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Veröffentlicht am 15.09.2016

außen hui, innen pfui

Maestra
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Meine Zusammenfassung
Judith Rashleigh kommt aus einem kleinen britischen Ort und war schon in der Schule eher das Mobbingopfer als eine gute Schülerin oder gar beliebt. Sie will nach oben, will Ruhm und ...

Meine Zusammenfassung
Judith Rashleigh kommt aus einem kleinen britischen Ort und war schon in der Schule eher das Mobbingopfer als eine gute Schülerin oder gar beliebt. Sie will nach oben, will Ruhm und Reichtum, will Anerkennung. Sie hofft, dass ihr Kunststudium und die danach folgende Anstellung in einem der zwei besten Kunstauktionshäuser Londons ihr dazu verhilft. Doch es kommt ganz anders. Nach drei Jahren ist sie immer noch ganz unten. Ihr Chef schickt sie gar zu einem Kunden, von dem er weiß, dass dieser sie nur begrapschen wird und auch gern noch weiter geht. Da wittert Judith ihren großen Durchbruch, denn sie erkennt eine Fälschung eines wertvollen Bildes und will ihren Chef damit beeindrucken, indem sie ihn vor einem großen Skandal bewahrt. Doch es kommt anders: Ihr Chef feuert sie fristlos, lässt sie gar mit Security sofort hinaus werfen.

Judith ist maßlos enttäuscht. Sie sieht ihre Wünsche, die sie für ihr Leben hatte, in weite Ferne gerückt. Sie reagiert sich erst einmal mit einem flotten Dreier ab. Die nächsten Tage arbeitet sie als Hostess in einem Club, wo reiche, meist verheiratete Männer einfach nur ein bisschen reden und trinken mit schönen Frauen. Damit hatte sie schon einige Wochen zuvor angefangen, um ihr karges Gehalt aufzubessern. Ein Mann macht ihr das Angebot, mit ihm nach Cannes zu fahren für ein Wochenende. Judith besteht darauf, eines der anderen Mädchen auch mit zu nehmen, und begleitet ihn dann. Sie hat jedoch nicht vorausgesehen, dass der Mann, den sie schon mehrere Wochen kennt, dann doch mehr will als nur trinken und reden. Sie denkt sich nichts dabei, als sie ihm Beruhigungsmittel in den Drink mischt und sich eine schöne Nacht in Cannes macht.


Meine Meinung
Der Schreibstil ist größtenteils ganz in Ordnung. Manchmal ist er einfach nur beschreibend, dann wieder äußerst nüchtern und objektiv, als es etwa um eine Sexszene geht, und dann gibt es immer mal wieder kleine Beschreibungen, die mir ein Grinsen auf das Gesicht zauberten. So wird einmal etwa beschrieben: "Bösartige kleine Augen zuckten über einem ergrauten Hitlerbärtchen, das an seiner Oberlippe hing wie eine Nacktschnecke an der Sprungschanze." (S. 44). Diese kleinen humorvollen Beschreibungen sind jedoch eher eine Seltenheit, sodass ich den Eindruck habe, dass sie nicht wirklich zum Schreibstil gehören, sondern eher punktuell eingefügt wurden. Ich bekam den Eindruck, dass die Autorin diese kleinen Beschreibungen etwa in einem anderen Buch gefunden und dann selbst verwendet hat, um ihren Roman etwas aufzulockern. Sie passen also nicht wirklich zum übrigen Schreibstil, wirken eher wie ein Fremdkörper.

Gerade die Sexszenen finde ich dann allerdings eher abstoßend. Sie sind einfach nur vulgär und bewegen sich sprachlich auf einem ganz niedrigen Niveau. Immer, wenn es um Sex geht, wird nur von fi**** (Von mir zensiert, weil ich dieses Wort einfach abstoßend finde!) gesprochen. Ganz ehrlich: Wenn ich etwas mit diesem Wort lesen will, dann nehm ich mir die Liedtexte von Eminem oder anderen Rappern vor, aber kein Buch, das angeblich ein internationaler Bestseller sein soll! Und die Beschreibung, was da wogegen klatscht und was wie feucht wird, brauche ich nicht. Ich habe nichts gegen erotische Szenen in Büchern, die vielleicht auch mal detailliert beschrieben werden, aber bitte nicht so! Ich fühlte mich ein wenig an "Schulmädchenreport" erinnert: Rein, raus, rein, raus, stöhnen - fertig!

