstes SNIO, während eines Auftrages hinter den feindlichen Linien in der Gegend um Cartagena. Er soll organisieren, den Falangisten-Führer José Antonio Primo de Rivera aus dem Gefängnis in Alcante zu befreien. Falcó scheint genau der Richtige für den Job zu sein, mit allen Wassern gewaschen, ein ehemaliger Waffenhändler, berechnender Frauenheld und zwiespältiger Charakter, der den Kick der Gefahr braucht und sich nahe am Abgrund bewegt.
Doch nichts ist wie es scheint, Falcó gerät zwischen die Fronten und Interessen der Machtrangeleien zwischen der Republik, Franco-Anhängern und Falangisten und damit in sehr große Gefahr. Letztlich muss er erstmals eigene Entscheidungen treffen, um eine Chance auf sein Überleben zu haben in dieser düsteren und hoffnungslosen Welt.

Der Autor Arturo Perez-Reverte schreibt in klarer und sehr gut lesbarer Sprache, schon die Eröffnungssequenz setzt ein hohes Niveau in Anlehnung an das hohe Tempo alter James-Bond Geschichten, das allerdings im weiteren Verlauf nicht ganz gehalten werden kann. Die düsteren und knappen Dialoge unterstreichen die Stimmung sehr gut, vermitteln ein Gefühl für den abgehalfterten Lebensstil und die Abgebrühtheit von Falcó, dem ein bisschen mehr Verwundbarkeit und Melancholie als Charakter sehr gut getan hätte, um in Philip-Marlowe Manier letztlich mit dunklem Blick auf die Scherben der Ereignisse und der Welt zu schauen.

Der Autor Arturo Perez-Reverte (geboren 1951 in Cartagena), Autor des Weltbestsellers „Der Club Dumas“ ist einer der erfolgreichsten Autoren Spaniens. Er arbeitete 21 Jahre als Kriegsreporter, seine Romane sind in viele Sprachen übersetzt.

Veröffentlicht am 25.07.2017

Britisch, etwas schrullig und wortgewandt

Eine von uns
0


Unterhaltsam, etwas schrullig und betulich, also „very British“ präsentiert sich der Roman „Eine von uns“ der britischen Autorin Harriet Cummings. Das Buch zeigt treff- und stilsicher die Zerbrechlichkeit ...


Unterhaltsam, etwas schrullig und betulich, also „very British“ präsentiert sich der Roman „Eine von uns“ der britischen Autorin Harriet Cummings. Das Buch zeigt treff- und stilsicher die Zerbrechlichkeit einer Gemeinschaft, und dies mit der Dynamik der Furcht und Unsicherheit vor Unbekanntem.
Die Geschichte nimmt Bezug auf reale Ereignisse im Sommer 1984, als in Dörfern in den Chiltern Hills (GB) ein Einbrecher namens Fox umging, der zwar nichts gestohlen, aber Unordnung in der Häusern verursacht hat.

Delores ist jung, hübscher als Madonna und auf der Suche nach harmloser Ablenkung von ihrer frustrierenden Ehe in einem kleinen englischen Dorf in den 1980er Jahren. Sie verliert ihre neue Freundin Anna, eine unscheinbare junge Frau, die einfach so verschwindet. Die Dorfbewohner vermuten, dass der geheimnisvolle Einbrecher Fox verantwortlich ist, der nichts stiehlt sondern die Ordnung in Häusern, insbesondere in den Schlafzimmern ihrer Bewohner, ein wenig durcheinander bringt. Die Angst greift um sich, Vermutungen zur Identität von Fox führen zu gegenseitigen Anschuldigungen und schließlich zur Bewaffnung…

