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Veröffentlicht am 15.09.2016

Gelebte Geschichte voller sympathischer Charaktere

Tochter der Elbe
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Die Allerkindleinsflut, die tatsächlich im Jahr 1284 in der Haseldorfer Marsch passiert ist und viele Opfer gefordert hat, ist in diesem Roman der Stein des Anstoßes, der alles ins Rollen bringt - der ...

Die Allerkindleinsflut, die tatsächlich im Jahr 1284 in der Haseldorfer Marsch passiert ist und viele Opfer gefordert hat, ist in diesem Roman der Stein des Anstoßes, der alles ins Rollen bringt - der die Protagonisten zwingt, ihr gewohntes Leben hinter sich zu lassen und in einer unsicheren Zeit durch eine kriegsgebeutelte Welt zu ziehen. Dabei verwebt die Autorin geschickt historisch verbürgte Fakten und Personen mit einer fantasievoll erfundenen Geschichte, und die Mischung wirkt keineswegs verstaubt und veraltet, sondern originell und mitreißend.

Und das liegt vor allem an den Charakteren, die glaubhaft und vielschichtig geschildert werden, so dass man über die Jahrhunderte hinweg mit ihnen mitfühlen kann. Im Zentrum der Geschichte steht Hilke, ein einfaches Mädchen, dass nichts Großes vom Leben erwartet hat, aber in der Zeit nach der Katastrophe ihren Mut und ihren Lebenshunger entdeckt. Mit ihrem loyalen Kindheitsfreund Hein, der als kleiner Junge vom Dach gefallen ist und seitdem gelähmt ist, fährt sie auf der Suche nach ihrem Verlobten Jens mit ihrem kleinen Pferdewagen mitten hinein in den damals tobenden Bruderkrieg.

Und den beiden steht eine Reise bevor, bei der sie Verlust und Verrat, Krankheit und Tod, aber auch Freundschaft und Liebe kennenlernen werden. Viele neue Freunde kreuzen ihren Weg, aber auch Neider und heimtückische Feinde. Sie erleben unglaubliche Höhen und Tiefen. Mal leben sie luxuriös wie Adlige, mal hausen sie als Bettler auf der Straße... Als Leser lernt man die volle Bandbreite des damaligen Lebens kennen.

Viele der Nebencharaktere habe ich sehr ins Herz geschlossen, wie die trotzig entschlossene junge Adlige Adelheid, die nicht vorhat, sich den Zwängen ihrer Zeit zu beugen, oder den jungen Ritter Tore, der es nicht übers Herz bringt, jemanden zu verletzen oder gar zu töten, und deswegen verlacht wird. König Erik lernt man von seiner menschlichen Seite kennen, als guten, ehrlichen Mann, der aber auch schwach und gutgläubig ist.

Gerade die weiblichen Charaktere sind nach den Maßstäben der Zeit geradezu skandalös entschlossen, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen, und gerade das machte sie für mich interessant und lesenswert - obwohl ich mich schon manchmal fragte, ob sie sich in Wirklichkeit nicht um Kopf und Kragen geredet und gehandelt hätten... Sehr gut fand ich, dass auch Themen wie der Umgang mit Behinderung und Homosexualität ganz nebenher angesprochen werden.

Hilkes und Heins Reise hat mich sehr gut unterhalten, und ich fand es meist sehr spannend, mit ihnen mitzufiebern und mich zu fragen, wie sie wohl diese oder jene Schwierigkeit meistern würden. Für meinen Geschmack gab es dabei nur ein paar zu viele glückliche Zufälle - allzu oft wird ein Hindernis nicht durch Mut oder Einfallsreichtum überwunden, sondern nur durch besagte Zufälle, und das hat für mich ein wenig von der Spannung herausgenommen. Besonders im letzten Viertel des Buches ist mir das manchmal unangenehm aufgefallen!

Überhaupt war dieses letzte Viertel in meinen Augen der schwächelnde Abschluss eines großartigen Buches. Ein paar Ereignisse darin erschienen mir wenig glaubwürdig, und sie brachten noch einmal Drama in die Geschichte, dass meiner Meinung nach nicht nötig gewesen wäre. Im Laufe der Handlung ist so viel passiert, da hätte am Schluss nicht noch einmal nachgelegt werden müssen! Manche Handlungsstränge wurden auf den letzten Seiten dann noch schnell mit einem gefälligen Ende abgeschlossen, das kam mir einfach ein wenig zu glatt und plötzlich vor. Aber unterm Strich ist es immer noch ein Buch, das ich bedenkenlos weiterempfehlen würde.

