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Veröffentlicht am 10.08.2020

Flowerpower und Oktoberfest

Liebe machen
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Buchbesprechung zu »Liebe machen« von Moses WolffDieses Taschenbuch habe ich im Rahmen einer Leserunde auf LOVELYBOOKS gewonnen. Die 288-seitige Taschenbuchausgabe mit der EAN 978-3-492-30749-9 kostet ...

Buchbesprechung zu »Liebe machen« von Moses Wolff

Dieses Taschenbuch habe ich im Rahmen einer Leserunde auf LOVELYBOOKS gewonnen. Die 288-seitige Taschenbuchausgabe mit der EAN 978-3-492-30749-9 kostet 10.00 € und erschien am 3. August 2020 bei Piper.

Als die zwanzigjährige Dagmar in einer lauen Kölner Nacht im März 1970 aus dem Schlaf hochschreckt, ahnt sie nicht, dass in Hamburg ein junger Mann, Götz, ebenfalls wach liegt und denselben Traum träumt wie sie. Und vor allem ahnen weder Dagmar noch Götz, dass das Schicksal sie füreinander bestimmt hat. Noch im selben Jahr werden sie sich auf dem Oktoberfest begegnen, sich verlieben – und dann für lange Zeit aus den Augen zu verlieren, ohne zu wissen, wie nah sie sich eigentlich die ganzen Jahre über sind.


Meinung
Das Cover ist ein Augenschmaus. Da hat sich die Werbeagentur ZERO etwas richtig Originelles einfallen lassen. Der Titel klingt sexistisch, bezieht sich aber auf Make Love - not War, passt also gut zu den 1970er Jahren und erinnert an Hippies. Der Schriftzug ist ebenfalls typisch 70er Jahre. Zu sehen ist hier die von mir heiß geliebte Tapete im LSD-Optik, der geniale Rippenheizkörper und ein hübsches rotes Plastik-Radio mit Pril-Blumen. Köstlich!

Liebe machen handelt von einer schicksalhaften Liebe. Der Autor erzählt nicht nur eine fantasievolle und zauberhafte Liebesgeschichte, die sich über ein halbes Jahrhundert erstreckt, sondern macht daraus einen Gesellschaftsroman. Da mir in jungen Jahren etwas Ähnliches widerfahren ist, konnte ich mich ausgezeichnet in die Protagonisten hineinversetzen, was den Lesespaß steigerte. Durch den ruhigen, poetischen Schreibstil, der durch humorvolle Unterton gekennzeichnet ist, wurden die gut charakterisierten Figuren lebendig.

Wir schreiben das Jahr 1970. Dagmar träumt in Köln einen Traum. Götz träumt den gleichen Traum in Hamburg. Die Protagonisten begegnen einander das erste Mal beim Love-and-Peace-Festival auf Fehmarn. Ein zweites Mal am 19. September 1970 auf dem Münchener Oktoberfest. Ein dramatisch magischer Moment, der auf den Leser überspringt. Und nun begibt sich der geneigte Leser auf eine Zeitreise. Moses Wolff lässt fünf Jahrzehnte Revue passieren. Wir begleiten die Liebenden durch ihre Leben, das von Höhen und Tiefen, vom Suchen und Finden der Liebe geprägt ist. Spannend finde ich an dieser Geschichte, dass sich die Protagonisten in völlig unterschiedliche Richtungen entwickeln, in Gedanken jedoch immer beieinander sind. Bei Wolffs Streifzug durch die Jahrzehnte wird der Leser nicht nur Zeuge großer Weltgeschichte, auch Ereignisse aus der Musik-, Film- und Unterhaltungsbranche werden hier gut recherchiert in die Story eingebaut, dass ich mich im Nachhinein frage, was dem Autor eigentlich wichtiger war, und ob die Protagonisten nicht vielleicht nur ein Gerüst bildeten, um die Rückblende überhaupt zu ermöglichen? Das ist jetzt aber völlig egal, denn der Roman liest sich einfach wunderbar!

