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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.01.2020

Tipps fernab von Fitzek und Co

Nervenkitzel
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In einem handlichen kleinen Büchlein stellt Miriam Semrau uns 99 Krimis vor, die sie für besonders hält. Das Genre Krimi ist dabei etwas weiter zu fassen, denn es finden sich auch Werke darunter, die das ...

In einem handlichen kleinen Büchlein stellt Miriam Semrau uns 99 Krimis vor, die sie für besonders hält. Das Genre Krimi ist dabei etwas weiter zu fassen, denn es finden sich auch Werke darunter, die das Wort "Thriller" oder einfach nur "Roman" auf dem Cover tragen. Zur Einordnung hat sie sich ein eigenes Schema ausgedacht: 1 bis 3 Wolken geben an, wie düster der Roman ist, 1 bis 3 Blitze zeigen die Brutalität und 1 bis 3 Sonnen den Humorgehalt des Buches an. Dabei arbeitet die Autorin sich aufsteigend nach Düsterheit vor, geht dann in den True Crime-Bereich über, in welchem Düsterheit und Brutalität überwiegen und sortiert dann absteigend nach Blitzen bis am Ende der Humor die Krimi-Handlung dominiert. Illustriert ist das Buch sehr ansprechend von Franziska Misselwitz. Die Buchcover sind gemalt, nicht fotografiert und die Seiten mit passenden kleinen Zeichnungen verziert - das lädt zum immer wieder Durchblättern ein.

Jedes Buch wird mit Autor und Titel erfasst, mit einer kleinen Landkarte räumlich eingeordnet und anschließend kurz beschrieben. Dabei erzählt Miriam Semrau nicht nur, worum es in dem jeweiligen Titel geht, sondern auch, was für sie das Besondere ist, warum sie gerade dieses Werk ausgewählt hat. In jeder Zeile ist zu spüren, dass diese Frau für Krimis und besonders für ihre eigenen Lesetipps brennt. Und diese sind wirklich vielfältig: Klassiker wie Agatha Christie oder Edgar Allan Poe sind ebenso darunter wie Politthriller, Historisches oder Humoriges. Es sind männliche und weibliche Autoren vertreten und Handlungsorte auf jedem Kontinent der Erde. In einigen kleinen Exkursen, genannt "Mimis Bonustracks", gibt die Autorin uns noch weitere Einblicke: Wie schafft sie es, so viel zu lesen? Sind Genre-Einteilungen in Spannungsromanen eigentlich sinnvoll? Welche Begegnungen und Momente mit Schriftstellern sind ihr am meisten im Gedächtnis geblieben? Und welches sind eigentlich ihre Lieblingsbuchhandlungen? Diese und weitere Fragen werden sympathisch und authentisch behandelt, denn nicht für alles hat die Autorin auch eine Antwort parat.

Topseller wie Sebastian Fitzek oder Donna Leon sind in diesem Buch nicht zu finden, denn die kennt sowieso schon jeder. Es sind Romane, die mehr Aufmerksamkeit verdienen oder die der Autorin besonders am Herzen liegen, die sie uns hier empfiehlt. Und die Lektüre führt unweigerlich dazu, dass nach und nach immer mehr Titel auf die Wunschliste wandern. Dabei kann nach Grad der Düsterheit, der Brutalität oder des Humors ausgewählt werden oder nach präferiertem Handlungsort. Nach der Lektüre habe ich zum Beispiel endlich zu Keigo Higashinos "Verdächtige Geliebte" gegriffen und kann daher sagen, dass Miriam Semrau mir nicht zu viel versprochen hat. Vielleicht wird sie uns in Zukunft noch einmal 99 Titel auswählen? Ideen genug hätte sie laut eigener Aussage dafür.

Veröffentlicht am 05.12.2019

Ganz mein Humor

Die Ewigkeit in einem Glas
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London, 1863. Bridie Devine hat eine neue Mission. Für ihren Auftraggeber soll sie dessen entführte Tochter wiederfinden, doch irgendetwas scheint seltsam an diesem Kind zu sein. Zu allem Überfluss stolpert ...