Der Schreibstil liest sich wunderbar und schafft es, weder zu modern noch zu altmodisch zu wirken; das ist bei historischen Büchern für mich immer sehr wichtig. Zu modern, dann passt es nicht mehr glaubhaft zur Zeit, in der das Buch spielt- zu altertümlich, dann liest es sich für den modernen Leser nicht mehr flüssig. Die Autorin geizt nicht mit bildreichen Beschreibungen, die einem helfen, die damalige Welt vor sich zu sehen, man erfährt viel über die Lebensumstände der Menschen, das Leben an Minnehöfen, die Kriegsführung um 13. Jahrhundert... Und dabei liest sich das Buch nie wie ein trockenes Geschichtsbuch, denn im Zentrum stehen immer die lebendigen, bunten Charakter, die mir so echt erschienen.

Es gibt ein paar Liebesgeschichten in "Tochter der Elbe", obwohl damals Hochzeiten ja nicht unbedingt eine Frage der Liebe waren, sondern eher eine Frage der Vernunft - Hochzeiten brachten neues Land oder politische Macht, besiegelten Bündnisse oder befriedeten alte Fehden, schweißten Familien zusammen... Und dennoch gewinnt man hier einen Eindruck davon, wie die Menschen möglicherweise doch einen Weg gefunden haben könnten, die romantische Liebe zu leben, wenn auch nicht immer offen. Gerade Hilke erschien mir dabei jedoch ein wenig wankelmütig, und das Ende hat mich im romantischen Sinne nicht völlig überzeugt.... Aber das werden viele Leser sicher ganz anders sehen! Ich habe das Buch in einer Leserunde gelesen, und da fanden viele das Ende in dieser Hinsicht perfekt.

Fazit:
Ein Roman voller gelebter Geschichte: die Reise zweier junger Menschen, die im 13. Jahrhundert nach einer Katastrophe notgedrungen in die Welt hinausziehen und dabei den Krieg miterleben, den König selbst kennenlernen und mal in unerhörtem Luxus leben, mal im Schmutz der Gosse landen... Die Autorin hat tausend Einfälle, die die Geschichte zu einem bunten Lesevergnügen machen, das trotz eines etwas schwächelnden Endes auf jeden Fall lohnenswert ist.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Seltsam blutarme Geschichte

Rosenrot, rosentot
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Pro:
Vom Schreibstil her ist das Buch solide und kompetent geschrieben. Die Grundidee ist gut, die Puzzleteile des Geheimnisses um Roses Tod fügen sich nach und nach nahtlos und ohne logische Ungereimtheiten ...

Pro:
Vom Schreibstil her ist das Buch solide und kompetent geschrieben. Die Grundidee ist gut, die Puzzleteile des Geheimnisses um Roses Tod fügen sich nach und nach nahtlos und ohne logische Ungereimtheiten ineinander. Die Charaktere sind durchaus glaubwürdig geschildert.

Ihr merkt vielleicht schon: ich musste tatsächlich darüber nachgrübeln, was ich hier schreiben könnte, und mehr als bestenfalls lauwarme Pros sind mir nicht eingefallen... Kein gutes Zeichen!

Kontra:
Die Idee ist interessant und vielversprechend: zwei 11-jährige Mädchen mit blühender Fantasie wollen das abrupte Verschwinden ihrer 16-jährigen Babysitterin aufklären, zum Teil mit abenteuerlichen, übersinnlichen Methoden. Viele Jahre später, als die Leiche der jungen Frau unverhofft gefunden wird, bringt das die beiden inzwischen entfremdeten Freundinnen wieder zusammen und man erfährt, was sie aus ihrem Leben gemacht haben und was aus ehemaligen Freunden der Beiden geworden ist.

