Ziemlich schräg
StadtTues Mutter leidet unter der verpfuschten Operation eines Arms. Für ihren Verdienstausfall hat sie von der Versicherung 900.000 Kronen bekommen. Die Schulden sind bezahlt und ein paar Gartenmöbel waren ...
Tues Mutter leidet unter der verpfuschten Operation eines Arms. Für ihren Verdienstausfall hat sie von der Versicherung 900.000 Kronen bekommen. Die Schulden sind bezahlt und ein paar Gartenmöbel waren auch noch drin. Einen der Plastikstühle hat sie an dem Fahnenmast gehisst, so was macht sie manchmal. Sie nimmt Tabletten, damit sie aus dem Bett kommt und wieder fast wie früher ist. Nach dem Aufstehen allerdings liegt sie auf dem Sofa, raucht und sieht fern. An manchen Tagen setzt sie sich ins Auto und verschwindet einfach für Stunden oder halbe Tage. Tues Vater arbeitet im Sommer als Landschaftsgärtner und im Winter als Schlachter. Im Ort redet niemand mit ihnen. Tue weiß nicht, wann das angefangen hat.
Auf einer Fahrt im Wagen seiner Mutter erzählt sie Tue, dass sie sich verliebt hat, dass sie sich trennen will, Tue könne doch mitkommen. Er will davon nichts hören, droht es seinem Vater zu erzählen. Sie droht ihm, seinem Vater zu sagen, dass Tue schwul ist. Er würde ihn umbringen, wenn er das erführe. Zuhause bietet sich das immer gleiche Bild. Frühstück, Schule, schmutzige, enge Wohnung. Der schlecht gelaunte Vater, der stille Bruder, die unglückliche Mutter auf dem Sofa oder abwesend.
Fazit: Der Anfang zwanzigjährige Autor wird für seine Tue-Trilogie in Dänemark gefeiert. In Stadt, dem zweiten Teil führt er seinen Protagonisten durch eine ziemlich schräge Coming of Age Story. Das Setting wirkt nofuturemässig. Die Mutter leidet an einer bipolaren Depression. Als sie Tues Vater heiratete, hatte sie sich mehr von ihm versprochen. Ihre Zockersucht treibt die Familie in Schulden. Der Vater ist als Ernährer, der sich durch schlecht bezahlte Jobs hangelt, überfordert. Seine schlechte Laune macht ihn unberechenbar. Der Geldsegen bringt keine Entspannung in die Familie. Tue ist melancholisch und wütend zugleich. Er möchte seine Sexualität ausleben, hat aber auch Angst davor. Die Stimmung der Geschichte ist zuerst amüsant, dann immer aussichtsloser und düsterer. Dabei zuzusehen, in welche Situationen Tue sich bringt, ist unangenehm, fast schmerzlich. Die Story wirkt authentisch, alles ist stimmig, so eine Familie mit dieser destruktiven Dynamik wird es sicher geben, nicht nur eine. Ein Buch für alle, die einen Blick hinter die Vorhänge werfen möchten. Ich habe den ersten Teil nicht gelesen und auch nicht vermisst. Man kann problemlos mit diesem zweiten Teil starten, um Tue kennenzulernen.