Das Buch strotzt nur so von Modebegriffen und Namen, die Mode-Insidern wohl etwas sagen. Mich nervten die Begriffe aber mit der Zeit einfach nur! Ich hatte oft keine Ahnung, wovon da geschrieben wurde und was mir diese Aufzählung von Kleidungsstücken und Designern eigentlich sagen sollte. Um zu verdeutlichen, was ich meine, gebe ich hier einmal eine ganz kurze Leseprobe von Seite 88, wo mit diesem Satz gerade ein neuer Abschnitt anfängt: "Ich hatte ein paar von James' Fünfzigern dazu genutzt, mich für die Reise auszustatten - mit einem braunen geflochtenen Lederweekender aus einem kleinen Laden in Marylebone und einer passenden Tasche, die beide ohne Weiteres als Bottega Veneta durchgegangen wären, mit einem schwarzen Bikini von Eres, der an der Seite gebunden wurde, einer Tom-Ford-Sonnenbrille und einem Vuitton-Schal im Stephenson-Sprouse-Design in Türkis und Beige." Was ist ein Lederweekender? Eine Hose? Eine Kombination? Ein Koffer? Eine Jacke? Wer oder was ist Bottega Veneta? Der einzige Name, der mir in diesem Satz etwas sagt, ist Louis Vuitton. Ansonsten verstehe ich kaum etwas aus dem Satz. Und so geht es mir in diesem Buch leider häufiger. Mode und die ganzen Fachbegriffe sind ein Schwerpunkt in diesem Buch und wer davon wie ich nichts versteht, wird außen vor gelassen, gehört eben nicht zu diesem elitären Kreis, zu dem Judith unbedingt dazu gehören will. Da mich ein Buch wie dieses aber in erster Linie unterhalten soll, ärgert mich das einfach. Ich hätte mir wenigstens ab und zu kleine eingestreute Erklärungen gewünscht, damit ich nicht so blöd da stehe und alles googlen müsste, um es zu verstehen. Würde man allein diese ganzen überflüssigen Aufzählungen modischer Einzelheiten weg lassen, dürfte das Buch fast 25 % kürzer sein, denn Judith kauft leider sehr oft ein bzw. zieht sich an ...

Die Handlung entwickelt sich dann auch recht schwerfällig, wird immer wieder ausgebremst von Modedetails, weil Judith gerade mal wieder einkauft, sich umzieht oder die Kleidung von jemandem beschrieben wird. Nach den Vorkommnissen in Cannes verändert Judith ihr Leben radikal. Für mich kam es doch etwas überraschend, denn ich fand dieses Verhalten auch nicht zu der Person von Judith passend. Sie war eigentlich immer der "Niemand aus Nirgendwo", wie sie sich selbst mal bezeichnet, und der es einfach nicht schafft, aus diesem Milieu heraus zu kommen. Und plötzlich war sie jemand ganz anderes, benahm sich auch ganz anders. Sie schien es doch geschafft zu haben! Der Weg, wie sie es dorthin geschafft hat, war für mich nicht so ganz verständlich - aber ich gehöre ja auch nicht zur Schickeria von Cannes. Ich hab auch nicht verstanden, wieso sie plötzlich dazu gehörte, wo sie es doch vorher nie geschafft hatte. Wenn sie doch diese Fähigkeiten hatte, sich so zu geben wie diese High-Society und darin gar nicht aufzufallen - wieso hat sie dies dann vorher nie getan? Wieso war sie vorher die kleine graue Niemand aus Nirgendwo - und plötzlich eine angesagte Frau aus der gehobenen Klasse? Natürlich, es könnte auf diese zufällige Art und Weise passieren, aber diese Wandlung fand ich nicht so ganz glaubhaft.

Wie sich die Handlung nach der Wandlung weiter entwickelt, finde ich dann auch eher an den Haaren herbei gezogen. Ich will nicht zuviel vom Inhalt verraten, der sich dann doch in eine ziemlich andere Richtung entwickelt, als der Klappentext vermuten lässt, aber jeder, der ein bisschen Verstand hat, wird sich vermutlich anders verhalten. Ich finde das Verhalten von Judith auch plötzlich viel zu abgeklärt, zu emotionslos und eher in die Richtung eines Soziopathen tendierend. Das wird meines Erachtens sehr deutlich, als sie in Italien einen One-Night-Stand hat und mitten im Akt, wo wieder etwas irgendwo gegen klatscht, überlegt, dass sie auch gut die Statue vom Nachttisch nehmen und dem Mann jetzt über die Rübe ziehen könnte, um ihn zu töten. Kurze Zeit später denkt sie dagegen wieder ganz liebevoll an ihre Mutter und einen guten Freund, der mit ihr im Auktionshaus gearbeitet hatte. Wie gesagt: Es passt für mich einfach nicht zusammen, ich erkenne die Persönlichkeit von Judith nicht: Immer noch das kleine Mädchen, das aus ihrem schlechten Umfeld mit der Alkoholikerin als Mutter heraus will? Die zielbewusste Karrierefrau, die sich nach oben arbeitet oder auch schläft? Die eiskalte Soziopathin, die für die Verwirklichung ihrer Ziele über Leichen geht? Irgendwie ist sie von allem ein bisschen, was zu recht seltsamen Handlungen führt. So bricht sie dann auf Seite 316 etwa plötzlich in richtige, echte Tränen aus, heult wirklich Rotz und Wasser und fühlt sich erleichtert, als ihr jemand auf den Kopf zu sagt, was sie in den letzten Monaten getan hat. Ich weiß, dass ein Mensch verschiedene Seiten haben kann, aber diese sind viel zu gegensätzlich und schließen sich eher gegenseitig aus.

