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Veröffentlicht am 21.04.2019

Gelebte Geschichte

Bürgerin aller Zeiten
1

Charlotte feiert am 09.011.1989 ihren achtzigsten Geburtstag. Während die Geburtstagsvorbereitungen laufen, die Republik auf ein historisches Datum zusteuert, erinnert sich Charlotte an damals, als alles ...

Charlotte feiert am 09.011.1989 ihren achtzigsten Geburtstag. Während die Geburtstagsvorbereitungen laufen, die Republik auf ein historisches Datum zusteuert, erinnert sich Charlotte an damals, als alles begann.
Die Geschichte beginnt 1913. Die vierjährige Charlotte, genannt Lotte, lebt mit ihren jüngeren Geschwistern Dorchen und Heinrich und den Eltern Luise und Wilhelm, einem Rechtsanwalt, in Leipzig. Der Familie geht es gut bis zum Jahr 1914. Wilhelm muss an die Front. Zuhause versucht die Familie mit den Folgen des Krieges , insbesondere der Lebensmittelknappheit, zu recht zu kommen. Dank dem guten Geist der Familie, der Hausangestellten Mathilde und Besuchen auf dem Gut der Großeltern überlebt die Familie Schönau die Hungerjahre. Wilhelms Schwester sorgt in dieser Zeit für einen Eklat. Amalie, Tochter aus großbürgerlichem Haus, hat gegen den Willen der Eltern einen Sozialdemokraten geheiratet. Überfordert von den Kriegsumständen und mit einer egoistischen Persönlichkeit ausgestattet lässt Amalie ihre Kinder Johann und Emmy zurück und flieht nach Berlin. Johann lebt fortan bei den Schönaus und wird liebevoll in die Familie aufgenommen. Die Schönaus überleben den 1. Weltkrieg und die Wirtschaftskrise. Die Kinder werden erwachsen. Johann sucht sein Glück als Fotograf in Berlin. Er hofft dort auch seine Mutter wieder zu finden. Dorchen entdeckt ihre Liebe und ihr Talent für`s Schreiben und macht sich ebenfalls auf nach Berlin. Dort findet sie ihre große Liebe Levin, einen jüdischen Reporter. Lotte lebt weiterhin bei den Eltern und studiert. Heinrich sympathisiert mit der erstarkenden NSDAP. Die Geschichte endet 1933. Das Leben der Schönaus ist gezeichnet von schweren Schicksalsschlägen. Doch die dunkelsten Jahre liegen noch vor ihnen.
Ich habe das Buch mit wachsender Begeisterung gelesen. Die Verknüpfung der Familiengeschichte der Schönaus mit den geschichtlichen Ereignissen ist der Autorin aufs beste geglückt. Jedes Familienmitglied ist liebevoll geschildert und steht mit den ihm eigenen Charakterzügen für unterschiedliche Lebensplanungen. Die brave Lotte, ganz bürgerlich und gute Tochter, die bis zu ihrer Hochzeit zuhause lebt, ist immer darauf bedacht, die Regeln einzuhalten. Dagegen das selbstbewusste Dorchen, die sich nicht um die Konventionen schert, lebt unverheiratet mit einem Mann in Berlin zusammen. Und dann ist da das Nesthäkchen Heinrich, das immer im Schatten seiner Schwestern steht und sich vom Gedankengut der Nazis und deren Träume von Macht und Einfluss angezogen fühlt. Mittendrin die Eltern, aufgewachsen im Kaiserreich, versuchen sie mit der neuen Zeit Schritt zu halten. Ich habe mit der Familie gelacht, gehofft und gelitten. Und nebenbei habe ich durch die Familie Geschichte erlebt. Was kann man mehr von einem Buch erwarten ?

Veröffentlicht am 30.08.2017

Wer bestimmt, was Gerechtigkeit bedeutet ?

Marthas Widerstand
1

Martha soll in sieben Tagen hingerichtet werden. Sie hat den hochgeschätzten Millionär und Wohltäter Jackson Paige erschossen. Auf sie wartet jedoch kein Gerichtsverfahren ,wie wir es kennen. Über ihr ...