Die Autorin Harriet Cummings zeichnet in ihrem Debütroman ein treffendes und abgründiges Bild einer englischen Dorfgemeinschaft abseits der Hauptstraße. Einiger der Bewohner führen über lange Zeit ein Schattendasein, man würde ihr Verschwinden wahrscheinlich nicht einmal bemerken. Neulinge und Zugezogene finden nur schwer oder gar nicht ihren Platz, es gibt keine Willkommenskultur, sie sind Fremde und werden so behandelt.
Als sich die Unsicherheit und Hysterie unter den Bewohnern breit macht, bröckelt auch der einstmals gute, auf genaueren Blick aber sehr fragile Zusammenhalt unter den Menschen haltlos. Die augenscheinliche Idylle fällt und raffiniert spielt die Autorin mit gegenseitigem Misstrauen und der zunehmenden Aggressivität.

Unterstützt wird die Spannung durch die gut angelegte Charaktere. Neben Deloris, die zunehmend frustriert erscheint, gibt es ihre neue Freundin Anna, die jahrelang ein Schattendasein in der Krankheit ihrer Mutter führte und auch nach deren Tod kaum wahrgenommen wird, Brian der Dorfpolizist ist offen und sympathisch dargestellt, er kümmert sich um seinen kranken Bruder, oder der neue Vikar Jim, der mit seiner dunklen Vergangenheit zu kämpfen hat und wie Delores ein Fremder und Neuling im Dorf ist.

Im Klappentext wird Hochspannug á la Hitchcock versprochen. Das sollte man von diesem Buch nicht erwarten. Wenn auch spannend erzählt dreht sich die Geschichte mehr um schrulliges und abgründiges Verhalten, um soziale Bindungen und um den Platz des Einzelnen in einer festgefahrenen Gemeinschaft. Es ist ein tiefgreifendes und für mich hochinteressantes Portrait einer abgeschotteten Dorfgemeinschaft in der Krise, das die Autorin zeichnet, sie hat den Finger auf der Wunde und betrachtet das Ganze dennoch mit angenehmen Witz, ohne dabei zynisch zu werden.

Veröffentlicht am 17.04.2017

Landleben abseits der Hauptstrasse

Niemand ist bei den Kälbern
0

Der Roman "Niemand ist bei den Kälbern" von Alina Herbing vermittelt im Gegensatz zu der verbreiteten romantischen Meinung über das Landleben ein ungleich schmutzigeres, raueres und komplett unromantisches ...

Der Roman "Niemand ist bei den Kälbern" von Alina Herbing vermittelt im Gegensatz zu der verbreiteten romantischen Meinung über das Landleben ein ungleich schmutzigeres, raueres und komplett unromantisches Bild vom Leben in einem Dorf abseits der Hauptstraße im ehemaligen Zonenrandgebiet Mecklenburg-Vorpommerns. Mit gewaltiger, vereinnahmender, bildhafter aber auch wundervoll poetischer Sprache erzählt die Autorin ganz nah an den Figuren eine Geschichte, die Abscheu und Mitleid, Verunsicherung und Ratlosigkeit, aber auch Hoffnung und nicht zuletzt intensives Nachdenken hervorruft.

Christin lebt in Schattin, einem winzigen Dorf am westlichen Rand Mecklenburg-Vorpommerns auf dem Bauernhof ihres Freundes Jan und dessen Vaters. Gestank, Schmutz, ein am Milchvieh orientierter Tagesablauf und ewige Langeweile und Trostlosigkeit bestimmen in flirrender hochsommerlicher Hitze ihr Leben. Von Alkoholismus, Rechtspopulismus und den ewig gleichen Dorffesten im Nachbarort erzählt die Geschichte ihres dumpfen und ausweglosen Lebens genauso wie vom schwer alkoholkranken Vater, der von der übrigen Dorfgemeinschaft geächtet wird.
Sie träumt von Stöckelschuhen und schönen Kleidern in der Großstadt und kann der Arbeit auf dem Hof und dem Leben mit Jan nichts abgewinnen. Als der Windkrafttechniker Klaus auftaucht, scheint Christin endlich einen Ausweg zur Flucht aus der Einöde gefunden zu haben, doch alles kommt noch viel schlimmer...

