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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.04.2018

Schöner Zeichenstil, aber großer inhaltlicher Fehler

Nana & Kaoru 01
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Für ein bisschen Abwechslung habe ich nach einem ausgeschriebenen Ecchi-Manga gegriffen, Nana & Karou. Laut Klappentext geht es dabei hauptsächlich um S/M-Fantasien eines Teenagers, der in seiner Nachbarin ...

Für ein bisschen Abwechslung habe ich nach einem ausgeschriebenen Ecchi-Manga gegriffen, Nana & Karou. Laut Klappentext geht es dabei hauptsächlich um S/M-Fantasien eines Teenagers, der in seiner Nachbarin und Mitschülerin (von der er eh schon träumt) eine mehr oder weniger willige Partnerin findet. Teenager-Fantasien werden hier auch tatsächlich thematisiert. Allerdings gehören diese in den Bereich Dom/Sub (Spiel mit Macht), nicht in den Bereich S/M (Spiel mit Schmerzen). Diese Differenzierung ist sehr wichtig und ich finde es problematisch, dass der Verlag das nicht richtig benennt – Stichwort Triggerwarnung. Auch wird dieser Manga mit einer Altersempfehlung ab 16 Jahren versehen. Ich würde die Grenze da vielleicht sogar bei 18 Jahren ziehen, gerade weil nicht korrekt kommuniziert wird, was genau in der Geschichte passiert und junge LeserInnen, die sich noch nie intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt haben, die Unterschiede kaum erkennen werden.

Das Artwork von Nana & Karou ist in einem schönen Stil mit runden Formen, besonders bei den Augen und Körperteilen, und geraden feinen Linien gehalten. Für meinen Geschmack wird zu viel mit einfachen schwarzen Flächen gearbeitet (ich hätte an manchen Stellen lieber Rasterfolien gesehen), doch es gibt sicher Leute, denen es so besser gefällt.

Veröffentlicht am 21.04.2018

Super Idee, schwache Umsetzung mit zu viel sinnloser Prügelei

Taboo Tattoo 01
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Taboo Tattoo dagegen hielt, was es versprach: Eine spannende Geschichte, die unter meinen bisherigen Manga-Erfahrungen ihresgleichen sucht, mit einem interessanten Ansatz an Militärkonflikte Japans mit ...

Taboo Tattoo dagegen hielt, was es versprach: Eine spannende Geschichte, die unter meinen bisherigen Manga-Erfahrungen ihresgleichen sucht, mit einem interessanten Ansatz an Militärkonflikte Japans mit dem Westen. Das alles verpackt in ein bisschen Magie und viele mysteriöse Figuren. Ich bin echt neugierig auf das Ende, aber nicht unbedingt auf die Fortsetzungen. Ergibt das einen Sinn? Nach dem Motto, der Weg ist NICHT das Ziel.

Das Artwork ist hart, kantig und teilweise schon aggressiv. Das passt einerseits zur Story, andererseits ist es nicht unbedingt das, was mir gefällt. Die Atmosphäre passt allerdings, weshalb ich darüber gar nicht meckern möchte. Die Story beinhaltet – logisch bei der Thematik – Kämpfe und Prügeleien, die meiner Meinung nach zu sehr in die Länge gezogen wurden. Ich finde, dadurch gingen zu viele Seiten drauf, die man für Hintergrundinformationen oder – ganz gewagt – mehr Plot hätte verwenden können.

Ein netter Bonus ist die Sammelkarte, die der ersten Auflage beiliegt.

Veröffentlicht am 27.12.2022

Tolle Idee, mäßig umgesetzt

In all deinen Farben
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Ich habe selten ein Buch mit so gestelzter Sprache gelesen wie In all deinen Farben. Anhand der Beschreibung wollte ich es wirklich mögen: alte Geschichten neu auf eine Weise erzählt, die Frauen nicht ...

Ich habe selten ein Buch mit so gestelzter Sprache gelesen wie In all deinen Farben. Anhand der Beschreibung wollte ich es wirklich mögen: alte Geschichten neu auf eine Weise erzählt, die Frauen nicht nur als schmückendes Beiwerk oder Objekt darstellen, sondern in den Fokus der Handlung rücken. Leider habe ich schon nach den ersten zwei Geschichten gemerkt, dass es definitiv nicht mein neues Lieblingsbuch wird.