An sich müsste die Geschichte spannend sein, denn es geht ja irgendwie doch fast in der gesamten Handlung um das gefälschte Gemälde, wenn auch ein wenig anders, als ich vorher vermutete. Im weiteren Verlauf des Buches kommen dann noch einige Dinge hinzu, die das Buch dann vielleicht in das Genre Krimi oder Thriller rücken lassen könnten. Trotzdem würde ich weder sagen, dass es sich um einen Krimi oder Thriller handelt, noch, dass es wirklich spannend ist. Ich musste mich manchmal zwingen, weiter zu lesen, habe den ein oder anderen Absatz auch quergelesen und bin danach wieder detailliert eingestiegen. Das sind für mich Anzeichen, dass ich die Handlung nicht spannend fand. Und weil die Ziele von Judith überwiegend im Unklaren bleiben, ihre Handlungen unvorhersehbar sind und man auch kaum weiß, wo das Buch hinführen soll, ist es eben auch nicht spannend. Es fehlt komplett so etwas wie ein Spannungsaufbau oder -bogen. Noch nicht einmal Judith ist wirklich gespannt, ob ihr jemand auf die Schliche kommt. Sie wartet einfach ab. Und so hab ich auch eher darauf gewartet, wann sie das nächste Mal einkaufen geht oder wann sie sich wieder umzieht, als darauf, dass etwas passiert.


Fazit
Judith ist immer gut angezogen und benimmt sich meist wie eine elegante Frau, aber ihr wirklicher Charakter sieht anders aus. Und auch dieser Roman sieht äußerlich wie ein Bestseller aus, der Klappentext klingt gut - aber im Inneren hab ich etwas anderes gefunden.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Asylverfahren mal aus dem anderen Blickwinkel

Nennen wir sie Eugenie
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Eugenie ist eine junge Frau, die im Senegal lebt. Sie hat die Schule gerade abgeschlossen und jobbt in einem kleinen Laden, um sich ein Studium zu finanzieren. Dort lernt sie Seraba kennen, eine junge ...

Eugenie ist eine junge Frau, die im Senegal lebt. Sie hat die Schule gerade abgeschlossen und jobbt in einem kleinen Laden, um sich ein Studium zu finanzieren. Dort lernt sie Seraba kennen, eine junge Frau, die in England zur Schule gegangen ist und studiert hat. Eugenie verliebt sich in Seraba. Dabei wissen beide, dass eine homosexuelle Beziehung im Senegal verboten ist. Sie riskieren mit ihrer Beziehung verhaftet zu werden und viele Jahre ins Gefängnis zu müssen. Beide sind sehr vorsichtig und verheimlichen ihre Beziehung vor allen.

Dann wird Eugenie eines Tages von ihren Eltern zum Essen eingeladen. Die Stimmung ist seltsam, Eugenie kann kaum etwas essen, denn ihre Eltern haben Besuch. Der junge Mann und seine Eltern begutachten Eugenie die ganze Zeit und machen merkwürdige Bemerkungen. Erst als sie weg sind, klären die Eltern Eugenie auf: Sie soll den jungen Mann heiraten, weil ihre Familie Geld braucht für das Studium ihrer Brüder und sich der Vater auch verspekuliert hat. Ohne die Heirat ist die Familie pleite.