Martha soll in sieben Tagen hingerichtet werden. Sie hat den hochgeschätzten Millionär und Wohltäter Jackson Paige erschossen. Auf sie wartet jedoch kein Gerichtsverfahren ,wie wir es kennen. Über ihr Schicksal werden die Zuschauer der Fernsehsendung "Death is Justice" per Telefonabstimmung entscheiden.. Es wird keine Beweisaufnahme, keine Zeugen, keinen Verteidiger und keinen unabhängigen Richter geben. Vom Tag der Festnahme bis zum Tag der Hinrichtung liegen sieben Tage. In Rückblenden erzählen verschiedene Beteiligte, was sich vor der Festnahme ereignet hat. Möglicherweise ist Paige für den Tod von Marthas Mutter verantwortlich. Und ist er wirklich der selbstlose Wohltäter, als der er in der Öffentlichkeit dargestellt wird ?
Im Laufe der Geschichte wird immer deutlicher, wie ungerecht und manipulativ das sogenannte Gerichtsverfahren ist. Die Fernsehsendung dient lediglich dazu, die abstimmenden Massen zu einem bestimmten Urteil zu bringen: Marthas Tod auf dem elektrischen Stuhl. Fürsprecher werden öffentlich diffamiert und Beweise, die gegen Marthas Schuld sprechen, unterdrückt. Aber warum wiederholt Martha gebetsmühlenartig ihr Schuldgeständnis? Und welche Rolle spielt Paiges Adoptivsohn Isaac ?
Das Buch hat mich sehr berührt und oft auch wütend gemacht. Besonders die Fernsehshow hat mich an die Grenzen meiner Toleranz gebracht. Ich hätte das Publikum anschreien wollen "Seht Ihr nicht, dass alles gelogen ist ?" Die Atmosphäre wird ständig bedrückender, um so näher der Tag der unausweichlichen Hinrichtung rückt. Man erlebt die wachsende Verzweiflung Marthas hautnah und stellt sich die Frage , was sind das für Menschen, die einer 16jährigen so etwas antun.
Die handelnden Personen bleiben aber in meinen Augen dennoch eher blutleer. Möglicherweise liegt es daran, dass man über sie persönlich zu wenig erfährt. Sie scheinen vorwiegend in der Gegenwart zu existieren. Die Vergangenheit und damit auch ihre Motivation bleibt zu vage. Der Grund dafür liegt vielleicht in der Tatsache begründet, dass es einen 2. Teil geben wird. So endet das Buch zwar mit einem Paukenschlag, lässt aber den Leser mit einer Vielzahl von Fragen ratlos zurück. Dennoch mochte ich das Buch, weil es mich in weiten Teilen berührt und zum Nachdenken angeregt hat.

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Veröffentlicht am 25.04.2024

Eine packende Geschichte brillant erzählt

Evas Rache
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Der Krimi hat einige Handlungsstränge, die auf den ersten Blick keine Verbindung miteinander zu haben scheinen. In Leipzig ist Inspektor Stainer in einer Lebenskrise, trinkt mehr als ihm gut tut .Er jagt ...

Der Krimi hat einige Handlungsstränge, die auf den ersten Blick keine Verbindung miteinander zu haben scheinen. In Leipzig ist Inspektor Stainer in einer Lebenskrise, trinkt mehr als ihm gut tut .Er jagt mit seinen Kollegen einen Frauenmörder, dessen Opfer all zu sehr den Frauen ähneln, die Stainer am Herzen liegen.

In München versucht die junge Eva-Maria Dorn wieder mehr gemeinsame Zeit mit ihrem Ehemann zu verbringen, der sie nicht ernst nimmt und versucht, sie im Hause zu halten. Als Eva herausfindet, dass er sie mit einer anderen betrügt, schmiedet sie einen Racheplan und reist ihm nach Leipzig zur Messe hinterher, auf die er sie nicht mitnehmen wollte.

Nun beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen. Stainer muss sich um weitere Mordfälle an Männern kümmern . In Leipzig angekommen verschwindet Eva spurlos. Ist sie ein weiteres Opfer des Frauenmörders ? Sie passt perfekt in sein Beuteschema. Während Stainer versucht, die Fälle zu lösen, gewinnt sein alter Widersacher Inspektor Heinze, ein Mann der ersten Stunde in der NSDAP, immer mehr an Einfluss.

Ich schätze die unaufgeregte Erzählweise des Autors sehr. Auch in diesem Fall werden die Personen in ihrem eigenen Umfeld vorgestellt. Ich erfahre viel über ihre Lebensumstände und Befindlichkeiten. Vieles , was beim ersten Hinsehen eher banal erscheint, erhält im Verlauf der Ereignisse unerwartet Gewicht.

