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Veröffentlicht am 12.09.2022

Eindringlich erzählte Gesellschaftsstudie

Nebenan
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TW: Häusliche Gewalt, unerfüllter Kinderwunsch/Fehlgeburt, Tod/Verlust

Inhalt:
Julia wünscht sich sehnlichst ein Kind und die langen Tage im dunklen Januar nutzt sie dafür, bei Instagram glückliche Vorzeigefamilien ...

TW: Häusliche Gewalt, unerfüllter Kinderwunsch/Fehlgeburt, Tod/Verlust

Inhalt:
Julia wünscht sich sehnlichst ein Kind und die langen Tage im dunklen Januar nutzt sie dafür, bei Instagram glückliche Vorzeigefamilien zu beneiden, ihrer Arbeit als Keramikerin nachzugehen und das seit den Weihnachtsferien leerstehenden Haus gegenüber zu beobachten, während ihr Mann Chris sich mit unzähligen Plastikteilchen befasst, die plötzlich in den umliegenden Gewässern aufgetaucht sind. Astrid wird zu einem rätselhaften Notfall gerufen, macht sich Sorgen um ihre alternde Tante und ihr Mann versucht, sich mit dem Leben als Pensionär zu arrangieren. Was hat es mit den vielen Geheimnissen auf sich? Und wie gut kennt man seine Nächsten wirklich?

Meine Meinung:
"Nebenan" stand seit seinem Erscheinen (respektive schon kurz vorher) auf meiner Wunschliste und da es nun auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht, habe ich einfach nicht mehr länger warten können und das Buch im Bloggerportal angefragt.
Mich hat von Anfang an die düstere Grundstimmung begeistert. Es ist Januar, es ist kalt, die Weihnachtstage und der Lichterglanz sind vorbei, Nebel liegt über den Feldern und einem verlassenen Haus. Hat jemand die Serie "Katla" gesehen? An diese Stimmung erinnerten mich die ersten Seiten dieses Buches. Da ich alle Rezensionen nur überflogen und auch den Klappentext nicht gelesen hatte, konnte ich anfangs überhaupt nicht einordnen, wohin mich die Geschichte führen würde. Auch nachdem ich das Buch vor einigen Tagen beendet habe, fällt es mir sehr schwer, das Gelesene und meine Meinung dazu in Worte zu fassen, obwohl mir dieses wirklich aussergewöhnlich erzählte Buch sehr gefallen hat.

Aufbau:
Zwei Frauen und ihre Geschichte stehen im Zentrum. Sie wohnen nicht weit voneinander entfernt, kennen sich aber nicht. Nach und nach zeigt sich, wie und wo sich ihre Leben berühren, wie sehr sie sich aber auch voneinander unterscheiden. Alle Fäden laufen in einem leerstehenden Haus zusammen, das Julias und Astrids Aufmerksamkeit auf sich zieht und bei dem immer wieder ein kleiner Junge auftaucht und nach jemandem zu suchen scheint. Darin soll eine Familie gelebt haben, die entweder sehr lange in den Urlaub gefahren oder überstürzt ausgezogen ist.
Während mir das Kinderwunschthema ein wenig zu sehr in den Vordergrund gerückt worden ist, hätte ich gerne noch viel mehr über Astrid und ihre alternde Tante erfahren. Ausserdem hat mich gefreut, wie über Astrids Beziehung zu ihrer ehemaligen besten Freundin Marli berichtet worden ist.
Besonders überzeugt hat mich, wie gut es Bilkau gelungen ist, so viele Themen zu streifen, ohne sich zu verzetteln oder oberflächlich zu wirken. Das Kinderwunschthema ist sehr präsent, aber es geht auch um die Umweltverschmutzung, die Fake-Welt von Social-Media, das Altern, Vernachlässigung, eine bewegte Familiengeschichte, Verlust, häusliche Gewalt, die Entfremdung von den eigenen Kindern oder guten Freund:innen sowie die Veränderungen in Freundschaften und Beziehungen.