Es ist fast unheimlich, wie treffend die Autorin die Figuren, insbesondere Christin, gezeichnet hat. Keiner der Charakter ist ein Sympathieträger, alle kämpfen mit ihrer Existenz oder sind schon gescheitert und haben den Kampf aufgegeben. Merkmale wie Ignoranz, Dummheit, Respektlosigkeit und mangelnde Liebe zum Leben und zu sich selbst gab die Autorin ihren Figuren mit und lässt sie in geballter Ladung auf den Leser los, so dass man beim Lesen keinen Abstand hat.
Und genau das fasziniert an diesem Roman. Trotz allen Schmutzes und der aufkeimenden Antipathie für Christin hofft man beim Lesen darauf, dass sie den Absprung schafft und ihr Leben in die Hand nimmt, weggeht und für sich einen neuen Anfang finden kann.

In dichter Sprache mit fast blitzlichtartigen Bildern und hohem Symbolgehalt treibt die Autorin den Leser fast atemlos durch den Roman. Rückblicke zur Vergangenheit gibt es nur als kleine Andeutungen und Episoden, manchmal glücklich, oft genauso verzweifelt und aussichtslos wie die Gegenwart. Dennoch zeichnet sich ein rundes und für mich recht vollständiges Bild von Christin und ihrer Umgebung.

Nach dem Zuklappen des Buches war ich fast etwas paralysiert und sehr froh, dass ich nicht in dieser Gegend Deutschlands aufgewachsen bin und nur darüber gelesen habe. Man merkt nicht, dass es sich um ein Debüt handelt. Handlungsstruktur, Dramatik und Sprache sind sehr gut durchdacht und künden von der Kraft, die in dieser Geschichte steckt. Mir hat das Buch ausgezeichnet gefallen, und wer keine Angst vor Blicken über den ordentlich-bürgerlichen Tellerrand hat, sollte diesen Roman unbedingt lesen.

Veröffentlicht am 17.04.2017

Skurril und melancholisch

Dinge, die vom Himmel fallen
0

Skurril, verstörend und stilistisch ungewöhnlich befasst sich die finnische Autorin Selja Ahava in ihrem preisgekröntem Buch "Dinge, die vom Himmel fallen" mit schicksalhaften Zufällen, die sich auf verwirrende ...

Skurril, verstörend und stilistisch ungewöhnlich befasst sich die finnische Autorin Selja Ahava in ihrem preisgekröntem Buch "Dinge, die vom Himmel fallen" mit schicksalhaften Zufällen, die sich auf verwirrende Weise jeder rationalen Erklärung zu entziehen scheinen und lässt den Leser dabei irritiert und sehr nachdenklich zurück.

"Wenn man ... drei Jahre alt ist und ein starker Wind weht, sollte man nicht auf den Horizont starren und sagen: "Ich frage mich gerade, wie der Wind entsteht." Man sollte lieber erklären, dass man Hubschrauber spielt"

Aus einer glücklichen Familienidylle im "Sägemehlhaus" werden die kleine Saara und ihr Vater Pekka durch den brutalen und nicht fassbaren Tod der Mutter Hannele herausgerissen. Hannele wurde von einem Einbrocken, der von einem Flugzeug vom Himmel fiel, erschlagen.
Pekka kommt mit der Situation nicht zurecht und die beiden ziehen zu Tante Annu in deren riesiges Gutshaus. Pekka verfällt in Depressionen, er zerbröckelt, und ist nicht in der Lage, sich um Saara zu kümmern, die in ihrer kindlichen Art verzweifelt versucht, mit der Trauer um ihre verlorene Mutter zurecht zu kommen.
Kleine heilende Schritte und Saaras einsames Bemühen zum Weitermachen und Weiterleben sprechen aus dem in kantiger Sprache verfassten Text, dessen kindliche Logik traurig und betroffen machen.

