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Veröffentlicht am 06.01.2025

Für alle Leser*innen abwechslungsreicher Großstadtromanzen

Cleopatra und Frankenstein
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Cleo Mitte zwanzig hat ein Kunststipendium an einer New Yorker Uni ergattert. In der Silvesternacht trifft sie den Mittvierziger Frank im Treppenhaus einer Partylocation, die sie gerade verlassen will. ...

Cleo Mitte zwanzig hat ein Kunststipendium an einer New Yorker Uni ergattert. In der Silvesternacht trifft sie den Mittvierziger Frank im Treppenhaus einer Partylocation, die sie gerade verlassen will. Sie kommen in ein Gespräch, das sie beide fasziniert. Frank kauft ihr Zigaretten und etwas zu essen und begleitet sie in das heruntergekommene Haus, in dem sie ein WG-Zimmer bewohnt. Obwohl sie seine Idee noch mit reinzukommen ablehnt, kommt Frank ihr im Treppenhaus sehr nah.

Cleos Visum läuft ab, sie wird wahrscheinlich nach England zurückgehen müssen. Frank löst das Problem, indem er ihr einen Heiratsantrag macht. Sie trauen sich ganz allein. Cleo in hellblauem Seidenkleid, Frank im Smoking. Der Hotdog Verkäufer um die Ecke ist schnell überredet, die Trauung zu bezeugen und weint die ganze Zeit.

Nach der Zeremonie treffen sie ihre Freunde in Santiagos Restaurant. Der Starkoch, auf dessen Können Frank schwört, bewirtet sie. Noch denkt Cleo sich nichts bei den Mengen Alkohol, die Frank in sich hineinschüttet.

Der Werbespot, den Frank für seine Firma an Land gezogen hat, ist versaut. Während der Feierlichkeiten ließ der Kameramann einen Halbnackten durchs Setting latschen. Frank ist verkatert und schlecht drauf. Jetzt muss er länger und härter arbeiten, dabei dachte er, es in der Werbebranche weit genug gebracht zu haben. Er trinkt mehr und kommt jeden Abend später nach Hause. Cleos unglückliche Miene setzt ihm ebenfalls zu.

Fazit: Coco Mellors Debüt liest sich wie ein Film, der am ehesten „Sex and the City“ gleicht. Sie erzählt in Monaten und beginnt mit dem Kennenlernen ihrer Protagonisten. Zu Anfang fand ich die Geschichte eher flach und konnte den Hype, den das Buch erfahren hat, nicht nachvollziehen. Die Story wird aber mit zunehmendem Voranschreiten dichter. Älterer erfolgreicher Mann, der sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hat, trifft junge, schöne Frau. Beide wurden in ihren Herkunftsfamilien emotional vernachlässigt. Sie stürzen sich spontan in eine Liebesbeziehung, in der Hoffnung, das zu bekommen, was sie entbehren mussten. Jeder kompensiert seine Bedürftigkeit auf andere Weise. Die Erwartungen an die Beziehung, an den anderen finden keine Erfüllung. Cinderella tanzt nicht mehr. Am Ende wird alles gut, nein besser. Meine Empfehlung für alle Leser*innen, die unterhaltsame, abwechslungsreiche Großstadtromanzen mögen.

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Veröffentlicht am 02.01.2025

Blick in andere Lebenswelten

Belohnungssystem
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Julia bekommt den Job im Cascine, dem angesagten Szenelokal mit der gehobenen Küche. Sie soll die stellvertretende Küchenchefin Lena ersetzen. Eigentlich ist Julia eher als Heulsuse und Jasagerin bekannt, ...

Julia bekommt den Job im Cascine, dem angesagten Szenelokal mit der gehobenen Küche. Sie soll die stellvertretende Küchenchefin Lena ersetzen. Eigentlich ist Julia eher als Heulsuse und Jasagerin bekannt, das darf jetzt allerdings niemand merken, sonst geht sie in dem rauen Ton unter. Nach drei Probeschichten hat sie das Team überzeugt. Es dauert gar nicht lange, da hat der andere stellvertretende Küchenchef Nathan Julia romantisch im Auge. Julia allerdings konzentriert sich darauf, dem Küchenchef und Pächter Ellery näher zu kommen. Ellery geht auf ihre Avancen ein und sie werden ein Paar. Sie tingeln durch die angesagte Gastronomie Londons und es dauert nicht lang, bis Julia pleite ist. Ellery hat ein Drogenproblem und eine Tochter, beides erfährt Julia eher am Rande. Als Julias Vorreiterin Lena ihr eine Mail schickt: Ellery der Psycho solle sie endlich in Ruhe lassen!“, möchte Julia darüber nicht weiter nachdenken, doch Lenas hingeworfene Worte beginnen ein Eigenleben in ihrem Kopf.