Sprache:
Die anfänglich sehr mysteriöse Grundstimmung erzeugt Bilkau mit wenigen Worten. Es bleiben viele Leerstellen, einiges habe ich mir zusammengereimt und ich wäre am liebsten noch viel länger und tiefer in die beschriebenen Schicksale eingetaucht. Auch die Figuren und ihre Gedankengänge - allen voran natürlich Astrid und Julia - sind so beschrieben, dass ich ihre Ansichten und Gefühle sehr gut nachvollziehen konnte, obwohl diese beiden Leben und Lebensentwürfe mir persönlich sehr fremd sind. Diese einzigartige Sprache und das immer wieder vorkommende leerstehende Haus haben mich überzeugen und fesseln können und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen.

Meine Empfehlung:
"Nebenan" ist sicher kein Buch, das sich einfach so nebenher weglesen lässt und ich kann mir vorstellen, dass einige der beschriebenen Szenen Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch belasten können. Die einzigartige Sprache und das leerstehende Haus in der Nachbarschaft als Metapher für all die kleinen und grossen Unbekannten in unserem Leben machen das Buch aber zu einer lesenswerten, eindringlich erzählten Geschichte, die lange nachhallt.

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Veröffentlicht am 08.09.2022

Nicht ganz überzeugender zweiter Teil

Sommerzauber wider Willen
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Die Gourmetköchin Élise ist es, welche dem Snow-Crystal-Resort kulinarisches Leben einhaucht und mit der Idee eines Cafés für mehr Gäste sorgen will. Die Eröffnungsfeier des Cafés droht aber aufgrund eines ...

Die Gourmetköchin Élise ist es, welche dem Snow-Crystal-Resort kulinarisches Leben einhaucht und mit der Idee eines Cafés für mehr Gäste sorgen will. Die Eröffnungsfeier des Cafés droht aber aufgrund eines medizinischen Notfalls auszufallen, weshalb die ganze Familie zusammenkommt, um sich um eine Lösung zu bemühen. Auch der attraktive Sean reist trotz eines Familienzwists aus Boston an und weckt damit Erinnerungen an eine Sommerromanze bei Élise.

Meine Meinung:
"Sommerzauber wider Willen" ist der zweite Band der Snow-Crystal-Trilogie. Die Bände eins und zwei spielen im Winter/zur Weihnachtszeit und ich erinnere mich an die zauberhaften Beschreibungen, der darin vorkommenden Winterlandschaften, von Lichterglanz und Weihnachtsgebäck und habe mich deshalb schon sehr auf den Sommerband und diese ganz andere Atmosphäre gefreut.
Leider ist die aber bei mir nicht wie erwartet angekommen. Abgesehen davon, dass gewandert wird und dass Mountainbiketouren eine Rolle spielen, kam der Sommer in meinen Augen viel zu kurz. Ich habe lange Sommerabende unter freiem Himmel, das Zirpen von Grillen oder typische Sommergerichte aus Élises Küche vermisst. Auch wird sehr viel von der bald beginnenden Wintersaison erzählt und mit der steten Erwähnung des Namens "Snow Crystal" bleibt der Sommer halt auch irgendwie auf der Strecke...
Weiter hat mich die Entwicklung der Romanze zwischen Sean und Élise nicht ganz überzeugen können. Nachdem Elise aus einer toxischen Beziehung voller Gewalt geflohen ist, schützt sie sich selber, indem sie Sean immer wieder ausweicht. Dieser ignoriert ihr "Nein" und ihre Ablehnung konsequent und das wird insgesamt als äusserst romantische Eroberung einer eingeschüchterten Frau durch einen unzähmbaren Helden dargestellt. Alles hätte so schön sein können, wenn Sean Élise mehr Zeit und Raum gegeben hätte. So aber war das ebenfalls toxisch und das geht in meinen Augen gar nicht.
Es kann gut sein, dass ich ähnliche Untertöne in den anderen beiden Bänden überlesen habe, ich war diesbezüglich auch noch nicht so sensibilisiert. Es kann aber auch einfach sein, dass dieser Band der schwächste der Reihe ist und so nie hätte aufgelegt werden sollen. Oder zieht die Masche des rücksichtslos erobernden Muskelprotzes irgendwie immer noch? Sind wir nicht weiter?
Gefallen haben mir aber die Beschreibungen von Élises Kochkünsten, die hätten ruhig noch viel mehr ins Detail gehen können. Auch die anderen Figuren, allen voran Seans Mutter und Oma, haben mein Herz erwähnen können. Es hat sich - aller Kritik zum Trotz - wie ein Nachhausekommen in die Wärme einer liebenden Familie angefühlt.