Normalerweise fällt es mir schwer, eine Anthologie wie diese – also einen Sammelband einzelner kurzer Texte – über einen Kamm zu scheren. In diesem Fall ist das aber möglich, da alle Texte von derselben Autorin stammen und sich mit wenigen vereinzelten Ausnahmen in wirklich jeder der zehn Kurzgeschichten die Punkte wiederfinden, die mir gut gefallen oder die ich absolut nicht leiden kann.

Inhalt

Ich mag – wie erwartet – das Basiskonzept von In all deinen Farben. Sheherazade, Psyche, Thisbe, Nofretete und andere Frauenfiguren aus Mythen und klassischer Literatur bekommen einen modernen Twist verliehen und in aktuelle Settings versetzt. Dabei sind sie laut und selbstbewusst und lassen sich nicht klein machen. Nur – das tun sie am Ende doch?

Sie alle werden klein und weich ihrem jeweiligen Love Interest gegenüber, himmeln ihn an, vergessen oder ignorieren ihre eigene Stärke. Klar, die Vorlage dieser Neuerzählungen gibt das irgendwie vor. Aber ich habe nicht erwartet, dass ich mich ein paar Seiten lang über willensstarke Frauen freuen würde, nur um dann auf den jeweils letzten 2 Seiten mit ansehen zu müssen, wie sie in die gleichen Muster fallen, aus denen ich sie eigentlich ausbrechen sehen wollte.

Die Nacherzählung von Psyche und Eros hat übrigens durch ihr Setting sehr an den Film Der Teufel trägt Prada erinnert (mit Psyche als Anne Hathaway), und das leider nicht auf positive Weise.

Das wäre aber alles nicht so wild, wenn die Schreibweise nicht wäre! Ich kann auch an klischeebelasteten Geschichten Freude finden, wenn sie gut geschrieben sind.

Stil

Und da ich die deutsche Ausgabe von In all deinen Farben gelesen habe, kann ich nicht genau sagen, ob es am Originaltext der Autorin Bolu Babalola oder an der Übersetzung von Ursula C. Sturm liegt. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich fast jeden Satz mehrfach lesen musste, um nicht nur die Worte zu lesen, sondern auch zu verstehen, was mir da gerade erzählt wird. Nicht, weil sie zu kompliziert wären. Ich behaupte guten Gewissens, dass ich in meinem Germanistikstudium sehr viel Komplexeres gelesen habe. Aber die Sprache ist so gestelzt, so voll von altmodischen, fast antiquierten Begriffen, dass es mir kaum Spaß machte, die Kurzgeschichten zu lesen.

Gut gefallen hat mir, dass jede Kurgeschichte irgendwie anders war. Es wurde nicht jeder Mythos in dieselbe Moderne versetzt, sondern es gab immer ein vollkommen anderes Szenario. Die Autorin hat sich also definitiv Gedanken gemacht, was am besten zur Vorlage passt. Leider hat das manchmal zu Verwirrung geführt. Ich kann auch nach langem Überlegen nicht genau sagen, was die erste Geschichte von Ọṣun mir eigentlich erzählen will. Spielt sie in der heutigen Zeit? Oder in einer nicht konkret benannten Vergangenheit?

Diese Unklarheiten hätten durch konkrete Schreibweisen vermieden werden können, stattdessen macht In allen deinen Farben das, was mich so sehr stört, dass jede noch so tolle Geschichte kaum mehr eine Chance bei mir hat: das Buch beschreibt jeden Grashalm und sagt mit unfassbar vielen Worten rein gar nichts.

Fazit

Insgesamt bin ich mehr von der leider mäßigen Umsetzung dieser tollen Idee verwirrt als begeistert von den einzelnen Geschichten. Das finde ich enorm schade, da ich mir viel von dieser Anthologie erhofft hatte. Naja, es können nicht alle Bücher immer gut sein.

Wenn ich das Buch nicht als Rezensionsexemplar erhalten hätte, hätte ich es wahrscheinlich nach wenigen Kurzgeschichten abgebrochen.

