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Veröffentlicht am 11.04.2018

Düsterer Roman mit geschichtlichem Hintergrund

Die Toten
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Eine real überlieferte Videoaufzeichnung eines rituellen Suizids bildet die Ausgangslage von Christian Krachts neuem Roman die Toten. Menschliches Grauen ist zentral für das Thema des Textes, genauso wie ...

Eine real überlieferte Videoaufzeichnung eines rituellen Suizids bildet die Ausgangslage von Christian Krachts neuem Roman die Toten. Menschliches Grauen ist zentral für das Thema des Textes, genauso wie die mediale Verarbeitung desselben und nicht vergessen sollte man auch „den Glauben an das Unechte“.

Der Schweizer Regisseur Emil Nägeli ist eine Art One-Hit-Wonder der Filmbranche, verdankt er doch seinen internationalen Ruhm einem einzigen Meisterwerk. Bemüht um ein neues Projekt zieht es ihn zunächst nach Berlin, wo ihm unter anderem „Schrumpfgermane“ Heinz Rühmann sowie Hitler-Freund und NS-Finanzier „Putzi“ Hanfstaengel über den Weg laufen, er sich aber auch mit den Flimkritikern Siegfried Kracauer und Lotte Eisner befreundet. Vom UFA-Boss und Nazi Alfred Hugenberg erhält er das Kapital um eine Komödie zu drehen, eine Idee, die zum japanischen Gruselfilm mutiert, bevor das Projekt schliesslich ganz versandet. Auslöser dazu ist der bereits in Kinderjahren als Genie erkannte hohe japanische Misteriumsbeamte Masahiko Amakasu, der fanatisch nach Regisseuren aus dem ‚germanischen Kulturraum‘ rekrutiert, um die japanische Filmbranche auf ein internationales Level zu bringen.

In Krachts letztem Roman Imperium entwickelte sich lediglich der historische Kokovorismussektierer und Südseespinner August Engelhardt allmählich zum ‚Nagelkauer‘ bis hin zur Autophagie. In Die Toten greift dieses ‚Virus‘ nun weiter um sich, so dass so gut wie alle zentralen Figuren dazu neigen, sich die Fingerkuppen wund zu beissen. Das alles bleibt im Romangefüge letztlich psychologisch ‚unmotiviert‘. Eventuell liesse sich dieses Verhalten auf die Todesthematik zurückführen. Der durch das Nagen an den Fingerkuppen verursachte Schmerz diente dann buchstäblich der ‚Lebensversicherung‘. Andererseits offenbart und befördert diese Verhaltensweise aber auch wieder den letztlich unausweichlichen Zerfall. Damit erscheint dann die Namensgebund des Protagonisten durchaus motiviert und auch Nägelis Zuneigung in Kindertagen gegenüber seinem beisswütigen Kaninchen vermöchte dies zu erklären.

Stilistisch wartet der Text mit vielen vor allem japanischen Fremdwörtern auf. Auch spart Kracht bei der Kombination eines Namens mit einem Adjektiv den Artikel aus. So steht dann da: „Und gerührter Nägeli erfindet irgendeine Geschichte“. Allerdings zieht Kracht dies nicht konsequent durch und so soll etwa „der weltberühmte Schauspieler Charles Chaplin geehrt werden“. Trotz einiger sehr gekonnter Sprachbilder überzeugt der Stil also nicht abschliessend. Gelungene Beispiele wären etwa: Nägeli „erkennt in den verschwindenden weißen Würfeln abwechselnd Kleeblätter, Zylinder, Tränen, die Silben ve-ri-tas, als dämmere ihm, diese frostige, umgedrehte Neuauflage des aus der Kindheit vertrauten Bleigießens“. Ebenfalls geglückt ist, wenn wir über Nägeli erfahren: „er trug sein Nervenkostüm sozusagen außerhalb der Haut“ oder er „ein Nervenkostüm, das sich anfühlt, als sei es in ein Säurebad getaucht worden“ aufweist.

Auch inhaltlich bleibt letztlich schlicht zu viel unklar oder vage. Bereits der Deutungsvorschlag zum ‚Herumknabern‘ der Figuren an sich selbst ist im Roman zu wenig deutlich vorbereitet. Über die Bedeutung vieler Motive kann man nur rätseln. Bestenfalls werden sie im Text mehrfach aufgenommen, wie jenes einer rotbemalten Frau oder das von den violetten Bleistiften. Zur Farbsymbolik liesse sich vielleicht spekulieren, dass violett – es ist im Text auch die Farbe der Angst, eventuell der Todesangst – eine Verbindung zum Nicht-Erkennbaren, dem Transzendentalen herstellen soll. Dies wäre etwa plausibel, wenn man an das ausserhalb des menschlichen Sehspektrums liegende Ultraviolett denkt. Christian Krachts Die Toten lässt keine eindeutige Absicht oder Motivation erkennen – etwas was man von einem Autor einfordern sollte, bevor man ihm den Schweizer Buchpreis verleiht.

Veröffentlicht am 11.04.2018

Krimiklassiker vom Feinsten!

