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Veröffentlicht am 13.07.2019

Schräge Schweden-Oma

Meine Oma badet in Kaffee
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Eine wundbar erfrischende Feriengeschichte mit Hund und Oma, aber ebenso über Freundschaft, Zusammenhalt und das Sich-Verlieben
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Die neunjährige Ellie aus Berlin verbringt schon seit Jahren immer ...

Eine wundbar erfrischende Feriengeschichte mit Hund und Oma, aber ebenso über Freundschaft, Zusammenhalt und das Sich-Verlieben
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Die neunjährige Ellie aus Berlin verbringt schon seit Jahren immer einen Teil der Sommerferien bei ihrer agilen und liebenswürdigen verwitweten Oma in Schweden. Doch dieses Mal haben die Ferien einen hohen Abenteuerwert. Als erstes darf sich Ellie ein Hundewelpen beim Nachbarn Herrn Jensson ihrer Oma aussuchen: Ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk. Wolke soll er heißen. Und dann lernt Ellie auch noch den etwa gleichaltrigen Erik kennen, der der Enkel des Nachbarn Herr Jensson ist. Auch Erik bekommt einen kleinen Hund, Titus. Schnell freunden sich die beiden Kinder an und erleben mit ihren jungen Hunden gemeinsam unbeschwerte und aufregende Tage in dem kleinen schwedischen Ort.
Für Ellie ist Erik nicht nur nett, nein, er ist auch 'süß'. Auch ihre Oma sieht in Herrn Jensson auf einmal nicht nur den Nachbarn, nein, sie verliebt sich in ihn. (Herrlich!)
Und wir sind hier in Schweden! Hier sind die Tage im Sommer noch mal um einiges länger sind als bei uns. So freut sich jeder auf das „Midsommar-Fest“, für das jeder Bewohner etwas anderes vorbereitet. Leider aber wird die Feierlaune etwas getrübt, denn Wolke und Titus geraten in Gefahr. Aber zum Glück gibt es die pfiffige Oma, die schnell zur Hilfe ist.

Die Geschichte über Ellies Ferienerlebnisse bei ihrer lustigen, liebenswürdigen und schrägen Oma ist in einer frischen und zeitgemäßen kindgerechten Sprache geschrieben. Das Buch ist mir einem Umfang von 120 Seiten ideal für Leseanfänger. Aufgrund der kurzen Sätze kann man flüssig lesen und sich bestens auf den Inhalt konzentrieren. Es wird aus der Perspektive von Ellie geschrieben, so dass man eine irre Nähe zu dem quirlig-munteren Mädchen entwickeln kann. Die 18 relativ kurzen aufeinander aufbauenden Kapitel helfen, Lesepausen sinnvoll anzusetzen. Das Buch bewirkt aufgrund der vielen treffenden, prägnanten und netten Dialoge ein hohes Grad an Lebendigkeit und Authentizität. Die Charaktere sind sehr gut gezeichnet, so dass man leicht Sympathie-Punkte verteilen kann. Und die Oma ist echt der Knüller, so eine Power-Oma ist doch der Traum eines jeden Enkelkindes. (Das meine ich jedenfalls.) Und was das mit dem 'Baden in Kaffee' auf sich hat – das sollt Ihr selber lesen.

Das Buch ist eine absolute Sommerleseempfehlung. Schon im Prolog lädt Ellie den Leser ein, mit ihr nach Schweden zu fahren. Und so ist man als Leser quasi mit dabei, wenn Ellie die Zeit um den „Midsommar“ in Schweden erlebt. Es ist ein Buch über Freundschaft und zarte Liebe im Alter und in jungen Jahren. Mir hat das Buch sehr gut gefallen, da ich zudem „Kopfkino“ erleben konnte. Auch der Schluss stimmte mich sehr zufrieden, denn was wäre Schweden ohne Elche!
Deshalb: Unbedingt schmökern und Schwedenfeeling 'erlesen'!

✶ ✶ ✶ ✶ ✶

Veröffentlicht am 10.07.2019

Auf Augenhöhe mit Ziege, Kuh und Hund

Bergsommer
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Kein Kitsch, nicht spektakulär – einfach nur das Leben (er)leben, wie es kommt, einfach wunderbar!
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Katharina Afflerbach ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau in einem Unternehmen, bei dem ...