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Veröffentlicht am 15.06.2022

Viel zu junge Figuren für diesen Plot!

Clans of New York (Band 1)
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Neue Liebe in der Mafiaszene von New York: der Klappentext verspricht eine spannende Geschichte fernab der aktuellen Trends und Klischees. Da wollte ich unbedingt mal reinlesen! Hier, so wird das Buch ...

Neue Liebe in der Mafiaszene von New York: der Klappentext verspricht eine spannende Geschichte fernab der aktuellen Trends und Klischees. Da wollte ich unbedingt mal reinlesen! Hier, so wird das Buch von Verlagsseite beschrieben:

[Klappentext]

Leider musste ich nach wenigen Seiten feststellen, dass die ProtagonistInnen von Clans of New York nicht in den späten Zwanzigern oder frühen Dreißigern sind, wie ich es nach dieser Beschreibung voller Heiratspläne erwartet hatte, sondern in der ersten Hälfte der Geschichte noch nicht einmal die High School beendet haben, geschweige denn volljährig sind. Das hat mich immer wieder gestört, besonders aus einem Grund:

Die Geschichte dreht sich um Gewaltausübungen bis hin zu Mord und Gemetzel, es gibt eine Vergewaltigung und explizite Beschreibungen der grausamen Misshandlung von Kindern und sexualisierte Gewalt in positiver Darstellung mit deutlichen Grenzüberschreitungen. (Darauf gehe ich in dieser Rezension nicht weiter ein, aber für potenzielle LeserInnen von Clans of New York spreche ich hiermit eine eindrückliche Triggerwarnung aus!) Diese Inhalte, kombiniert mit so jungen Hauptfiguren und noch jüngeren Familienmitgliedern, teilweise ohne weitere Reflexion, haben mich immer wieder innehalten lassen, sodass ich das Buch nicht wirklich genießen konnte. Zwar ist Gewalt bei einem Mafia-Roman zu erwarten, aber ich hatte mit älteren Charakteren gerechnet, die besser verstehen, was passiert.

Manche Szenen lesen sich wie gewaltsame Sex-Fantasien, die die Autorin schon immer mal zum Ausdruck bringen wollte. Andere beschreiben, wie Leute in die verschiedenen Mafiaclans aufgenommen werden oder wie diese ihre Geschäfte bestreiten. Ich kann absolut nicht beurteilen, wie realistisch diese Szenarien sind, aber manches war so voller abgedroschener Klischees, dass es wirklich keine Freude gemacht hat, diese Stellen zu lesen. Bei Laune gehalten haben mich ausschließlich die Freundschaften zwischen jugendlichen Mitgliedern konkurrierender Clans, die sich eigentlich nicht mögen sollten, und der angenehme Schreibstil.

Das ist auch irgendwie ein Talent für sich: Inhalte, die mir nicht gefallen, so zu schreiben, dass ich sie doch halbwegs gern lese und mich dabei unterhalten fühle. Leider sind nicht gerade wenige Rechtschreibfehler unkorrigiert geblieben. War für ein umfassendes Korrektorat möglicherweise kein Budget oder keine Zeit übrig? Auch der Satz des E-Books ist nicht so ideal, da die Zeilen bei gewöhnungsbedürftiger Schriftart eng zusammenstehen und sich durch die Kindle-Einstellungen nur wenig verbessern ließ. Das E-Book wirkt etwas unfertig – schade. Hoffentlich habe ich von NetGalley eine Vorabversion bekommen, die vor Veröffentlichung der finalen Version noch verbessert wurde.

Ein Detail gefällt mir übrigens ganz gut: Die anfangs unglaublich naive Protagonistin Ekaterina lernt mit der Zeit Freund und Feind zu unterscheiden, wobei sie mehrfach überrascht wird. Sie verteidigt die Handlungen angeblicher Freunde nicht mehr und lehnt nicht mehr rein aus Gewohnheit neue Dinge ab. Der Bad Boy Giulio in Clans of New York entpuppt sich darüber hinaus als liebevolle Person, die ausnahmsweise mal keine toxischen Beziehungen verherrlicht und sich trotz Mafiosi-Dasein an Grenzen hält, jedenfalls an die seiner Partnerin. Das war eine angenehme Abwechslung zum aktuellen Mainstream! Trotzdem überwiegen leider die unangenehmen Momente, um es vorsichtig auszudrücken.