"(...) da der Wiesn-Anstich im Jahr 1970 am Samstag, dem 19. September war und dieses Jahr zum selben Datum gewesen wäre, habe ich das Oktoberfest 2020 in meinem Buch einfach stattfinden lassen, trotz Absage. (...) Man muss sich auch nicht alles vom Virus diktieren lassen. [Quelle: Münchener Abendzeitung]"

Da bin ich ganz Ihrer Meinung Herr Wolff. Trotzdem finde ich es saukomisch und gemein, dass sich die beiden 50 Jahre lang immer wieder verpasst haben und das Oktoberfest ausgerechnet 2020 ausfällt ... 😅 Diese Bemerkung erklärt dann auch den Ausgang der Geschichte.


Fazit
Eine wunderschöner Sommerlektüre, die man unbedingt gelesen haben sollte, denn - Obacht! - hier findet das Oktoberfest statt. 5 Sterne und eine klare Lese-, Kauf- und Geschenkempfehlung.


Gut zu wissen!
Moses Wolff, geboren 1969, ist Autor, Schauspieler und Komiker. Er schreibt regelmäßig für das Satiremagazin »Titanic« und ist Mitveranstalter der erfolgreichen Münchener Lesebühne »Schwabinger Schaumschläger Show«.


© 08/2020 MAD-Moiselle 🌼 Alle Angaben sind ohne Gewähr.

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Veröffentlicht am 08.08.2020

Sehr belustigend, beruhigend und ernüchternd zugleich!

Alles Geld der Welt
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Buchbesprechung zu »Alles Geld der Welt« von Gerhard LoibelsbergerDiesen historischen Roman aus dem alten Wien habe ich auf mysteriöse Weise im Rahmen einer Buchverlosung auf Lovelybooks gewonnen. Die ...

Buchbesprechung zu »Alles Geld der Welt« von Gerhard Loibelsberger

Diesen historischen Roman aus dem alten Wien habe ich auf mysteriöse Weise im Rahmen einer Buchverlosung auf Lovelybooks gewonnen. Die broschierte, 346-seitige Paperback-Ausgabe mit der EAN 978-3-839-22686-5 kostet 16.50 € und erschien am 10. Juni 2020 im Gmeiner Verlag.

Der Aufstieg und der Fall des Wiener Bankhauses Strauch. Eine Geschichte über Börsenspekulanten, Bauherren und Immobilienhaie. Und über die kleinen Leute, die davon träumen, rasant reich zu werden. Im Dreivierteltakt des Wiener Walzers dreht sich alles immer schneller und schneller und die Menschen stürzen sich in finanzielle und erotische Abenteuer.


Meinung
Obwohl Der Kuss von Gustav Klimt erst 1908 fertiggestellt wurde, hat sich der Autor laut eigener Aussage bewusst für dieses Gemälde als Titelbild entschieden, weil es die Wollust, die Gier nach Geld und das ausschweifende Leben ausdrückt. Durch das Cover reiht sich das Buch optisch gut neben seine anderen Bände ein. Auch das Layout finde ich sehr ansprechend gestaltet. Der Schreibstil ist wie gewohnt in Wiener Mundart gehalten, was dem Roman eine besondere Note verleiht. Wer diesem Dialekt nicht mächtig ist, schaut im Glossar nach, welches der Autor eigens für treue Leser aus Deutschland angelegt hat. Die Dialoge sind dem Bildungsstand der sprechenden Figuren angepasst, wodurch das Geschehen auflebt sowie glaubhaft und authentisch wirkt. Neben real existierenden Personen hat der Autor die fiktiven Protagonisten eingefügt.

