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Veröffentlicht am 22.01.2023

Psychotischer Roadtrip?

NIGHT – Nacht der Angst
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Wow, what a ride… Charlie, die filmeliebende Protagonistin dieses Romans, ist -buchstäblich- psychotisch: Traumatische Situationen schlagen sich bei ihr in Halluzinationen nieder, die sie als „Filme erleben“ ...

Wow, what a ride… Charlie, die filmeliebende Protagonistin dieses Romans, ist -buchstäblich- psychotisch: Traumatische Situationen schlagen sich bei ihr in Halluzinationen nieder, die sie als „Filme erleben“ bezeichnet und die dabei derart realistisch sind, dass sie hernach oft nicht sagen kann, was tatsächlich und was nur in ihrem Kopf stattgefunden hat. Der Roman erzählt nun von einer Nacht, die sich kurz nach dem Mord an Charlies bester Freundin und Mitbewohnerin Maddy ereignet: Charlie gilt als die letzte Zeugin, die Maddy vor deren Tod noch gesehen hat – und zwar in Begleitung des mutmaßlichen Täters, an den Charlie sich nur als „dunklen Schemen“ erinnern kann. Von Schuldgefühlen geplagt; nicht nur, dass sie den Täter nicht beschreiben kann, sondern auch, dass Maddy und sie sich während ihrer letzten Unterhaltung gestritten hatten; will Charlie erneut Zuflucht bei ihrer Großmutter suchen, die sich dereinst schon nach dem Unfalltod ihrer Eltern rührend um Charlie gekümmert hatte. Da Charlie seit jenem Unfall selbst nicht mehr Auto fährt, ist sie auf eine Mitfahrgelegenheit angewiesen und da kommt ihr Josh grade recht, den sie vorm Schwarzen Brett kennenlernt, als sie ihre Annonce grade anpinnt…
Das sind die Informationen, die man als Leserin gleich eingangs als gegeben präsentiert bekommt und die als unverrückbarer Rahmen im Hintergrund erscheinen. Aber kaum haben Josh und Charlie sich auf den Weg gemacht, geht die Geschichte so richtig los: Charlie beginnt zu zweifeln, ob ihr überhastetes Verlassen des Campus eine gute Entscheidung war, ob es nicht naiv war, mit einem Fremden diese lange Fahrt, teils quer durch eine menschenleere Ödnis, anzutreten, während der Campus-Killer nun schon zum dritten Mal in vier Jahren zugeschlagen hat und immer noch nicht identifiziert ist, ob es nicht etwas zu sehr Zufall war, dass Josh exakt zum selben Zeitpunkt, während eines laufenden Semesters, eine Mitfahrgelegenheit anzubieten hatte, als sie eine in dieselbe Richtung suchte, in die er fahren wollte… und dann entpuppt Josh sich nicht nur als (schlechter) Lügner, sondern sagt dabei auch noch Dinge, die es mehr als wahrscheinlich machen, dass er der Campus-Killer sein muss. Aaaaaaaaaber: Völlig unsicher und nun auch verängstigt, beginnt Charlie wieder, „Filme zu erleben“ und so wie sie ständig verwirrt aus diesen hochschreckt, weiß man als Leserin eben auch nicht, welcher Teil der Handlung sich nun tatsächlich so ereignet hat oder was davon, ab und bis zu welchem, Zeitpunkt Charlie sich nur eingebildet hat. Hat Josh z.B. überhaupt so offensichtlich gelogen, halbe Geständnisse abgelegt etc., oder verfällt Charlie einfach nur in einen Wahn, so dass in Wirklichkeit eher Josh durch Charlie gefährdet ist als er eine Bedrohung für sie darstellt?

Die Handlung konzentriert sich sehr auf Charlie, aber als Leser*in weiß man auch immer etwas mehr von den paar Nebenfiguren, wobei die Beschreibungen hier häufig vage bleiben und es da Überraschungen gibt. Insgesamt gibt es auch kaum eine Handvoll Personen in diesem Roman, die wirklich präsent sind, aber diese kurzen „Abschweifungen“ von Charlie weg zu einer anderen Figur hin sind teils ganz hilfreich, um bestimmte Geschehen besser einordnen, ob nun real oder eingebildet, einordnen zu können ohne dabei aber unbedingt Sinn zu ergeben: Was mich z.B. sehr schnell verwirrt hat, war der der Fakt, dass einerseits zwar sehr viel dafür sprach, dass Josh wirklich der Campus-Killer war, der nun auch noch Charlie umbringen wollte, und andererseits aber kein Problem damit hatte, bei einigen Zwischenstopps ganz klar in Begleitung Charlies gesehen zu werden: Wollte er nach diesem Mord unbedingt identifiziert werden können, plante er nach seinem letzten Mord Suizid zu begehen, dass es ihm einfach egal war, post mortem überführt zu werden…? Oder war er trotz aller Indizien eben doch nicht der Killer?