Epilog und Ende deuten an, dass es eine Fortsetzung geben wird (auf Verlagsseite wird das Buch außerdem mit “Band 1” betitelt, also scheint das in trockenen Tüchern zu sein). Die Entwicklung der Figuren gefällt mir gut, trotzdem werde ich Band 2 von Clans of New York wahrscheinlich nicht lesen.

Wenn ich Gewaltfantasien mit einer gehörigen Portion Erotik lesen will, dann suche ich mir lieber eine Geschichte aus, in der alle Beteiligten zu jeder Zeit volljährig und freiwillig bei der Sache sind …

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Veröffentlicht am 28.02.2022

Achtung, Triggerwarnung im Buch fehlt!

Wir für uns
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Wir für uns tanzt bei den Büchern, die ich meistens lese, etwas aus der Reihe. Denn die Protagonistinnen sind sehr viel älter als ich: eine ist über vierzig, die andere längst im Rentenalter. Ich fand ...

Wir für uns tanzt bei den Büchern, die ich meistens lese, etwas aus der Reihe. Denn die Protagonistinnen sind sehr viel älter als ich: eine ist über vierzig, die andere längst im Rentenalter. Ich fand den Klappentext, der Selbstfindung und Selbstbestimmung versprach, aber spannend genug, um dennoch nach dem eBook zu greifen.

[Klappentext]

Auch nach der Lektüre gefällt mir die Idee, die hinter Wir für uns steckt und die hier im Klappentext beschrieben wird. Die Umsetzung bereitet mir aber Bauchschmerzen, denn leider wird mit verletzender Sprache gearbeitet und zwei elementare Aspekte der Handlung werden in dieser Beschreibung nicht einmal genannt. Da ich in meiner Rezension darauf eingehe, beachtet bitte die Triggerwarnung an dieser Stelle.

Triggerwarnung: Wir für uns verwendet verletzende Sprache. Diese betrifft die Ablehnung von Homosexualität durch einen Elternteil und Rassismus gegen immigrierte Personen sowie (stellenweise) abwertende Begriffe in Bezug auf Trisomie 21. Das Buch selbst hat keine Triggerwarnung.
Diese Wortwahl kann vor allem von betroffenen Personen als verstörend empfunden werden. Bitte schätzt selbst ein, ob ihr euch damit konfrontieren könnt oder möchtet.

Protagonistinnen und dörfliches Leben

Mir gefällt die Idee der Autorin, in Wir für uns zwei Frauen vor neue Herausforderungen zu stellen – und zwar vor dem Hintergrund, dass diese Frauen nicht mehr Anfang zwanzig sind. Josie hat mit Anfang Vierzig seit neun Jahren eine Affäre mit einem verheirateten Mann und ist unerwartet schwanger. Was nun? Kathi muss damit fertig werden, ihr Leben von jetzt auf gleich ohne ihren Mann zu verbringen und erinnert sich an einen alten Wunsch, der aber nicht so einfach umzusetzen ist. Beide sind auf unterschiedliche Art an gesellschaftliche und familiäre Erwartungen geknüpft und müssen mit der Entwicklung von Plan B erst lernen, den eigenen Wert zu erkennen und für sich selbst einzustehen. Dieser Aspekt hat mir sehr gefallen.

Die Beschreibung des dörflichen Lebens ist sehr realitätsgetreu. Kunrath schafft es, das Gefühl von jeder-kennt-jeden sehr treffend zu beschreiben. Leider kommen dabei auch Vorurteile und die Ablehnung alles Neuen und Individuellen nicht zu kurz. Wenn ich mich an meine Kindheit auf dem Dorf zurückerinnere und mal überlege, welche Haltung viele der (meist, aber nicht ausschließlich, älteren) Ortsansässigen selbst heute noch vertreten – puh. Die Darstellung ist also realistisch, aber teilweise ziemlich schwere Kost. Denn es ist eine Gratwanderung zwischen guter Beschreibung der Realität und Verletzen durch Sprache. Hier hätte es zumindest mehr Reflexion der verletzenden Sprache geben müssen, und zwar nicht nur durch eine selten auftretende Nebenfigur.