Sehr gelungen finde ich, wie der Autor die verschiedenen Fälle miteinander verbindet. Dabei spielt oft der Zufall eine Rolle, ist dabei aller völlig nachvollziehbar. So ist das Leben eben. Der Krimi ist fesselnd und gelegentlich gibt es Szenen unerwarteter Brutalität, die ein Schlaglicht auf einzelne Personen werfen. Erneut spielen die damaligen politischen Verhältnisse eine wichtige Rolle, ohne den Kriminalfall in den Hintergrund zu drängen. Meine Zu-und Abneigung war auf beide Seiten verteilt. Stainer ist ein kompetenter Ermittler, der sehr empathisch ist und an der Ungerechtigkeit der Welt leidet. Ich habe die Krimis mit ihm geliebt, verstehe aber, dass er nicht mehr weiter machen kann. Mein Zorn und Abneigung trifft Heinze und die anderen Emporkömmlinge, die den Polizeiapparat unterwandern und damit das Recht mit Füssen treten. Auf der Täterseite gab es eine Person, die ich mochte, weil sie für mich ein Opfer war und der ihre Taten aufgezwungen wurden.

Für mich erneut ein sehr spannender Krimi aus der Feder des Autors, dem es gelingt einen komplexen Fall unterhaltsam zu erzählen und dabei die damalige Stimmung perfekt einzufangen.

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Veröffentlicht am 18.04.2024

Für die Kinder !

Die Zeit der Kinder
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Der Roman widmet sich dem Leben und Werk von Friedrich Fröbel, dem "Erfinder" des Kindergartens und seiner Ehefrau und Vertrauten Luise Levin.

Fröbel war ein Suchender und hat Wissen aufgesogen wie ein ...

Der Roman widmet sich dem Leben und Werk von Friedrich Fröbel, dem "Erfinder" des Kindergartens und seiner Ehefrau und Vertrauten Luise Levin.

Fröbel war ein Suchender und hat Wissen aufgesogen wie ein Schwamm. Wichtige Denkanstöße erhielt er durch Rousseau und andere wichtige Persönlichkeiten der Aufklärung. Friedrich war Pfarrerssohn und wurde sehr streng erzogen. Züchtigungen gehörten zum Alltag, wie es damals üblich war. Der Mensch ist von Natur aus böse und Kinder sind kleine Erwachsene. Fröbel wagt einen revolutionären Ansatz. Der Mensch ist von Natur aus gut. Kinder sind anders und lernen durch das Spielen. Diese Auffassung stößt auf Widerstand und offene Ablehnung Sogar bei Pestalozzi ! Da liegt es nahe, eine eigene Schule zu gründen.

Luise lebt lebt geduldet im Haushalt ihrer verheirateten Schwester und kümmert sich um die Kinder. Auch sie hält Schläge für kein geeignetes Erziehungsmittel. Als die Kinder zur Schule gehen, wirft ihr Schwager sie aus dem Haus. Da sie nicht weiß wohin und zudem mittellos ist, fährt sie zu Fröbels Schule nach Keilhaus und ist begeistert vom Umgangston und von Fröbel fasziniert.

Fröbel ist ein Besessener im positiven Sinne. Er schreibt Briefe an mögliche Unterstützer , hält Vorträge, um seine Ideen weiter zu verbreiten. Er beginnt Kindergärtnerinnen auszubilden. Doch das neue Gedankengut ist der Obrigkeit und auch der Kirche ein Dorn im Auge. Menschen, die ihren Geist entwickeln, selbstständig denken, passen nicht in ihr Weltbild und gefährden ihren Machtanspruch. Kindergärten werden verboten, Friedrich und seine Anhänger als Staatsfeinde gebrandmarkt.

Nach Fröbels Tod übernimmt Luise sein Erbe. Nach vielen Widerständen, Rückschlägen und Demütigungen kann sie ihren ersten Kindergarten in Hamburg eröffnen. Und die Idee des Kindergartens macht sich auf zu ihrem Siegeszug um die Welt.

Die ersten Seiten des Buches waren eine Herausforderung für mich. Die Autorin stellt die wichtigsten Personen in einzelnen Kapitel vor und wechselt dabei Zeit und Ort. Das fand ich etwas verwirrend. Als ich diese Hürde genommen hatte, war ich von den Ereignissen gefesselt. Friedrich war für mich ein schwieriger Charakter. Kompromisslos hat er oft mögliche Verbündete vor den Kopf gestoßen. Im Umgang mit Kindern ist er aufgeblüht, wird nicht müde, zu erklären und zu ermutigen.

