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Veröffentlicht am 04.09.2020

Berührende und schmerzhafte Sozialanalyse

Streulicht
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In ihrem Debüt erzählt Deniz Ohde eine Geschichte, die mich sehr bewegt hat - obwohl sie eher ruhig begonnen hat. Und so brauchte es eine Weile, bis ich sie zunehmend bemerkte, die zahllosen kleinen fiesen ...

In ihrem Debüt erzählt Deniz Ohde eine Geschichte, die mich sehr bewegt hat - obwohl sie eher ruhig begonnen hat. Und so brauchte es eine Weile, bis ich sie zunehmend bemerkte, die zahllosen kleinen fiesen Piekser, die der Ich-Erzählerin pausenlos zugefügt werden - allein sind sie vielleicht etwas nervig, als Gesamtbild aber eine Dauerqual. Was die Erzählerin "verbrochen" hat? Nun, sie kommt quasi aus "dem falschen" Viertel. Ihre Familie weilt seit Generationen in der "gewöhnlichen" Arbeiterschicht, ohne große Ambitionen, diese jemals verlassen zu wollen. Als die Erzählerin sich anschickt, eine bislang nicht dagewesen höhere Bildung in Form von Abitur (und vielleicht mehr) anzustreben, ist sich der Vater sicher: "Das ist nichts für uns." Statt nach Höheren oder wenigstens anderem zu streben, hängt der Vater an liebsten an Vergangenem, was sich in einer extremen Sammelwut à la Messie widerspiegelt. Aufkommende Gedanken werden zudem im Alkohol ertränkt, der so ziemlich überall dazugehört.

Nicht genug, dass ihr Vater, festgefahren und resigniert, kaum als Vorbild taugt. Auch die Mutter scheint zu müde zum Aufbegehren. In der Hoffnung auf mehr wanderte sie als junge Frau aus der Türkei nach Deutschland aus - um eines Tages ausgelaugt aufzugeben, gegen die Unordnung und Alkoholsucht ihres Mannes anzukämpfen ("Immerhin schlägt er mich nicht", so redet sie es sich schön).

Doch nicht nur innerhalb, auch außerhalb der Familie wird die Erzählerin andauernd ausgebremst. Nicht nur, weil sie aus dem falschen Viertel kommt und sich viele der coolen Dinge, mit denen Jugendliche Zugehörigkeit demonstrieren, nicht leisten kann. Es ist auch der Migrationshintergrund der Mutter, der ihr rassistische Diskriminierung und Ausgrenzung entgegen bringt.

Deniz Ohde schildert diese doppelte Ausgrenzung an verschiedenen gesellschaftlichen Aspekten, im Vordergrund steht jedoch das Thema Bildung - und der Ausschluss daran aufgrund von System und Struktur. Wenn nicht mal die LehrerInnen an die K*******n glauben, die zu Hause doch bestimmt sowie viel helfen muss und kaum zum Lernen kommt - wer soll ihr dann noch Hoffnung geben?

Das Buch hat mich mit jeder Seite mehr berührt und geschmerzt - es ist einfach schlimm, andere Menschen dabei zu beobachten, wie sie aufgrund eigener, unbegründeter Vorurteile handeln - und viel versprechende, junge Talente so nur sehr kleine Chancen auf ein besseres Leben erhalten.

Ich für meinen Teil bin sehr froh, dass Deniz Ohde die Chance hatte, diese Geschichte zu erzählen, in der vermutlich viele eigene Erfahrungen eingeflossen sind. Aber selbst wenn nicht: Das ist ein sensibel und sehr realistisch erzähltes, genau beobachtetes Schicksal, dem hier eine literarische Stimme verliehen wird. Neben des Einzelschicksals stehen hier zudem das Bildungssystem und seine Grenzen (oder besser: Ausgrenzungen) im Mittelpunkt. Ein Buch, das das Potenzial hat, nicht nur die literarische, sondern auch die gesellschaftliche Debatte zu befeuern - daher eine verdiente Nominierung für die Longlist des deutschen Buchpreises 2020.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Der alltägliche Wahnsinn im Staatsdienst...

Warnung aus dem Weißen Haus
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Es kommt vor: Man will eigentlich nur seine Arbeit machen, aber die vorgesetzte Person lässt das nicht zu: Sie ist unwissend, unfähig, uneinsichtig und unsensibel, sie kümmert sich um Dinge, mit denen ...

