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Veröffentlicht am 05.03.2024

Ein wichtiges Sachbuch

Beklaute Frauen
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Es ist nichts Neues, dass Errungenschaften von Frauen in der Geschichte systematisch unsichtbar gemacht und ihre Rollen auf die einer Ehefrau, Tochter, Assistentin oder Muse reduziert wurden. Wie umfassend ...

Es ist nichts Neues, dass Errungenschaften von Frauen in der Geschichte systematisch unsichtbar gemacht und ihre Rollen auf die einer Ehefrau, Tochter, Assistentin oder Muse reduziert wurden. Wie umfassend dies war und in wie vielen Bereichen Männer Beifall für Leistungen erhielten, die sie nicht selbst – oder zumindest nicht ohne Unterstützung von Frauen – erbracht haben, zeigt Leonie Schöler in ihrem kürzlich erschienenen Sachbuch „Beklaute Frauen“.

Nach einer kurzen Einleitung setzt sich die Autorin als erstes mit Frauen in der verschiedensten Revolutionen auseinander, zum Beispiel der Französischen, der Revolution von 1848/49 oder dem Kampf der Suffragetten. Sie kämpften ganz allgemein für Menschenrechte, aber auch für so konkrete Dinge wie den Brotpreis oder das Frauenwahlrecht. Denn bereits sie mussten feststellen: Das Vorbild, an dem alles gemessen und verhandelt wird, ist der weiße Mann.

Im zweiten Kapitel des Buches geht es dann um die Ehe und was diese für Frauen bedeutet. Zusammengefasst werden kann das im so genannten Matilda-Effekt, der besagt, dass je mehr Frauen arbeiten, desto stärker profitieren Männer um sie herum und desto weniger Anerkennung erhalten sie selbst. Ein bekanntes Beispiel? Mileva Marić (Ehefrau von Albert Einstein), deren Anteil an der Relativitätstheorie ihres Mannes als beträchtlich eingeschätzt wird. Von der Wissenschaft lässt sich dieses Phänomen auch auf die Kunst übertragen, was im nächsten Kapitel zum Thema wird. Hier geht es vor allem darum, wie Männer wie Marx, Brecht oder Picasso ihr weibliches Umfeld gezielt ausnutzten.

Kapitel vier befasst sich mit Frauen, denen der Nobelpreis verwehrt blieb (z.B. Rosalind Franklin für die Entschlüsselung der DNA), aber auch mit dem Sport. Denn immer dort, wo Frauen in gemischten Wettkämpfen über Männer siegten, wurde auf einmal die Trennung nach Geschlechtern beschlossen. Auch Leistungen in Kriegen, wie die der Mujeres Libres unter Franco oder der Soldatinnen in der Roten Armee, wurden zu Friedenszeiten vergessen und die Frauen sogar dafür beleidigt. Das letzte Kapitel beschäftigt sich schließlich u.a. mit Frauen, die männliche Pseudonyme verwendeten.

Leonie Schöler ist ein wichtiges, informatives Sachbuch gelungen, das zugleich wütend macht. Schön fand ich, dass sie dabei auch persönliche Geschichten teilt. Ihr Fazit kann ich nur unterstreichen: Es ist beunruhigend und beschämend, dass Frauenrechte im Moment wieder überall beschnitten werden und Aktivismus als unnötig bezeichnet wird.

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Veröffentlicht am 24.01.2024

Kann eine Mutter zu sehr lieben?

Blood on the Tracks 1
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Seiichi Osabe ist eigentlich ein ganz normaler Teenager. Sein Vater arbeitet viel und seine Mutter umsorgt ihn liebevoll. Das empfindet er manchmal als peinlich, vor allem, wenn zum Beispiel sein Cousin ...

Seiichi Osabe ist eigentlich ein ganz normaler Teenager. Sein Vater arbeitet viel und seine Mutter umsorgt ihn liebevoll. Das empfindet er manchmal als peinlich, vor allem, wenn zum Beispiel sein Cousin Shigeru dabei ist. Also eine ganz normale Mutter-Sohn-Beziehung? Aber warum reagiert dann sein gesamtes Umfeld so stark darauf? Nach und nach schleichen sich Bedenken in den sonst so harmonischen Familienalltag ein, bis während eines Ausflugs alles eskaliert.

„Blood on the Tracks“ ist eine von vielen Reihen des Mangaka Shuzo Oshimi und in Japan bereits mit 17 Bänden abgeschlossen. Sein Zeichenstil ist sehr klar und realistisch und fällt durch den besonderen Einsatz von Schraffuren auf – teilweise setzt sich die gesamte Szene aus ihnen zusammen, in unterschiedlicher Dichte und Richtung. Oshimi gelingt es ebenfalls sehr gut, die Emotionen seiner Charaktere in ihrem Blick einzufangen. Das kommt besonders bei der Figur der Mutter zum Tragen, die den gesamten Band über seltsam ambivalent bleibt.