Eugenie ist außer sich und weigert sich, in die Heirat einzuwilligen. Daraufhin wird sie eingesperrt. Ihre Brüder entdecken ihr Handy und finden darauf die SMS von und an Seraba. Es steht zwar kein Name dabei, aber sie erkennen, dass Eugenie eine Frau liebt. In einem unbeobachteten Moment kann Eugenie fliehen, wird aber von ihren Brüdern vorher noch verprügelt. Eugenie geht zurück in ihre Wohnung. Sie stellt sich vor, dass sie Gras über die Sache wachsen lassen kann, dass sich mit der Zeit alles beruhigen wird und sie bis dahin zumindest ihr gewohntes Leben weiter leben kann. Sie geht deshalb am nächsten Morgen wie gewohnt zur Arbeit. Dort trifft sie jedoch auf ihre Mutter. Und sie erfährt, dass bei der Polizei Anzeige gegen sie erstattet wurde. Eugenie gibt Seraba Bescheid und flieht dann mit allem, was in ihren Rucksack passt, an einen Ort, wo sie sich ungefährlich mit Seraba treffen kann.

Seraba und Eugenie diskutieren hin und her, was sie machen sollen. Doch der Senegal ist nicht mehr sicher für Eugenie. Die Polizei sucht sie inzwischen mit Steckbriefen, die an alle Hotels und Pensionen geschickt worden sind. Wird sie gefasst, droht ihr mindestens ein Jahr Gefängnis. Deshalb entscheiden sie, dass Eugenie nach Deutschland flüchten und dort um Asyl bitten soll. Für Deutschland entscheiden sie sich eher zufällig, Hauptsache ein Land, wo Homosexualität nicht verboten ist.

Eugenie kommt schließlich in Deutschland an und beantragt Asyl. Das ganze Aufnahmeverfahren rauscht an ihr vorbei, sie versteht nichts. Sie fühlt sich wie im Nebel. Dann wird sie umverteilt, um in einer alten, baufälligen Kaserne auf die Entscheidung ihres Antrages zu warten. Dort erwacht sie wieder aus dem Nebel. Sie will nun eigentlich schnell Deutsch lernen und eine Arbeit finden, aber dann erkennt sie, dass sie gar nicht arbeiten darf. Und sie darf sich auch nicht weit von der Kaserne weg bewegen. Sie darf eigentlich nichts, außer sich in der Kaserne langweilen. Erst als Jeff kommt, eine deutsche Aktivistin, lernt sie ein bisschen mehr kennen und schafft es mit ihrer Hilfe, eine Anwältin für ihr Asylverfahren zu finden.


Wir alle kennen spätestens aus den Medien die deutsche Sichtweise auf die Asylbewerber und das Asylverfahren. Vielen Gemeinden, die überhaupt nicht die Möglichkeit zur Unterbringung haben, werden diese Menschen einfach aufs Auge gedrückt. Wir stecken alle Asylsuchenden einfach in eine Schublade, nehmen die einzelnen Menschen und ihre Schicksale kaum noch zur Kenntnis. Doch hier können wir einmal die andere Sichtweise kennen lernen. Wir können lesen, wie ein Asylsuchender das Verfahren wahr nimmt und wie er sich fühlt, wenn er die Sprache nicht spricht, einmal die Woche ein paar Lebensmittel bekommt, die er nicht kennt und mit denen er nichts anfangen kann, das Asylverfahren nicht versteht und in dem er unmöglich zu beschaffende Papiere und Beweise besorgen soll.

Dieses Buch drückt nicht auf die Tränendrüse. Es wird ein ganz einfaches Schicksal geschildert, wo ein Mensch einfach nur ein Mensch sein möchte, der lieben möchte, wen er mag und nicht den Menschen, den die Umwelt an seiner Seite sehen möchte. Eugenie liebt nun mal keinen Mann, sondern eine Frau. Warum will man ihr also vorschreiben, dass sie einen Mann zu heíraten hat bzw. zumindest mit einem Mann leben muss? Und auch wenn ihr das im Asylverfahren nicht vorgeschrieben wird, so droht ihr doch jederzeit die Abschiebung zurück in den Senegal, wo man es ihr vorschreibt. Die deutsche Begründung in der Verwaltungslogik: Sie müsse ihre Sexualität ja nicht offen ausleben, könne es heimlich oder eben gar nicht tun. Allerdings berücksichtigt diese Logik nicht, dass im Senegal auch die Bevölkerung absolut gegen Homosexualität eingestellt ist. Eugenie ist etwa von ihren Brüdern verprügelt worden, ihr Fahrrad wurde zerstört, sie verlor ihre Arbeit und die Polizei suchte sie überall. Seraba hörte später noch, wie sich die Leute den Mund über sie zerreißen.

