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Veröffentlicht am 09.06.2021

Identität und Wurzeln

Die Unbezwingbare
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"Meine Absicht ist es, die Geschichte mit der Stimme derjenigen zu erzählen, die zum Schweigen gebracht worden sind."

Und so erzählt die finnische Autorin Katja Ketting über die verlorenen Kinder der ...

"Meine Absicht ist es, die Geschichte mit der Stimme derjenigen zu erzählen, die zum Schweigen gebracht worden sind."

Und so erzählt die finnische Autorin Katja Ketting über die verlorenen Kinder der Ojibwe, einer indigenen Bevölkerungsgruppe im Norden Amerikas an der Grenze zu Kanada. Eine Geschichte über geraubte Identitäten, das Vergessen und Verdrängen, sowie über die gewaltige Wucht des Erinnerns. Historischer Rahmen des Romans ist die finnische Immigration im 19. & 20. Jahrhundert auf den nordamerikanischen Kontinent, die auch an den Grenzen des Reservats der Ojibwe nicht anhielt. Mit sorgfältig recherchiertem Hintergrundwissen porträtiert Ketting in diesem Buch ein Einzelschicksal in durchaus anspruchvoller Sprache.

Lempi ist Tochter eines finnischen Immigranten und einer dem Stamm der Ojibwe angehörigen indigene Amerikanerin. Nach dem plötzlichen Verschwinden ihrer Mutter Rose vor mehr als 40 Jahren kehrt Lempi erstmals in das Reservat ihrer Kindheit zurück, um der Vergangenheit entgegenzutreten und sich auf Spurensuche nach den damaligen Geschehnissen zu begeben. Rose hat nichts zurückgelassen, außer einem Bündel selbstgeschriebener Briefe anhand welcher Lempi versucht, die Fragmente ihres Lebens und ihrer eigenen Identität zusammenzufügen. Denn Lempi steht zwischen zwei Kulturen, gehört keiner so ganz an. Für die Mitglieder ihres Reservats ist sie zu weiß, für die Gesellschaft außerhalb des Reservats bleibt sie für immer das Kind einer Indigenen. Und während das Verschwinden von einer Indigenen wie Rose keine behördliche Aufmerksamkeit erregt, verschwindet mit Lempis Ankunft plötzlich ein weißes, blondes Mädchen.

Die Autorin schreibt mit einer sehr ausgeschmückten, detailverliebten und metaphorischen Sprache über Mensch und Natur. Ein in Briefform verfasster Roman über misshandelte und verlorengegangene Mädchen und Frauen, denen in religiösen Zwangsinternaten ihre Identität und kulturelle Zugehörigkeit genommen wurde. Interessant zu lesen, doch man muss sich auf die Sprache der Autorin einlassen, die zwar wunderschön und zart ist, aber schwierige Themen, Missbrauch und Machthierarchien in beklemmende Worte fasst. Es ist kein Buch für Zwischendurch, sondern erschütternd schwere Kost und zeigt Elend und Ungerechtigkeit auf. Ein wichtiges Werk über Identität und das Wiederfinden der eigenen Wurzeln, das mich in seinen Sog gezogen hat und noch lange beschäftigen wird.

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Veröffentlicht am 30.05.2021

Lesenswert!

Vater. Mutter. Kind. Kriegserklärungen
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Ein kleines, persönliches Stück Erinnerungsliteratur der Autorin über das Aufwachsen in den 1960er-Jahren, dem unterschätzten siebten Lebensjahr als Schwellenjahr zur beginnenden Jugend und den ersten ...

Ein kleines, persönliches Stück Erinnerungsliteratur der Autorin über das Aufwachsen in den 1960er-Jahren, dem unterschätzten siebten Lebensjahr als Schwellenjahr zur beginnenden Jugend und den ersten Begegnungen mit dem Ernst des Lebens.

Der Roman ist ein Blick in das Private, ein autofiktionaler Text der Linzer Schriftstellerin Margit Schreiber, die sich im Alter literarisch mit ihrer Kindheit auseinandersetzt. Mit der Einschulung beginnt eine neue Ära im Lebenslauf der Protagonistin: ein fantasievolles Kind trifft zwischen Kindheit und Jugend auf die ersten Probleme des Lebens.
Der spannende Aspekt im Buch ist ein steter Perpektivwechsel zwischen Alter und Kindheit, ein erwachsener Rückblick auf die jungen Jahre, die kindliche Verspieltheit und die unbeschwerte Naivität. Das siebte Lebensjahrzehnt gegen das siebte Lebensjahr, ab dem das Leben zum Krieg aufgebauscht wird. Beginnend mit den manchmal unverständnisvollen Eltern, dem strengen Nachbarn, unfairen Lehrern und der gemeinen Kassiererin.

