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Veröffentlicht am 03.04.2023

Ein meisterhaft komponierter und exzellent geschriebener Roman über die Judenverfolgung in Deutschland in den 30ger Jahren

Requiem
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„Requiem“ erzählt die Geschichte des herausragenden Cellisten Erich Krakau, der Mitte der 30ger Jahre in einer Stadt in Westfalen Mitte erfahren muss, was es heißt, kein Christ zu sein.
Die Nationalsozialisten ...

„Requiem“ erzählt die Geschichte des herausragenden Cellisten Erich Krakau, der Mitte der 30ger Jahre in einer Stadt in Westfalen Mitte erfahren muss, was es heißt, kein Christ zu sein.
Die Nationalsozialisten sind an der Macht und Juden soll es verboten werden, in deutschen Orchestern zu spielen. Es gibt zwar noch Ausnahmen, wie im Fall Erich Krakau, doch das soll sich ändern, als der Bäckersohn Fritz Eberle, ein mäßig begabter Musiker, die Stelle im Orchester einnehmen will.
Als Mitglied der SA holt er sich Unterstützung bei seinen Kameraden und tritt damit eine Lawine los, aus der keiner verschont übrigbleibt. Erich Krakau wird Objekt eines Angriffs und der Kreis beginnt sich um ihn zu schließen.


Meine persönlichen Leseeindrücke
„Requiem“ – was für ein Roman! Unglaublich, dass dieses herausragende Werk so lange im Verborgenen schlummerte und Jahrzehnte nach seiner Erstehung den weiten Weg nach Deutschland gefunden hat.

In eindringlicher Weise schildert Loeser in einer sehr anschaulichen Darstellung, was in Deutschland nach der Machtübernahme von Hitler geschah und wie diese Verfolgung stattgefunden hatte. Die authentische Beschreibung dessen, was passiert ist, eingepackt in einen sehr interessanten Ton, lässt mich nachvollziehen, wie es tatsächlich gewesen ist das Leben in Deutschland in den 30ger Jahren. Loeser teilt jeder Romanfigur stellvertretend für die unterschiedlichen Bevölkerungsschichten und -gruppen, die in jener Zeit agierten, eine bestimmte Rolle zu und fasst somit übersichtlich und leicht verständlich zusammen, wie die neuen Spielregeln im Deutschen Reich funktionierten.

Da ist einmal der junge Fritz Eberle, der die Rolle des kleinen Vorboten spielt. Er ist ein Unbegabter, ein Stümper, ein Unzufriedener, ein Hasser, hinter dem die Masse der Gosse steht, die ganze organisierte Armee, die die Herrschaft innehatte.

Dann ist da der Journalist Wendt, der schielende, gewissenlose Opportunist, ein skrupelloser Filou mit zweischneidiger Zunge. Er scheut vor keiner Missetat zurück, um zu bekommen, was er will. Er steht für die Charakterlosen, die vielen Mitläufer, den Wesen ohne Rückgrat und Verantwortung. Es graust einem gar arg vor so einem Individuum.

Aber es gibt auch die guten Figuren in „Requiem“ wie z.B. den Theaterintendanten und seinen Freund, den Gauleiter. Beide haben zusammen im ersten Weltkrieg gekämpft und noch ein Ehrgefühl für Werte und Gerechtigkeit. Beide haben gesellschaftlich geachtete Positionen inne, doch die politischen Änderungen entzweit beide mehr als sie wahrhaben wollen. Der Gauleiter wird seiner militärischen Ehre durch die Rettung Krakaus gerecht, doch steht der Selbstmord des alten Wehrmachtsoldaten für die Kapitulation der alten Militärgilde vor der neuen Macht der Nationalsozialisten. Eine Entwicklung, die allen Angst macht, die die Gefahr erkennen, egal ob Deutsche oder Juden.
Eine besondere Rolle wird Lisa Krakau zuteil. Obwohl sie als liebreizende, schwache junge Frau dargestellt wird, hat sie so endlich viel Courage, dass sich alle anderen eine Riesenscheibe davon abschneiden könnten! Sie stellt sich dem Übel mit all ihrer Kraft und ihrem Mut entgegen und obwohl die Lage ausweglos scheint, schöpft sie all ihre Möglichkeiten aus, um ihren Mann zu retten.
Und genau darum geht es in diesem Roman! Jeder Mensch kann etwas bewegen, nur, die meisten denken, ihr Etwas wäre so wenig, dass es sich nicht lohnt, eine Anstrengung zu unternehmen. Und das Unterlassen ist um so viel bequemer, schreibt Loeser. Wie wahr; gerade auch in unserer heutigen Zeit!

Fazit
„Requiem“ von Alfred Loeser ist meisterhaft komponierter und exzellent geschriebener Roman, der mir unendlich viel bedeutet, seit ich ihn gelesen habe.

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Veröffentlicht am 29.03.2023

Auch wenn es die junge Gegenwartsliteratur ist, ein Mindestmaß an Niveau sollte auch diese nicht unterschreiten.

Keine gute Geschichte
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Klappentext
Arielle Freytag, Anfang dreißig, hat es eigentlich geschafft: Aufgewachsen im prekären Essener Stadtteil Katernberg, verdient sie als Social-Media-Managerin in Düsseldorf mittlerweile viel ...

Klappentext
Arielle Freytag, Anfang dreißig, hat es eigentlich geschafft: Aufgewachsen im prekären Essener Stadtteil Katernberg, verdient sie als Social-Media-Managerin in Düsseldorf mittlerweile viel Geld. Bis eine Depression sie aus der Bahn wirft und für eine Weile in die «Klapse» bringt. Kaum wieder zu Hause, erreicht Arielle ein Anruf aus Katernberg, und zum ersten Mal nach zwölf Jahren kehrt sie an den Ort ihrer Jugend zurück. Dort werden seit ein paar Tagen zwei Mädchen vermisst – was Arielle mit Wucht an ihre Mutter erinnert, die vor vierundzwanzig Jahren spurlos verschwand.
Damals blieb Arielle allein bei ihrer eigenwilligen Großmutter zurück. Wer ihr Vater ist, weiß sie nicht, auch ihr dunkles, lockiges Haar und die Hautfarbe sind nur ein vager Hinweis: italienisch, türkisch, kroatisch? Während in Katernberg fieberhaft nach den Mädchen gesucht wird, stellt Arielle sich den schmerzhaften Fragen, auf die sie immer dringender Antworten braucht. Hat ihre Mutter sie verlassen, oder ging sie nicht freiwillig?

Meine persönlichen Leseeindrücke
Ich komme beim vorliegenden Roman mit nichts zurecht. Der Erzählstil mit seinen Anglizismen, dem schnottrigen Ton, der unverhohlene Arroganz, der fehlenden Empathie und der salonfähig gemachten Dreistigkeit sind für mich zu viel. Der Protagonistin scheint jegliches Wertgefühl abhandengekommen zu sein. Da kann sie noch so viele psychische Probleme haben, wenn sie aber in die Gesellschaft entlassen wird, sollte sie das Mindestmaß an positiven Umgangsformen verinnerlicht haben. Die Art und Weise wie sie sich benimmt und die Situationen handhabt, ist grenzwertig. Ich breche nach 50 Seiten ab, weil ich mich mit einem solchen Roman nicht beschäftigen will.

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Veröffentlicht am 26.03.2023

Ein gelungener, vorzüglicher historischer Krimi und ein ganz feiner Wiener Lesegenuss!

Der Kuss des Kaisers
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Wien im Herbst 1908 – Gustav Klimts Bild „Der Kuss“ soll im Auftrag des Kaisers von Österreich angekauft und in der Modernen Galerie im Unteren Belvedere ausgestellt werden. Im Oberen Belvedere, dem Schloss, ...

