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Veröffentlicht am 27.03.2024

Verhängnisvolle Affäre

Mein letztes Jahr der Unschuld
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Isabel Rosen hat ihr letztes Semester am Wilder College vor sich – ein Semester, in dem sich alles ändern soll. Eine Nacht mit einem Kommilitonen wird zur Gewalterfahrung, ein guter Freund begegnet ihr ...

Isabel Rosen hat ihr letztes Semester am Wilder College vor sich – ein Semester, in dem sich alles ändern soll. Eine Nacht mit einem Kommilitonen wird zur Gewalterfahrung, ein guter Freund begegnet ihr auf einmal mit Eifersucht und Ablehnung und dann übernimmt auch noch Professor Connelly als Vertretung den Kurs für Kreatives Schreiben. Er bevorzugt sie, lobt ihr schriftstellerisches Können und nach und nach kommen sie sich näher. Eine gefährliche Affäre beginnt, in deren Netz sich Isabel immer tiefer verstrickt.

„Mein letztes Jahr der Unschuld“ ist der erste Roman der Autorin Daisy Alpert Florin und wurde von pociao und Roberto de Hollanda ins Deutsche übersetzt. Erzählt wird aus der Perspektive der Protagonistin Isabel in der Ich- und Vergangenheitsform; sie blickt von einem späteren Punkt in ihrem Leben auf dieses eine Semester zurück, in dem sich für sie alles verändert hat. Dabei nimmt die Beziehung zu Connelly den meisten Raum ein, es werden aber auch viele andere Themen angesprochen.

Isabel ist Jüdin, ihr Vater betreibt einen Appetizing Store in New York, die Mutter ist nach schwerer Krankheit verstorben. Durch die Trauer, aber auch Isabels Studium am Wilder College haben sich die beiden voneinander entfernt. Ihre Freundinnen Debra und Kelsey stehen ihr zwar zur Seite, aber auch ihnen verschweigt sie die Beziehung zu Professor Connelly. Bei ihm fühlt Isabel sich erwachsen und ernst genommen und schließlich ist ihre Affäre doch einvernehmlich und die Machtverhältnisse ausgeglichen, oder etwa nicht?

Als sich am College ein bekanntes Professorenehepaar trennt, erlebt Isabel aus erster Hand mit, wie eine vordergründig glückliche Beziehung mit Kind in einen wahren Krieg ausartet. Connelly solidarisiert sich mit dem Vater, einem alten Freund und Isabel muss sich fragen, welchen Preis sie für diese Affäre zu zahlen bereit ist. „Mein letztes Jahr der Unschuld“ ist ein erschreckender Roman über eine junge Frau in einer abhängigen Beziehung, deren Leben sich innerhalb weniger Monate für immer verändert und sie den unschuldigen, vertrauensvollen Blick auf die Zukunft verlieren lässt.

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Veröffentlicht am 21.03.2024

Moderner, feministischer Vampirroman

Die Hungrige
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Lydia ist zum ersten Mal in ihrem Leben allein, seit sie ihre Mutter in ein Pflegeheim bringen musste. Die Ärzte vermuten eine Alzheimer-Erkrankung, doch Lydia weiß, dass das nicht stimmt, denn ihre Mutter ...

Lydia ist zum ersten Mal in ihrem Leben allein, seit sie ihre Mutter in ein Pflegeheim bringen musste. Die Ärzte vermuten eine Alzheimer-Erkrankung, doch Lydia weiß, dass das nicht stimmt, denn ihre Mutter ist – wie sie selbst – eine Vampirin. Nun soll ihr neues Leben mit einem Praktikum in einer Galerie beginnen. Beim Einzug in ihr Atelier lernt Lydia Ben kennen, der ihr sofort gefällt. Der Fakt, dass er bereits eine Freundin hat, soll bald ihr geringstes Problem sein, denn es gibt jede Menge Schwierigkeiten zu bewältigen.

„Die Hungrige“ ist der erste Roman der Musikerin und Autorin Claire Kohda. Protagonistin Lydia erzählt aus der Ich-Perspektive und in der Gegenwartsform und das finde ich besonders gelungen, ist sie doch so völlig anders, als wir Vampire bisher in der Literatur erlebt haben. Im Prinzip ist Lydia wie jede andere junge Frau auch, nur dass sie nicht leben kann, wie Menschen es tun. Besonders fasziniert ist sie vom Thema Essen und recherchiert immer wieder in den sozialen Medien, was andere zu sich nehmen. Sie selbst kann nur von Blut überleben.