Es kommt vor: Man will eigentlich nur seine Arbeit machen, aber die vorgesetzte Person lässt das nicht zu: Sie ist unwissend, unfähig, uneinsichtig und unsensibel, sie kümmert sich um Dinge, mit denen sie sich eigentlich nicht befassen muss, redet immer rein und weiß alles besser. Kurz: So einen Chefin braucht niemand wirklich - das ist nicht nur nervig, sondern oft auch sehr unproduktiv. Anonymous hat so einen Chef - allerdings ist es in diesem Fall der 45. Präsident der USA, was bedeutet, dass nicht nur Anon und die anderen Mitarbeitenden darunter leiden, sondern es im schlechtesten Fall Auswirkungen auf die ganze Welt hat.

Aus diesem Grund, als titelgebende Warnung, hat Anonymous diesen Bericht verfasst, der zunächst als Essay in der New York Times und später als weitaus längeres Exposé als Buch erschien. Wer ist Anon? Bekannt ist nur, dass es sich um einen (oder mehrere, auch hier siehe
) Menschen handelt, der unter Trump im Weißen Haus arbeitet, und zwar in einer durchaus wichtigen Rolle (das legen die Details nahe).

Anon beschreibt den "alltäglichen Wahnsinn" der Ära. Vieles ist bereits bekannt, einiges neu. Staatstragende Geheimnisse werden hier nicht ausgeplaudert, ist aber auch gar nicht nötig. Vielmehr geht es um den Alltag, darum, womit die Angestellten tagtäglich beschäftigt sind: Statt ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen, das Land gut zu regieren, sind sie vorrangig damit beschäftigt, das Chaos aufzuräumen, das ihr oberster Boss mit schöner Regelmäßigkeit hinterlässt. Das wirklich Wichtige bleibt dabei liegen, auch kann man sich kaum vorbereiten, da die meisten von Trumps Handlungen impulsiv und Außenstehenden meist unbekannt sind. Wie gesagt, soweit nichts Neues.

Neu ist dann allerdings doch die Stimme selbst. Es handelt sich um keinen außenstehenden Beobachter, keinen auf Sensationen und Skandale getrimmten Journalisten, keine Person, die mit Trump noch eine Rechnung offen hat - nicht, dass ich derartige Beurteilungen vornehmen würde, aber sie werden ja dennoch oft zur Relativierung der bisherigen Publikationen genutzt. Nun, Anon ist einer aus dem Inner Circle - ein konservativer, republikanischer Regierungsmitarbeiter, der einfach nur seinen Job gut machen möchte, dies aber aufgrund bereits erwähnter Umstände nicht kann. Und der befürchtet, dass sein Land eine weitere Regierungsperiode unter diesem Präsidenten vielleicht nicht überleben würde.

Das alles ist gut geschrieben, gut erzählt und weitaus mehr als stumpfes Aufzählen von Fakten - Anon bedient sich altertümlicher Philosophie und Staatskunde, um den Präsidenten Trump zu beurteilen. Die so illustrierten Vergleiche zeigen nicht nur den intellektuellen Background und die Wichtigkeit von Anons Anliegen (da hat sich jemand richtig Gedanken gemacht!), sondern sprechen inhaltlich auch überraschend gut für sich.

Wenn das alles unterm Strich nicht so traurig wäre, würde ich fast sagen, das Buch hat Spaß gemacht. Inhaltlich war eher das Gegenteil der Fall - und gegen Ende wurde es fast schon gespenstisch: Das Buch ist im November 2019 entstanden, und Anon sagt an einer Stelle, dass die USA ja noch halbwegs glimpflich davon gekommen sind, weil Trump in seiner Regierungszeit noch keine richtig große Krise von nationalem Ausmaß durchstehen musste. Nun ja...

Solltet ihr zur Vorbereitung auf die US-Wahl im November noch ein wenig was zum Thema lesen wollen: Dieses Buch hier ist auf jeden Fall empfehlenswert.