Dieses Buch geht dann aber auch nicht in alle Einzelheiten. Es ist mir manchmal sogar ein wenig zu oberflächlich gehalten. Ich finde, Eugenies Hilflosigkeit und ihre Handlungsunfähigkeit in diesem Asylverfahren kommt nicht immer so deutlich zum Ausdruck, wie ich es mir gewünscht hätte. Andererseits finde ich diesen Schreibstil auch gerade gut, weil zumindest ich dadurch mehr über das Asylverfahren insgesamt nachgedacht habe und nicht nur über das Einzelschicksal von Eugenie. Dürfen wir so, wie wir es bisher tun, über andere urteilen? Ich bin zwar auch nicht dafür, dass jeder einreisen und vom deutschen Sozialstaat profitieren darf, aber es muss doch eine andere Möglichkeit geben als das Verfahren, was derzeit praktiziert wird und monate- oder jahrelang dauert, und keinem nutzt.

Zusätzlich zur Geschichte gibt es in dem Buch an den Stellen, wo es gerade hin passt, einige Informationsboxen mit einigen Informationen dazu, was etwa eine Umverteilung ist oder was die Residenzpflicht bedeutet. Die Möglichkeit zum Deutsch lernen bekommen die Asylsuchenden erst, wenn sie anerkannt sind. Vorher haben sie etwa keine Chance zum Lernen der fremden Sprache, denn in den Unterkünften gibt es kaum jemanden, von dem sie lernen können. Ich fand diese Boxen sehr gut, denn ich wusste bisher recht wenig vom Asylverfahren.

Insgesamt ist es wieder ein Buch, das mich nachdenklich stimmt und das mich zu der Überzeugung bringt, dass sich etwas ändern muss. So, wie es derzeit ist, kann es mit den Asylverfahren in Deutschland nicht weiter gehen. Und auch das Ende des Buches lässt mich nachdenklich zurück, ohne dass ich viel mehr verraten will. Aber das Ende passt zur gesamten Geschichte.

Ich kann dieses Buch nur empfehlen. Und das Autorenhonorar für dieses Buch geht an den Verein Exil e.V. - Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge. Mit dem Kauf dieses Buches tut man somit auch noch etwas Gutes.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Armutszeugnis für deutsche Gesetze und Verwaltungspraktiken

Amra und Amir
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Im Kosovokrieg kamen Amras Eltern nach Deutschland. Wegen des Krieges wurden sie geduldet, eine sehr schwammige Formulierung, denn jederzeit kann die Duldung enden und man wieder zurück in das Herkunftsland ...

Im Kosovokrieg kamen Amras Eltern nach Deutschland. Wegen des Krieges wurden sie geduldet, eine sehr schwammige Formulierung, denn jederzeit kann die Duldung enden und man wieder zurück in das Herkunftsland müssen. Für Amras Mutter war dies unvorstellbar, denn sie hatte schlimme Dinge von ihren "Landsmännern" ertragen müssen, die bei ihr große Ängste vor einer Abschiebung hervorrufen und schlimme Depressionen verursachen. Sie wird schwanger und Amra kommt zur Welt. Als Amra drei Jahre alt ist, stirbt ihr Vater. Sie hatte aber ohnehin kaum eine Beziehung zu ihm, denn er war kaum da. Sie ist nun allein mit ihrer Mutter, die in immer größere Depressionen verfällt. Als dann die Mitteilung kommt, dass sie zurück in den Kosovo sollen, bricht für die Mutter auch der letzte Rest einer an sich heilen Welt ein.

Amra ist zu dem Zeitpunkt noch ein Kind und kann ihrer Mutter nicht helfen, weiß nicht, was vorgeht. Von der Abschiebungsverfügung weiß sie nichts. Aber sie hat eine beste Freundin, Nina, mit der sie schon seit dem Kindergarten zusammen ist und deren Mutter für sie auch wie eine Mutter ist. Der vertraut sie sich an. Die weiß, was zu tun ist, bringt die Mutter in eine Klinik, leitet die ärztliche Behandlung in die Wege. Die Psychologin erreicht dann aus medizinischen Gründen eine dauerhafte Duldung der Mutter. Und ohne sie wird Amra auch nicht abgeschoben. Von alledem erfährt niemand etwas, die Mutter erzählt kein Wort - und Amra fragt auch nie nach. Sie lebt und fühlt sich als Deutsche.

Dann wird Amra 18. Sie hat einen Realschulabschluss und wird in einem halben Jahr ihre Lehre als Kfz-Mechatronikerin abschließen. Ein paar Tage nach dem Geburtstag kommt jedoch die Abschiebeanordnung. Amra fällt aus allen Wolken, ebenso wie ihr Umfeld. Sie alle haben nie daran gedacht, dass Amra keine deutsche Staatsbürgerschaft hat. Und leider ist Amra in ihrer Jugend einmal straffällig geworden wegen Kiffens. Das hat ihr nun eine negative Integrationsprognose beschert - und damit die Abschiebung. Sie hat sich wie jede Jugendliche benommen, auch andere aus der Clique waren erwischt worden - aber bei ihr hat es nun weiterreichende Folgen.