Leider wird das Potential meiner Meinung nach ziemlich verschenkt. Irgendwie kann sich der Roman nicht entscheiden, was er sein will. Nach dem Klappentext und der Kurzbeschreibung hatte ich einen Thriller erwartet: Gefahr, unerwartete, schockierende Wendungen und Hochspannung! Gefährlich wird es aber nie, die Wendungen schleichen sich eher behutsam an und Spannung kam für mich an keiner Stelle richtig auf. Ganz ehrlich: mir war langweilig. Ich habe das Buch für zwei Wochen weggelegt und musste mich dann zwingen, es zu Ende zu lesen, weil mich einfach nicht interessiert hat, wie es weitergeht.

Auch als psychologisch angehauchte Geschichte einer Freundschaft konnte mich das Buch nicht überzeugen, denn es fiel mir schwer, mich in die Protagonistinnen einzufühlen und emotional an ihrem Leben Anteil zu nehmen. Der Schreibstil bleibt seltsam distanziert. Eine der beiden Freundinnen versucht als Teenager, Selbstmord zu begehen. Warum? Mehr als ein Schulterzucken konnte ich der Erklärung nicht abgewinnen. Sympathisch wurden die Mädchen mir auch nicht sonderlich - die beiden können sich anscheinend nicht mal gegenseitig leiden. Die angeblich besten Freundinnen sind mehr das, was man im Englischen "Frenemy" nennt: Lieblingsfeindinnen.

Die Geschichte springt zwischen drei Zeitebenen hin und her, oder besser gesagt: sie dümpelt. Da waren so viele vielversprechende Ansätze: geheimnisvolle Gedichte in der Schulzeitung, die mit Rose Verschwinden zu tun zu haben scheinen, ein Brief, der von ihr stammen könnte oder auch nicht... Ein schrecklicher Unfall, der vielleicht gar keiner wahr. Aber nichts davon zündet wirklich.

Das Cover fand ich zwar interessant und ansprechend - aber leider passt es nicht wirklich zum Inhalt und erweckt ebenso falsche Erwartungen wie der Klappentext.

Zusammenfassung:
Eine vielversprechende Grundidee verpufft in diesem Buch saft- und kraftlos. Für mich war der Roman eine große Enttäuschung.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Mit Witz, Herz und Verstand zum Glück!

Hummeln im Herzen
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Handlung:
Im Mittelpunkt des Buches steht Lena, deren Leben eigentlich perfekt sein könnte. Eigentlich. Sie hat einen einigermaßen gutbezahlten, wenn auch langweiligen Job, sie ist verlobt mit einem gutbezahlten, ...

Handlung:
Im Mittelpunkt des Buches steht Lena, deren Leben eigentlich perfekt sein könnte. Eigentlich. Sie hat einen einigermaßen gutbezahlten, wenn auch langweiligen Job, sie ist verlobt mit einem gutbezahlten, wenn auch arbeitswütigen Mann, und sie haben zusammen eine schicke, wenn auch etwas lieblose Wohnung. Aber 6 Tage vor der geplanten Hochzeit lässt Simon, ihr Verlobter, die Bombe platzen: er hat Lena betrogen, und er will sie auch nicht mehr heiraten. Warum? Naja, weil sie halt... eher gemütlich sei. Also langweilig, schlussfolgert Lena.

Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, fällt ihr ganzes Leben um sie herum zusammen wie ein Kartenhaus, und sie steht auf einmal ohne alles da: ohne Mann, ohne Wohnung, ohne Arbeit, ohne Perspektiven. Verletzt und fassungslos zieht Lena in die WG ihres Bruders, die der sich mit seiner Verlobten Juli und seinem besten Freund Ben teilt, wo sie sich erstmal im Selbstmitleid suhlt und um ihre Lebenspläne trauert.

Doch dann rafft sie sich auf und beschließt, dass sie die Nase voll hat. Davon, dass die Männer ihr nie hinterhergucken und nie jemand mit ihr flirtet. Davon, dass ihr Vater sie ständig mit ihren Geschwistern vergleicht: Michel und Karin, die haben alles richtig gemacht, nicht so wie du. Und vor allem davon, dass ihr immer wieder vorgeworfen wird, sie wäre gemütlich, vorhersehbar, würde den Hintern nicht hochkriegen... Oder wie es Ben ausdrückt, der unerträgliche Womanizer: wenn sie ein Hund wäre, wäre sie kein elegantes Dalmatinerweibchen, sondern eine zottlige Promenadenmischung.