Auf Tedds Party taucht Nick eher unerwartet auf. Er hofft, dass seine Ex Julia auch anwesend ist und wird enttäuscht. Im Laufe des Abends hat er sich so zugedröhnt, dass er kaum den Weg nach Hause findet. Auch Nicks Ausgaben haben sein Einkommen bei weitem überstiegen, deshalb zieht er wieder zu seinen Eltern. Er fasst den Entschluss, sich gründlich zu fangen und sein Leben zu ordnen, dazu gehört auch die Abstinenz.

In dem Büro, in dem Nick als Texter arbeitet, ist der Überschuss an alten Männern hoch. Jeder surft während der Arbeitszeit im Internet und geht seinen eigenen Bedürfnissen an Unterhaltung nach. Klamotten, Pornos, Dating-Apps und Social Media. Niemand weiß, dass eigens für die Überwachung der Internettätigkeiten ein Mitarbeiter einberufen wurde, aber bald werden es einige erfahren.

Fazit: Jem Calder hat in seinem ersten Buch einige Lebenswirklichkeiten geschaffen, die in kürzeren Geschichten, die lose miteinander verbunden sind, erzählt werden. Es geht um Bedürfnisse, wie der Wunsch nach Liebe und Partnerschaft, Dazugehören wollen und Freundschaft. Allen Darsteller*innen scheint etwas zu fehlen, das vor allem die männlichen durch Drogen, Alkohol und Sex zu kompensieren versuchen. Mehr oder weniger gescheiterte Existenzen, die durch die übernatürliche Zufuhr von Dopaminanregenden Substanzen ihr Leben zu bestreiten suchen. Der Autor hat die Unzulänglichkeiten mit feinem Gespür und Humor in Szene gesetzt und mich überlegen den Kopf schütteln und laut auflachen lassen. Ein interessanter Blick in andere Lebenswelten.

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Veröffentlicht am 23.12.2024

Eine Heldin mit starken Nerven

Only Margo
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Margo studiert am Junior College. Sie ist neunzehn, als ihr Literaturprofessor Mark sie schwängert. Margo entscheidet sich gegen die von ihrer Mutter und dem Professor propagandierte Abtreibung, weil es ...

Margo studiert am Junior College. Sie ist neunzehn, als ihr Literaturprofessor Mark sie schwängert. Margo entscheidet sich gegen die von ihrer Mutter und dem Professor propagandierte Abtreibung, weil es sich falsch anfühlt. Ab da ist Mark nicht mehr erreichbar, seine Ehe steht auf dem Spiel. Margo unterschreibt einen Vertrag mit dem sie, gegen eine einmalige Zahlung und ein Depot für ihren Sohn, auf Unterhaltszahlungen verzichtet. Nachdem der kleine Bodhi geboren ist, ziehen zwei ihrer drei Mitbewohnerinnen aus Margos Wohnung aus. Jetzt fehlen ihr die Mieteinnahmen. Ihre Chefin, Betreiberin einer Fast food Kette, setzt sie vor die Tür, als Margos Mutter sich weigert, weiterhin auf Bodhi aufzupassen.

Mit einem Kind eröffnen sich für Margo Probleme, mit denen sie nie gerechnet hätte. Sie braucht dringend einen Job, was aber mit einem Kind, das rund um die Uhr Betreuung braucht, unmöglich scheint. Schon seit einer Weile folgt sie dem Portal OnlyFans, auf dem junge Frauen ihre Reize in den Vordergrund stellen, damit müsste sich doch Geld verdienen lassen. Ein Account ist schnell geschaffen. Margo nennt sich HungryGhost und lädt ihre ersten Fotos hoch. Sehr schnell hat sie einige Follower. Als extra Service bietet sie an, Dickpics zu bewerten, das bringt ein wenig zusätzliches Geld.