London, 1863. Bridie Devine hat eine neue Mission. Für ihren Auftraggeber soll sie dessen entführte Tochter wiederfinden, doch irgendetwas scheint seltsam an diesem Kind zu sein. Zu allem Überfluss stolpert Bridie bei Recherchen auf dem Friedhof noch über den Geist des Boxers Ruby. Der beschließt aus Mangel an Beschäftigung - denn was soll man als Toter schon groß mit sich anfangen? - unserer Protagonistin zu folgen, um ihr bei den Ermittlungen zur Seite zu stehen. Dabei ist er im Übrigen nur mit einer langen Unterhose und einem Hut bekleidet und behauptet steif und fest, Bridie und er würden sich bereits kennen. Doch warum hat die ihn dann völlig vergessen?

Wie schon die Kurzbeschreibung des Inhalts verrät: dieses Buch ist herrlich skurril. Das beginnt schon bei den Figuren. Da wäre beispielsweise Bridie mit der wohl hässlichsten Witwenhaube überhaupt oder Cora, ihr zwei Meter großes Hausmädchen. Nicht zu vergessen: ein Pfarrer, der aus Verachtung für seine menschliche Gemeinde beschlossen hat, seine Kirche von nun an mit tierischen Bewohnern zu füllen. (Wer will es ihm verübeln?)

Der Schreibstil unterstreicht das Sonderbare der Handlung gekonnt, der Ton ist humorvoll-ironisch, aber dennoch liebevoll. Erzählt wird im Präsens und der sie-Form; hauptsächlich aus zwei verschiedenen Perspektiven: der von Bridie selbst und derjenigen des Kindermädchens Mrs Bibby. Doch auch in die Köpfe der anderen Figuren kann der personale Erzähler blicken und beleuchtet so das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln. Dabei erfährt der Leser nicht nur etwas über Bridies aktuellen Fall, sondern es sind auch zahlreiche Rückblenden in die Vergangenheit der beiden Frauen eingebaut.

So spinnt Jess Kidd gekonnt zahlreiche Handlungsfäden, die sie am Ende zu einem runden Ganzen verwebt. Genretechnisch lässt sich das alles nur schwer in eine Schublade zwängen: historischer Krimi mit fantastischen Elementen - das wäre mein Versuch. Aber letztendlich spielt das ja auch keine Rolle, denn "Die Ewigkeit in einem Glas" ist einfach grandios!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.11.2019

Harter Tobak

Das Ritual des Wassers
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Inspector Ayala, genannt "Kraken", hat gerade erst seinen letzten Fall hinter sich gelassen und erholt sich von den Folgen einer schwerwiegenden Schussverletzung. Noch hat er sein Sprachvermögen nicht ...

Inspector Ayala, genannt "Kraken", hat gerade erst seinen letzten Fall hinter sich gelassen und erholt sich von den Folgen einer schwerwiegenden Schussverletzung. Noch hat er sein Sprachvermögen nicht wiedererlangt und auch sein Privatleben ist alles andere als unkompliziert. Als er jedoch während seiner Genesung die Nachricht erhält, dass seine erste Liebe auf grausame Weise getötet wurde, kehrt er verfrüht in den Polizeidienst zurück.

Wie schon der erste Band, so hat auch Band zwei einen historischen Hintergrund - in diesem Fall die Kelten und ihre kultischen Wasserrituale. Erzählt wird erneut auf zwei Zeitebenen: der Gegenwart, in der sich der Mord an der Comiczeichnerin Annabel Lee ereignet und dem Jahr 1992, in dem Kraken und seine Clique an einem archäologischen Sommercamp teilnehmen. Nach und nach werden beide Handlungsstränge zusammengeführt, bis sich ein schreckliches Gesamtbild ergibt.

Die Geschichte setzt direkt nach Band eins an und ist ein echter Pageturner, der einem nicht nur aufgrund der Spannung schlaflose Nächte bereitet. Wo "Die Stille des Todes" bereits düster und erschreckend war, steigert sich "Das Ritual des Wassers" sogar noch. Die Thematik ist grausam, verstörend und wirklich harter Tobak - auch wenn viele Szenen vorher ausgeblendet oder nur vermittelt berichtet werden.