Die Clique tut vieles, um Amra zu helfen, aber die Behörden sind schneller. Amra wird in den Flieger in den Kosovo gesetzt - und findet sich plötzlich in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und einer fremden Kultur wieder, in der sie ums Überleben kämpfen muss. Dazu kommt, dass sich Amra in einer von Männern dominierten Kultur stark unterdrückt fühlt, denn sie soll möglichst schnell heiraten und Kinder bekommen - für Amra undenkbar. Deshalb wird sie zu Amir, was ihr aufgrund ihrer relativ männlichen Erscheinung problemlos gelingt. Und eigentlich kann sie sich recht gut mit ihrem Leben als Mann identifizieren ...


Diese Geschichte von Amra hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Ich wollte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, denn dieses Buch ist sehr gefühlvoll beschrieben - bitte nicht verwechseln mit gefühlsduselig und es drückt auch nicht auf die Tränendrüse. Es ist so geschrieben, dass man sich mit Amra gut identifizieren kann und erkennt, wie hilflos sie sich in den verschiedenen Situationen fühlt. Dabei ist vieles sehr objektiv beschrieben.

Die Erzählperspektive ändert sich in dem Buch von Kapitel zu Kapitel. Dies ist eigentlich nicht mein Fall, aber hier kommt man wegen der großen Überschrift, aus wessen Sicht gerade erzählt wird bzw. welches Geschehen gerade von außen betrachtet wird, nicht durcheinander. Und in diesem Buch gefiel mir der Wechsel der Perspektive sogar mal, denn er passt einfach zum Buch. Mal wird erzählt, wie Amra die Situation wahrnimmt, mal wird es aus Ninas Sicht geschildert oder dann wieder aus der Sicht der Mutter.

Ich habe in diesem Buch wirklich mit Amra mitgelitten und viele dieser Situationen haben mir die Augen geöffnet, was eine Abschiebung wirklich für den betroffenen Menschen bedeutet, der davor Jahre oder vielleicht auch sein ganzes Leben hier in Deutschland gelebt hat. Kleiner Kritikpunkt in dem Buch ist dann vielleicht, dass der Gesichtspunkt mit dem Gerichtsverfahren zwar angesprochen wird, es aber kein Ergebnis dazu gibt - zumindest habe ich keines mitbekommen.

Wie vermutlich viele andere Deutsche auch, habe ich mir nie Gedanken um Flüchtlinge, "geduldeter Aufenthalt" und Abschiebung gemacht. Das waren immer Fremde, Ausländer, die aus wirtschaftlichen Gründen hierher wollten etc. Ich bin zwar alles andere als fremdenunfreundlich - aber mir war das Thema fremd und was diese schönen politischen Schlagworte in der Praxis für die betroffenen Menschen bedeuten, habe ich nicht gewusst bzw. ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht. Mir war etwa nicht bewusst, dass ein bereits in Deutschland geborenes Kind nach seinem 18. Geburtstag abgeschoben werden kann, obwohl es voll integriert ist in die deutsche Kultur, Sprache und das ganze Leben, obwohl es hier eine gute Zukunft hat und arbeiten will, eine Lehre fast abgeschlossen hat. Allein diese Erkenntnis hat mich schwer betroffen gemacht. Wenn wir einen solchen "für die Gesellschaft wertvollen" Menschen wieder abschieben - was sagt das über unsere Kultur, unsere Gesetze aus? Soll das Zivilisation sein? Ist das der Weg, wie wir (deutsche) Menschen mit anderen Menschen umgehen wollen?

Auch nach diesem Buch bin ich zwar nicht dafür, dass wir alle Grenzen öffnen und hier leben darf, wer will - aber so geht es auch nicht! Da MUSS ein anderer Weg gefunden werden, das Asylrecht MUSS dringend überarbeitet werden!

Der andere Aspekt, der in diesem Buch angedeutet wird, ist die Frage, wie Amra sich selbst sieht, wie sie leben will - eher als Frau oder eher als Mann. Ich finde es toll, dass dieses Thema so behutsam besprochen wird, denn ich denke, man muss auch nicht immer alles platt reden und bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag ausdiskutieren. Sie lebt irgendwann schließlich so, wie sie es für richtig hält und wie sie am besten damit leben kann, und es ist gut so!

Das Ende vom Buch ließ mich dann ein wenig unbefriedigt zurück - aber ich denke, so ist es eben auch im Leben und es verdeutlicht, wie nahe an der Realität diese Geschichte sich bewegt. Zum Buch passt dieses Ende einfach!