Im Verlauf der Handlung ist lange Zeit nicht klar, was vor sich geht, denn auf den ersten Blick scheint Seiichis Mutter vielleicht etwas überfürsorglich, aber auch nicht mehr als das. Ein erster Verdacht wird durch die Reaktion von Klassenkameraden und Familie geweckt, die alle immer wieder betonen, wie sehr der Junge doch bemuttert würde. Unterstützt wird dies noch durch Erinnerungen an ein Erlebnis aus Seiichis Kindheit, welches uns als Leser*innen beunruhigt, auf den Protagonisten aber harmlos wirkt. So baut sich nach und nach eine unangenehme Spannung und die Vorahnung auf, dass jeden Moment etwas Schreckliches geschehen wird.

Ich will nicht zu viel darüber verraten, was in diesem ersten Band noch geschieht. Nur eines: Er endet mit einem absoluten Cliffhanger, den ich trotz eines unguten Gefühls beim Lesen so nicht habe kommen sehen. Dieser wirft zahlreiche Fragen auf, gibt aber auch erste kleine Anhaltspunkte. Fakt ist auf jeden Fall: Ich muss weiterlesen, denn ich will unbedingt wissen, wie es mit Seiichi und seiner Familie weitergeht.

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Veröffentlicht am 04.01.2024

Klassischer Krimi in geschichtsträchtigem Setting

Mit dem Schnee kommt der Tod
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Dezember 1938. Eigentlich soll es ein ruhiges Weihnachtsfest werden, doch dann landen Josephine Tey, ihre Partnerin Marta und Detective Chief Inspector Archie Penrose auf der kleinen Insel St. Michael‘s ...

Dezember 1938. Eigentlich soll es ein ruhiges Weihnachtsfest werden, doch dann landen Josephine Tey, ihre Partnerin Marta und Detective Chief Inspector Archie Penrose auf der kleinen Insel St. Michael‘s Mount in Cornwall. Dort sollen eigentlich in illustrer Runde Spenden gesammelt werden und sogar Marlene Dietrich ist als Gast vor Ort. Als jedoch innerhalb kürzester Zeit zwei Morde geschehen und die Insel wegen des schlechten Wetters vom Festland abgeschnitten ist, muss Penrose ohne Unterstützung von Außen ermitteln.

„Mit dem Schnee kommt der Tod“ ist bereits der 9. Band der britischen Autorin Nicola Upson um ihre Protagonistin Josephine Tey. In diesem Zusammenhang nochmal eine kurze Bitte: Liebe Verlage, bitte gebt doch an, wenn ihr irgendwo mitten in der Reihe eine Serie übersetzen lasst, weil bestimmte Fälle so schön zu manchen Feiertagen passen – danke! So wurde ich nämlich recht abrupt in eine Figurenkonstellation geworfen, von der ich nicht weiß, wie sie zustande kam oder wer die ermittelnden Figuren eigentlich sind.

Der Fall ist aber natürlich auch ohne diese Zusammenhänge zu verstehen und kommt recht klassisch mit einem abgeschotteten Tatort und einer Runde voller seltsamer verdächtiger Gäste daher. Das Setting kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs gibt dem Fall außerdem eine weitere spannende Dimension, denn Marlene Dietrich sieht sich den Wünschen und Projektionen der Nationalsozialisten ausgesetzt und auch das weitere Schicksal von St. Michael‘s Mount scheint ungewiss. Interessant an der Kriminalhandlung ist zudem, dass wir einen der beide Morde live miterleben und daher auch von Anfang an klar ist, wer es getan hat. Das hatte ich mir zunächst langweilig vorgestellt, das Gegenteil war dann aber der Fall.

Mir hat „Mit dem Schnee kommt der Tod“ sehr gut gefallen, weil die Handlung viele Elemente enthält, die ich an Krimis schätze. Allerdings möchte ich nun mit der Reihe noch einmal von vorne beginnen, um einen Bezug zu den Figuren zu gewinnen. Josephine Tey als eigentliche Ermittlerin trug nur wenig zur Aufklärung des Falles bei, was den Lesespaß jedoch nicht trübt.

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Veröffentlicht am 30.12.2023

Wut zur Veränderung

»Was wollt ihr denn noch alles?!«
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2022 veröffentlichte Alexandra Zykunov ihr erstes Buch „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“, in dem sie 25 „Bullshitsätze“ zur Gleichberechtigung zerlegte. Nun ist mit „Was wollt ihr denn noch ...

2022 veröffentlichte Alexandra Zykunov ihr erstes Buch „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“, in dem sie 25 „Bullshitsätze“ zur Gleichberechtigung zerlegte. Nun ist mit „Was wollt ihr denn noch alles?“ quasi eine Fortsetzung erschienen, in der sie weitere Zahlen, Studien und Absurditäten präsentiert, die zeigen, wie Frauen in Deutschland systematisch benachteiligt werden.