Luise war mir als Persönlichkeit näher und auch sympathischer. Von der geduldeten ledigen Schwester entwickelt sie sich zur selbstbewussten Verfechterin von Fröbels Ideen. Trotz massiver Anfeindungen, Armut und Zeiten des Zweifels hält sie an Fröbels Ideen fest. Sehr berührend fand ich ihre Liebe zu Fröbel, die auch mit dessen Tod nicht endet.

Für mich war das Buch eine bewegende Reise in die Vergangenheit, in der Kinder mehr als Last empfunden wurden. Die Kinderbewahranstalten waren in meinen Augen der reinste Horror. Die Autorin lässt Fröbel immer wieder seine Ideen und sein Menschenbild erklären. Das fand ich sehr interessant und ich habe da Neuland betreten.

Menschlich berührend und dadurch auch unterhaltsam und spannend wurde das Buch für mich durch Luise. Mit ihr habe ich gelitten, gehofft und gebangt. Alles in allem ist das Buch eine gelungene Mischung zwischen Fiktion und realen Ereignissen.

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Veröffentlicht am 16.04.2024

Unterhaltsame Lesereise in die Anfänge der Bundesrepublik

Die Zeit der Hoffnung
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Das ist der 2. Band der die Lebensgeschichte von Katharina, die in Stuttgart lebt , erzählt und die Handlung im Jahr 1957 aufnimmt. Ich kenne den 1. Band nicht und kann deshalb mit Überzeugung sagen, dass ...

Das ist der 2. Band der die Lebensgeschichte von Katharina, die in Stuttgart lebt , erzählt und die Handlung im Jahr 1957 aufnimmt. Ich kenne den 1. Band nicht und kann deshalb mit Überzeugung sagen, dass dies dem Verständnis und dem Lesevergnügen keinen Abbruch tut.

Die Autorin beginnt Katharinas Lebensweg mit deren Hochzeit und endet in den frühen 60ziger Jahren. Katharina kann endlich ihre große Liebe Moritz heiraten, nachdem sie von ihrem 1. Mann geschieden wurde. Damit Katharina die Ablehnung ihrer Schwiegermutter gewonnen. Eine geschiedene Frau und vermutlich nicht in der Lage, Kinder zubekommen, so sah zu dieser Zeit ganz sicher keine Traumschwiegertochter aus. Als Katharina doch schwanger wird, überwiegt zwar die Freude, aber der Wermutstropfen, ihre geliebte Arbeit aufzugeben, bleibt trotzdem. Nun erfahre ich viel über das Frauenbild der damaligen Zeit und die herrschenden Rollenerwartungen. Das lässt mich mal wieder dankbar sein, nicht in dieser zeit gelebt zu haben

Aus beruflichen Gründen ihres Mannes Moritz zieht die kleine Familie für ein Jahr nach Berlin. Katharina schließt eine enge Freundschaft mit Lisa, die im Osten der Stadt lebt und in der Buchhandlung ihrer Schwester Marion im Westen arbeitet. Dies gibt der Autorin die Möglichkeit, die unterschiedlichen Lebensverhältnisse zu beschreiben. Was die Stellung der Frauen anbetrifft, liegt der Osten vorn. Dann im Sommer 61 der Berliner Mauerbau, der alles ändert. Marions Schicksal lässt erahnen, was das für die Bevölkerung in beiden Teilen Berlins bedeutet hat.

Zurück in Stuttgart würde Katharina gerne wieder arbeiten und stößt damit in ihrem sozialem Umfeld auf Unverständnis. Zumal sich ihr Mann Moritz ein weiteres Kind wünscht.

Ein weiterer Handlungsstrang widmet sich dem Schicksal von Lisa, die ein uneheliches Kind bekommt und damit von der Gesellschaft fast auf die Stufe mit einer Prostituierten gestellt wird. Vor Gericht, Unterhalt vom Kindesvater einzuklagen, ist eine Fahrt ins Ungewisse. Lisas Schicksal hat mich stark bewegt. Hier wurde Himmel schreiendes Unrecht geübt.

Neben diesen gesellschaftlichen und politischen Eindrücken finden sich viele kleine Erinnerungsstücke. So findet der Hawaii -Toast, die Hollywood-Schaukel oder die Krimiserie "Das Stahlnetz" Erwähnung, was ich noch aus meiner Kindheit kenne.

Das Buch hat mir viel Spaß beim Lesen bereitet. Es war unterhaltsam, berührend und lässt einen Abschnitt der deutschen Gegenwartsgeschichte lebendig werden.

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