Gut finde ich gleich zu Beginn das Verzeichnis der historischen Personen. Zwischen Prolog und Epilog sind sieben Kapitel (Januar–Juli) eingebettet. Es ist Gründerzeit in Österreich. Wir schreiben das Jahr 1873 und wir befinden uns in der Weltmetropole Wien. Die Menschen fiebern euphorisch der fünften Weltausstellung entgegen. Weit verbreiteter Optimismus sowie allgemeine Sorglosigkeit führen zu einer Spekulationsblase und die Aktienkurse an der Wiener Börse steigen in astronomische Höhen. Nur der jüdische Geldverleiher Aaron Rosenstrauch kann dies alles nicht mehr genießen, denn er stirbt. Seinem Sohn Baron Heinrich von Strauch hinterlässt er ein beträchtliches Vermögen. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Ernst Haver Huber investiert besagter Sohn das geerbte Geld sowohl in ein eigenes Bankhaus als auch in Aktien. Während Ernst Haver sich um das Geschäftliche und die Finanzen kümmert, wirft Heinrich erfolgreich das mühelos erworbene Vermögen mit beiden Händen zum Schornstein hinaus und schenkt seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Frauenwelt. Aber er investiert auch einen großen Betrag in die Weltausstellung, was ich persönlich jetzt gar nicht unbedingt negativ bewerte. Hintergrundinformationen in Form von Zeitungsartikeln und Expertenmeinungen von damals runden die Stimmung und Handlung ab. Die Zeit vor dem Gründerkrach wird von Arroganz und Hochmut bestimmt, und jeder will ein Stück vom großen Kuchen abhaben. Normal.

Am 1. Mai 1873 eröffnete Kaiser Franz Joseph die Weltausstellung mit den Worten, dass Österreich-Ungarn nach allen Richtungen in erfreulichem Aufschwung begriffen sei. In den Morgenstunden des 9. Mai 1873 brach der Damm. Als erster musste Adolf Petschek seine Zahlungsunfähigkeit bekannt geben, der als König der Maklergeschäfte galt. Die Insolvenz seines Bankhauses erzwang die zeitweilige Aussetzung des Börsenverkehrs und gab das Signal zum allgemeinen Zusammenbruch. Noch am selben Vormittag folgten 120 weitere Bankeninsolvenzen. Um 13:00 Uhr wurde die Börse polizeilich geschlossen. Dieser Tag ist auch als Schwarzer Freitag in die Geschichte der Wiener Börse eingegangen.

Gut zu wissen, dass sich in dieser Hinsicht bis heute nichts Wesentliches geändert hat. Das beruhigt ungemein.

Im Großen und Ganzen bin ich mit den dargestellten Charakteren zufrieden, nur Baron Heinrich von Strauch tanzt ein bisschen aus der Reihe, vielleicht hat er sich zu oft die Nase gepudert? Er wirkt übertrieben aufgedreht, triebhaft und rücksichtslos und dann leugnet er auch noch zu allem Überfluss seine jüdische Verwandtschaft. Na gut, vielleicht war das damals so üblich.


Fazit
Geld regiert die Welt. Geld macht stark. Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt. Geld ist nicht alles, Gold und Diamanten, Aktien und Immobilien, teure Autos und schöne Jachten müssen auch noch drin sein. Die Geschichte ist spannend geschrieben. Das ausschweifende, historisch bunte Treiben wurde hier sehr treffend, lehrreich und auf amüsante Weise mit satirischen Zügen in Szene gesetzt. Ich vergebe 5 Sterne und eine klare Leseempfehlung!


Gut zu wissen!
Gerhard Loibelsberger, geboren 1957 in Wien, startete 2009 mit den »Naschmarkt-Morden« eine Serie historischer Kriminalromane rund um den schwergewichtigen Inspector Joseph Maria Nechyba. 2010 wurden »Die Naschmarkt-Morde« für den Leo-Perutz-Preis nominiert. Darüber hinaus wurden die Werke des Autors bereits mit dem silbernen sowie goldenen HOMER Literaturpreis ausgezeichnet.


© 07/2020 MAD-Moiselle 🌼 Alle Angaben sind ohne Gewähr.

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Veröffentlicht am 08.08.2020

Eine wahrhaft filmreife Geschichte!

Letzte Spur Berlin
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Buchbesprechung zu »Letzte Spur Berlin« von Marty KarbassionDiesen autobiografischen Roman habe ich mir selbst geschenkt, weil mir die Geschichte unglaublich nahe ging. Die 516-seitige, gebundene Ausgabe ...

Buchbesprechung zu »Letzte Spur Berlin« von Marty Karbassion

Diesen autobiografischen Roman habe ich mir selbst geschenkt, weil mir die Geschichte unglaublich nahe ging. Die 516-seitige, gebundene Ausgabe mit der EAN 978-3-750-45185-8 kostet 22.99 € und erschien am 25. Februar 2020 bei Books on Demand. Die auf Persisch geschriebenen Tagebucheinträge wurden von Sepideh Safiaryan ins Deutsche übersetzt.

Es ist ein warmer Sommertag im August 1988, als Mehdi Karbassion ein allerletztes Mal seine Wohnung in West-Berlin betritt. In Eile versteckt er seinen Ausweis und lässt damit sein altes Leben hinter sich. Ein Leben, das mit seiner dramatischen Flucht aus dem Iran Anfang der sechziger Jahre in Deutschland begann. Vor der Haustür steigt er mit seiner neuen Partnerin und zwei angeblichen Familienmitgliedern in das Auto seines besten Kumpels, welcher ihn zum Grenzübergang an der Bornholmer Straße fährt. Dort angekommen, verabschiedet er sich nach einem kurzen Gespräch, wobei er auf halbem Wege plötzlich einen dunkelblauen Pass hervorholt. Er dreht sich noch einmal um und winkt seinem Freund aus der Ferne zu, bevor er auf der anderen Seite der Mauer in Ost-Berlin für immer verschwindet. 28 Jahre später nimmt sein Sohn die verlorene Fährte des vermissten Vaters auf. Er rekonstruiert dessen Leben anhand zurückgelassener Tagebücher, spürt alte Weggefährten auf und bringt dabei Dinge ans Tageslicht, die bis zum Geheimdienst führen.


Meinung
Zwar bin ich schon oft von Self-Publishern enttäuscht worden, trotzdem habe ich mich auf den Kauf dieses Buches eingelassen, weil ich von der professionellen Vermarktung angetan war. Auf dem Cover ist das Gesicht des Mannes abgebildet, dem das Buch gewidmet ist: Der seit 1988 vermisste Mehdi Karbassion, Vater des in Berlin lebenden Autors Marty Karbassion.

Dieser autobiografische "Krimi", wie ihn Marty selbst einordnet, hat mir sehr imponiert. Obwohl man merkt, dass er kein Schriftsteller im herkömmlichen Sinne ist, was hier auch absolut nebensächlich ist, gefiel mir der liebevolle und eindrucksvolle Ton. Der Schreibstil ist zu Beginn etwas eigen, reift aber mit jedem Kapitel sowie mit dem Protagonisten. Der Autor schafft es irgendwie, dass der Leser seinen Vater begleitet und immer ganz nah bei ihm ist. Die Geschichte hat mich emotional dermaßen aufgewühlt und mitgenommen, dass ich immer wieder den Tränen nah war. Es ist die unfassbare Ungerechtigkeit, die Strapazen, die mich körperlich und mental mitleiden ließen und die Hochachtung vor dem Autor, dass er die Suche nach seinem Vater zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat. Die Energie, die Marty Karbassion in dieses Projekt gesteckt hat, ist enorm. Davor habe ich ganz großen Respekt. Ich weiß selbst wie es ist, ohne Vater aufwachsen zu müssen, nur mit dem Unterschied, dass ich meinen Erzeuger nicht im Geringsten vermisst habe (lach). Jedenfalls hat mich das Gelesene noch tagelang beschäftigt. So sehr, dass ich dem Autor von ganzem Herzen wünsche, dass diese SEINE Geschichte verfilmt wird. Das sage ich nicht nur so daher, ich drücke ihm wirklich alle Daumen, die ich habe - zur Not leihe oder kaufe ich mir noch welche!