Verletzende Sprache und ungenügendes Lektorat

Denn die Wortwahl in Wir für uns ist mir sehr, sehr negativ aufgefallen. Im Allgemeinen schreibt die Autorin ganz normal, wie man im Alltag eben spricht. Aber wenn es um die Homosexualität eines Mannes geht oder um Immigrantinnen, an einer Stelle auch um die schwarze Hautfarbe einer Person, dann verwendet Kunrath leider ein mindestens problematisches, wenn nicht sogar abwertendes Vokabular aus der untersten Schublade.

Mein Erklärungsversuch (der keineswegs als Entschuldigung gelten kann und soll, es geht mir nur um eine Hypothese, wie es dazu kam): Die Autorin ist 1960 geboren und wie jeder andere Mensch auch ein Kind ihrer Zeit. Sie ist mit einer anderen Wortwahl aufgewachsen als es heute üblich ist. Und zusätzlich hat das Buch vielleicht kein ausführliches Lektorat bekommen. Das ist, wie gesagt, nur eine Vermutung und wird bitte auch als solche verstanden!

Woran ich diese Vermutung festmache: nicht nur inhaltlich gibt es Dinge, die im Lektorat hätten geändert oder entfernt werden können/müssen, sondern auch formal. So hat das eBook, das mir via NetGalley vom Verlag zur Verfügung gestellt wurde, einen falschen Titel. Das Cover ist das gleiche, aber der Titel im Inneren des Buches, der auch oben auf jeder Seite in der Kindle-App angezeigt wird, ist falsch: dort steht Wir werden bleiben anstelle von Wir für uns. Wahrscheinlich wurde der Titel im Lauf des Entstehungsprozesses gewechselt, aber in einem Buch, das als fertiges Produkt an Leser
innen geht, sollten solche Fehler nicht mehr vorkommen. Besonders, wenn es auf jeder einzelnen Seite falsch dasteht.

Aber kommen wir zurück zur Sprache. Man könnte jetzt argumentieren, dass die Figur, aus deren Perspektive diese problematische Wortwahl überwiegend stammt, über sechzig und deshalb mit anderen Gebräuchlichkeiten aufgewachsen ist. Genau wie ich es oben mit der Autorin gemacht habe. Nur verwendet auch die zweite Protagonistin verletzende Worte. Und selbst wenn es eine wirkliche Begründung gäbe, warum Figur X auf diese Weise reden und denken müsste: eine Triggerwarnung im Buch fehlt trotzdem.

An dieser Stelle möchte ich nicht mehr um den heißen Brei herumreden und ganz klar zeigen, welche Begriffe mich stören. Für diesen Zweck schreibe ich die Worte ausnahmsweise aus. Dazu möchte ich aber auch betonen, dass ich nicht persönlich betroffen bin und nur nach meinem Bauchgefühl und jeweils einer kurzen Begriffsrecherche gehe. Das bedeutet, dass auch Autorin und Lektorat nicht mehr als 2 Minuten pro Begriff/Szene gebraucht hätten, um zu wissen, dass es so nicht geht.

[ENTHÄLT SPOILER]

“Asylanten – Wie kleine Kinder – ‘Seit die da wohnen, schließe ich mich abends immer ein. Man fühlt sich ja nicht mehr sicher'”
Die Aussage, Immigrantinnen seien wie kleine Kinder, stammt von Kathi. Sie kritisiert Hilde in Gedanken für deren “man fühlt sich nicht mehr sicher”, aber verwendet trotzdem selbst abwertende Sprache. Kathi spricht zusätzlich von “Asylanten”, was oft im negativen Sinn verwendet wird. Entweder hat die Autorin bewusst so entschieden oder sie sieht die Problematik des Begriffes nicht. Und der Vergleich von erwachsenen Menschen mit “kleinen Kindern” – ich hoffe, ich muss nicht erst erklären, was daran nicht okay ist?

