So macht Geschichte Spaß!
Funkenflug"Jahresbücher" scheinen in letzter Zeit schwer in Mode zu sein. Allein aus der jüngsten Vergangenheit erinnere ich mich ad hoc an Florian Illies mit seiner Abhandlung zu "1913 - Der Sommer des Jahrhunderts" ...
"Jahresbücher" scheinen in letzter Zeit schwer in Mode zu sein. Allein aus der jüngsten Vergangenheit erinnere ich mich ad hoc an Florian Illies mit seiner Abhandlung zu "1913 - Der Sommer des Jahrhunderts" (ein Jahr, zu dem es so viel zu erzählen gibt, dass er mit "1913 – Was ich unbedingt noch erzählen" wollte gleich noch einen Band nachgelegt hat), Victor Sebestyen mit "1946: Das Jahr, in dem die Welt neu entstand" und Birte Försters "1919. Ein Kontinent erfindet sich neu". Sicher haben die Auslagen der Buchhandlungen noch mehr zu bieten, und warum auch nicht? Immerhin bietet dieses Format die Möglichkeit, geschichtliches Wissen, sowohl poltitischer, kultureller und gesellschaftlicher Natur, in kleinen Häppchen serviert, in einem größeren Zusammenhang aufzunehmen.
Noch "kleinteiliger" kommt da nun Hauke Friedrichs daher, der sich nicht nur auf ein Jahr - in diesem Fall 1939 - sondern sogar nur auf einen Monat daraus, nämlich den August, konzentriert. Aufgrund der damaligen Ereignisse reicht dieser eine Monat aber auch völlig aus, um ein Buch mit sehr viel Inhalt, vielen Akteurinnen und Akteuren und einer ordentlich Portion Zeitgefühl zu präsentieren.
Es waren die Wochen vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs, vor dem deutschen Überfall auf den Sender Gleiditz, bevor die halbe Welt in Chaos und Schmerz versank. Hätte diese Tragödie vielleicht verhindert werden können? Es gab sicher viele Menschen, die genau das versucht haben, und einige davon lässt Friedrichs hier zu Wort kommen. Genutzt hat es bekanntlich nichts, aber die Hoffnung, die diese Menschen bis zuletzt umtrieb, den drohenden Konflikt auf diplomatischen Wegen oder durch gutes Zureden doch noch abwenden zu können, zieht sich wie ein roter Faden durch die täglichen Einträge.
Natürlich sind es vor allem Politiker (ausschließlich männlich), die hier beleuchtet werden. Ich nutze diesen Begriff bewusst, denn Friedrichs dreht seinen Schweinwerfer mal hier- mal dahin, betrachtet eine Figur über mehrere Absätze und schwenkt dann den Blick zur nächsten. Struktur hat das Ganze dennoch ausreichend: Die Kapitel sind nicht übermäßig lang (ursprünglich wollte ich ja "taggenau" lesen, da bin ich leider nach ca. zwei Dritteln von abgekommen), die Übergänge gut. Auch wenn es viele Menschen sind, die hier "mitspielen", habe ich nie den Überblick verloren, denn Friedrichs führt alle Beteiligten gut ein und verwebt gekonnt die Handlungsstränge.
Neben den Politikern, hier sind es natürlich vor allem die bekannten Größen der beteiligten Länder, kommen auch viele Menschen aus dem (noch) nicht-politischen Leben zu Wort. Das Ehepaar Mann etwa, da sich Katia Mann große Sorgen um ihre Eltern macht; der junge John F. Kennedy, der zu Studienzwecken durch Europa reist; Albert Einstein, der im US-amerikanischen Exil über Deutschland sinniert; Unity Mitford, eine mir bislang unbekannte glühende britische (!) Verehrerin Hitlers; die junge Sophie Scholl, die unbeschwerte Ferien mit ihrem Freund verbringt und viele andere mehr.
Es hat wirklich "Spaß" gemacht, dieses Buch zu lesen - nicht, weil es so erfreulich war, sondern weil Friedrichs einfach gut und vor allem in sehr großer Bandbreite erzählt. Da waren so viele kleine, spannende "subplots" dabei: Das Hin und Her zwischen Hitler und Stalin bis zur Unterzeichnung ihres Paktes etwa oder die "inoffiziellen" Diplomatieversuche des schwedischen Industriellen Birger Dahlerus. Unfassbar, was da alles los war im August 1939, wie Politik gemacht und Geschichte geschrieben wurde, wie der Krieg um ein Haar schon ein paar Tage früher begonnen hätte - dann doch nicht - dann doch... man liest das alles und mag es kaum glauben. Aber doch, es war so, davon zeugt auch das umfangreiche Quellenverzeichnis, das bei so einem Buch natürlich dazugehört. Unfassbar, was Friedrich da alles zusammengetragen hat, was für Fakten und Nachrichten, aber auch kleine Anekdoten. Also, wem ein ganzes Jahr zum Start zu viel ist, findet mit diesem "Monatsbuch" eine sehr gelungene Alternative zum "aktuellen" Trend.
Tl;dr: Eine Fleißarbeit, die sich gelohnt hat - so macht Geschichte Spaß!