Mord im Orientexpress
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Geschrieben 1934 und immer noch ein Klassiker! Die spannenden Fälle von Agatha Christie fesseln die Leser bis heute und dies nicht ohne Grund. Aufgrund der Neuauflage anlässlich des Kinofilms, dachte ich ...

Geschrieben 1934 und immer noch ein Klassiker! Die spannenden Fälle von Agatha Christie fesseln die Leser bis heute und dies nicht ohne Grund. Aufgrund der Neuauflage anlässlich des Kinofilms, dachte ich es wäre an der Zeit das Werk nochmals eingehender zu betrachten.

Hercule Poirot hatte in Syrien einen Fall erfolgreich abgeschlossen als er in Istanbul den Orientexpress Richtung Calais besteigt. Der Zug ist aussergewöhnlich voll für diese Jahreszeit mit Menschen verschiedener Nationalitäten und Klassen. Nach kurzer Fahrt bleibt der Zug in einer Schneewehe stecken. Kurz darauf wird der Amerikaner Mr. Rachett in seinem Abteil erstochen. Der Mörder muss also mit im Zug sein, doch scheinbar haben alle Mitreisenden ein Alibi. Bei Poirots Ermittlungen stellt sich heraus, dass Rachett eine dubiose Vergangenheit hat. Der FAll wird immer komplizierter und verworrener. Am Schluss stellt sich aber nur eine Frage: Wer ist der Mörder im Orientexpress?

Es fällt einem schwer diesen packenden Krimi aus der Hand zulegen. Agatha Christie konstruierte einen so rätselhaften Mord bei dem man unbedingt wissen will, wie er ausgeht und zwar sofort. Der Fall ist so undurchdringlich und undurchsichtig, dass man ihn nicht durchschauen kann, wie es bei anderen Krimis zum Teil der Fall ist. "Mord im Orientexpress" bleibt spannend bis zum Schluss.
Agatha Christie schreibt in einem klaren, schnörkellosen Stil und verpackt dabei einen subtilen Humor der mit Spannung gepaart ist. Der Krimi kann allen Fans von Krimiklassikern herzlichst empfohlen werden.

Veröffentlicht am 28.03.2018

Social Media und Einsamkeit

Realitätsgewitter
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Julia Zange veröffentlicht beinahe zehn Jahre nach «Die Anstalt der besseren Mädchen» ihren zweiten Roman «Realitätsgewitter». Dieser bietet eine zeitgenössische Diagnose der Gesellschaft. Die Protagonistin ...

Julia Zange veröffentlicht beinahe zehn Jahre nach «Die Anstalt der besseren Mädchen» ihren zweiten Roman «Realitätsgewitter». Dieser bietet eine zeitgenössische Diagnose der Gesellschaft. Die Protagonistin Marla versucht ihren Platz im Leben zu finden, stösst dabei jedoch auf einige Hindernisse, die ihr vor allem die moderne Gesellschaft in den Weg stellt.

Wie findet man heute Freunde? Man nimmt sein Smartphone hervor, checkt auf Facebook welche Freunde auf welcher Party sind, geht dahin und findet dort noch mehr Freunde, die man bei Facebook hinzufügen kann. Freunde, die zumeist nur in der virtuellen Welt mit einem befreundet sind. So geht es auch Marla. Sie ist eine junge Studentin, die in Berlin lebt und nicht wirklich weiss, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Sie weiss nicht, was sie weiter studieren will und sie hat auch keinen Job. Ihre Familie steht ihr bei diesen wichtigen Entscheidungen, die sie als junge Frau zu treffen hat, nicht bei, sondern dient lediglich als Geldgeber. Marla fühlt sich einsam und wird sich selbst überlassen. Sie hat zwar ganz viele Freunde, zumindest laut ihrem Facebook-Profil, aber wenn sie jemanden zum Reden und Anlehnen braucht, steht ihr keiner bei. Alle sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt und damit unheimlich cool zu sein und jederzeit online erreichbar. Für wirkliche Konversation hat aber niemand mehr etwas übrig.

Julia Zange versucht ein Problem der modernen Gesellschaft aufzuzeigen, nämlich, dass neben diesem allzeit «Erreichbarsein» gar keine Zeit mehr da ist sich wirklich um die Menschen zu kümmern und richtig miteinander zu kommunizieren. Was dazu führt, dass die Menschen keine Unterstützung mehr finden und somit in ein tiefes schwarzes Loch der Einsamkeit fallen, wenn ihnen mal der Boden unter den Füssen wegrutscht oder wenn sie vor allem noch sehr jung sind und den Weg, den sie gehen möchten, noch nicht gefunden haben. Der Plot, den Zange dafür wählt, ist eher einfach gestrickt. Sie hat mit «Realitätsgewitter» einen weiteren Roman der Popliteratur auf den Markt gebracht, der zwar nett geschrieben ist, aber nicht wirklich viel zu bieten hat. Der Stil ist passend, aber es fehlt der Sprache an Witz und Einfallsreichtum, wie man dies etwa im jüngst erschienenen Debütroman „Wir Kommen“ von Ronja von Rönne finden kann. Nach so einer langen Pause zwischen Zanges erstem und zweitem Roman hätte man darauf gehofft, dass sie mehr zu bieten hat als einen einfach gestrickten Roman mit einer noch einfacheren Sprache.