“Egal, wie man es nennt, es klingt schäbig.”
Max ist Kathis Sohn. Und Kathi ist diejenige, die diesen Satz denkt. Auch hier sehe ich eigentlich keinen Erklärungsbedarf.

“mongoloid”
Die Rede ist von Trisomie 21. Babette ist die Schwester von Josie, die vor Josies Geburt starb, weshalb in ihrer Familie nicht über Babette gesprochen wird. Und Josie erfährt jetzt erst, dass ihre Schwester das Down-Syndrom hatte. Die Aussage, die ich hier markiert habe, trifft ihr Bruder, und es wird an keiner Stelle weiter darauf eingegangen, dass der Begriff problematisch ist. Denn “mongoloid” sagt man heute nicht mehr im Zusammenhang mit Trisomie 21. Das hätte spätestens im Lektorat korrigiert werden müssen.

Besonders bitter finde ich die Verwendung deshalb, weil die Autorin in ihrem Nachwort betont, wie intensiv sie zu diesem Thema recherchiert habe. Sie scheint zwar reflektiert genug zu sein, um das potenzielle Minenfeld der Sprache zu erkennen. Und doch ist ihr dieser veraltete, abwertende Begriff in einem Buch aus dem Jahr 2021 durchgerutscht.

In dem Nachwort geht es übrigens ausschließlich um den Umgang mit Behinderung, die anderen hier aufgeführten Probleme finden keine Erwähnung. Ich zitiere:

“Soll ich Trisomie 21 schreiben oder Down-Syndrom? Dürfen äußerliche Merkmale aufgezeigt werden, oder verletze ich damit Betroffene? […] Im Austausch mit meinen Lektorinnen habe ich alle Momente, die dieses Thema berühren, noch einmal genau angeschaut. Mir war wichtig, dass im Text immer sichtbar bleibt, dass es sich um Josies individuelle Perspektive handelt. Emotional, reflektiert, dabei aber stets liebevoll. […]
[W]eder der Text als Ganzes noch ich als Autorin heißen Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung gut. […] Sollte der Text dennoch jemanden verletzen, bitte ich an dieser Stelle um Verzeihung. Es geschah nicht mit böser Absicht. Es zeigt jedoch, wie weit wir alle noch bis zu diesem gleichwertigen Miteinander gehen müssen und wie tief Behindertenfeindlichkeit auch in der Sprache steckt.”

“farbige”
Josie erzählt, dass sie von ihrer Mutter ein Buch geschenkt bekommen hat. Darin geht es um “eine junge, farbige Frau, die von ihrem Vater abgelehnt wird, weil er glaubt, sie sei ein Kuckuckskind.” Erstens hat dieses Buch keinerlei Relevanz für die Handlung, man hätte diesen Absatz also einfach rausstreichen können. Und zweitens spricht man nicht von “farbigen” Menschen, schon allein wegen der Historie des Begriffs. Auf den beschriebenen Plot des Buches im Zusammenhang mit einem
r schwarzen Progagonist*in gehe ich gar nicht erst ein.

“zu dieser Zeit noch strafbar”
Die Rede ist erneut von Babette, Josies Schwester. Ihre Mutter habe über Abtreibung nachgedacht, als sie die Information bekam, dass ihr Baby Trisomie 21 haben würde. Und hier wird in der Vergangenheitsform geschrieben, dass Abtreibung damals strafbar war. Das allein ist erstmal völlig richtig.

Viel wichtiger ist aber, dass hier impliziert wird, dass es heute anders sei. Und das ist nicht der Fall! Es steht sogar in der Wikipedia, sodass nicht einmal eine tiefergehende Recherche nötig ist um das zu korrigieren: “Der Schwangerschaftsabbruch wird in Deutschland […] mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft.” Präsens. Ja, es gibt Mittel und Wege. Unter bestimmten Voraussetzungen kann man eine Abtreibung durchführen (lassen). Aber strafbar ist sie nach geltendem Recht selbst heute noch, was Kunrath hier falsch darstellt.