Entschlossen stellt Lena einen Plan auf, um ihr Leben von Grund auf umzukrempeln - um SICH von Grund auf umzukrempeln. Die neue Lena soll eine sexy Karrierefrau sein!

Meine Meinung:
Das Buch ist rappelvoll mit lebendigen, glaubhaften, knallbunten, dreidimensionalen Charakteren, die alle ihre kleinen Macken und Schwächen haben, aber (meist) auch ihre liebenswerten Seiten. Sogar die Nebencharaktere, wie der kauzige Taxifahrer Knut, wirken einfach total echt und bringen zusätzlichen Pfiff in die Geschichte! Aber die dreht sich vor allem um Lena und Ben.

Lena ist grundsympathisch - genau die Art Frau, die man gerne zur besten Freundin hätte. Nein, sie ist sicher nicht perfekt! Sie tappt von einem Fettnäpfchen ins nächste, ihr passieren ständig die unmöglichsten, peinlichsten Dinge, sie hat einen Ordnungsfimmel und muss alles bis ins Kleinste durchplanen - und ihre Mitmenschen werfen ihr nicht ganz grundlos vor, dass sie nicht in die Gänge kommt... Aber als Leser beschleicht einen schnell der Verdacht, dass letzteres vor allem daran liegt, dass sie bisher ihr Leben eher danach gelebt hat, was andere Menschen von ihr erwarten, und nicht danach, was sie selber wirklich will. Und so schaut man ihr gerne dabei zu, wie sie wildentschlossen an sich, ihren Karriereplänen und ihrem Liebesleben arbeitet - und dabei in die ein oder andere Sackgasse gerät, bevor sie letztendlich ihren Weg findet.

Und dann gibt es da natürlich Ben. Ben, den Frauenheld, der jede Woche eine Andere hat. Ben, den Lena schon in der Grundschule angehimmelt hat. Ben, mit dem sie sich inzwischen keine fünf Minuten mehr unterhalten kann, ohne dass die Fetzen fliegen, und den sie um Gottes willen nicht attraktiv finden will... Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich Ben wirklich sympathisch finde, aber im Laufe des Buches lernt man auch seine (zahlreichen!) guten Seiten kennen.

Klar kann man sich als Leser direkt denken, dass zwischen den beiden sicher noch ganz andere Funken fliegen werden, aber es bleibt dennoch spannend! Denn es gibt viele Irrungen und Wirrungen, amoröse Eskapaden, One-Night-Stands und anderweitige Beziehungen, und meist umschifft die Autorin dabei gekonnt Kitsch und Rührseligkeit. Und wo sie den Kitsch zulässt, da fand ich ihn auch schön und passend und herzerwärmend - mal ehrlich, so ein bisschen Kitsch muss bei einem Liebesroman dann doch sein! Ob Lena und Ben sich am Schluss kriegen, oder ob sie doch mit anderen Partnern ihr Glück finden, das verrate ich natürlich noch nicht. Denn da gibt es Jan, den jungen Schriftsteller mit den tollen Augen, und Franziska, Bens große Liebe...

Fast noch schöner als die Handlungsstränge, die sich um romantische Dinge drehen, fand ich allerdings die vorsichtige Freundschaft, die zwischen Lena und dem alten Griesgram Otto entsteht, in dessen Buchhandlung sie einen Übergangsjob findet. Da hat die Autorin mir tatsächlich die ein oder andere Träne der Rührung entlockt! Einfach wunderschön... Überhaupt hat das Buch manchmal ganz ungeahnten Tiefgang und mehr als nur eine Prise Lebensweisheit, und dabei war es für mich ein absolutes Wohlfühlbuch, an dessen Ende ich mich ein Stückchen glücklicher fühlte als vorher. Für mich war es dadurch auch mehr als "nur" ein Liebesroman; eine grundoriginelle und ansprechende Variation der üblichen Liebesgeschichte mit viel Witz, Herz und Verstand.