Das Buch behandelt rückwirkend eine bunte Palette an Erfahrungen und Empfindungen, die Kinder manchmal zu hoch einschätzen, manchmal nicht verstehen und zunehmend hinterfragen. Erste Körperlichkeiten, das erste Mal Alleinsein, die ersten merkbaren Abweichungen vom Alltäglichen. Und doch geht es im Roman nicht um eine radikale Art von Kriegserklärungen, denn diese klingen hier nur im Beisein an. Das Buch ist keine Abrechnung mit dem Familiärem, wie der Titel vermuten lässt, sondern schildert Schritt für Schritt klein wirkende, doch prägende Konflikte der Kindheit, rund 70 Jahre später aus der Retrospektive betrachtet. Ein besonderes Stück Literatur, das ich gern gelesen habe.

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Veröffentlicht am 22.05.2021

Empfehlenswert!

Die Anderen
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In einer kleinen Stadt inmitten der kalifornischen Mojave-Wüste wird eines Nachts der marrokanische Einwanderer Driss Guerraoui angefahren. Der Verursacher des Unfalls begeht Fahrerflucht, und so stirbt ...

In einer kleinen Stadt inmitten der kalifornischen Mojave-Wüste wird eines Nachts der marrokanische Einwanderer Driss Guerraoui angefahren. Der Verursacher des Unfalls begeht Fahrerflucht, und so stirbt der zweifache Familienvater und Ehemann am Unglücksort vor den Türen seines eigenen Restaurants. Driss' Tochter Nora, eine angehende Komponistin, kehrt nach Jahren der Abwesenheit erstmals zur Beerdigung in die Kleinstadt zurück.
Der Schmerz über den Verlust ihres Vaters treibt sie dazu an, nach Antworten zu suchen, denn Nora vermutet hinter seinem Tod mehr als einen versehentlichen Unfall.

Im Verlauf lernen wir eine gute Handvoll Personen kennen, die sowohl unmittelbar als auch über Unwege mit dem Vorfall in Berührung stehen. Wir lernen Driss am Tag seines Todes kennen und begleiten seine beiden Töchter und seine Ehefrau nach dem Tod in ihrer Phase der Trauer. Wir begeben uns mit Polizisten auf die Spurensuche und lernen dabei gleichzeitig die Perspektive des unmittelbaren Tatverdächtigen kennen. Und wir erleben die Perspektive eines mexikanischen Einwanderers ohne Papiere, der Zeuge des Unfalls ist, aber aus Angst vor der Abschiebung zögert zur Polizei zu gehen.

Einwanderung, die amerikanische Klassengesellschaft und Rassismus sind Themen, aber nicht der Schwerpunkt des Romans. Die Geschichte zentriert sich um polizeiliche und private Nachforschungen nach dem Unfallverursacher und dessen Motiv, und kratzt somit ziemlich an der Grenze zum Krimi. Trauerbewältigung, familiäre Differenzen und das erdrückende Gefühl von Einsamkeit spicken das Buch mit vielerlei aufwühlenden Emotionen und machen den Roman zum Austragungsort einer Liebesgeschichte und einer Familienchronik zugleich.

Ein in sich relativ ruhiges Buch, gefühlvoll und durch viele verschiedene Erzählstränge ziemlich lebendig geschildert. Leseempfehlung für alle, die einen stillen Krimi mit einigen gesellschaftskritischen Themen lesen möchten.

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Veröffentlicht am 06.05.2021

Politthriller

Berlin Heat
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Die Hauptstadt im ersten Sommer nach der Pandemie. Die Menschen treibt es wieder nach draußen, die Touristen sind zurück. Tom verdient sein Geld durch krude Geschäfte mit Partytouristen, vermietet Wohnungen, ...

Die Hauptstadt im ersten Sommer nach der Pandemie. Die Menschen treibt es wieder nach draußen, die Touristen sind zurück. Tom verdient sein Geld durch krude Geschäfte mit Partytouristen, vermietet Wohnungen, besorgt Drogen und alles andere, was das Partyvolk begehrt. Sein sonstiges, relativ unspektakuläres Leben verbringt er überwiegend in Wettbüros, hoffend auf den großen Jackpot - der Schulden wegen. Doch dann wird ein hochrangiger AfD-Politiker entführt und Toms Leben steht plötzlich auf dem Kopf. Denn der Mann wird ausgerechnet in einer seiner vermieteten Wohnungen festgehalten. Tom weiß, hier läuft ein ganz abgekatertes Spiel ab, denn es ist kurz vor der Bundestagswahl, und die AfD inszeniert diese Entführung als eine Schandtat der Linken - um die Sympathien der Wähler zu gewinnen und um neue Wähler anzulocken. Und Tom, als Beteiligter, steckt nun unmittelbar ganz tief mit drin.