* Die wahre Identität von Anonymous ist unbekannt, sodass ich in diesem Text der Einfachheit halber das generische Maskulinum. Es kann aber auch genauso gut eine Frau oder - mein persönlicher Tipp - eine (kleine) Gruppe sein, vielleicht ein Duo oder Trio.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Ein wichtiges, aufwühlendes Buch

Meine dunkle Vanessa
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Auf zwei Zeitebenen erzählt Vanessa die Geschichte ihrer ersten und so ziemlich einzigen "Liebe": Wie sie im Alter von 15 Jahren in den Bann ihres damals 42-jährigen Englischlehrers Strane geriet, wie ...

Auf zwei Zeitebenen erzählt Vanessa die Geschichte ihrer ersten und so ziemlich einzigen "Liebe": Wie sie im Alter von 15 Jahren in den Bann ihres damals 42-jährigen Englischlehrers Strane geriet, wie sie eine geheime, aber wundervolle "Liebeaffäre" hatten (sie war schließlich etwas Besonderes) und wie sie viele Jahre später immer noch Schwierigkeiten hat, dieses ganze Chaos beim richtigen Namen zu nennen - Missbrauch, Vergewaltigung - selbst nachdem andere Mädchen sich dazu geäußert haben.

Wie beginnt eine solche "Beziehung"? Wie kann sie jahrelang weitergehen? Warum hat es niemand bemerkt oder, falls doch, gestoppt? Und warum kann (wird?) Vanessa sich selbst nach all den Jahren nicht als Opfer betrachten, selbst nachdem sie es wissen muss? Warum beschützt sie immer noch ihren Peiniger? Das waren die ersten Fragen, die ich von Anfang an hatte. Weitere folgten beim Lesen. Und wow, dieses Buch hat jeden einzelne von ihnen auf höchst befriedigende Weise beantwortet. Ich hab's gesehen, gelesen und verstanden. So wird's gemacht.

In gewisser Weise ist dieses Buch der perfekte Begleiter zu Lolita (es wird nicht nur mehrmals Bezug darauf genommen, es ist auch ein wiederkehrender Teil der Handlung). "Vanessa" erzählt eine sehr ähnliche Geschichte, nur diesmal aus der Sicht von Lo (Vanessa). Für die 15-Jährige, die sich von ihrer besten Freundin verlassen und betrogen fühlt, ist die Aufmerksamkeit ihres Lehrers Grund zur Freude. Er ist derjenige, der sie versteht und sie so sieht, wie sie wirklich ist: Etwas Besonderes, jemand, der klüger und älter ist als es ihre Lebensjahre erahnen lassen, eine dunkle Romantikerin wie Strane selbst. Und so beginnt er das "grooming" seines Opfers.

Dieses Buch bietet viele Einblicke und Perspektiven. Obwohl Vanessa unsere einzige Erzählerin ist und sie ziemlich unzuverlässig ist, bekommen wir mehr Wahrheit aus ihrer Geschichte, als man erwarten könnte. Schon als Teenager hat sie ihre Zweifel und ihre Zurückhaltung, aber Strane dämpft sie. Wie? Durch Manipulieren, "gaslightning" und/oder Lügen.

Strane ist jedoch nicht so wahnhaft (in seiner Rolle) wie Lolitas Humphrey. Er weiß sehr genau, was er tut und warum - und dass es nicht gut ist. Das macht ihn nicht zu einem einseitigen Bösewicht, sondern zu einem anderen verstörten Charakter, der schreckliche Dinge tut. Er benutzt sogar sein eigenes schlechtes Gewissen, um Vanessa näher an sich zu binden (lahme Ausreden wie "Ich weiß, das ist nicht richtig, aber was soll ich tun, du bist meine Seelenverwandter, oh weh ist mir").

Währenddessen sinkt Vanessa immer tiefer in eine Falle, aus der sie nicht ausbrechen kann. Was von ihrem Leben gehört ihr schließlich noch? Ist sie die Illusion oder lebt sie sie? Eines ist schon sehr früh klar: Die erwachsene Vanessa ist eine unruhige Figur, die sich im Leben nie wirklich selbst gefunden hat. Und wir alle wissen, wer schuld ist - warum sieht sie es nicht?