Mein Fazit:
Leider kann ich diesen zweiten Band nicht wirklich empfehlen und ich hätte das Vervollständigen der Trilogie nicht angehen, sondern den ersten und dritten Band in guter Erinnerung behalten sollen. Schade, dass hier Verlage nicht aufmerksamer sind. Immerhin hat sich Sarah Morgan als Autorin sehr entwickelt, ihre aktuellen Bücher sind viel differenzierter, realistischer und auch tiefgründiger geschrieben und damit sehr lesenswert.

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Veröffentlicht am 28.08.2022

Ein alles verändernder Sommer, Freundschaft, Liebe und Vertrauen

Der große Sommer
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Inhalt:
Nachdem Frieder das Schuljahr nicht bestanden hat, stehen für ihn nicht Familienferien am Meer an, sondern Nachprüfungen und davor ein Sommer bei seinen Grosseltern und anspruchsvolle Lerneinheiten ...

Inhalt:
Nachdem Frieder das Schuljahr nicht bestanden hat, stehen für ihn nicht Familienferien am Meer an, sondern Nachprüfungen und davor ein Sommer bei seinen Grosseltern und anspruchsvolle Lerneinheiten und Lebenslektionen. Im Schwimmbad trifft er ausserdem auf Beate und die abendlichen Ausflüge mit seiner Schwester Alma und seinem besten Freund Johann werden immer abenteuerlicher.

Meine Meinung:
Nachdem mich "Alte Sorten" von Ewald Arenz vor bald zwei Jahren begeistert hat, wollte ich unbedingt auch "Der grosse Sommer" lesen und habe dafür das Erscheinen der Taschenbuchausgabe abgewartet (damit die Bücher im Regal gut zusammenpassen). In den letzten Tagen habe ich mich auf den kommenden Herbst gefreut und die kühlen Sommermorgen und die letzten langen Sonnentage - mit durchaus angenehmeren Temperaturen als noch vor zwei Wochen - so richtig ausgekostet. Dabei habe ich mich von "Der grosse Sommer" verzaubern und berühren lassen. Es hat mich überzeugt, wie die Figuren beschrieben sind und die Freundschaft zwischen Frieder, Johann, Alma und Beate hat mich an unbeschwerte Erlebnisse in der Jugend und an mehr und weniger gefährliche und verbotene Abenteuer und Ausflüge erinnert.
Ausserdem werden die unterschiedlichsten Gefühle geweckt und neben der Freundschaft dieser jungen Menschen hat auch der Tod einen Gastauftritt in der Geschichte. Trauer, Vertrauen, Verlassenheit, Selbstständigkeit und immer wieder die Liebe werden zum Thema in diesem Buch. Vor allem die Liebesgeschichte von Frieders Grosseltern - respektive seiner leiblichen Oma und deren Mann, dem auf den ersten Blick mürrischen, strengen und überkorrekten Mann, dem Stiefvater seiner Mutter, den er "Grossvater" nennen muss - hat als schöne Neben- und Rahmenhandlung fungiert und einmal mehr hat Ewald Arenz aufgezeigt, dass Menschen oft viel mehr sind als ein erster Eindruck uns zu suggerieren vermag.

Schreibstil:
Flüssig und leicht mit einer melancholischen Note erzählt Arenz diese Geschichte, die sowohl äusserst humorvoll und sommerlich als auch intelligent und tiefgründig erzählt ist. Vier Freund*innen, die zwischen Jugend und Erwachsensein schweben und die in den Achtzigerjahren aufwachsen und entsprechend fast unendliche Freheiten, aber auch nicht immer sehr viel Unterstützung von ihren erwachsenen Bezugspersonen erleben, sind einander der grösste Halt im Leben. Diese überbordenden Gefühle, die jugendliche Sprache und die sanft in die Geschichte eingewobenen Lebensweisheiten machen das Buch zu einem ganz besonderen Leseerlebnis.

Meine Empfehlung:
Tatsächlich kommt "Der grosse Sommer" in meinen Augen nicht ganz an "Alte Sorten" heran, Ewald Arenz ist aber eine packende, sehnsuchtsvolle Geschichte über die erste Liebe, einen nie enden wollenden (und sollenden) Sommer, über eine aussergewöhnliche Familie und eine tiefe Freundschaft gelungen. Von mir gibt es eine herzliche Empfehlung für dieses bewegende Buch mit Sorgwirkung.