Neben Chefin Alba und Kollegin Esti tauchen in diesem Band zwei neue Figuren auf: IT-Spezialistin Milán Martínez und Sportass Manu Peña. Die beiden bringen frischen Wind, andere Methoden und eine neue Dynamik ins Team und fügen sich gut in Geschichte ein. Aber auch absolute Lieblingscharaktere wie Ayalas Großvater und Bruder sind wieder mit von der Partie - die Figuren sind definitiv ein Plus dieser Reihe.

Obwohl ich das Buch quasi verschlungen habe, gibt es doch eine Sache, die mich gestört hat: das ständige Hin und Her um Krakens Privatleben und seine erneute Verwicklung in den Fall. Ich hoffe inständig, dass die Autorin dem armen Inspector in den nächsten Bänden zumindest privat etwas Ruhe gönnt - die ständigen Bedrohungen seiner Liebsten durch seine Arbeit werden sonst irgendwann auch unglaubwürdig und vorhersehbar.

Fazit: ein psychologisch harter, aber grandioser Thriller mit zu viel privaten Verwicklungen

Veröffentlicht am 01.11.2019

Verwobene Schicksale

Der Sprung
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Eigentlich liebt Manu das Leben. Sie versteht sich als "Störgärtnerin" und rettet Pflanzen aus Umgebungen, in denen diese - ihrer Meinung nach - nicht atmen und sich nicht mit anderen Pflanzen vernetzen ...

Eigentlich liebt Manu das Leben. Sie versteht sich als "Störgärtnerin" und rettet Pflanzen aus Umgebungen, in denen diese - ihrer Meinung nach - nicht atmen und sich nicht mit anderen Pflanzen vernetzen können. Auch auf Finn, ihren Freund, macht sie einen starken, wenn auch manchmal etwas seltsamen Eindruck. Und dennoch steht Manu eines Tages auf dem Dach eines Wohnhauses, ganz nah an der Kante, schreit und tobt und am Ende, da schreitet sie einfach über den Dachrand hinaus ins Leere. Durch dieses Ereignis gerät das Leben der unterschiedlichsten Menschen in dem kleinen Städtchen Thalbach aus den Fugen.

Da sind zum Beispiel Theres und Werner, deren kleiner Kiosk schon seit geraumer Zeit kaum noch Kundschaft hat. Während Theres umso härter arbeitet, bleibt Werner völlig depressiv zurück, so dass er manchen Tagen gar nicht mehr aus dem Bett aufsteht. Als sich jedoch die Menschenmenge versammelt, um nicht zu verpassen, was mit der "Verrückten auf dem Dach" geschieht, erfährt der Laden einen ungeahnten Aufschwung. Denn Hunger und Sensationsgier, das verträgt sich nicht. Doch wo Theres und Werner von dem Spektakel profitieren, haben andere darunter zu leiden: die launische Edna beispielsweise wird durch Manu auf dem Dach an ein Ereignis aus ihrer Vergangenheit erinnert, das sie völlig aus der Bahn geworfen hat. Erschüttert verbarrikadiert sie sich in ihrer Wohnung und wartet darauf, dass wieder Normalität einkehrt.

Neben diesen drei Personen gibt es noch zahlreiche mehr, die im Buch zu Wort kommen. Polizist Felix spricht mit Manu auf dem Dach, Schülerin Winnie sitzt unten in der Menge. Der Obdachlose Henry lebt in der Nähe des Gebäudes in einem Park, Maren jedoch im Haus selbst. Arbeiter Egon beobachtet das Geschehen vom Café gegenüber und der geheimnisvolle Ernesto verfolgt das Ganze im Fernsehen. Aber auch Vertraute von Manu kommen zu Wort, ihr Freund Finn und ihre Halbschwester Astrid liefern jeweils Puzzleteile, um das Rätsel um Manu zu lösen. Finn liefert die Gegenwart, erzählt, was er an Manu liebt und glaubt, sie zu kennen, obwohl er nicht einmal ihren Nachnamen weiß. Astrid hingegen präsentiert uns Manus Kindheit; eines Mädchens, das ihre Schwester immer beschützt hat; eine, die nie vor etwas Angst hatte.