"Manchmal stirbt ein Mensch leicht, manchmal schwer. Mama und Jesus starben leicht, meine Mutter bei der gewöhnlichen Gartenarbeit, Jesus durch vier Nägel, und über solche Tode wollen die Erwachsenen nicht reden."

Annu wird ebenfalls vom Zufall gebeutelt: zweimal nacheinander gewinnt sie den Jackpot der staatlichen Lotterie und verfällt daraufhin für drei Wochen in einen Dornröschenschlaf. Doch das Leben geht weiter und Annu findet Trost, wenn auch keine Antworten, bei der Korrospondenz mit einem Fischer aus Schottland, der bereits viermal vom Blitz getroffen wurde und überlebt hat.
Annu helfen die Briefe zwar nicht zu verstehen, warum die unglaublichen Zufälle ihres zweifachen Lottogewinns oder der so unwahrscheinliche Tod von Hannele in ihrem Leben passierte, doch man hat das Gefühl, dass sie für sich einen neuen Weg finden kann. Letztlich gibt es nichts zu verstehen, Dinge passieren oder sie passieren eben nicht.

"Dinge passieren. Gleichzeitig, zur falschen Zeit, zu verschiedenen Zeiten an den falschen Orten."

Pekka lebt nach langer Zeit mit einer jungen Frau zusammen, Kristina, die Familie ist zurück ins Sägemehlhaus gezogen, wo Saara von verstörenden Alpträumen mit ihrer Mutter geplagt wird, doch der Geist verliert Energie und verschwindet allmählich.

Es ist nicht leicht, sich dieser sperrigen Geschichte zu öffnen, bei der stilistische und perspektivische Wechsel, Ratlosigkeit und Interpretationsnotstand sowie die Vermengung realer Ereignisse mit Unfassbarem den Zugang erschweren. Bewusst übertrieben wird von der Autorin mit Zufall und der Wahrscheinlichkeit von Ereignissen gespielt, mit der Grenze zwischen Realität und fast märchenhafter Mystik, die sich zu verschieben scheint.
Als Leser ist man wie die Figuren der Geschichte geneigt, einen Sinn hinter den Geschehnissen zu finden, den es aber im Roman nicht gibt. Und das schafft Verwirrung und Erklärungsnotstand. Erst durch die Akzeptanz, dass Dinge nun mal passieren, ohne Sinn und Zweck, kann sich der Knoten vielleicht lösen.

Und ja, ich bin nach dem Zuklappen des Buches immer noch verwirrt. Es ist mir zum Beispiel nicht klar, ob das sehr offene Ende hoffnungsvoll gemeint ist oder ob die Suche nach Erklärungen einfach beiseite geschoben wird, um irgendwie weiter machen zu können:

"Die Welt geht weiter. Nichts ist klar, aber die Zeit heilt alle Wunden, und der Mensch vergisst."

Mich hat sei Lektüre trotz aller Verwirrung berührt, ein zwar sperriges, distanziertes, melancholisches, teils morbides und schwieriges Werk, das aber in meinen Augen Aufmerksamkeit verdient hat. Selja Ahava erhielt 2016 für dieses Buch des Literaturpreis der Europäischen Union und es war nominiert für den Finlandia Prize.

Veröffentlicht am 17.04.2017

Eine Seefahrt, die ist lustig...

Der Fisch in der Streichholzschachtel
0

Der Buchtitel und der Klappentext verspricht einen klugen und hintersinnigen Roman mit scharfer Zivilisationskritik. Beim Lesen stellt sich heraus, dass die Grundidee zwar amüsant und gleichzeitig tiefsinnig ...

Der Buchtitel und der Klappentext verspricht einen klugen und hintersinnigen Roman mit scharfer Zivilisationskritik. Beim Lesen stellt sich heraus, dass die Grundidee zwar amüsant und gleichzeitig tiefsinnig ist, dass das Buch aber leider auch ein paar Längen hat. Der Fisch ist übrigens der Hauptakteur Fred und die Streichholzschachtel seine Kabine auf einem Kreuzfahrtschiff.