Ich fand diesen Thriller wahnsinnig spannend, eben vor Allem aufgrund von Charlies Halluzinationen, die die Handlung undurchsichtiger sein ließen, und fragte mich auch alsbald, ob die Auflösung nicht womöglich „eine einzige psychotische Episode“ lauten würde und diese komplette Autofahrt durch die Nacht eventuell nie stattgefunden hätte. Auch die wenigen Längen des Romans habe ich kaum als solche empfunden, da es eben fraglich war, ob diese nun nicht lediglich halluziniert worden waren; das war meinem Empfinden nach schon sehr geschickt vom Autor gespielt.
Dass die Geschichte Anfang der 90er spielt, ist übrigens nur insofern von Relevanz, dass man sich nicht fragen musst, wieso an der einen oder anderen Stelle nicht einfach zum Handy gegriffen wird, aber sie könnte sich vermutlich auch ohne großen Aufwand in die heutige Zeit verlegen lassen; man sollte also definitiv nicht allzuviel (popkulturellen) Zeitkolorit erwarten.
Für mich war dieser Roman nun schon ein kleines Highlight, sehr empfehlenswert vor Allem für Leute, die sehr gerne Psychothriller mit eindeutigem Psycho(logie)Anteil lesen.

Veröffentlicht am 14.01.2023

Bis kurz vor Schluss erfreulich frei von Kitsch

The Man I Never Met – Kann man lieben, ohne sich zu kennen?
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Dieser Roman hatte mich angesprochen, weil die bereits in der Kurzbeschreibung angesprochenen Umstände denen gleichen, die dazu führten, dass ich geheiratet habe ;) und damit dazu, dass die im deutschen ...

Dieser Roman hatte mich angesprochen, weil die bereits in der Kurzbeschreibung angesprochenen Umstände denen gleichen, die dazu führten, dass ich geheiratet habe ;) und damit dazu, dass die im deutschen Untertitel aufgeworfene Frage für mich absolut eindeutig zu beantworten ist und sie mich nur dazu führte, zu denken: „Buch, du bist ein Kitschroman. Wehe, du sagst, nö, geht nicht, und drehst Hannah stattdessen einen Mann aus ihrer direkten Umgebung an!“

Apropos Kitschroman: Eigentlich können nur völlig schmalzige Geschichten mit so vielen glücklichen „Zufällen“ enden, wie es dieser Roman tut, und mir schien der Schluss von „The Man I Never Met“ viel zu übertrieben; aaaaaaawww, das muss Schicksal sein!; weswegen ich eigentlich einen Stern in der Endwertung abziehen würde, denn das war echt zu viel für mich, aber ich packe den Stern wieder dazu, weil jemand im Verlag raffiniert genug war, das Erscheinungsdatum dieses Romans ausgerechnet auf den Valentinstag zu legen – und zum Valentinstag ist diese Geschichte mit diesem Schluss definitiv angemessen herzzerreißend romantisch.

Dabei ist „The Man I Never Met“, ehe es in dieses schmalztriefende Schicksalsbrimborium mündet, erstaunlich unkitschig: Frau in London und Mann auf der anderen Seite des großen Teichs kommen zufällig miteinander in Kontakt, entwickeln eine Art immer inniger werdender Telefonfreundschaft, Mann nimmt Job in London an und plant darum seinen Umzug… alles sieht super aus, und das Buch ist zu kaum einem Viertel vorüber, als sie ihn eigentlich am Flughafen abholen soll – und man sich beim Lesen schon fragt, um was es nun die nächsten drei Viertel noch gehen soll, denn das Happy End ist nah, aber dann taucht der Kerl gar nicht am Flughafen auf.
Hier erzählt die Handlung übrigens keine klassische Ghosting-Geschichte, denn es wird hier schnell offengelegt, was hinter Daveys „Verschwinden“ steckt, wobei ich mit diesem Grund absolut nicht gerechnet gehabt hätte und ab da schon befürchtete, der Roman würde nun noch den Nicholas Sparks machen. „The Man I Never Met“ ist über weite Strecken hinweg also ein eher ernsthafter, wenn auch äußerst unterhaltsamer, Liebesroman, in dem Hannah auch nicht vornehmlich, von Liebeskummer geplagt, weinend in der Ecke sitzt, sondern auch versucht, das Kapitel Davey für sich abzuschließen und ihr Leben ohne ihn wieder aufzunehmen. Umgekehrt gilt für Davey Ähnliches, und da erzählt der Roman sehr lange die Geschichte zweier Menschen, die zweifelsohne fast ein Paar geworden wären und einander noch immer im Kopf und Herzen tragen, zwischen denen es aber doch zu einem Cut gekommen ist.