Kein Kitsch, nicht spektakulär – einfach nur das Leben (er)leben, wie es kommt, einfach wunderbar!
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Katharina Afflerbach ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau in einem Unternehmen, bei dem der Alltag von ständigen Terminen wie Meetings, Konferenzen und Geschäftsreisen diktiert wird. Als ihr eines Tages dieses „Hamsterrad“ zu viel wird, beschließt sie radikal auszusteigen. Nachdem sie schon immer gerne Urlaub in den Alpen gemacht hat, beschließt sie, das Leben auf einem Bergbauernhof kennenzulernen und dort als Sennerin vier Monate in der Sommersaison zu arbeiten. 2014 kündigt sie ihre Stelle als Marketingdirektorin einer Hotelkette, ihre Wohnung in Köln sowie ihren Yogakurs-Vertrag. Nachdem sie das Bauernleben auf einem Bauernhof in Südtirol getestet hat, kommt sie schließlich zur fünfköpfigen Familie Aeby, die eine Alp, die Salzmatt, auf 1640 Meter Höhe in der Schweiz bewirtschaftet.
Katharina wird nun in voll in den Arbeitsalltag eingebunden und lernt, dass das Leben hier in erster Linie von äußeren Bedingungen vorgegeben wird: Wind und Wetter, aber ebenso die Tiere. Planbar? Vergiss es: „Mier luege denn!“ - So könnte die jeweilige Tagesüberschrift lauten.
In ihrem Buch beschreibt sie sehr anschaulich und verständlich, wie sie melkt, die Ställe ausmistet, Kühe und Ziegen auf die Weiden treibt und wieder in die Ställe zurücklotst, wie sie Zäune repariert und Zaunpfähle für die nächste Saison zurechtschneidet. Sie hilft beim heuen und holzen, aber auch Gäste zu bewirten. Es wird so warmherzig beschrieben, dass man das Gefühl hat, mir ihr über die Wiesen zu gehen, den kalten Regen ins Gesicht zu bekommen und / oder den Schweiß auf Stirn und Rücken zu spüren. Man merkt bei jeden Satz, dass sie mit Herz, Seele und Körper ganz bei der Sache ist, dass sie auf die Alp gehört. Die Liebenswürdigkeit und Herzenswärme der Familie ist beeindruckend und beneidenswert.
Auch wenn die Arbeit ihr sehr viel abverlangt, sehr anstrengend ist, findet sie zu sich selbst und empfindet ganzheitliche Zufriedenheit. Es ist ein äußerst befreiendes und befriedigendes Gefühl, da das, was man tut, quasi sofort sichtbar ist. Sie stellt fest, „man muss niemanden etwas beweisen, weil es immer nur um die Sache geht“ (S. 95). Und vieles geht einfach nur gemeinsam – keine Konkurrenz!
Die Naturnähe / Naturverbundenheit, die zentrales Thema in ihrem tagebuchähnlichen Erlebnisroman ist, lehrt sie Ehrfurcht, Demut und Dankbarkeit.
Das mit der Natur und mit sich selbst im Einklang zu sein, ermuntern sie, einen zweiten und einen dritten Sommer auf der Salzmatt mit und bei Familie Aeby zu verbringen, da die Alp zu einem zweiten Zuhause geworden ist.
Der Schreibstil ist authentisch, erfrischend und tiefsinnig zugleich. Dass Katharina in den Monaten auf der Alp eine besondere, innige und freundschaftliche Beziehung zu den Tieren entwickelt, ist in den emotional beschriebenen Episoden zu lesen, die einen oftmals zu Tränen rühren – sei es die Geburt eines Kälbchen oder der Tod einer kleinen Ziege.
Auch wenn sich viele Arbeitsbeschreibungen wiederholen, es wird nie langweilig!
Ich habe mich öfters beim Lesen erwischt, dass ich Katharina um so viele Momente auf der Alp beneidet habe, wenn es z.B. um das warmherzige gesellschaftliche Beisammensein ging, oder wenn sie die Schönheit der Natur beschrieben hat und sich einfach nur frei gefühlt hat: „Mein Geist ist wie in süße Watte gehüllt. Träge schaukelt er auf der Hängematte des Alpsommers“ (S. 165).
Beim Lesen kommt man dem Alltag auf der Alp ganz nah. In der Buchmitte sind einige Seiten mit wunderbaren Fotos zu finden, die die gelesen Eindrücke wunderbar visualisieren und staunen lassen.

Ich bewundere Katharina Afflerbach, da sie den Spagat schafft, auf der einen Seite eine in der Natur körperlich arbeitende und mit der Natur verbundenen Sennerin zu sein, und auf der anderen Seite eine im Büroalltag eingebundene 'kopfarbeitende' freiberufliche Marketingexpertin ist. Gegensätze, die sich doch irgendwie ergänzen und voneinander profitieren.
Das Buch hat in meinen Augen einen echten Sternenhimmel verdient. Unbedingt lesen, denn das Buch ist eine Bereicherung und regt zugleich an, eine Auszeit im Alltag zu suchen und entdecken zu können.