Ihr leiblicher Vater Jinx, ein Ex-Wrestler, sucht eine Bleibe und zieht bei Margo ein. Margo schließt sich mit größeren CreatorInnen zusammen, die gegen Entgelt auf ihren Accounts für sie werben. Dann gehen ihr die Ideen aus und sie weiht ihre Mitbewohnerin Suzie ein. Mit deren Cosplay Kostümen bringt sie frischen Wind in ihren Account. Und dann kommt ihr Vater hinter ihre Berufswahl.

Fazit: Rufi Thorpe hat eine Gegenwart geschaffen und verständlich gemacht, die realer nicht sein könnte. Ihre junge Protagonistin muss Verantwortung übernehmen. Schnell wird klar, wie schwierig die Verhältnisse für alleinerziehende Mütter sind. Die Protagonistin beißt sich durch. Zuerst meiden ehemalige Bekannte sie wegen ihres Kindes, dann wegen moralischer Bedenken über ihre Berufswahl. Von allen Seiten rollen ihr Steine in den Weg, aber am Ende wird alles gut. Die Geschichte hat mich gut unterhalten. Die Autorin hat eine Heldin mit starken Nerven geschaffen. Ein Buch, das schwierige Themen leicht transportiert und zugänglich macht.

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Veröffentlicht am 22.11.2024

Gutes Debüt über häusliche Gewalt

Im Prinzip ist alles okay
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Miryam ist dreißig und gerade Mutter geworden. Bei der Selbstliebe-Hochzeit einer guten Bekannten taucht sie mit Freund Robert, ihrer Tochter und einer Schüssel Buchweizensalat auf. Ihr T-Shirt trägt sie ...

Miryam ist dreißig und gerade Mutter geworden. Bei der Selbstliebe-Hochzeit einer guten Bekannten taucht sie mit Freund Robert, ihrer Tochter und einer Schüssel Buchweizensalat auf. Ihr T-Shirt trägt sie über dem Rock um den offenen Reißverschluss zu verdecken. Sie hat ihre alte Figur noch nicht zurück und kaschieren ist das Mittel der Wahl. Während Freund Robert vorgibt auf die gemeinsame Tochter aufzupassen platziert Miryam sich in Büffetnähe in der Hoffnung, dass jemand ihren Salat lobt. Seit der Geburt giert sie besonders nach Bestätigung. Schuld daran sind die Selbstzweifel, weil sie schlecht drauf ist und nicht in der Lage die Kleine zu stillen. Sie hat auch Angst, dass sie ihrem gewalttätigen Vater ähnlicher ist, als sie möchte, zumindest spürt sie ihre große Ungeduld intensiv. Ihr Robert behandelt sie besser als ihr Ex-Ex-Freund. Damals war sie sechzehn und er dreißig. Und weil sie geweint hat, hat er ihr einen seiner Schuhe mit der Ledersohle durchs Gesicht gezogen.

Eigentlich hat sie bisher alles verbockt, so war es auch mit Diego. Alles war traumhaft, bis sie ihren ersten gemeinsamen Urlaub in Ägypten verbrachten. Er war so lieb zu ihr, doch nach einem Tag in der Sonne (sie) und im Meer auf dem Surfbrett (er) spürte sie plötzlich nichts mehr für ihn. Da wo zuvor noch Liebe war, klaffte nun ein Vakuum. Ihr jetziger Robert gefällt allen Freundinnen gut. Er ist ihr Fels und sie seine Brandung. Gerade scrollt er am Handy und lässt die Kleine zwischen den Zigarettenkippen im Gras herumkrabbeln, das muss sie gleich mal verhindern.

Ihr Bruder Deniz ist ihr der liebste Mensch, ihn hat sie vor dem Vater beschützt und so wurden sie eine Einheit, eine Festung. Miryam hat früh damit angefangen den Vater zu lesen, wie er das Kinn vorschob und Alarmstufe rot signalisierte. Ihre Mutter schien blind für die Vorzeichen und deswegen hat sie die ganze Wucht seiner Wut abgefangen.