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Veröffentlicht am 21.08.2022

Sehr unterhaltsam und wunderschön beschrieben

Vier Frauen und ein Garten voller Glück
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Inhalt:
Nach einer zerbrochenen Beziehung will Juli nur noch weg aus ihrer Heimat Stuttgart, wo ihre Mutter Polly und deren beiden besten Freundinnen Lissi und Martha wohnen und wo Juli den grossen Garten ...

Inhalt:
Nach einer zerbrochenen Beziehung will Juli nur noch weg aus ihrer Heimat Stuttgart, wo ihre Mutter Polly und deren beiden besten Freundinnen Lissi und Martha wohnen und wo Juli den grossen Garten sowie eine eigene Wohnung für sich hat herrichten dürfen. Seit ihrer Trennung tourt sie deshalb als persönliche Assistentin mit dem berühmten Opernsänger Sascha Jakov durch die Welt und erlebt diesen Star dabei ganz nah...
Doch Juli vermisst die drei älteren Damen und den wunderschönen Garten und freut sich schon sehr darauf, ihrer Heimat bald wieder einen Besuch abzustatten. Die drei älteren Damen haben dabei jedoch ganz eigene Pläne mit Juli und das Chaos sowie einige Irrungen und Wirrungen sind vorprogrammiert.

Meine Meinung:
Dieses Buch habe ich nur aufgrund des Covers und des Titels angefragt, Bücher mit Garten entführen mich immer in eine wunderschöne Landschaft und auch hier wurde ich diesbezüglich nicht enttäuscht.
Habt ihr übrigens die kleine Katze auf der Bank bemerkt? Das ist Elvis, er ist leider seit Beginn der Geschichte verschwunden und wird sehr vermisst und intensiv gesucht. Diese Suchaktionen verhelfen den drei Frauen in der Villa zu abendlichen Spaziergängen und einigem an Gesprächstoff, was sehr gut zur Geschichte passt. Ich habe mich wunderbar unterhalten gefühlt, aber es kommen auch ernstere Themen auf, beispielsweise Pollys zunehmende Vergesslichkeit und die daraus entstehenden Folgen für die Frauengruppe. Auch wird es stellenweise romantisch, aber alle romantischen Anflüge bleiben eher nebensächlich und die Freundschaft, Zusammengehörigkeit und die Organisation der Frauen-WG bleiben im Mittelpunkt.
Insgesamt haben mir darum die Geschichte und darin vor allem die wunderschön beschriebene Landschaft, der Garten, die vielseitigen Figuren und die Liebe zu Stuttgart, die man der Autorin gut anmerken kann, sehr gut gefallen. Weniger gut gefallen haben mir eine Verwechslung, die einfach zu provoziert und offensichtlich war, sowie einige sehr vorhersehbare Missverständnisse beim Identifizieren von Pflanzen (mehr sage ich nicht dazu). Die Grundstimmung und die Figuren haben mich aber für sich eingenommen und ich würde sofort wieder nach Stuttgart reisen und gerne noch viel mehr Düfte, Pflanzen und Stimmungen aus und in diesem Garten erleben.

Erzählsprache:
Die Figuren sind absolut realistisch beschrieben und alle haben ihre eigenen Sorgen und Ängste und ihre Macken, aber auch Charakterzüge, welche sie sehr liebenswert machen. Einzig Martha ist in meinen Augen manchmal ein wenig zu gemein zu ihren Freundinnen.
Auch hat mir Julis Alltag als persönliche Assistentin eines Startenors sehr gut gefallen. Die Musikwelt und die beschriebenen Arien, Opern und Bühnensituationen sind sehr realistisch dargestellt und ihr wisst, dass ich da immer ein wenig kritisch bin.
Sehr schön waren auch die Beschreibungen des Gartens, da hätte ich gerne noch viel mehr Stimmungen und innere Bilder "serviert" bekommen.
Am Anfang dauert es meiner Meinung nach zu lange, bis die Geschichte ins Rollen kommt. Als hätte die Autorin Anlaufschwierigkeiten gehabt und die ersten 100 Seiten ziehen sich deshalb ein wenig. Nachher aber fliesst die Geschichte nur so dahin und ich werde Lucinde Hutzenlaub auf jeden Fall im Auge behalten.