Den Humor fand ich übrigens großartig - kein bisschen platt und abgedroschen, sondern wirklich witzig. Lena passieren die abstrusesten Dinge, und die Autorin schafft es, dass man beim Lesen nicht unbehagliches Fremdschämen empfindet, sondern erstmal lacht und Lena danach in den Arm nehmen möchte. Der Schreibstil ist sowieso sehr locker und unterhaltsam, und man fühlt sich wirklich so, als würde man einer Freundin zuhören, wie sie von ihren Abenteuern und Missgeschicken berichtet!

Fazit:
Eine Liebesgeschichte voller Humor, romantischer Sackgassen und unerwarteter Wendungen - und ganz nebenher noch die Geschichte einer unwahrscheinlichen Freundschaft, die sich darum dreht, was im Leben wirklich wichtig ist. Das macht Spaß und kommt mit genau der richtigen Prise Kitsch aus, ohne unerträglich zuckersüß zu werden! Einfach ein Wohlfühlbuch, mit dem man sich gut aufs Lesesofa zurückziehen kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Kindgerechter Endzeitroman

Der Junge, der sich Vogel nannte
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Pro:
Das Cover hat mich direkt neugierig gemacht, und ich finde es ganz wunderbar gestaltet. Das ist ein Buch, dass ich alleine schon wegen des schönen Einbands auch als Erwachsene gern im Regal stehen ...

Pro:
Das Cover hat mich direkt neugierig gemacht, und ich finde es ganz wunderbar gestaltet. Das ist ein Buch, dass ich alleine schon wegen des schönen Einbands auch als Erwachsene gern im Regal stehen habe! Aber natürlich kommt es auch und gerade bei Büchern nicht auf die äußere Schönheit an, also erzähle ich euch jetzt ein bisschen was über den Inhalt des Buches.

Ist das Buch originell? Jein. Es ist ein Endzeitroman - also ein Buch, das in einer Zukunft spielt, in der etwas mächtig schief gegangen ist. In den letzten Jahren sind unglaublich viele solcher Bücher erschienen, aber nur wenige für Kinder in dieser Altersgruppe (also 10 bis 12). Und meiner Meinung nach schafft es der Autor wunderbar, die Geschichte kindgerecht zu erzählen, obwohl sie ja eigentlich erstmal ziemlich gruselig klingt: die Pflanzen sind alle eingegangen, es gibt nur noch sehr wenige Menschen... Beschönigt wird hier nichts; es wird ganz klar gesagt, dass die meisten Menschen gestorben sind. Aber der Autor spart sich (für die Altergruppe unnötige) grausige Details, und wir bekommen alles durch die Augen zweier kleiner Mädchen erzählt, also aus kindlicher Sicht. Alleine dadurch sticht das Buch schon aus der Menge heraus!

Auch beim Thema Spannung darf man nicht vergessen, für wen das Buch gedacht ist. Die Geschichte IST spannend, aber eben auf eine andere Art, als das bei einem Buch für Erwachsene vielleicht der Fall wäre. Ich denke, man muss sich einfach in Nanna und Fride hineinversetzen: die Beiden haben lange Jahre im Bunker gelebt, ohne andere Menschen als ihren Vater zu sehen. Ohne Sonnenlicht, ohne Abwechslung, ohne frische Lebensmittel. (Sie ernähren sich vom immer gleichen Dosenfutter.) Die Kleinere ist als Baby in den Bunker gekommen und kennt nichts anderes! Das erste Mal, dass sie den Himmel sieht, ist für sie schon erschreckend. Und dann müssen sie sich ganz alleine aufmachen, ohne ihren Vater, um Medikamente zu holen... Sie wissen nicht, was sie draußen erwartet, aber ihr Vater hat ihnen immer wieder eingeschärft, wie gefährlich es draußen ist. Wieviel Mut muss es zwei kleine Mädchen kosten, sich ins Ungewisse aufzumachen! Jeder Mensch, dem sie begegnen, könnte böse sein. Und jede Stunde könnte über Leben und Tod für ihren Vater entscheiden. Ihre Reise führt sie durch eine merkwürdige, beinahe ausgestorbene Welt... In dem Alter wäre ich vor Angst gestorben. Wenn man sich auf die Geschichte einlässt, entfaltet sie meiner Meinung nach ihren ganz eigenen Sog und malt ein bedrückendes aber nie völlig hoffnungsloses Bild einer unbestimmten Zukunft.