Diese Stellen sind mir besonders negativ aufgefallen, aus verschiedenen Gründen: sachlich falscher Inhalt, rassistische Sprache, homofeindliche Sprache. Das alles sind für mich Dinge, die schlicht nicht hätten sein müssen. Man hätte Ablehnung und Vorurteile auch ausdrücken können, ohne diese Worte zu verwenden. Stattdessen haben sowohl die Autorin als auch das Lektorat entweder nicht genau genug hingeschaut, keine Lust auf/Zeit für Korrektur und die damit einhergehende Recherche gehabt oder aber sie wussten es nicht besser. Und ich weiß wirklich nicht, welche Variante ich am schlimmsten finde.

Fehlt im Klappentext komplett: Umgang mit Trisomie 21 und Homosexualität als wesentliches Handlungselement

Der Umgang mit Trisomie 21 und Homosexualität sind sehr wichtig in Wir für uns, weil sie beide Protagonistinnen grundlegend beeinflussen. Und doch werden sie einfach Null Komma gar nicht im Klappentext erwähnt. Oder in der Beschreibung des Verlags auf Online-Plattformen. Nirgendwo. Man muss das Buch erst lesen, um zu merken, dass das handlungstreibende Aspekte sind, dass sie überhaupt vorkommen.

Abgesehen von dem Zitat oben geht die Autorin meiner Meinung nach ganz gut mit dem Thema Trisomie 21 um. Sie hat eine Nebenfigur geschrieben, die die restlichen Charaktere aufklärt, was Vorurteilen schnell den Wind aus den sprichwörtlichen Segeln nimmt. Jedenfalls bei Charakteren, die erstmals mit dem Thema konfrontiert werden. Figuren, die Vorurteile schon verinnerlicht haben, korrigieren diese nicht so schnell.

Aber die Homosexualität einer weiteren Figur wird ganz anders behandelt. Hier gibt es nur Ablehnung, Verwirrung, wochenlanges Schweigen, gedankliche Kämpfe gegen die verinnerlichte Abscheu, alles aus der Sicht eines Elternteils, das erstmals von der Homosexualität dieser Figur erfährt. Nach dem Motto “warum tut er mir das an” oder “was habe ich in der Erziehung falsch gemacht”. Bis zum Ende gibt es keine vollkommene Akzeptanz. Es ist einfach grauenhaft. Und das sage ich als nicht betroffene Person. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was diese Beschreibungen in Menschen lostreten können, die selbst mit solcher Ablehnung leben müssen! Auch hierfür fehlt eine Triggerwarnung.

Fazit

Wir für uns ist vor allem dank des flüssigen Schreibstils gut zu lesen und erscheint mir (leider) sehr realistisch. Aber die verletzende und vor allem abwertende Wortwahl stört mich zu sehr, um das Buch und die schöne Grundidee genießen zu können. Da hätte das Lektorat stärker eingreifen oder zumindest eine Triggerwarnung platzieren müssen.

PS: Triggerwarnung

Das Thema Triggerwarnung ist seit Jahren im Gespräch, in der Buchbranche, in den Sozialen Medien, gefühlt überall. Auch ist halbwegs bekannt, welche Themen sensibel genug sind, dass ein entsprechender Hinweis hilfreich wäre. Und wenn man unsicher ist, dann braucht man nur 2 Minuten mit Google und vielleicht 4 Minuten mit Ecosia, um Auflistungen von Themen oder gar ganze Anleitungen zu finden. Ich habe das in den letzten Monaten für meine Rezensionen ausführlich getestet. Es ist wirklich nicht schwer.

Dass große Verlage (in diesem Fall der Fischer Verlag) das aber nicht tun, finde ich schlimm. Ich weiß nicht, ob man es einfach nicht besser wusste, ob man nicht daran gedacht hat, dass man Menschen mit diesem Buch verletzen kann. Oder ob bewusst die Entscheidung getroffen wurde, nicht zu warnen. Das Ergebnis ist jedenfalls nicht in Ordnung. Ich glaube, ich schreibe demnächst mal eine Kolumne zu dem Thema. Denn allein in den letzten Monaten habe ich mehrfach Bücher gelesen, für die ich mir eine Triggerwarnung gewünscht hätte, die aber keine hatten.

https://buchstabensalat.net/rezension-wir-fur-uns/

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