Ja, das ist ein frustrierendes Buch. Und mehr noch: Ich fühlte mich beim Lesen sehr, sehr unwohl. Die gute Art von Unbehagen: Es ist schon eine Weile her, dass mich ein Buch emotional so erschüttert hat. Um ehrlich zu sein, kann ich mich nicht einmal an das letzte Mal erinnern, als ich beim Lesen kleine Pausen einlegen musste (keine langen Pausen, nur kurze Atemzüge), um mich auf das vorzubereiten, was als nächstes kommen würde.

Dieses Buch ist also nicht jedermanns Sache. Es ist keineswegs eine lustige, schöne Lektüre - dies ist alles andere als "klassisches" Strandlesematerial. Wer jedoch echte Geschichten mag, die dahin gehen, wo es wirklich weh tut, die echte Charaktere und sehr gutes Schreiben bieten, sollte dieses Buch zur Hand nehmen. Es ist es wert. Außerdem müssen Stimmen wie die von Vanessa - obwohl sie fiktiv ist - gehört werden. Das ist vielleicht nicht immer bequem für die Lesenden, aber es ist extrem wichtig.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Gut gemacht, aber nicht für mich

Flexen in Miami
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Hier haben wir es leider mal wieder mit einem "mismatch" zu tun - dieses Buch und ich, das passt einfach nicht. Und dabei erkenne ich durchaus an, was Joshua Groß auf- und durchzieht - aber das war nicht ...

Hier haben wir es leider mal wieder mit einem "mismatch" zu tun - dieses Buch und ich, das passt einfach nicht. Und dabei erkenne ich durchaus an, was Joshua Groß auf- und durchzieht - aber das war nicht meins. Ich habe mich beim Lesen tatsächlich hier und da schlicht zu alt für dieses Buch gefühlt - und ne, das war nicht so schön.

Kurz mal zum Inhalt: Es geht hier um Joshua (aha!), einen typischen Vertreter der Millennial-Generation. Er erhält, aus unbekannten und unerklärlichen Gründen ein Stipendium für eine Stelle in Miami, inklusive coolem Appartement. Die dahinter steckende Firma bleibt genau so ein Mysterium wie die Frage, was Joshua eigentlich machen soll. Versorgt wird er per Drohne, mit allem, was wichtig ist: Geld, Essen (in Form von Astronautennahrung) und jeder Menge Weed. Life's a beach?

Nicht so ganz, denn die Langeweile und Unwissenheit treibt den Protagonisten zur Recherche, dessen Ergebnis ein mehr als nur einnehmendes Computerspiel ist. Dort verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Realität - und nur dort? Durch Zufall lernt Joshua dann Claire kennen, doch die Beziehung der beiden ist und bleibt unschlüssig und unstet. Den Reigen verschwommener Charaktere ergänzen Jellyfish P. und Hajo, ersterer ein berühmter Rapper und Ex von Claire, letzterer seine fürsorgliche rechte Hand. Joshua und Jellyfish freunden sich an und gehen auf Reisen auf "gewöhnliche", sprituelle und schließlich virtuelle Art. Wo geht's zum echten Leben zurück? I lost track...

Die ganze Welt hier ist weird und strange und nun ja - ich bin von Anfang an nicht wirklich gut reingekommen, und es wurde leider auch nicht besser. Die Sprache ist sehr überdehnt, wobei: Teilweise waren ein paar wirklich schöne Sätze, Formulierungen und Gedanken dabei. Leider gingen die meist in diesem omnipräsenten Grundrauschen der hippen, coolen Welt unter oder wurden von ihr überlagert. Respekt, das so durchzuziehen, mir war es zu viel.

Dabei liegen Vergleiche natürlich auf der Hand (letztlich sogar mehr, als mir lieb war). Ich fand Allegro Pastell von Leif Randt ja wirklich toll, und auch hier lebten die Ich-bezogenen Millenials (Tanja und Jerome, ich werd euch nie vergessen!) in ihrer eigenen, ätzenden Nerv-Blase. Aber trotz allem war mir das weitaus "angenehmer", es hat mir mehr Spaß gemacht. Hauptgrund hierfür ist vermutlich die Realität, die in "Allegro" doch deutlich präsenter ist. Joshua und Claire (und ihre merkwürdige Welt) haben mich weit weniger erreicht. "Miami" liest sich sich in einigen Belange ähnlich, aber weitaus weniger unterhaltsam, eher nerviger.