Nanna und Fride sind unglaublich mutig und einfallsreich, und ich habe sehr gerne über sie gelesen. Ich fand auch sehr rührend, wie sie zueinanderstehen und sich gegenseitig Mut machen. Besonders die Ältere tut ihr Bestes, die Reise für die Kleine so spannend und harmlos erscheinen zu lassen wie möglich. Der Junge, der sich Vogel nennt, taucht erst später in der Geschichte auf. Er ist zunächst eher abweisend und sogar ein wenig feindselig, aber schnell stellen die Mädchen fest, dass er eigentlich nur einsam und verunsichert ist - er lebt schon so lange ganz alleine in einer riesigen Stadt und schlägt sich durch, so gut es geht...

Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Er ist klar und einfach, gut zu lesen für Kinder, aber nicht flach oder langweilig.

Kontra:
Man erfährt nie eindeutig, warum die Welt so geworden ist - das weltweite Nachrichtennetz ist schon lange zusammengebrochen, und die wenigen verbliebenen Menschen sind sich nicht einig. War es einfach nur ein Virus? War es radioaktive Strahlung? Mich hat es nur wenig gestört, dass man keine Gewissheit bekommt. Denn für Nanna und Fride ist das erstmal nicht so wichtig: für sie ist wichtig, dass sie etwas zu essen finden, dass sie einen Platz zum Schlafen haben, dass sie nicht alleine sind... Und sie sind nunmal die Charaktere, um die sich die Geschichte dreht. Aber für viele Leser ist das sicher ein Kritikpunkt.

Man kann sich darüber streiten, ob 10-jährige Endzeitromane lesen sollten. Aber in diesem Buch konnte ich nichts finden, was ich einem 10-jährigen nicht zutrauen würde, und der Autor lässt immer mal wieder zarte Hoffnung durchschimmern. Wenn ich da an die Bücher denke, die wir in der Schule gelesen haben - "Die letzten Kinder von Schevenborn", "Die Wolke" u.Ä. -, da waren viel grausamere Geschichten dabei, die am Schluss noch nicht einmal viel Hoffnung für die Zukunft ließen.

Zusammenstellung:
Man muss bei diesem Buch immer daran denken, für welche Altersgruppe es geschrieben wurde, und sich einfach darauf einstellen, dass Spannung, Tempo und Schreibstil dementsprechend kindgerecht sind. Es lässt sich nicht mit Panem und Co vergleichen, aber das muss es ja auch nicht. Mir hat es gut gefallen! Es ist ein eher ruhiger Endzeitroman, der ohne viel Gewalt und erschreckende Szenen auskommt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Zwei starke Frauen, die in der Arktis zu sich selber finden

Insel der blauen Gletscher
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Sehr gut gefallen hat mir, dass wir die Geschichte auf zwei Zeitebenen aus Sicht zweier sehr unterschiedlicher Frauen erzählt bekommen, die beide auf ihre ganz eigene Art und Weise stark und entschlossen ...

Sehr gut gefallen hat mir, dass wir die Geschichte auf zwei Zeitebenen aus Sicht zweier sehr unterschiedlicher Frauen erzählt bekommen, die beide auf ihre ganz eigene Art und Weise stark und entschlossen sind. Beide machen spannende Entwicklungen durch, und ich fand besonders interessant, wie man als Leser die fremdartige Welt der Arktis durch ihre Augen sieht.

Im Jahr 2013 folgen wir der Geschichte aus Sicht von Hanna. Hanna hat sich einen Großteil ihres Lebens um andere gekümmert und ihre eigenen Bedürfnisse hintenangestellt. Jetzt bricht ihr Leben plötzlich rund um sie herum zusammen, und statt sich im Selbstmitleid zu suhlen, krempelt sie die Ärmel hoch und macht sich tatkräftig daran, sich ein neues Leben als Reisejournalistin aufzubauen. Ich fand sehr bewundernswert, wie mutig, einfallsreich und positiv sie die Dinge angeht.

Im Jahr 1907 wird die Geschichte dagegen aus Sicht von Emily beschrieben. Sie ist eine selbstbewusste junge Frau, die mehr von ihrem Leben erwartet, als den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit entspricht. Sie will nicht nur den Mann heiraten, den ihre Eltern für sie aussuchen, und dann den Rest ihres Lebens mit Dingen verbringen, die als schicklich erachtet werden, wie Handarbeiten und Hausmusik. Als sich ihr unverhofft die Chance bietet, anstelle ihres Bruders, als junger Mann verkleidet, eine Forschungsreise anzutreten, ergreift sie diese mit beiden Händen.