Fazit
Wer zwischen Fiktion und Realität unterscheiden kann und selbst schon einmal den einen oder anderen Stolperstein in seinem Leben aus dem Weg räumen musste, oder Opfer von Ungerechtigkeit geworden ist, der wird dieses Buch zu schätzen wissen und meine Meinung verstehen. 5 Sterne und eine glasklare Leseempfehlung!


Gut zu wissen!
Marty Karbassion wurde am 18.09.1981 in Ost-Berlin geboren und wuchs in West-Berlin als zweitältester Sohn von vier Geschwistern auf. Seit seiner Kindheit träumt er davon, seinen Papa zu finden, welcher im August 1988 spurlos verschwand. Im Alter von 18 Jahren fasst er einen Entschluss und reist alleine in den Iran, wo seine über zwanzig Jahre lang andauernde Suche schließlich begann.


© 08/2020 MAD-Moiselle 🌼 Alle Angaben sind ohne Gewähr.

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Veröffentlicht am 07.08.2020

Kinder an die Macht

Wir verlassenen Kinder
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Buchbesprechung zu »Wir verlassenen Kinder« von Lucia LeidenfrostDiesen literarisch anspruchsvollen Debütroman habe ich im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks gewonnen. Die 190-seitige, gebundene Ausgabe ...

Buchbesprechung zu »Wir verlassenen Kinder« von Lucia Leidenfrost

Diesen literarisch anspruchsvollen Debütroman habe ich im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks gewonnen. Die 190-seitige, gebundene Ausgabe mit der EAN 978-3-218-01208-9 kostet 19.90 € (inkl. MwSt.) und erschien bereits am 4. Februar 2020 beim österreichischen Buchverlag Kremayr und Scheriau.

Ein abgeschiedenes Dorf. Leere Bauernhöfe. Eine aufgelassene Schule. Die Erwachsenen haben nach und nach das Dorf verlassen. Zurückgeblieben sind die Kinder. Sie empfangen Pakete und Geld. Sie kochen, putzen und pflegen die Großeltern und kleinen Geschwister. Scheinbar soll Krieg herrschen rundherum. Als auch der einzige Lehrer das Dorf verlässt, beginnen die Kinder, ihre eigenen Gesetze und Regeln aufzustellen. Was harmlos beginnt, wird rasch zu einem System aus Gewalt und Macht, dem sich alle zu unterwerfen haben. Nur Mila will sich nicht beugen und wird zur Außenseiterin, die bis zum Ende für das Gute kämpft.


Meinung
Beworben hatte ich mich wegen des schön gestalteten Titelbildes und der Inhaltsangabe, die mich stark an Herr der Fliegen erinnerte. Über den Gewinn hatte ich mich auch sehr gefreut. Das Format ist handlich und die Haptik ist für Unterwegs sowie zum Weiterreichen konzipiert.

Der zeitgenössische Schreibstil hat mich positiv überrascht und gefordert. Da gibt es gar nichts einzuwenden. Den mag ich. Durch die atmosphärische Dichte war ich zwar auch einerseits sehr begeistert, sodass es mich kaum verwunderte, dass die junge Autorin ein Arbeitsstipendium des Förderkreises für SchriftstellerInnen in Baden-Württemberg erhielt, andererseits beförderte die Geschichte als solche äußerst unangenehme und ablehnende Emotionen bei mir zutage. Mir fiel es schwer, das Buch zu Ende zu lesen.

Lucia Leidenfrost lässt ein abschreckendes und düsteres Szenario entstehen. Sie unterstreicht Anonymität, indem sie ihre Protagonisten in einem fiktiven Dorf und einem namenlosen Land rebellieren lässt. Das Geschehen könnte überall stattfinden.