Für mich blieb es erstmals auch ziemlich offen, wie „The Man I Never Met“ enden würde; da habe ich den Roman schon auch als recht spannend und nicht wirklich vorhersehbar empfunden; meiner Meinung nach ist dies ein wirklich toller zeitgenössischer Liebesroman, aber die letzten Seiten (und zwar nur diese!) waren mir halt einfach viel zu rührend, grade dafür, dass die Geschichte bis dahin sehr lässig erzählt worden war.

Veröffentlicht am 13.01.2023

Nett zum Hintergrund-Enträtseln

Das Hotel
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Ich war in der Erwartung eines Mysterythrillers, der womöglich paranormale Elemente beinhalten könne, an das Lesen dieses Buchs gegangen: Tatsächlich habe ich „Das Hotel“ nun aber eher als Drama empfunden, ...

Ich war in der Erwartung eines Mysterythrillers, der womöglich paranormale Elemente beinhalten könne, an das Lesen dieses Buchs gegangen: Tatsächlich habe ich „Das Hotel“ nun aber eher als Drama empfunden, bei dem bis zur Auflösung unklar blieb, ob es sich nun eher im Bereich Spiritualität oder SciFi abspielte.

Die als Ich-Erzählerin auftretende Protagonistin erwacht regelmäßig aufs Neue mit dem Gedanken „Endlich Urlaub!“ in einem Hotelzimmer und erlebt in dieser Ferienanlage, in der alles perfekt zu sein scheint, dennoch sehr diffuse Tage, die von Gedankenfetzen und Erinnerungsfragmenten, nicht greifbaren Flashbacks, durchdrungen sind. Mit einer Geschichte wie sie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erzählt kann „Das Hotel“ aber nicht verglichen werden, denn die Hauptfigur Alice ist sich nicht bewusst, dass sie diese Dinge schon einmal erlebt hat, dass sie Personen bereits kennengelernt hat etc., sie hat lediglich stets so ein vages Déjà-vu-Empfinden. Mit jedem Neubeginn ihres Urlaubs haben sich auch kleine Details verändert und wer hier nicht wirklich aufmerksam liest, den dürfte die Geschichte vermutlich bald langweilen, denn die Tage sind eben doch sehr gleich. Für mich bestand die hauptsächliche Spannung eigentlich nur darin, was sich quasi von einem Tag zum anderen geändert hatte, und zu rätseln, warum das so sein könnte. Zudem erlebt Alice immer mal wieder „weiße Bilder“, ganz so, als befinde sich ihre Urlaubsumgebung in einer Art Matrix.

Ohne zu spoilern: Nach dem ersten Zehntel des Romans, also quasi mit dem Ende der gängigen Leseprobe, war ich mir sehr sicher, dass „Das Hotel“ eine gegenwärtige Nahtoderfahrung berichtet und Alice tatsächlich um ihr Leben kämpfend auf einer Intensivstation läge. Von diesem Glauben habe ich nie wirklich abgelassen, aber so ab der Hälfte gab es immer wieder Momente in der Geschichte, die mich mit dieser Theorie doch auch haben hadern lassen; aber da fühlte ich mich dann auch sehr an „Im nächsten Leben wird alles besser“ von Hans Rath erinnert – die Auflösung hat mich tatsächlich auch ein wenig überrascht, obschon sie weitgehend einer der vier Szenarien entsprach, die ich mir bis dahin zurechtgelegt hatte; zugleich war sie mir aber auch ein bisschen zu kaputterklärt. Denn während die Geschichte zuvor sehr viel auf Empfindungen, Stimmungen und Wahrnehmungen basierte, wurde sie letztlich eher eiskalt und nüchtern, fast schon technisch, erklärt und Alice schilderte plötzlich, grade im Vergleich zuvor, kaum noch, was sie fühlte und das passte für mich nicht so recht, da sie es schließlich war, die sich hier plötzlich mit diesem ganz großen Knall konfrontiert sah.

Ich habe „Das Hotel“ zwar gerne gelesen, aber es war nun auch keines dieser Bücher, die ich gar nicht aus der Hand legen konnte: Durch die ganzen ständig wiederholten Tagesabläufe fand ich die Geschichte, trotz der veränderten Nuancen in der Handlung, mitunter ebenfalls ermüdend, da hätte mir der Schluss auch ruhig bereits zu einem etwas früheren Zeitpunkt erfolgen können. Aber grad wer „Matrix“, das täglich grüßende Murmeltier und eben den erwähnten Rath-Titel mochte, dem würde ich „Das Hotel“ dennoch auch als Lektüre nahelegen.

Veröffentlicht am 04.01.2023

Unfassbar bedrückend, weil unfassbar glaubwürdig

Wehrlos
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Ich finde den Klappentext ein wenig unglücklich, da der zweite Absatz dem Buchende zum Einen bereits ein wenig vorgreift und es zum Anderen so klingen lässt, als konzentriere sich der Roman stark auf die ...

Ich finde den Klappentext ein wenig unglücklich, da der zweite Absatz dem Buchende zum Einen bereits ein wenig vorgreift und es zum Anderen so klingen lässt, als konzentriere sich der Roman stark auf die Mutter des entführten Kindes, was absolut nicht der Fall ist. Tatsächlich lernt man Mieke eher durch Hörensagen kennen, wenn man es überhaupt „kennenlernen“ nennen kann.
Stattdessen konzentriert sich „Wehrlos“ sehr auf die vierjährige Nele und auch das nur einige Jahre ältere Mädchen, das sie vom Spielplatz gelockt hat – und aufgrund der zahlreichen Szenenwechsel ist den Lesenden bereits von Anfang an bewusst, dass hinter der dieser Entführung ein über die Landesgrenzen hinaus agierendes Verbrechersyndikat steckt, deren Geschäft aus Menschenhandel besteht, wobei Menschen in diesem Fall Kinder bedeutet, die selten das Grundschulalter bereits erreicht haben. Nun weiß ich von einigen anderen Leserinnen, dass sie a) rein gar nichts lesen wollen, in dem Kinder zu Opfern werden, und aufgrund des ersten Absatzes der Beschreibung zu „Wehrlos“ ohnehin die Finger lassen werden oder b) ein wenig mit Romanen hadern, in denen Kindern Schlimmes widerfährt, aber mitunter dann doch zu diesen greifen, weil sie meinen, es würde bestimmt nicht ganz so übel werden. Menschen, die sich der b)-Kategorie zugehörig fühlen: Lasst die Finger von diesem Buch! Es ist wirklich übel, und zwar durchgängig.
Das Einzige, wovor die Geschichte zurückschreckt, ist eine deutliche Ausführung, was mit den Kindern geschieht, nachdem sie den Käufern übergeben wurden; abgesehen davon, dass im Verlauf einmal erwähnt wird, dass später manchmal doch noch „echte“ Geburtsurkunden fingiert werden müssen, wird es hier dabei belassen zu sagen, dass das Gros der Kinder nie wieder auftauchen wird, nie wieder ein alltägliches Leben führen wird… und ich denke, das impliziert bereits, dass es hier eher nicht um fingierte Adoptionen oder Ähnliches geht.

„Wehrlos“ wechselt ständig die Szenerie; mal liest man von Miekes Nachbarin, welche Mieke eher argwöhnisch betrachtet, mal vom Mieter von Miekes Einliegerwohnung, der offensichtlich in sie verliebt ist; aber sehr häufig schwenkt die Geschichte zum „Erziehungsheim im Wald“, das eigentlich nur als Zwischenstation dient, um entführte Kinder vor deren Übergabe zu brechen und für (nicht auf) den jeweiligen Käufer vorzubereiten, und welches dem an Neles Entführung beteiligten Mädchen ein sehr trauriges Zuhause ist. Ebenso viel wie von der Arbeit Bens und seiner Kollegen, oder gar noch mehr, liest man übrigens von den beteiligten Täter
innen, die hier auch mal in der Ich-Form erzählen, was manchmal bedrückend, aber häufig sehr erschreckend ist – diese Einlassungen sind kursiv gesetzt und da muss man sich selbst erschließen, wer überhaupt nun spricht, was zuweilen doch ein wenig anstrengend war: nicht nur wegen dem, was sie teils von sich gegeben haben, sondern auch, weil zumindest ich schwankte: „Ist das nun der Kerl? Der andere? Die eine Frau? Ist das überhaupt jemand der Kidnapper? Erzählt da nu die ganze Zeit dieselbe Person oder sind die das abwechselnd alle? …“

