Profilbild von Lola_Pistola

Lola_Pistola

aktives Lesejury-Mitglied
offline

Lola_Pistola ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Lola_Pistola über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.07.2020

Alles hat zwei Seiten

Die Hungrigen und die Satten
0

Worum geht’s?
In einer Zeit, in der "der Kanzler kein Merkel mehr ist", wird ein deutsches Medien(trash)sternchen für eine neue Sendung nach Afrika geschickt, wo sie von einem Flüchtlingslager hautnah ...

Worum geht’s?
In einer Zeit, in der "der Kanzler kein Merkel mehr ist", wird ein deutsches Medien(trash)sternchen für eine neue Sendung nach Afrika geschickt, wo sie von einem Flüchtlingslager hautnah berichten soll. Die Sendung „Engel im Elend“ entwickelt sich schnell zu einem ganz großen Coup für den Sender, jedoch bringt Nadeche Hackenbusch, der Star der Sendung, plötzlich das ganze Skript durcheinander als sie beschließt, einen Marsch mit den Flüchtlingen nach Europa zu bestreiten. Gemeinsam mit ihrem neuen Freund Lionel und seinen geschäftstüchtigen Freunden entwickelt sie eine Strategie die so simple wie unaufhaltbar ist. Immer mehr weitet sich das Ganze bis zur Staatskrise aus. Kann Europa eine weitere Flüchtlingswelle bewältigen?

Meine Meinung:
Timur Vermes ist Vielen – und war mir – ein Begriff von seinem Buch „Er ist wieder da“. Dementsprechend griff ich dann in der Buchhandlung nach „Die Hungrigen und die Satten“, als ich auf der Suche nach neuem Lesestoff war und es mir beim Schmökern ins Auge gefallen ist. Der Klappentext ist zwar nicht besonders aussagekräftig, war aber doch detailliert genug, um mein Interesse an der Geschichte zu wecken.
Zunächst einmal fand ich es höchst amüsant, wie überspitzt Vermes seine Charaktere darstellte: Die naive, etwas weltfremde Nadeche Hackenbusch und ihre nicht minder unterbemittelte Begleitung, die Journalistin Astrid von Roëll, die durch ihre sehr selbstbewussten Aussagen durchblicken lassen, dass sie in einigen Dingen sehr einfach gestrickt sind. Dann der homosexuelle Staatssekretär, dessen Beziehung durch seinen Job gehörig auf die Probe gestellt wird und schließlich ein durchaus unterhaltsamer Lionel, der eine Möglichkeit sucht, aus seiner Heimat auszuwandern. Soweit, so gut.
Auch die Wortwahl und im Allgemeinen die Sprache, mit der Vermes arbeitet, hat mich zutiefst beeindruckt, begeistert und amüsiert. Der Schreibstil ist wirklich genial und unterstreicht die Charaktere wunderbar. Wie sehr müssen sich beim Autor alle Nackenhaare aufgestellt haben, als er Nadeches grottiges Englisch fabrizierte? Auch wenn das manchmal ganz schön nervtötend war, so verstand ich trotzdem den Witz dahinter noch gut.
Zur Buchmitte hin änderte sich meine Begeisterung dann aber immer mehr in totale Langeweile und das Buch schien sich ab da extrem in die Länge zu ziehen. Die schier endlosen Beschreibungen der Logistik hinter dem ganzen Unternehmen gingen mir dann nach einiger Zeit gehörig auf die Nerven und ich legte das Buch erst mal ein paar Tage auf die Seite und begann mit einem anderen, weil ich überhaupt kein Interesse mehr daran hatte, wie die Geschichte weitergeht. Letzten Endes plagte ich mich dann doch durch die nächsten Kapitel hindurch, weil ich dem Ganzen noch eine Chance geben wollte. Zum Glück!
Auf den letzten 150 bis 200 Seiten wurde die Geschichte dann doch wieder interessant. Sie nahm Fahrt auf, es baute sich Spannung auf und ich wollte dann doch wissen, wie diese Reise jetzt ausgeht. Für mich und für die Charaktere im Buch. Und hier schaffte es Timur Vermes tatsächlich, dass ich das Buch nicht mehr zur Seite legen wollte, bis ich damit fertig war. Und dann kam der Schluss. Ein sehr fulminantes Ende zugegebenermaßen, aber auch eines, das mich sehr unbefriedigt zurückließ. Nicht, dass ich mit unbeantworteten Fragen nicht umgehen könnte, aber für mich fühlte sich das an wie bei manchen Filmen, wo man sich am Ende denkt: „Im Ernst? War’s das jetzt?“. Und so hinterlässt das Buch bei mir doch sehr gemischte Gefühle.

Fazit:
Ich bereue nicht, „Die Hungrigen und die Satten“ gelesen zu haben, es war durchaus an vielen Stellen unterhaltsam und ich mochte, wie hier aktuelle Themen verarbeitet und auf die Spitze getrieben wurden, die Flüchtlingsthematik, die Parteistrukturen und die Medienlandschaft. Dennoch war mir dann der Mittelteil zu eintönig und ermüdend, als dass ich jetzt völlig begeistert davon wäre. Da konnte dann auch der wirklich brillante Schreibstil von Timur Vermes nichts mehr retten. Für mich ist es insgesamt ein gutes, aber kein außergewöhnliches Buch, das man gelesen haben kann, aber nicht muss.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere