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MarcKisch

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Veröffentlicht am 14.03.2022

Die Sage neu geschnitten und montiert

Tell
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Über Wilhelm Tell Wusste ich nicht viel. Ich hatte vor einigen Jahren Schillers Schauspiel in der Inszenierung von Stephan Bachmann gesehen, sie als großartig abgelegt, ohne mich an die Handlung im Detail ...

Über Wilhelm Tell Wusste ich nicht viel. Ich hatte vor einigen Jahren Schillers Schauspiel in der Inszenierung von Stephan Bachmann gesehen, sie als großartig abgelegt, ohne mich an die Handlung im Detail erinnern zu können. Und die berüchtigte Apfelschussszene schwirrt seit meiner Jugend natürlich irgendwo in meinen Kopf herum.
Ob Joachim B. Schmidt die Tellsage also gut wiedergegeben hat, ob er ihr wichtige neue Erkenntnisse hinzugefügt hat, kann ich nicht beurteilen.
Beurteilen kann ich aber, dass Joachim B. Schmidt eine großartige Geschichte geschrieben hat. Von einen Mann am Rande der Gesellschaft, der der Leser*in erstmal nicht sympathisch erscheint, dessen Schicksal sich erst zum Ende erschließt. Und dieser Mann ist auch kein Volksheld, sondern einer der einen sehr persönlichen Kampf führt.
Diese Geschichte erzählt Schmidt aus, in schneller Schnittfolge montierten Berichten vieler, unterschiedlicher Stimmen. Die eigentlich kompakte Kernhandlung wird dadurch ausgeweitet, es entsteht ein glaubhaftes Universum, von einer Gesellschaft, lange vor unserer Zeit, die ein harsches, unsicheres, von Gewalt geprägtes Leben führt.

In dieser Montage liegt der Reiz dieses Buches. Es ist ein großes Vergnügen dieser Geschichte bei hohen Tempo von Sequenz zu Sequenz, Beobachtung zu Beobachtung, Stimme zu Stimme zu folgen.

Und in einer Schlussszene, die die eigentliche Tragik der Handlung bricht, zeigt und Joachim B. Schmidt dann noch, wie aus dem persönlichen, individuellen Wirken eines Einzelnen das große Nationalepos wird. Großartig.

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Veröffentlicht am 04.02.2022

Verloren in der Weite des Watts

Der Holländer
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Der Holländer lässt mich nicht verloren im Watt, aber doch etwas ratlos zurück.
Dieses Buch fesselt und macht zunehmend Spaß zu lesen. Aber was ist es? Es scheint ein Regionalkrimi zu sein, mit kauzigen ...

Der Holländer lässt mich nicht verloren im Watt, aber doch etwas ratlos zurück.
Dieses Buch fesselt und macht zunehmend Spaß zu lesen. Aber was ist es? Es scheint ein Regionalkrimi zu sein, mit kauzigen Ermittlerinnen, eingebettet in die Weite des Watts zwischen Niedersachsen und Groningen (& aus Sicht mancher Vorgesetzter: Zwischen Bundesrepublik und Königreich). Ein Watt, das düster und gefährlich ist, in dem keine Urlaubsstimmung aufkommt, und das Klaus Smyrna – erfahrener Wattwanderer – zum Verhängnis wird.

Soweit also Krimi: Ein ungeklärter Todesfall, ermittelnde Beamte, eingebettet in einen spezifischen Ort und eine konkrete Zeit, in einen größeren politischen Hintergrund – und der Fall wird am Ende gelöst.

Mathijs Deens Erzählweise löst sich jedoch von den Genreerwartungen: Ein Einzelband um einen Ermittler, der erstmal nicht sympathisch erscheint, dessen Agieren über Strecken mehr an einen Filmnoir-Privatdedektiv als an einen Bundespolizisten erinnert – von dem ich trotzdem mehr lesen möchte – Vorgesetzte, Pathologen
innen und Hündin die etwas zu skurril sind – aber dies ist keine Krimikomödie – eine Täuschungsaktion, die über viele Jahre aufgebaut wird und (fast (der Fall wird gelöst)) perfekt durchgeführt wird – die aber für mein Gefühl nicht zum Motiv passt – drei ehemalige Freunde, von denen wir mehr erahnen denn erfahren, was sie auseinander trieb – nicht aber wie sie zusammenkamen.

Das Buch ist kurz, nur knapp über 260 Seiten in der deutschen Übersetzung von Andreas Ecke. Deens schafft es auf dieser kurzen Strecke eine komplexe Handlung aufzubauen, die Lesenden in diese hinein- und mitzuziehen. Sein Ermittler, Liewe Cupido gewinnt im Laufe der Handlung an Tiefe, es bleiben Fragen an ihn zurück, die eigentlich nach mindestens einen weiteren Band verlangen. Seine Dienststelle bleibt dabei schwammig und seine Ermittlungsmethoden sind – auf Basis der Kenntnisse geübter Krimileserinnen, nicht der von Kriminalistinnen – rustikal, was zur Stimmung des Buches passt, gleichzeitig aber im Widerspruch zu der sehr genauen, realistischen Setzung der Handlung steht.

Auf dem Titel der Mare-Ausgabe wandern zwei Figuren unter düsteren Himmel durch das Watt - aber im Hintergrund ist das rettende, feste Land sichtbar. In Matthias Teens Bauch bewegt sich alles vom festen Lang weg.

(Trotzdem) Lesen? Ja, lesen! (der Fall wird gelöst.)

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