Veröffentlicht am 15.09.2016

ein unglaublich tolles Buch, das jeder gelesen haben sollte!

Der Vorleser
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Schon vor längerer Zeit habe ich dieses Buch geschenkt bekommen. Bisher hatte mich noch nichts daran gereizt, dieses kleine unscheinbare Buch zu lesen. Ich hatte irgendwie die Vorstellung von einem recht ...

Schon vor längerer Zeit habe ich dieses Buch geschenkt bekommen. Bisher hatte mich noch nichts daran gereizt, dieses kleine unscheinbare Buch zu lesen. Ich hatte irgendwie die Vorstellung von einem recht langweiligen Buch. Aber hört selbst, wie ich mich getäuscht habe:

Meine Zusammenfassung
Michael Berg ist 15 und ein ganz normaler Junge mitten in der Pubertät, als er plötzlich krank wird. Auf dem Nachhauseweg von der Schule muss er sich übergeben. Hanna Schmitz, 21 Jahre älter als er, sieht die Bescherung und hilft Michael, sich zu säubern. Sie steckt ihn sogar in die Wanne, was ihm zwar ein wenig unangenehm ist, wo er aber zu schüchtern ist, großartig zu protestieren. Bei Michael wird eine Gelbsucht diagnostiziert und er muss monatelang das Bett hüten. Als er wieder auf den Beinen ist, will er sich bei Frau Schmitz bedanken, und sucht sie mit einem Blumenstrauß in der Hand auf.

Zwischen den beiden entspinnt sich eine seltsame Beziehung. Michael ist fasziniert von der älteren Frau, die ihn nicht wie einen kleinen Jungen behandelt und ihn ernst nimmt - und die irgendetwas an sich hat, was so ganz anders ist. Und es entwickelt sich etwas Erotisches zwischen ihnen, wobei das Vorlesen eine entscheidende Rolle spielt. Über mehrere Jahre haben die beiden eine Liebesbeziehung miteinander. Dann ist diese plötzlich beendet, denn Hanna ist von einem Tag auf den anderen verschwunden, einfach aus ihrer Wohnung ausgezogen und für Michael nicht mehr auffindbar.

Michael schließt seine Schule ab und beginnt ein Jura-Studium. Im Rahmen des Studiums nimmt er an einem Seminar teil, in dem es um KZ-Prozesse geht. Speziell ein Prozess, der gerade anfangen soll, soll von den Studenten begleitet werden. Michael fällt aus allen Wolken, als er Hanna auf der Anklagebank sitzen sieht. Sie soll mit anderen KZ-Wärterinnen Insassen sortiert und damit bestimmt haben, wer getötet wird und wer noch arbeitsfähig ist und weiter leben darf. Als das KZ geräumt wurde, weil die Alliierten zu nah kamen, hätten sie die Insassen eines Nachts in eine Kirche gesperrt. Als die Kirche dann abbrannte, hätten sie niemanden gerettet, hätten die verschlossenen Türen nicht geöffnet, sondern nur zugesehen.

Michael besucht den Prozess an jedem einzelnen Verhandlungstag und wundert sich lange über Hannas Verhalten - sowohl damals wie auch jetzt im Prozess. Es dauert recht lange, bis er hinter ihr Geheimnis kommt. Und es stürzt ihn in einen inneren Konflikt, weil er nicht weiß, wie er sich nun verhalten soll. Das Geheimnis hätte entscheidenden Einfluss auf das Urteil, aber Hanna will es wohl nicht offenbaren. Darf er sich über diesen Entschluss hinweg setzen?


Meine Meinung
Es ist nun schon einige Wochen her, dass ich das Buch gelesen habe. Direkt nach der letzten Seite habe ich nicht gewusst, was ich schreiben sollte, wie ich es einordnen sollte. Dies ist wirklich eines der wenigen Bücher, über die ich noch eine ganze Weile drüber nachgedacht habe, denn es bietet eine Reihe von Themen, die einigen Zündstoff bieten.