Nachdem zwei Dutzend Kinder im schulpflichtigen Alter von ihren Eltern, die in den Krieg ziehen, verlassen werden, leben diese nach eigenen Gesetzen. Hunger und Langeweile bestimmen zunehmend den Alltag. Dadurch entsteht eine Art naive Anarchie, die wiederum Gewalt und Ausgrenzung mit sich bringt. Das jedenfalls hält die Autorin für möglich. Ich nicht.

Mila ist eines der älteren Mädchen. Sie stellt den personifizierten Wunsch nach Ordnung und Struktur dar. Sie möchte ihre Altersgenossen unterrichten. Aber wenn das Chaos ausbricht, hilft Bildung alleine nicht weiter. Dann muss man zunächst einmal die Ärmel hochkrempeln und dafür sorgen, dass man satt wird. In einer solchen Situation ist sich jeder selbst der Nächste und der Stärkere überlebt, oder übernimmt die Führung.


Fazit
Die Autorin hat hier, subjektiv betrachtet, ein eher unglaubwürdiges, sehr dystopisches Szenario entworfen, mit dem ich mich nicht anfreunden kann, weil es meinen eigenen Erfahrungen widerspricht. Wir verlassenen Kinder halte ich für einen philosophisch provozierenden Bildungsroman, der durchaus das Potenzial besitzt, als Unterrichtslektüre für die Oberstufe wahrgenommen zu werden. Ich vergebe 3 Sterne (5 für das Cover, 5 für den Schreibstil, einen für die negativen Gefühle, die bei mir ausgelöst wurden) und eine Leseempfehlung für Menschen, die gerne Dystopien lesen. Ich konnte dem Roman leider, so sehr ich auch wollte, nichts abgewinnen.


Gut zu wissen!
Lucia Leidenfrost wurde 1990 in Oberösterreich geboren. Sie studierte Germanistik, Skandinavistik und Germanistische Linguistik an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Sie erhielt das Start-Stipendium des Bundeskanzleramts Österreich und das Arbeitsstipendium des Förderkreises für Schriftstellerinnen in Baden-Württemberg.


© 08/2020 MAD-Moiselle | Alle Angaben sind ohne Gewähr.

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Veröffentlicht am 05.08.2020

Köstlich

Ein Mann der Kunst
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Buchbesprechung zu »Ein Mann der Kunst« von Kristof MagnussonIn diesem 220-seitigen Roman deckt der in Hamburg geborene Autor Kristof Magnusson mit Leidenschaft und Raffinesse die Untiefen unseres Kulturbetriebs ...

Buchbesprechung zu »Ein Mann der Kunst« von Kristof Magnusson

In diesem 220-seitigen Roman deckt der in Hamburg geborene Autor Kristof Magnusson mit Leidenschaft und Raffinesse die Untiefen unseres Kulturbetriebs auf. Der berühmte Maler KD Pratz, Künstler der alten Schule, hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, weil er mit der verlogenen Welt nichts mehr zu tun haben will. So lebt er auf einer Burg am Rhein, aber seine Bilder werden nach wie vor hoch gehandelt. Die Kunstszene verehrt den Meister und will ihm ein Denkmal in Form eines Museums setzen. Da ihm sein eigener Nachruhm sehr am Herzen liegt, willigt er ein und empfängt Kunstfreunde auf seiner Burg. So entsteht eine amüsante Begegnung, bei der der Meister seinen Anhängern die Unvollkommenheit der Welt um die Ohren haut, seine eigene Größe inszeniert und den gesamten Kunstbetrieb niedermacht. Wie seine Gäste bei dieser Begegnung nach und nach die Beherrschung verlieren. Die gebundene Ausgabe mit der EAN 978-3-95614-382-3 kostet 22.00 € und erscheint am 12. August 2020 im Antje-Kunstmann-Verlag.


© 08/2020 MAD-Moiselle 🌼 Alle Angaben sind ohne Gewähr.

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