Außerdem kamen mir beim Lesen immer wieder andere Vergleiche in den Kopf, die mich abgelenkt haben. Beim allumfassenden Computerspiel, das sich auch in der Realität auswirkt, habe ich an Erebos gedacht, bei jedem Drohnen-Cameo und natürlich dem Kühlschrank jedes Mal an QualityLand. Auch hier wieder: Kann das Buch nichts für, hat ihm aber auch nicht dabei geholfen, in meiner Gunst zu steigen. Außerdem bin ich kein großer Fan von Quallen, die hier quasi das verbindende Element darstellen ;) Da kann man sicher viel drüber sprechen und spekulieren, ebenso wie über die Auflösung zwischen Realität und virtueller Welt, über Überwachung und Verfolgung, über Klarheit und Verblendung - wem's Spaß macht, nur zu, aber ich bin raus.

Kurzum also: Gut gemacht, aber nicht für mich. Sprachlich ist es mir zu drüber, inhaltlich war es mir zu konfus. Ich habe mich in diesem Buch nicht wirklich gut zurecht gefunden (ich sag ja, zu alt...) und glaube nicht, dass auf Dauer viel hängen bleibt.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Deutliche Forderungen, klug argumentiert

Ihr habt keinen Plan, darum machen wir einen!
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Acht junge Menschen stellen hier ein Bündel an Forderungen für die Rettung der bzw. ihrer Zukunft vor. Natürlich geht es um Klima und Umweltschutz, aber auch Themen wie Demokratie(stärkung), Digitalisierung, ...

Acht junge Menschen stellen hier ein Bündel an Forderungen für die Rettung der bzw. ihrer Zukunft vor. Natürlich geht es um Klima und Umweltschutz, aber auch Themen wie Demokratie(stärkung), Digitalisierung, soziale Gerechtigkeit, menschenwürdiger Umgang mit allen Menschen und vieles andere mehr - also alles Probleme, die diesen jungen, engagierten, klugen und wortgewandten Menschen unter den Nägeln brennen und die sie angehen möchten, am liebsten hier, jetzt und sofort - und die von denen, die das Sagen haben, ihrer Meinung nach viel zu lange ignoriert und/oder kleingeredet wurden.

Entsprechend sind auch die Forderungen sehr deutlich, unmissverständlich und teils fast schon provokant. Aber das soll auch so: Im Nachwort erklären die jungen Menschen, dass sie sehr genau wissen, dass nicht alles genau so umsetzbar ist, zumindest teils nicht in dem geforderten Zeitrahmen. Aber sie haben nunmal keine Zeit zu verlieren, schon gar nicht damit, halbgare Kompromisse auszuhandeln, stattdessen: aim high. Immer genau dahin, wo es wehtut, vielleicht merkt dann ja wer was...

Ob diese Ausrichtung hilfreich ist, sei dahingestellt - in einer Welt, in der Gretawitze für viele zum guten Tom zu gehören scheinen und Rezensent*innen ihre Abwertung dieses Buches mit hilfreichen Kommentaren à la "Wenn ihr auf diesen Gendermist verzichtet hätte, wäre das Buch deutlich kürzer und hätte CO2 gespart" (höhöhö) verzieren, scheinen die Fronten ziemlich erkaltet, und da wird ein derart direktes Pamphlet von der Generation "not gonna happen", die doch eigentlich als unterstützende Kraft gewonnen werden will und sollte, nicht zwingend mit offenen Armen empfangen. Aber herrje, dann müssen die halt mal ihre Base chillen und zuhören :D:D:D (Nein, ernsthaft, den jungen Leuten nur ihres Alters wegen aus Prinzip keine Stimme zu gönnen ist einfach engstirnig und blöd und dann kommt sowas wie Brexit dabei raus...)

Also ich hab's gern gelesen. Ich war bei sehr, sehr vielen Dingen ganz bei den jungen Menschen. Einige Forderungen wiederum gingen mir zuweit oder lagen außerhalb meiner Vorstellungskraft, aber hey, fair enough. Ich habe mich gut unterhalten gefühlt, bin motiviert und habe außerdem einige Zusammenhänge noch besser im Großen und Ganzen erkannt.

Junge, kluge Leute: Macht genau weiter so, ich höre euch weiter zu und mache weiter mit!