Lydias Charakter ist stark von der Erziehung ihrer Mutter geprägt, die ihr stets eintrichterte, Vampire müssten für die eigene Existenz Buße tun. Als Kind eines japanischen Vaters, den sie nie kennengelernt hat, und einer malaysisch-britischen Mutter wird sie außerdem in der Schule gehänselt. Ihre beste und einzige Freundin muss sie irgendwann zurücklassen, damit diese nicht bemerkt, dass Lydia nicht im selben Tempo altert. So wächst sie auf, ohne je mit anderen essen zu können, ohne andauernde Freundschaften, ohne eine Beziehung und trotz ihrer körperlichen Stärke möchte sie es allen immer nur recht machen.

Als Lydia sich Ben annähert, ergibt sich zum ersten Mal die Chance auf ein wenig Normalität. Doch es gibt immer noch Kämpfe auszufechten: die Suche nach Nahrung, die unangenehmen Annäherungsversuche des Galeriechefs, die Schwierigkeiten ihrer Mutter, sich im Pflegeheim einzuleben und dann ist da noch Bens wirklich nette Freundin Anju. Wie soll Lydia in all dem Chaos existieren? Ein moderner, feministischer Vampirroman.

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Veröffentlicht am 19.03.2024

Lebenskrise zu dritt

Mit den Jahren
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Jette ist Single und hat sich in einem Leben mit Gelegenheitsjobs eingerichtet. Eines Abends trifft sie in einer Kneipe auf Lukas und beginnt eine Affäre mit ihm – und das, obwohl sie doch bisher nur an ...

Jette ist Single und hat sich in einem Leben mit Gelegenheitsjobs eingerichtet. Eines Abends trifft sie in einer Kneipe auf Lukas und beginnt eine Affäre mit ihm – und das, obwohl sie doch bisher nur an Frauen interessiert war. Lukas ist Künstler, in einer Schaffenskrise und eigentlich mit Eva verheiratet, mit der er zwei gemeinsame Kinder hat. Die ist zwar mit ihrem Beruf als Lehrerin ganz zufrieden, fragt sich aber im Privaten, ob das Leben mit ihrem Ehemann noch das ist, was sie sich einmal darunter vorgestellt hat.

„Mit den Jahren“ ist der zweite Roman der Autorin Janna Steenfatt. Die Handlung springt stets zwischen den Perspektiven der drei Charaktere Jette, Eva und Lukas hin und her – mal erleben wir sie einzeln, mal in den verschiedensten Kombinationen. Lange Zeit wird hauptsächlich der Alltag der drei szenenhaft wiedergegeben: Jettes Verhältnis mit Lukas und ihre Arbeit in der Videothek, Lukas Ringen mit seinem neusten Gemälde und seine Versuche, sich in die eigene Familie einzufinden sowie Evas wachsende Frustration mit seiner ständigen Abwesenheit.

An einem gewissen Punkt geschieht plötzlich alles auf einmal: Eva bricht aus der Familiensituation aus und trifft nur durch Zufall auf Jette, die ihr sofort sympathisch ist. Es scheint beinahe so, als hätten alle Beteiligten die Plätze getauscht. Lukas ist nun viel stärker in die Betreuung seiner Kinder eingebunden, Eva führt zum ersten Mal seit vielen Jahren so etwas wie ein Singleleben und Jette kann nun mehr Zeit mit Lukas verbringen. Aber ist es das, was alle drei tatsächlich wollen?

Janna Steenfatt ist ein interessantes Porträt dreier Menschen gelungen, die zur gleichen Zeit Zweifel bekommen, ob das von ihnen gewählte Leben noch zu ihnen passt. Von Beginn an ist klar, dass sich hier ein Beziehungsdreieck entwickeln wird und ich muss zugeben, ich hätte mir das Dreieck als Linie gewünscht. Nicht, weil ich spießig bin, sondern weil ich das Gefühl hatte, dass zwei Personen ohne die dritte vielleicht glücklicher wären – was gleichzeitig auch bedeutet, dass ich einen anderen Schluss für den Roman vorgezogen hätte.

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Wichtige Neuerzählung

James
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Der Sklave James, genannt Jim, soll verkauft werden, was die Trennung von Frau Sadie und Tochter Lizzie bedeuten würde. So beschließt er, zu fliehen und sich zunächst auf einer kleinen Insel im Mississippi ...

Der Sklave James, genannt Jim, soll verkauft werden, was die Trennung von Frau Sadie und Tochter Lizzie bedeuten würde. So beschließt er, zu fliehen und sich zunächst auf einer kleinen Insel im Mississippi zu verstecken. Dort trifft er auf den jungen Huckleberry Finn, der seinen eigenen Tod vorgetäuscht hat, um seinem gewalttätigen Vater zu entkommen. Jim ist sofort klar: man wird ihn verdächtigen, den Jungen ermordet zu haben und so beginnt eine abenteuerliche Reise, die die beiden in mehrere Staaten führen wird.