Berlin, Kriminalitätshochburg, Schandfleck Deutschlands, wie es im Buch so schön heißt. Ein aktueller Politthriller, der es in sich hat, und gar nicht mal so unrealistisch ist. Von Verschwörungstheorien, dem erneuten Aufschwung der AfD bis hin zur zurückgewonnenen Lebensfreude nach der Pandemie, fächert das Buch ein buntes Spektrum aktueller Themen auf. Ein fein ausgearbeiter Thriller, fast schon satirisch, der ein überspitztes Abbild der Politik aufzeigt, das tatsächlich aber auch genau so in der Realität bestehen könnte.
Als Berlinerin kenne ich die Schauplätze, deswegen fand ich das Buch auch sehr interessant zu lesen. Weil es einfach faszinierend echt wirkt und man die passenden Bilder dazu im Kopf hat, das habe ich sonst wirklich selten beim Lesen. Der Autor kann unglaublich realistisch das Stadtbild und die Menschen darin festhalten, Respekt. Knotenpunkt im Buch ist der Potsdamer Platz, aber die Handlung verläuft sich auch oft in die Außenbezirke. Auch da: sehr authentisch.
Die Gespräche und Gedanken sind überspitzt, aber immer irgendwie auf den Punkt. Hält auf jeden Fall, was der Klappentext verspricht und hat mich doch sehr positiv überrascht, obwohl das gar nicht so mein Genre ist.

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Veröffentlicht am 18.04.2021

Abtauchen in verrückte Fakten

Wenn Haie leuchten
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"𝑊𝑖𝑒 𝑠𝑜𝑙𝑙 𝑚𝑎𝑛 𝑤𝑖𝑠𝑠𝑒𝑛, 𝑤𝑖𝑒 𝑣𝑖𝑒𝑙 𝑚𝑎𝑛 𝑤𝑒𝑖ß, 𝑤𝑒𝑛𝑛 𝑚𝑎𝑛 𝑔𝑎𝑟 𝑛𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑤𝑒𝑖ß, 𝑤𝑖𝑒 𝑣𝑖𝑒𝑙 𝑚𝑎𝑛 𝑛𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑤𝑒𝑖ß?"

Wusstet ihr, dass die Oberfläche des Mars um ein Vielfaches besser kartiert ist als der Meeresboden? Oder dass ...

"𝑊𝑖𝑒 𝑠𝑜𝑙𝑙 𝑚𝑎𝑛 𝑤𝑖𝑠𝑠𝑒𝑛, 𝑤𝑖𝑒 𝑣𝑖𝑒𝑙 𝑚𝑎𝑛 𝑤𝑒𝑖ß, 𝑤𝑒𝑛𝑛 𝑚𝑎𝑛 𝑔𝑎𝑟 𝑛𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑤𝑒𝑖ß, 𝑤𝑖𝑒 𝑣𝑖𝑒𝑙 𝑚𝑎𝑛 𝑛𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑤𝑒𝑖ß?"

Wusstet ihr, dass die Oberfläche des Mars um ein Vielfaches besser kartiert ist als der Meeresboden? Oder dass es solarbetriebene Meeresschnecken gibt?

Falls nicht, dann werft doch mal einen Blick in dieses interessante Sachbuch und begebt euch auf eine Reise durch die noch relativ spärlich erforschte Meereswelt unseres Planeten. Julia Schnetzer nimmt uns mit in die Flora und Fauna unter der Wasseroberfläche und zeigt uns, dass Biologie nicht immer stinklangweilig sein muss. Spannend und leicht verständlich macht sie uns mit den Mysterien der Ozeane und seiner Bewohner bekannt, reißt zwar einige Themen oft nur oberflächlich an, aber dadurch wird das Buch nie langweilig. Zahlreiche Illustrationen lockern das Buch zusätzlich auf und vermitteln erstaunliche Erkenntnisse der aktuellen Meeresforschung auf anschauliche Art. Das Buch wirft einen Einblick in verschiedenste Thematiken, denen bisher nur wenig Aufmerksamkeit zuteil kommt, wie etwa die Sprachforschung bei Delfinen oder die Unsterblichkeit von Quallen. Natürlich beleuchtet Schnetzer auch die Plastikverschmutzung durch den Menschen, und zeigt unsere negativen Auswirkungen auf das empfindliche Ökosystem Meer, das viel näher mit unser aller Leben verwoben ist, als man zunächst denkt.

Wenn ihr also wissen wollt, warum Fische im allgemeinen recht gut zählen können oder noch nicht wusstet, dass einige Guppys besser in Mathe sind als andere Guppys, dann liest dieses Buch!

Leseempfehlung für alle, die einen kurzen aber interessanten Blick in die Meeresforschung werfen wollen oder beim nächsten Kneipenbesuch mit verrückten Fakten glänzen wollen.

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