Ich habe den Roman im Verlauf einer längeren Zugfahrt zu lesen begonnen und war, um ehrlich zu sein, ganz froh, dass da noch helllichter Tag war und um mich herum recht reger Trubel herrschte. Abends im Dunkeln, im Leisen, daheim unter eine Decke gekuschelt, hätte mich die Geschichte definitiv zu stark belastet: ich habe „Wehrlos“ bis zu meinem Zielbahnhof auch nicht komplett zu lesen geschafft, sondern das letzte Viertel erst am nächsten Vormittag gelesen, um mich nicht unmittelbar vor dem Einschlafen gedanklich völlig darin zu verlieren.
Den Teil mit der „nahestehenden Person“, die von Mieke provoziert worden war, fand ich letztlich allerdings überflüssig: diese Geschichtenkonstruktion hatte an sich nichts mit der Haupthandlung zu tun und der Plot hätte auch ohne diese Verbindung problemlos funktioniert; generell fand ich das Erschreckendste aber, wie realistisch dieses Buch nun war und wie sehr die Darstellung hier Eltern vermutlich auch panisch werden lassen kann, dass man besser niemandem trauen sollte. Auch die Mahnung, dass man in den sozialen Medien besser zurückhaltend sein sollte, grad in Bezug auf persönliche Infos über die eigenen Kinder, ist hier sehr deutlich; was Delphine de Vigan in ihrem Werk „Die Kinder sind Könige“ vergleichsweise subtil und leise ansprach, wird dem Publikum von Nora Benrath als knallharter Fakt um die Ohren gehauen oder, im literarischen Kontext gesprochen, von den Bösen in dieser Geschichte, die keinen Hehl daraus machen, wie einfach ständig breitgetretene Tagesabläufe ihnen ihre Arbeit machen, oder wie unkompliziert sich „Wunschware“ finden lässt, wenn z.B. Eltern ständig Fotos ihrer Kinder in zig Posen veröffentlichen und noch dazu mit den entsprechenden Hashtags versehen. Zudem wiederholt einer der Täter gleich von Anfang an häufig, dass nur allein ihre „Organisation“ so verdeckt und so verzweigt operiert, dass sie einer Hydra gleiche und es keinen Unterschied mache, wenn sozusagen ein Team abgeschlagen werden würde, was noch weiter zur bedrückenden Atmosphäre beitrug: Wer „Wehrlos“ liest, sieht sich also gleich mit der Tatsache konfrontiert, dass selbst wenn die Geschichte noch eine gute Wendung für Nele nehmen sollte, irgendwo anders im selben Moment womöglich grad ein weiteres Kind bestellt, ein anderes entführt… wird, und es im großen Ganzen betrachtet auf keinen Fall ein Happy End geben wird.

Mir hat „Wehrlos“ nun sehr gut gefallen; klar, die Geschichte an sich war alles andere als schön; aber der Roman spricht eben ein wichtiges Thema an und ist absolut realistisch – auch wenn einen die steten Szenenwechsel, noch dazu die Einlassung der unbenannten Täterfigur(en?), definitiv konfus machen können, aber mir hat es andererseits gefallen, dass diese rasant erfolgenden Wechsel zusätzlich deutlich machten, wie sehr es wichtig ist, dass bei Entführungsfällen keine Zeit verloren wird.
Für mich ist „Wehrlos“ jetzt schon ein Thriller-Highlight dieses Jahres, aber wie eingangs gesagt: Man sollte besser im Vorfeld wissen, worauf man sich hier mit dem Lesen einlässt. Es gibt düstere Thriller – und Thriller wie „Wehrlos“, die einfach nur stockfinster sind.

Veröffentlicht am 06.12.2022

Völlig vorhersehbare clean romance, aber: irgendwie schön

Sehnsucht nach Sunset Rock
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Die Prämisse der Geschichte finde ich definitiv ein wenig konstruiert: da hat die Krebserkrankung eines schwerreichen Magnaten inzwischen gar das Endstadium erreicht und hier wird er sich plötzlich bewusst, ...