Fazit: Yasmin Polat hat ein Debüt geschaffen, das in allen Facetten den Leidensdruck der häuslichen Gewalt einfängt. Die Protagonistin hat früh Verantwortung zu übernehmen und war in ständiger Alarmbereitschaft. Die Unberechenbarkeit ihres Vaters hat ihr Vertrauen in die Welt nachhaltig gebrochen. Die schweigende, depressive, aber auch manipulative Mutter und die Gewaltbereitschaft des Vaters, liefern den gut durchmischten Cocktail für Miryams Wut und Selbstsabotage. Sie möchte den roten Faden, der sie ebenfalls einspannt unbedingt kappen, ihrer Tochter ein besseres Vorbild sein, aber ihre Konditionierung steht ihr im Weg. Die Geschichte zeigt sehr gut die Schwierigkeiten einer solchen Traumatisierung, war mir persönlich jedoch stellenweise zu oberflächlich.

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Veröffentlicht am 20.11.2024

Das Leben der kurdischen Minderheit

Zweistromland
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Dilan und Johan leben in Istanbul. Er wollte nicht nach Schweden zurück und so folgte er Dilan in die Türkei. Obwohl sich die Sprachlosigkeit zwischen sie geschlichen hat, erwarten sie ein Kind. Dilan ...

Dilan und Johan leben in Istanbul. Er wollte nicht nach Schweden zurück und so folgte er Dilan in die Türkei. Obwohl sich die Sprachlosigkeit zwischen sie geschlichen hat, erwarten sie ein Kind. Dilan fährt alleine zur Beisetzung ihrer Mutter nach Deutschland, vor allem um ihrem Vater beizustehen. Bei der Beerdigung taucht eine Frau auf, die Dilan nie zuvor gesehen zu haben glaubt, aber die Ähnlichkeit mit ihrem Vater ist unverkennbar. Als diese Frau anfängt abfällig über Dilans Mutter zu sprechen, möchte Dilan ihr das Glas Wein ins Gesicht schütten, das sie fest umklammert. Die Frau behauptet tatsächlich die Schwester Dilans Vater zu sein und dass sie an Dilans Bett gewacht habe, als die nach einem Unfall mehrere Monate im Koma gelegen habe.

Zurück in Istanbul verbringt Dilan die Abende und fast jede Nacht allein in ihrem Bett, weil Johan jetzt häufiger fern bleibt. Sie arbeitet in einiger Enfernung von Zuhause am Taksim Platz in einer Kanzlei für Wirtschaftsrecht. Ihre Kolleginnen sind hier, ganz anders als in ihrem Stadtteil, europäisch gekleidet. Dilan arbeitet gewissenhaft ihre Fälle durch, die Arbeit gefällt ihr. Doch dann bekommt sie eine Akte auf den Tisch, deren Bearbeitung sie viel Zeit kosten wird. Spontan verlässt Dilan das Gebäude und läuft durch die Stadt. Sie denkt an ihre Eltern, was weiß sie eigentlich über sie. Sie steigt in einen Bus, der nach Dijarbakir fährt, den kurdischen Teil der Türkei nahe Syrien und folgt den Spuren ihrer Eltern.

Fazit: Beliban zu Stolberg erzählt über das Leben der kurdischen Minderheit in der Türkei. Sie findet Worte darüber was verboten ist und welches Verhalten mit Folter geahndet wird. Die Geschichte ist durchgehend melancholisch, die Kindheit der Protagonistin voller Geheimnisse. Selbst in Deutschland lebend legen die Eltern die kurdische Sprache ab. Nur heimlich und wenn Dilan nicht verstehen soll wird kurdisch gesprochen. Niemand bringt ihr die Sprache bei, als sei Herkunft und Kultur ausgelöscht. Dabei hatte damals alles so gut angefangen. Beide Elternteile haben studiert und sich verliebt. Die Mutter hat sich für Aufklärung engagiert. Ganz kurz lässt die Autorin auf zwei späten Seiten aufblitzen, was Menschen passierte, die nicht ins System passen und dabei wird klar, dass das ihrer Mutter passiert ist. Eine tragische und wichtige Geschichte, die Menschen eine Stimme gibt, die niemand hören will, aber leider hat sie mich emotional nicht erreicht.

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