Da ist zum einen die erotisch-sexuelle Beziehung zwischen Hanna und Michael. An sich stehe ich auf dem Standpunkt, dass so eine Beziehung zwischen einem Minderjährigen und einem sehr viel älteren Erwachsenen nicht richtig ist, denn die Unterschiede sind zu groß und die Überlegenheit des Erwachsenen ebenfalls, sodass es keine gleichberechtigte Beziehung sein kann, sondern der Minderjährige nur ausgenutzt wird. Zwischen Michael und Hanna ist jedoch eine relativ gleichberechtigte Beziehung entstanden. Hanna nutzt Michael nicht aus, auch wenn sie die an sich Überlegene ist und es ihn auch ein paar Mal spüren lässt, als er plötzlich Forderungen stellt. Da sagt sie ihm, dass er auch einfach gehen könne. Zunächst tut die Beziehung Michael dann auch gut. Er wird selbstbewusster in der Schule und ist kein Niemand mehr. Doch im späteren Leben dann zeigt sich, dass Michael kaum in der Lage ist, eine "normale" Beziehung mit einer Frau zu führen. Ob dies aber nun an dem Altersunterschied und der frühen ersten Beziehung zu einer älteren Frau gelegen hat oder einfach daran, dass er Hanna wirklich liebte und danach einfach keine Frau mehr an diesen Idealzustand heran kam, bleibt offen.

Das eigentlich Faszinierende ist jedoch die Erzählweise. Ich habe selten einen Roman gelesen, der so feinfühlig erzählt, wie zwei Menschen miteinander umgehen und sich lieben. Es wird alles aus der Sicht von Michael geschildert, der diesen Roman rückblickend erzählt. Und ganz filigran erzählt er immer wieder kleine Aspekte, die mir als Leser aber einen guten Einblick ins Gesamtgeschehen gegeben haben. Es wird also nicht einfach platt etwas vom Akt zwischen beiden erzählt, sondern eben behutsam das Drumherum, sodass man sich den Rest denken kann. Ich finde diese Art des Erzählens einfach großartig! Jedes Wort war mit großem Bedacht ausgewählt und alle Worte zusammen ergaben eine großartige Schilderung einer einzigartigen Liebe und Beziehung zweier Menschen zueinander. So nüchtern die einzelnen Worte klingen, so gefühlvoll wirken sie im Zusammenspiel. Ich gestehe, dass ich hier gar nicht so viele Superlative finde, um auch nur annähernd auszudrücken, wie viel Spaß es machte, von der Beziehung der beiden zu lesen und wie viel Liebe in den Worten lag.

Ein weiteres Thema, das mich sehr nachdenklich gemacht hat, ist die Frage, die sich auch Michael stellen muss, als er Hannas Geheimnis entdeckt. Hat er das Recht, das Geheimnis aufzudecken und ihr damit einen Großteil der Strafe zu ersparen? Er ist in diesem Fall der Überlegene, denn er weiß. welche juristischen Folgen das Schweigen haben kann. Hat er vielleicht sogar die Pflicht, das Geheimnis zu offenbaren, um ein Fehlurteil zu verhindern? Nachdem Hanna die Schuld in einem Punkt auf sich nimmt, um ihr Geheimnis zu bewahren, wälzen die Mitangeklagten nämlich auch in anderen Punkten die Schuld auf sie ab. Michael erkennt dies, aber weder Hanna noch ihr unerfahrener Pflichtverteidiger unternehmen etwas dagegen. Oder muss Michael sich Hannas Entscheidung beugen, die offenbar unter allen Umständen ihr Geheimnis bewahren will?

Ich fand auch toll, dass das Buch danach noch weiter erzählt wurde. Man erlebt also noch mit, wie es zwischen den beiden über viele weitere Jahre sich weiter entwickelt. Ich fand diese Erzählung auch sehr schön, denn sie zeigt, welch tiefe Gefühle Michael für Hanna hat. Und außerdem hätte ich ein Ende nach dem Urteil wohl doch zu abrupt gefunden. So hat die Geschichte dann Jahre später ein Ende, was mir zwar nicht gefiel, aber was zu der ganzen Geschichte doch irgendwie passte.

Mir gefiel auch noch ein weiterer Aspekt an dem Buch, auf den ich erst im Nachhinein gekommen bin: An keiner Stelle wird der moralische Zeigefinger erhoben oder etwas verurteilt. Hanna wird in der Erzählung nicht vorverurteilt, weil sie als KZ-Wärterin gearbeitet hat oder weil sie mit einem Minderjährigen schläft. Dem Leser wird es ganz und gar selbst überlassen, sich eine Meinung zu bilden, indem auch erzählt wird, wie es dazu kam. Dass Hanna sich strafbar gemacht hat in ihrer Funktion als KZ-Wärterin, steht außer Frage - aber hier wird eben auch erzählt, wie es dazu kam und wie Hanna in diese Situation geraten ist. Hanna (und damit auch andere Betroffene) wird nicht entschuldigt, aber es wird erklärt, wie es so kommen konnte. Dieser gefühlvolle Umgang mit dem Thema hat mich auch sehr angesprochen.