Die Prämisse der Geschichte finde ich definitiv ein wenig konstruiert: da hat die Krebserkrankung eines schwerreichen Magnaten inzwischen gar das Endstadium erreicht und hier wird er sich plötzlich bewusst, dass seine vor zig Jahren verstorbene Frau davon geträumt hat, ein Hotel in ihrer Heimatstadt zu erbauen, weswegen sein letzter Wunsch nun ist, dass dieser Traum noch wahrwerden möge. Da stellt sich natürlich die Frage, wieso er sich diesem Hotelbau nicht selbst schon sehr viel früher verschrieben hat oder wieso seine Krebserkrankung nun das Endstadium erreichen musste, bis seine Tochter plötzlich völlig überhastet agieren muss, um noch ganz schnell vor dem Tod des Vaters einen Hotelneubau vom Zaun zu brechen.
Auch dass Nathan, der sich selbst um den Kauf des mutmaßlichen Hotelgrundstückes bemüht, um dort eine Art Baumhaus-Ferienclub zu errichten, genau da bereits „einfach so“ einen Prototyp errichtet hat, wirkte ein wenig seltsam, zumal er in der direkten Nähe im Wald bereits eine Art Naturferienpark besaß, in dem er sicherlich auf eigenem Grund ein entsprechendes Baumhaus hätte bauen können, ohne sich wundern zu müssen, dass er sein Baumhaus nun noch wieder von einem fremden Grundstück abbauen sollte.
Da wirkte niemand auf mich wie wer, mit dem man größere Geschäfte abschließen sollte.

Aber gut, da ist nun also das Grundstück, auf dem so oder so Hotellerie betrieben werden soll: Der Eine, fest verwurzelt in der zugehörigen Stadt, will alles naturnah gestalten, die Andere, immerhin noch eine Großtante dort vorweisen könnend, erstmal den Wald abholzen – Letzteres sorgte in dem kleinen Städtchen abseits von Nathans empörter Familie für eher wenig Aufruhr, was ich auch schon eher unglaubwürdig fand. Da im Grunde nun beide Hauptfiguren letztlich das gleiche Ziel haben, ist das Ende jedoch von vornherein absehbar, erst recht, wenn man das Genre berücksichtigt sowie den Klappentext, der suggeriert, dass hiermit eine Reihe „mit ganz viel Baumhausromantik“ beginnt.
Da ist „Sehnsucht nach Sunset Rock“ (angesichts der Tatsache, dass sich fast die gesamte Handlung hier vor Ort zuträgt, ist der Titel, so romantisch er auch klingt, dabei doch eher seltsam gewählt) ein absolut typischer Romance-Vertreter; ich habe die Geschichte aber ganz gerne gelesen, zumal ich zuletzt einige teils sehr düstere Thriller gelesen hatte und es mich darum, und auch zur Einstimmung auf die Adventszeit, nach etwas Kuschlig-Romantischem und eher Leichtfüßigem verlangte. Zudem ist Nathans Familie sehr toll, und ich hoffe wirklich, dass es im nächsten Band dann um Nathans Schwester gehen würde. Ein Buch mit ihr als Hauptfigur würde mich wirklich reizen.
Was „Sunset Rock“ angeht, räume ich allerdings ein, dass es ungefähr das komplette letzte Fünftel für mich nimmer gebraucht haben würde; die Geschichte war eigentlich völlig auserzählt, als noch ein dramatischer Auftritt von Nathans Ex stattfand, von der ich mir (wie wohl auch Nathans Schwester) ohnehin nicht erklären habe können, wieso die Beiden je ein Paar waren. Dieser „Konflikt“ war da völlig überflüssig und passte für mich auch nicht so wirklich in das sonstige Gefüge der Handlung; irgendwie hatte das alles was von einer Schauspielerin, die sich einen Cameoauftritt eingeklagt hat, den niemand sehen, und das ganze Team auch nicht drehen, will.

In meinen Augen ist „Sehnsucht nach Sunset Rock“ ein geeigneter Kitschroman, wenn man mal was eher Schmalziges lesen möchte, das ohne besonderen Tiefgang daherkommt und im weitesten Sinne auch eher clean romance ist, denn heiße Szenen fehlen hier eigentlich komplett, ohne dass sie wirklich „fehlen“. Wer es gerne steamy mag, ist von daher eher fehl am Platz; hitzig sind hier allenfalls die ersten Aufeinandertreffen der Konkurrenten um das Grundstück. Also meiner groschenromanbegeisterten Großmutter würde ich diesen Roman durchaus empfohlen haben und ich bin mir sehr sicher, dass sie mir nach dem Lesen vorgeschwärmt hätte, „wie schöööööööön“ diese Geschichte doch war.

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