Der Wunsch, den die Mutter der Autorin ihrer Katharina mit auf den Weg gegeben hat, hat mir so gut gefallen, dass ich abschließend dem Leser diesen ebenfalls ans Herz legen möchte: „Ich wünsche dir, dass du an jedem Tag deines Lebens tatsächlich lebendig bist“ (S. 91).

Veröffentlicht am 31.05.2019

Approve, delete, delete, delete...

Berlin Prepper
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Approve, delete, delete...; das ist das, was Walter Noack, Content Moderator bei einer großen Berliner Tageszeitung täglich acht Stunden lang mit eingehenden Online-Kommentaren macht. Er muss tausende ...

Approve, delete, delete...; das ist das, was Walter Noack, Content Moderator bei einer großen Berliner Tageszeitung täglich acht Stunden lang mit eingehenden Online-Kommentaren macht. Er muss tausende von Kommentaren, die von hinter Pseudonymen steckenden Lesern eingehen, in Sekundenschnelle erfassen und zensieren. Der Druck ist groß, da keine extrem-hasserfüllten Kommentare durchrutschen dürfen.
Es ist sein Job. Emotional lässt er nichts an sich ran. Er ist ja auch ein Prepper (abgeleitet vom Englischen „to be prepaired“ [bereit sein]) und ist gewappnet für den Notfall, für sämtliche Katastrophen, die das normale Leben aus den Angeln heben würden. So hortet er Konserven, diverse Werkzeuge und Utensilien um für längere Zeit autark sein zu können. Er hat sogar Verstecke im Wald, die er ständig auf dem Laufenden hält. Eine gute körperliche Fitness ist zudem unabdingbar. Noack bereitet sich ständig auf diese Notsituation vor, er ist allzeit bereit, falls es zum Schlimmsten kommt.
Die Arbeit ist Routine, ist Alltag, bis er eines Abends nach seiner Arbeit – obwohl das Security-Personal in der Nähe ist - brutal niedergeschlagen wird und verletzt im Krankenhaus landet. Er ärgert sich dabei aber mehr über sich selbst, weil er „nicht bereit“ war und diesem Angriff nichts entgegensetzen konnte. Aber wer steckt dahinter? Sind es Leser, die wütend sind, weil ihre Kommentare nicht durchkommen, oder sind es Flüchtlinge aus dem nahegelegenen Flüchtlingscontainern?
Als kurz darauf auch seiner Kollegin Peppa das gleiche passiert, die Polizei auch hier mit den Ermittlungen nicht weiterkommt, beschließen Noack, Peppa und sein Sohn Nick auf eigene Faust die Schläger ausfindig zu machen. Sie wollen sich nicht mehr alles gefallen lassen, und die Bereitschaft, auch härtere Bandagen anzulegen, steigt. So scheuen sie sich auch nicht, sich auf dem Schwarzmarkt Waffen zu besorgen und geraten unvermittelt in die Reichsbürgerszene.

Der Thriller ist in der Ich-Perspektive erzählt. Die Erzählweise ist nüchtern, sachlich, trocken, klar und leicht verständlich. Und dies Einfachheit lässt es fast wie ein 'Tagebuch' erscheinen, in dem der Schreiber – der Protagonist – das Erlebte unzensiert und ungefiltert darlegt. Man kommt so gut in die Geschichte rein, und der Hauptprotagonist Noack wirkt sehr authentisch, sein Handeln und Denken ist nachvollziehbar, auch wenn man als Leser diesem nicht unbedingt zustimmen wird. Ebenso finden die anderen verschiedensten Protagonisten mit ihren eigenen teils auch abgehobenen Charakteren und Eigenheiten ihren Platz in der Geschichte. Berlin ist Multi-Kulti, und so hat auch Noack eine gute kumpelhafte Beziehung zu seinem türkischen Stammbäcker Ahmad, der ihm auch bei der ein oder anderen Sache mit Rat und Tat zur Seite steht und immer ein Auge auf ihn hat.

Gelungen bei dem Thriller ist vor allem, dass man beim Lesen die Berliner Atmosphäre richtig spürt, man merkt, dass der Autor mit der Stadt sehr vertraut ist. Außerdem hat sich der Autor intensiv mit dem Thema Internet-Kommentare auseinandergesetzt. Die Story ist fiktiv, aber die Hass-Kommentare sind echt und nicht erfunden! Und das alles lässt einem die Geschichte sehr 'nah' und nahezu real erscheinen. Die dystopische und apokalyptische Perspektive machen ein wenig Angst, ist aber gleichzeitig auch ein mahnender Fingerzeig, sich mit der heutigen verrohenden, respektschwindenden gesellschaftlichen Entwicklung auseinanderzusetzen.