Wien im Herbst 1908 – Gustav Klimts Bild „Der Kuss“ soll im Auftrag des Kaisers von Österreich angekauft und in der Modernen Galerie im Unteren Belvedere ausgestellt werden. Im Oberen Belvedere, dem Schloss, residiert zur Zeit der Thronfolger Franz Ferdinand, dessen Frau in anderen Umständen ist und bald einen Jungen erwartet. Es ist die Aufgabe des k. u. k. Amtsdirektors Josef Krzizek sich um den Neuerwerb kümmert und die Galerie für den Aushang entsprechend herzurichten. Während der Vorbereitungszeiten geschieht ein grausamer Mord. Die zerstückelten Leichenteile eines jungen Mannes werden in den Brunnen des Schlossparkes gefunden, allein der Kopf fehlt, was für große Unruhe sorgt und einiges im Oberen und Unteren Belvedere durcheinanderbringt.
Die Kriminalbeamten der Geheimpolizei Pospischil und Fritsch müssen in dem heiklen Fall schnell und ohne Aufsehen zu erregen ermitteln. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Das ist ein sehr gelungener, vorzüglicher historischer Wien-Krimi, den Christine Neumeyer hier geschrieben hat. Ich mag so ziemlich alles an dem Buch. Da ist einmal der feine Schreibstil, der charmant und wie selbstverständlich den Wiener Dialekt einfließen lässt. Dann gibt es einen ungewöhnlichen Kriminalfall, den die Autorin rund um das Gemälde „Der Kuss“ von Gustav Klimt aufbaut und dessen Lösung bis zum Schluss spannend bleibt – mit einer überraschenden Wendung auf den letzten Seiten. Weiteres gibt es originelle und feingezeichnete Protagonisten. Jede einzelne Romanfigur ist mit Sorgfalt ausgesucht und gekonnt in Szene gesetzt. So entsteht ein Plot, in dem Personen, Handlungen und Locations im Flair der k. u. k. Zeit perfekt aufeinander abgestimmt sind.

Fazit
„Der Kuss des Kaisers“ von Christine Neumeyer entführt in das Wien im Herbst des Jahres 1908. Ein grauslicher Mord geschieht und Leichenteile werden in der Parkanlage des Schloss Belvedere gefunden, der Residenz des Thronfolgers Franz Ferdinand. Die Ermittlungen müssen schnell abgeschlossen werden, denn die Präsentation des neuen Werkes von Gustav Klimt soll in der Modernen Galerie im Unteren Belvedere in wenigen Tagen stattfinden. Ein gelungener, vorzüglicher historischer Krimi und ein ganz feiner Wiener Lesegenuss!

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Veröffentlicht am 17.03.2023

Auf der Suche nach dem eigenen "Ich" und dem Sinn des Lebens

Immer am Meer entlang
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Für die Polizistin Josi erfüllt sich zu ihrem 30. Geburtstag ein lang ersehnter und geplanter Traum: sie nimmt sich ein Sabbatjahr und bereist mit ihrem Bulli ein Jahr lang Europas Küsten. Für Paul hingegen ...

Für die Polizistin Josi erfüllt sich zu ihrem 30. Geburtstag ein lang ersehnter und geplanter Traum: sie nimmt sich ein Sabbatjahr und bereist mit ihrem Bulli ein Jahr lang Europas Küsten. Für Paul hingegen kommt die Idee zu einem Roadtrip spontan, nachdem er mit der Partnerin seines besten Freundes einen Vortrag von 2 Aussteigern besucht und sich von ihrem Enthusiasmus anstecken lässt. Ihre Wege kreuzen sich, anfangs zufällig, dann absichtlich immer öfter.

Meine persönlichen Leseeindrücke

Franziska Jebens Roman „Immer am Meer entlang“ erzählt lebendig, spritzig und im jugendlichen Jargon eine wirklich tolle Geschichte. Ich möchte am liebsten gleich alles hinschmeißen und auch so ein Jahr verbringen. Josi und Paul sind zwei äußerst reizende Protagonisten, die sich während ihrer Europareise immer wieder begegnen. Dazu die schönen Landschaftsbilder aus den europäischen Ländern zu lesen macht großen Spaß und die Lesezeit fliegt nur so dahin.

Doch es geht nicht nur um den Roadtrip und die schönsten Küsten Europas sondern auch um die beiden Hauptfiguren. Beide sind auf der Suche nach dem eigenen Ich und dem Sinn ihres Lebens. Dass sie sich dabei verlieben, spielt im Roman eine zentrale Rolle und es ist schön zu lesen, wie tollpatschig sie doch in ihren Gefühlen miteinander umgehen. Diese Beschreibungen machen die ganze Handlung nur noch liebevoller. Und natürlich gibt es ein Happyend, etwas anderes könnte ich mir gar nicht vorstellen.