Die Autorin startet zunächst mit einem Disclaimer, dass sie „Frauen“ und „Männer“ in diesem Buch verallgemeinernd verwendet und hierdurch andere Identitäten, Beziehungsmodelle etc. nicht ausgeblendet werden sollen. Anschließend folgt ein Kapitel zu Wikipedia, das eigentlich für die gesamte Problematik steht: 90% der Autor*innen sind dort Männer und entscheiden, wer einen Eintrag „verdient“. Überraschung: Das sind nur wenige Frauen und ebenso wenige People of Colour.

Im weiteren Verlauf reißt Zykunov so viele wichtige Dinge an, dass ich sie gar nicht alle benennen kann. Hier also nur einige Beispiele: Eine Ehe ist umso stabiler, je weniger die Frau verdient und je mehr sie (im Vergleich zum Partner) verdient, desto mehr Arbeit übernimmt sie im Haushalt. Absurd, oder? Aber es geht weiter: 90% der Menschen (ja, auch Frauen) haben Vorurteile gegenüber Frauen und eine Studie zeigt, dass wir es grundsätzlich fair finden, wenn ein Mann bei gleicher Leistung und gleicher Qualifikation mehr verdient. Bitte?

In der zweiten Hälfte des Buches geht es konkret um Care-Arbeit, z.B. um das Elterngeld, das seit Einführung nicht erhöht wurde, um die Masse an unbezahlter Fürsorgearbeit, die Frauen leisten – egal ob für Kinder oder Ältere. Beim Blick auf ihre Rente sagt man(n) ihn aber dann, sie hätten eben „einfach mehr arbeiten müssen“. Doch was will Zykunov eigentlich mit dem Buch bezwecken? Sie will wachrütteln, Denkansätze geben (bezahlte Care-Arbeit, Elterngeldreform usw.) und vor allem an die Männer appellieren: Wie können sie z.B. einfach so hinnehmen, dass ihre Mütter, Frauen oder Töchter ein 32% höheres Sterberisiko haben, wenn sie von einem Mann operiert werden?

Fazit: Ein Buch, das wütend macht. Diese Wut ist aber zur Veränderung notwendig.

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Veröffentlicht am 26.12.2023

Beunruhigend plausible Dystopie

Endling
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2041. Zoe ist Biologin und vor einigen Jahren nach München gezogen, wo sie Käfer erforscht. Doch dann erreicht sie ein Anruf ihrer Mutter, die ihr mitteilt, dass sie in „Reha“ muss und jemand sich um Zoes ...

2041. Zoe ist Biologin und vor einigen Jahren nach München gezogen, wo sie Käfer erforscht. Doch dann erreicht sie ein Anruf ihrer Mutter, die ihr mitteilt, dass sie in „Reha“ muss und jemand sich um Zoes Teenager-Schwester Hanna und ihre Tante Auguste kümmern muss. So reist Zoe in die Heimat, wohl wissend, dass die „Reha“ ihrer Mutter ein Alkoholentzug ist und Tante Auguste schon lange nicht mehr das Haus verlässt. Als jedoch deren Freundin Sophie verschwindet, brechen die drei zu einem wahnwitzigen Roadtrip auf – im Gepäck Weinbergschnecke HP14, ein „Endling“, also die letzte ihrer Art.

„Endling“ ist der 3. Roman von Jasmin Schreiber und eine Dystopie der besonderen Art. Wir befinden uns nämlich in einer durchaus möglichen nahen Zukunft, die von Pandemien, dem Artensterben und repressiven Maßnahmen gegen Frauen geprägt sind. Da Schreiber selbst Biologin ist, gelingt es ihr, ein glaubhaftes Szenario zu erschaffen, was mit der Natur passieren wird, wenn wir so weiterleben, wie bisher. Erzählen lässt sie dabei ihre Protagonistin Zoe in der Ich- und Vergangenheitsform; jedes Kapitel ist mit dem Namen einer Tierart überschreiben, die darin irgendeine Rolle spielt.

Zoes familiäre Situation ist kompliziert. Ihr Vater verstarb während der vorletzten Pandemie, was jedes Familienmitglied auf eigene Art und Weise aus der Bahn warf. Als nun Zoe, Hanna und Auguste zu ihrer Reise aufbrechen, kommen all diese Erinnerungen und die damit verbundenen Ängste wieder ans Tageslicht. Die drei Frauen bewegen sich dabei durch eine neue Welt, in der große Teile der Natur und damit auch der Arten verlorengegangen sind. Doch in den dunklen Wäldern Schwedens entdecken sie einen Ort, an dem alles anders zu sein scheint.

Jasmin Schreiber ist eine ungemein plausible Dystopie gelungen, die mich persönlich mehr gegruselt hat, als ein Horrorroman oder Thriller. Denn auch ohne Biologin oder Politikwissenschaftlerin zu sein, scheint alles beunruhigend möglich zu sein. Spaß machen dazwischen die von der Autorin eingebauten Easter Eggs zu Privatleben und Werken, denn wir treffen auch alte Bekannte wieder.

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