Es erfordert schon eine ganz besondere Art von Stärke, in dieser Zeit auch nur darüber nachzudenken, als junge Frau eine Forschungsreise in die Arktis anzutreten! Sie ist also quasi eine Vorreiterin der Emanzipation, und ich habe ihren Teil der Geschichte mit besonderem Vergnügen gelesen. Was für ein unglaubliches, spannendes Abenteuer!

Nur manchmal war Emily für mich zu sehr die talentierte Superfrau, die alles kann: Im Schießen ist sie ein wahres Naturtalent. Sie packt kräftig auf dem Schiff mit an und tut dabei als untrainierte junge Frau Dinge, die einem körperlich durchtrainierten Seemann schwer fallen würden. Sie erinnert sich scheinbar an alles, was sie je gehört oder gelesen hat - so wird z.B. erwähnt, wie sehr die endlosen Vorträge ihres älteren Bruders über Waffen und Technik sie langweilen, aber sie kann dennoch fehlerfrei und detailliert daraus zitieren, um die Männer auf dem Schiff mit ihrem Wissen zu beeindrucken. Und so weiter und so fort...

Aber dennoch war Emily ein Charakter, den ich schnell lieb gewonnen und über den ich gerne gelesen habe.

Auch die Nebencharaktere sind bunt und lebendig beschrieben. Auf dem Schiff, mit dem Emily reist, treiben sich z.B. richtige Unikate rum, und man weiß als Leser bei keinem so richtig, welche Ziele er eigentlich verfolgt - auf jeden Fall sind nicht alle der Forschung wegen dort...

Die Liebesgeschichte zwischen Hanna und Kåre ist herzerwärmend und romantisch, und ich habe direkt mit beiden mitgefühlt und mir gewünscht, dass es für sie ein Happy End geben wird.

Die Liebesgeschichte in Emilies Teil der Geschichte hat mich etwas weniger überzeugt - ich will hier noch nicht zu viel verraten, aber die Auflösung erschien mir ein wenig zu konstruiert und unglaubwürdig.

Das Buch ist unglaublich informativ: Bergbau, Landschaft, Flora, Fauna, wissenschaftliche Forschung, Geschichte, Geographie... Alles ist wahnsinnig gut recherchiert und dabei unterhaltsam geschrieben, so dass es auch Laien mit Vergnügen lesen können! Wenn man schon einmal in der Arktis war, erkennt man viele kleine, liebevolle Details wieder - ich war immer wieder sehr überrascht, Dinge in der Geschichte wiederzufinden, die ich schon halbwegs vergessen hatte. Und wenn man noch nie dort war, dann könnte ich mir vorstellen, dass man das nach der Lektüre dieses Buches nachholen möchte!

Alles ist so wunderbar beschrieben, dass man es bildlich vor sich sehen und beinahe schon hören, riechen und schmecken kann. Und das ist sicher nicht nur für Arktisfans ein Lesevergnügen. Aber wer sein Herz ohnehin schon an die Arktis verloren hat, für den ist das Buch einfach ein Muss.

Die Auflösung des Ganzen hat mir im Prinzip gut gefallen. In meinen Augen ein kleines Manko: am Ende der Geschichte wird nicht wirklich aufgeklärt, was mit einem der wichtigsten Menschen in Emilies Leben geschieht; das hätte ich als Leser doch gerne noch gewusst.

Fazit:
Für Arktisfans ein Muss, aber auch für Fans gut geschriebener Gegenwartsliteratur ein lohnendes Buch. Der Leser folgt zwei Frauen, die in den Jahren 1907 und 2013 aus ganz unterschiedlichen Gründen in die Arktis reisen und dabei nicht nur sich selber finden, sondern auch die Liebe.

Eine spannende, originelle Mischung aus historischen Ereignissen, informativem Reisebericht und persönlicher Entwicklung zweier grundverschiedener Frauen - meines Erachtens lesen sich die 622 Seiten mühelos und unterhaltsam runter.