Zange versteht es sich selbst zu inszenieren, wie es die heutige Szene der Popliteratur Szene verlangt und weiss auch wie sie zu Aufmerksamkeit kommt. «Realitätsgewitter» hat nicht wirklich wegen seiner selbst für Aufsehen gesorgt, sondern weil Julia Zanges Eltern offenbar versucht haben, eine einstweilige Verfügung gegen den Roman zu erwirken, zumal sie sich selbst darin portraitiert fanden. Ob dies wirklich so war oder lediglich der Publicity diente, wissen nur die Beteiligten selbst.

Der Roman empfiehlt sich vor allem jungen Leuten, die sich auch ein wenig verloren fühlen in der modernen Welt und sich nach richtigen Freunden sehnen und dient als perfekte Abendlektüre um zu entspannen. Beim nächsten Roman sollte sich Julia Zange jedoch ihren Schlusssatz «Das Leben ist zu kurz, um sich nicht anzustrengen» stärker zu Herzen nehmen.

Veröffentlicht am 28.03.2018

Sehr gelungener Erzählband

Lettipark
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Mit ihrem Erzählband «Sommerhaus, später» wurde Judith Hermann berühmt. Mit dem Erzählband «Lettipark» der 2016 im Fischer Verlag erschien, legt Hermann ein neues Werk mit kurzen Geschichten vor, mit denen ...

Mit ihrem Erzählband «Sommerhaus, später» wurde Judith Hermann berühmt. Mit dem Erzählband «Lettipark» der 2016 im Fischer Verlag erschien, legt Hermann ein neues Werk mit kurzen Geschichten vor, mit denen man sich auf Spuren des Lebens begibt.

Maude ist eine junge Kellnerin und Greta eine ältere Frau mit einem Faible für Bücher, sie bilden zusammen mit (anfänglich) anderen eine aussergewöhnliche Wohngemeinschaft. “Maude wohnt seit fast einem halben Jahr bei Greta. Sie hätte nicht geglaubt, dass sie so lange bleiben würde - wenn sie ehrlich ist hätte sie vermutet, dass es anstrengend sein könnte, mit Greta zusammenzuwohnen -, aber das halbe Jahr ist beinahe um, und bisher hat sie nicht darüber nachgedacht, sich ein anderes Zimmer zu suchen.” Aus einer Zweckgemeinschaft entwickelte sich eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen den beiden doch sehr unterschiedlichen Frauen. Judith Hermann bildet in dieser Geschichte ab, dass die junge Frau, die zum Ziel hat noch viel zu erleben und die Freiheit des Jungseins auszukosten, sich ungewollt emotional an die alte Frau bindet. Dies hat einen grossen Einfluss auf das Leben beider Frauen. Maude kann nicht mehr ganz entspannt verreisen, sie macht sich Gedanken wie Greta ohne sie zurechtkommt, im Gegenzug schätzt Greta die neu gewonnene Aufmerksamkeit, obwohl sie eigentlich eine erwachsene Person ist, die durchaus alleine zurechtkommt, denn vor einem halben Jahr war Maude auch noch nicht da. Aussergewöhnliche Freundschaften sind ein Kernthema in diesem Erzählband, sie werden immer wieder in anderer Form angesprochen und dargestellt, beispielsweise in den Erzählungen «Rückkehr» oder «Manche Erinnerungen». Es gibt aber auch Geschichten, wie Osten, in der sich die Hauptfiguren aus ihrer Komfortzone herausbewegen müssen, um neues zu entdecken und zu erleben.

Judith Hermann baut in ihre Geschichten immer wieder eine Kernpassage ein, die der Handlung eine Wendung gibt oder zumindest einen speziellen Aspekt hervorhebt. Sie bildet Sehnsuchtsorte ab, aber auch normale Alltagswelten, zum Teil auch in Verbindung zueinander und setzt irgendwo das Element, welches die Erzählung speziell macht. Die Geschichten sind in ihrer Aussage nie eindeutig, eher nebulös und 35 regen zum Nachdenken an.

Keine Geschichte ist wie die andere, dennoch sind sie sich im Aufbau sehr ähnlich, was ein wenig zu einer Monotonie führt, welche früher oder später in das Bewusstsein des Lesers eindringt und die Geschichten somit zum Teil vorhersehbar machen. Manchmal verliert Hermann sich ein bisschen in der Sprache und es entsteht ein Ton, der eher nach Plauderei als nach Erzählung klingt. Die Sprache an sich liest sich meist leicht und passt zu den Erzählungen.

Abschliessend kann gesagt werden, dass es Freude bereitet die kleinen Momentaufnahmen, die für die Figuren durchaus etwas grosses bedeuten können und zum Teil sogar ihr Leben enorm beeinflussen, zu lesen und zu erleben.