Mit "Der Sprung" ist Simone Lappert ein grandioser Roman gelungen. In kraftvollen Worten beschreibt sie, wie sich das Leben in der Kleinstadt durch Manu und den Sprung vom Dach verändert. Es wird durcheinandergewirbelt und neu zusammengesetzt, ob die Betroffenen es wollen oder nicht. Dabei entstehen sowohl positive als auch negative Konsequenzen, doch das Wichtigste ist: es verändert sich etwas; in den Köpfen der Menschen, aber auch in ihren Herzen. "Der Sprung" befasst sich nicht nur mit Manu und dem Grund, warum sie sich auf diesem Dach befindet. Nein, der Roman geht viel weiter darüber hinaus. Er spricht von Liebe und Hoffnung, von Verzweiflung und Schuld, von Einsamkeit und Gemeinschaft. Ein wunderbarer Roman, dessen Figuren noch lange nach dem Ende in einem nachklingen.

Veröffentlicht am 21.03.2024

Moderner, feministischer Vampirroman

Die Hungrige
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Lydia ist zum ersten Mal in ihrem Leben allein, seit sie ihre Mutter in ein Pflegeheim bringen musste. Die Ärzte vermuten eine Alzheimer-Erkrankung, doch Lydia weiß, dass das nicht stimmt, denn ihre Mutter ...

Lydia ist zum ersten Mal in ihrem Leben allein, seit sie ihre Mutter in ein Pflegeheim bringen musste. Die Ärzte vermuten eine Alzheimer-Erkrankung, doch Lydia weiß, dass das nicht stimmt, denn ihre Mutter ist – wie sie selbst – eine Vampirin. Nun soll ihr neues Leben mit einem Praktikum in einer Galerie beginnen. Beim Einzug in ihr Atelier lernt Lydia Ben kennen, der ihr sofort gefällt. Der Fakt, dass er bereits eine Freundin hat, soll bald ihr geringstes Problem sein, denn es gibt jede Menge Schwierigkeiten zu bewältigen.

„Die Hungrige“ ist der erste Roman der Musikerin und Autorin Claire Kohda. Protagonistin Lydia erzählt aus der Ich-Perspektive und in der Gegenwartsform und das finde ich besonders gelungen, ist sie doch so völlig anders, als wir Vampire bisher in der Literatur erlebt haben. Im Prinzip ist Lydia wie jede andere junge Frau auch, nur dass sie nicht leben kann, wie Menschen es tun. Besonders fasziniert ist sie vom Thema Essen und recherchiert immer wieder in den sozialen Medien, was andere zu sich nehmen. Sie selbst kann nur von Blut überleben.

Lydias Charakter ist stark von der Erziehung ihrer Mutter geprägt, die ihr stets eintrichterte, Vampire müssten für die eigene Existenz Buße tun. Als Kind eines japanischen Vaters, den sie nie kennengelernt hat, und einer malaysisch-britischen Mutter wird sie außerdem in der Schule gehänselt. Ihre beste und einzige Freundin muss sie irgendwann zurücklassen, damit diese nicht bemerkt, dass Lydia nicht im selben Tempo altert. So wächst sie auf, ohne je mit anderen essen zu können, ohne andauernde Freundschaften, ohne eine Beziehung und trotz ihrer körperlichen Stärke möchte sie es allen immer nur recht machen.

Als Lydia sich Ben annähert, ergibt sich zum ersten Mal die Chance auf ein wenig Normalität. Doch es gibt immer noch Kämpfe auszufechten: die Suche nach Nahrung, die unangenehmen Annäherungsversuche des Galeriechefs, die Schwierigkeiten ihrer Mutter, sich im Pflegeheim einzuleben und dann ist da noch Bens wirklich nette Freundin Anju. Wie soll Lydia in all dem Chaos existieren? Ein moderner, feministischer Vampirroman.

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