Fazit

Ein überaus liebenswürdiger Roman mit zwei tollen jungen Protagonisten, die sich auf ihrer Reise entlang Europas Küsten selber finden & zueinander finden.

P.S. „Immer am Meer entlang“ ist ein wirklich sehr gelungener Roman. 4 oder 5 Sterne vergebe ich allerdings für jene Bücher, die mich mehr als nur „berühren“. Sie müssen mich über ihre Zeit zum Nachdenken anregen, mir im Gedächtnis bleiben und in mir den Wunsch wecken, sie noch einmal lesen zu wollen.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Ein ungewöhnliches Buch mit speziellem Sprachsound

Siegfried
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Die Romanhauptfigur, eine junge Frau Anfang 30, fährt eines Morgens in die Psychiatrie weil sie Hilfe braucht und hofft, diese dort bei dem netten Oberarzt zu finden. Nach einem Streit mit ihrem Lebenspartner ...

Die Romanhauptfigur, eine junge Frau Anfang 30, fährt eines Morgens in die Psychiatrie weil sie Hilfe braucht und hofft, diese dort bei dem netten Oberarzt zu finden. Nach einem Streit mit ihrem Lebenspartner ist ihr gesamtes Lebenskonstrukt in sich zusammengefallen und die Angst, dass etwas unwiederbringlich zerbrochen sei, lässt sie schier verzweifeln.

Und während sie auf dem roten Metallstuhl in der Psychiatrie wartet, dass sie an die Reihe kommt, läuft vor ihrem inneren Auge ihr Leben wie ein selbstgedrehter Familienfilm ab.


Meine persönlichen Leseeindrücke

Dieses knapp 260 Seiten lange Büchlein hat es in sich und wer einen harmonischen Familienroman erwartet, möge gleich die Finger davon lassen. Die Ich-Erzählerin erzählt über ihr Leben, in dem Siegfried, ihr Stiefvater und Ex-Ehemann ihrer Mutter, überraschenderweise eine passive Rolle einnimmt. Es dauert schon eine ganze Weile bis ich verstehe, warum das Buch den Titel „Siegfried“ trägt.
Das Buch ist ein Versuch zu erklären inwiefern das Umfeld und äußere Einflüsse ein Leben beeinflussen und ein Dasein prägen können. Und es geht um Angst oder besser um die Frage, ob Hilde und Siegfried Schuld an ihrer Angst sind.
Hier ist ein Mädchen, das wie ein Schwamm Sinneseindrücke und Informationen ihres Umfeldes aufsaugt und Verhaltensmuster verinnerlicht. In einem entscheidenden Moment ihres Wachstums gerät die Mutter aus ihrem Blickfeld und Siegfried füllt diese emotionale Leere vollständig aus, obwohl er physisch kaum anwesend ist.
Die Kleine ist auf sich alleine gestellt und emotional nicht stabil genug, um mit dem Verlust der Mutter fertig zu werden. Vielleicht ist das die Schlüsselstelle des Romans, der Keim der Angst, der später die Panikattacke auslösen und gleichzeitig erklären wird.
Ob sich Siegfried bewusst ist, welche Rolle er im Leben seiner Stieftochter einnimmt, erfahre ich nicht. Über ihn weiß ich nur, was seine Stieftochter erzählt und ich verlasse mich auf kindliche Erinnerungen.

„Siegfried“ ist ein ungewöhnliches Buch. Was es ausmacht, ist neben einer psychologisch durchaus interessanten Geschichte ein melodisch monotoner Sprachsound, der mich wie ein gregorianischer Gesang einlullt und von dem ich nicht wegkomme. Ich möchte das Buch in einem fort lesen und doch gleichzeitig atmen können. Obwohl so viel Ungeheuerliches geschieht, wirkt alles beruhigend und unheimlich, und ich wundere mich nicht, als dieses Lebenskonstrukt einstürzt und die Protagonistin in die Psychiatrie flieht. Es ist ein letztes Aufbäumen gegen die Angst, ihrem ständigen Begleiter.

Fazit

„Siegfried“ von Antonia Baum beschäftigt sich mit dem Thema Angst und Erziehung und ob ein Zusammenhang zwischen beiden bestehen kann. Der Roman überzeugt mit einem tollen Plott, speziellem Sprachsound und guter psychologischer Recherche.

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