In „James“ erzählt Percival Everett die Geschichte des Sklaven aus Mark Twains „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ neu und lässt ihn dabei selbst in der Ich-Form zu Wort kommen. Jim und die anderen Sklaven sprechen dabei einen Südstaaten-Slang, den sie nur im Beisein von Weißen verwenden. Dieser soll ihre eigene Intelligenz verbergen und ihre Besitzer in Sicherheit wiegen. Erst gegen Ende des Romans wird Jim bewusst mit dieser Regel brechen. Die Szene ist ungemein beeindruckend, auch wenn in der deutschen Übersetzung diese Sprechweise nicht einfach umzusetzen war - was der Übersetzer in einem Nachwort zur Sprache bringt.

Egal, wohin er und Huck fliehen, die Situation bleibt für Jim doch immer dieselbe – auch wenn sie gerade die Grenze zu einem angeblich „freien“ Staat überschritten haben. Er gerät immer wieder an Menschen, die in irgendeiner Art seine Arbeitskraft ausnutzen wollen. Das Beste, was er dabei erwarten kann, ist keine Gewalt zu erfahren und am Ende des Tages sein Leben zu behalten. In Huck erleben wir den Widerstreit zwischen einem kindlichen Ungerechtigkeitsgefühl und dem Gedanken, dass Jim eben doch anders ist, als er selbst. Dabei wird gerade dieser Junge einer der loyalsten Fürsprecher sein, die Jim unterwegs hat.

Der Roman ist in mehrere Teile gegliedert und ich muss gestehen, dass gerade der erste sich für mich etwas zog und Handlungselemente sich stets wiederholten. Spätestens als Jim sich einer Minstrel Show anschließt, die absurder Weise nur aus weißen Männer besteht, die ihr Gesicht schwärzen, entwickelt der Roman einen gewaltigen Sog. Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 14.03.2024

Bedeutsamer Roman über die Erwartungen an Mütter

Liebesmühe
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Es ist Anfang August und die namenlose Protagonistin hat gerade ihren Sohn zur Welt gebracht. Sie sollte glücklich sein, wie alle anderen Mütter auch (?), doch sie fühlt sich zunehmend überfordert. Von ...

Es ist Anfang August und die namenlose Protagonistin hat gerade ihren Sohn zur Welt gebracht. Sie sollte glücklich sein, wie alle anderen Mütter auch (?), doch sie fühlt sich zunehmend überfordert. Von all den Menschen um sie herum, die ständig etwas von ihr wollen, von der riesigen Veränderung in ihrem Leben und vor allem von ihrem eigenen Kind. Eines Tages hält sie es nicht mehr aus und bricht zusammen. Diagnose: Postpartale Depression.

„Liebesmühe“ ist das neuste Werk aus der Feder der Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Christina Wessely. Die Handlung wird von der Protagonistin selbst in der dritten Person dokumentiert, denn ohne diese bewusste Distanzierung könnte sie nicht in Worte fassen, was sie denkt und fühlt. Empfindungen, die so gar nicht zu Konzepten wie „bedingungsloser Mutterliebe“ passen wollen. Auf der anderen Seite ist da aber auch die Wissenschaftlerin in ihr, die gnadenlos analysiert: die Erwartungen, die die Gesellschaft an Mütter stellt, die verschiedensten Erziehungsmethoden, die das Leben mit Kind nur noch zu erschweren scheinen und vieles mehr.

Der Blick, den die Protagonistin aus ihrer Depression heraus auf ihr neues Leben mit Kind wirft, ist ebenso beängstigend wie wichtig. In ihrem Unglück hat sie das Glück, dass sie schnell eine passende Therapeutin findet und Familie und Partner sie unterstützen, dennoch liegt ein langer und dunkler Weg vor ihr. Auf diesem findet sie irgendwann auch eine neue Freundin, die noch tiefer in die Depression versunken zu sein scheint, wie sie selbst und die Schuld dafür beim eigenen Kind sucht. Wer selbst gerade mit ähnlichen Gedanken zu kämpfen hat oder es in der Vergangenheit tat, sollte hier auf sich achten, denn die Beschreibungen sind schonungslos.

Christina Wessely hat einen bedrückenden, aber wichtigen Roman darüber geschrieben, mit welchen Erwartungen die Gesellschaft Müttern gegenübertritt. Dabei vermittelt sie auch die bedeutsame Botschaft, dass nach einer Geburt eben nicht immer alles eitel Sonnenschein ist und es völlig in Ordnung ist, sich Hilfe zu suchen. Ich hoffe, dass sie damit viele (werdende) Mütter erreicht.

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