Meine Empfehlung:
Für mich war diese schöne Frühlingsgeschichte eine leichte und äusserst unterhaltsame Flucht aus meinem turbulenten Alltag und dem aktuellen Hitzesommer. Von mir gibt es trotz kleiner Kritikpunkte eine herzliche Empfehlung.

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Veröffentlicht am 13.08.2022

Traurig, poetisch, zart und verletzlich erzählt und trotzdem hoffnungsvoll

Dry
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Inhalt:
Christine Koschmieder erzählt die Geschichte ihrer Jugend in Leipzig, ihrer Familie und ihrer grossen Liebe. Sie schreibt vom Tod ihres Mannes, vom Trinken und Aufhören, der Sucht, der Ohnmacht ...

Inhalt:
Christine Koschmieder erzählt die Geschichte ihrer Jugend in Leipzig, ihrer Familie und ihrer grossen Liebe. Sie schreibt vom Tod ihres Mannes, vom Trinken und Aufhören, der Sucht, der Ohnmacht als alleinerziehende Mutter und als immer wieder verlassene Tochter. Und ausserdem von Freundschaft, Liebe, Glück und Hoffnung.

Meine Meinung:
Dieses Buch habe ich nicht in unsere Ferien mitgenommen, weil ich als Erscheinungstermin den 17.8. im Kopf hatte und das Buch also direkt nach unserem Urlaub lesen wollte. Hätte ich es doch nur mitgenommen, spielt es doch mehrheitlich in Leipzig und ich habe nachgeschaut: ich bin an den meisten erwähnten Orten gewesen/vorbeigegangen oder war in unmittelbarer Nähe davon, was mir beim Lesen mehrmals Gänsehaut beschert hat.
Das im Buch vorherrschende Gefühl ist eine Mischung aus Aufbruchstimmung und einer tiefen Traurigkeit. Immer wieder war ich zu Tränen gerührt ob der beschriebenen Szenen und Schicksale und ich konnte das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Scheinbar immer gelingt es der Protagonistin in dieser autofiktionalen Erzählung, auch noch den widrigsten Umständen zu trotzen, irgendwie weiterzumachen und sich selber und nach und nach auch ihre Kinder über Wasser zu halten. Doch dies gelingt nur mit Alkohol, mit Mustern, die ihr selber vorgelebt worden sind und immer dann, wenn es gerade wieder scheint, als wäre ein nächster Hügel erklommen, kommt auch schon der nächste Abgrund. Ich kann mir die enorme Stärke und Entschlossenheit gar nicht vorstellen, die vonnöten sind, sich selber - mitten in einer Pandemie - in eine Suchtklinik einzuweisen und dann noch auf Social Media aus diesem neuen Alltag zu berichten.

Erzählsprache:
"Dry", das sind Erinnerungen und Metaphern und sie sind so erzählt, wie der ganze Anfang des Buches, welcher sich mit dem Leben als junge Erwachsene, der ersten Liebe, dem ersten Kind, dem Krebstod des geliebten Mannes und dem weiteren Familienalltag befasst und auch in die eigene Kindheit und Jugend blicken lässt: nämlich Episodenhaft und aus einzelnen Fragmenten bestehend, manchmal ganz nahe am Geschehen dran, manchmal mit Abstand auf die Figuren blickend und sich letztendlich zu einem trüben Mosaik mit einzelnen Lichtblicken zusammensetzend. Die Sprache ist sanft und zart und sehr poetisch, Koschmieder deutet oft nur an, umschreibt und webt so langsam ein dichtes Netz aus Gefühlen, aus Bildern, aus dicken und dünnen Fäden, welche die Geschichte und ihre Figuren tragen. Sie macht sich damit enorm angreifbar, verletzlich und lässt sehr tief blicken in ein Leben, einen Alltag, der so oder ähnlich ihr Leben und ihr Alltag ist und war.

Meine Empfehlung:
"Dry" hat mir sehr nachdenklich und traurig stimmende Lesestunden beschert, mich gefesselt, immer mal wieder zum Schmunzeln gebracht und mir auch Hoffnung gegeben. Diese zarte, verletzliche Geschichte ist sicher keine leichte Kost, von mir gibt es aber eine sehr herzliche Empfehlung für dieses aussergewöhnliche Buch.

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