Die Kreuzfahrt, die Familienvater Fred, Inhaber einer Sicherheitsfirma auf dem absteigenden Ast und kurz vor der Pleite, mit seiner Frau Tamara (in einer ganz normalen Ehekrise feststeckend) und den beiden Kindern (die 15jährige Malvie - dünn und Grüften und der 10jährige Tom - dick und verfressen), wirkt mit dem künstlichen Freizeitleben abgeschmackt und todlangweilig. Freds Laune ist am Tiefpunkt, vorprogrammierte Familienkonflikte brechen aus, als Fred an Bord auf seine Exfreundin Amélie trifft. Man könnte meinen, die seelischen Spannungen, die die Charaktere quälen, lösen einen ausgewachsenen Sturm aus, das Schiff gerät in einen Orkan und mit der seelenruhigen Langeweile ist es schlagartig vorbei. Der Kontakt zur Außenwelt ist unterbrochen, und da Stürme ein Zeitloch provozieren können (laut Buch), kämpft sich auch ein Piratenschiff aus dem 18. Jahrhundert durch den Orkan, mit dem berühmten Klaus Störtebekker als Kapitän (oder einer abgedroschene Kopie des Originals). Trotz Enterhemmung und einer Stimmung kurz vor der Meuterei fallen die Piraten über die "Atlantis" her, ein mehrstöckiges Wunder in ihren Augen. Und sie halten den Luxusliner nicht etwa für ein Wunder aus der Zukunft, sondern für ein Überbleibsel einer erstaunlich hochtechnisierten Vergangenheit, sind beeindruckt und verwirrt von Gegenständen wie Mobiltelefonen, Pfefferstreuern, Toilettenpapier und Kameras.

Das Buch ist ein ziemlich komischer Abenteuerromanen, eine Satire, mit witzigen Details, eingängig und leicht lesbar geschrieben. Es gibt Passagen, die eindringliche Bilder schaffen, wie zum Beispiel die Beschreibung des Sturmes, die an alte Seemannsromane erinnert. Es ist aber auch ernste Lektüre, in der der Autor seine Fabulierverrücktheit ausleben konnte, mit überraschenden Tiefe.

„Eine Kreuzfahrt ist die Endstation der Verbraucherhölle westlicher Lebensträume – man lässt sich einsperren mit all den blasierten Wasserköpfen der Konsumgesellschaft, und man verzichtet auf jeden Fluchtweg. 12 Nights Caribbean ist wie Familienweihnachten auf engstem Raum, im erweiterten Verwandtenkreis, überfrachtet mit all den unterdrückten Wünschen, offenen Rechnungen und Ansprüchen, aber zeitlich ausgedehnt auf zwölf Tage.“

Zwei unterschiedliche Stränge mit zwei Ich-Erzählern sorgen für Spannung. Neben Freds sehr realistischer und gegenwärtigen Geschichte besteht der fantastische und skurrile Teil, der als zweiter Handlungsstrang vom Geograf Salvino d'Armato degli Armati in seriöser und getragener Sprache erzählt wird und die Piraten betrifft. Der Zusammenprall beider Kulturen durch den Sturm erzeugt Gesellschaftskritik, neben detaillierten verrückten Situationen, die durch fremden Blick auf Vertrautes entstehen.

Vergnüglich und kurzweilig beim Lesen ist hier die genaue Beobachtungsgabe des Autors und seine Ironie. Doch leider wird genau dieser ironische Blick in meinen Augen überstrapaziert, der sich ergebende Witz auf jeden kleine Detail gelenkt. Und da Freds doch sehr alltägliche und ständig wiederholte Probleme den Roman doch sehr bestimmen, wird aus einer witzigen und hintersinnigen Lektüre leider stellenweise ein träger Langweiler.
Ich vergebe gute 3,5 Sterne.