Dieser Thriller steht meines Erachtens - als einer von 12 nominierten Titeln - zu Recht auf der Longlist des diesjährigen „Crime Cologne Award“ (September 2019), da er eine aktuelle Thematik zum Inhalt hat und zudem psychologisch raffiniert aufgebaut ist.
Bis jetzt habe ich noch nichts von Johannes Groschupf gelesen, aber seine Fähigkeit, den Leser mit einer speziellen Spannung und einem eigenen Stil zu fesseln, hat mich überzeugt.
Überzeugen Sie sich doch auch! ✶ ✶ ✶ ✶ ✶

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Ein dystopisches, apokalyptisches Szenario, das packend sowie beklemmend ist, wachrüttelt und zum Nachdenken anregt. Lesen!

Veröffentlicht am 14.05.2019

„Du musst jetzt tapfer sein“

Der Fall Collini
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Wenn ein Satz, in einem grausamen Moment gesprochen, das ganze Leben nachhallt und Schmerzen verursacht


Da ich mich bislang kaum mit Hörbüchern oder Hörspielen (für Erwachsene) befasst habe, war „Der ...

Wenn ein Satz, in einem grausamen Moment gesprochen, das ganze Leben nachhallt und Schmerzen verursacht


Da ich mich bislang kaum mit Hörbüchern oder Hörspielen (für Erwachsene) befasst habe, war „Der Fall Collini“ quasi eine Premiere für mich, die wie ein Feuerwerk eingeschlagen hat. Das Hörspiel hat mich absolut begeistert, ich was Feuer und Flamme von der Inszenierung, der Darbietung. Auch kenne ich weder das Buch noch den Film und kann so keine Vergleiche ziehen. Aber für sich gesehen ist das Hörspiel ein wahres Highlight für die Ohren und das daraus entstehende Kopfkino.

Der 70-jährige Fabrizio Collini hat mehr als 30 Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet. Dann – wie scheint – bringt er den 84-jährigen namenhaften Großindustriellen Hans Meyer wie aus heiterem Himmel auf bestialische Art und Weise in dessen Hotelzimmer mit einer Pistole und Kopffußtritten um.
Pflichtverteidiger wird der junge Strafverteidiger Caspar Leinen. Es ist kein leichter Job für ihn. Nicht nur, weil es sein erster Fall ist, sondern auch, weil er das Mordopfer aus Kinder- und Jugendtagen kennt. Hans Meyer war fast wie ein Vater für ihn, er hat ihn gefördert wo er nur konnte, so dass er letztendlich auch erfolgreich sein Studium bewältigen konnte. Und Johanna, die Tochter Meyers, war mal seine Jugendliebe. Obwohl er sozusagen involviert ist, gibt er den Fall nicht mehr ab. Vielleicht steigert er sich gerade deshalb in diesen Mordfall so rein, schließlich will er den Mörder und sein Motiv verstehen. Collini schweigt aber vehement. Voller Ehrgeiz kniet sich Caspar in den Fall rein, springt sogar über seinen Schatten und bittet seinen Vater, zu dem er schon lange keinen Kontakt mehr hat, ihm zu helfen und gibt ihm eine Menge Ordner mit Akten zu NS-Verbrechen. Mit Nina, einer jungen Studentin, die bei einem Pizzaservice jobt, an seiner Seite macht er sich sogar auf den Weg nach Italien, um in Collinis Heimatdorf Zeitzeugen nach Collini zu befragen. Als der Name „Hans Meyer“ fällt, verdüstern sich die Gesichter älterer Menschen. Diese Reaktion veranlasst Caspar sich immer tiefer in die Machenschaften der Nationalsozialisten in Italien und der Besatzungszeit in Italien einzuarbeiten. Dabei macht er eine fürchterliche Entdeckung, deren Tragweite bis in die Gegenwart reicht.

Das Hörspiel ist mit 140 Minuten nur etwas länger als der Film (123 Minuten). Dies ist aber logisch, schließlich muss der Sprecher diverse Szenen beschreiben, die man im Film ja sieht. In Stephan Schad haben die Hörspielmacher einen genialen, die oft bedrückte Stimmung gut wiederzugeben, Sprecher gefunden. Fantastisch ist vor allem auch, dass die Schauspieler die Hörspielrollen übernehmen. So bleiben einem die Stimmen vertraut, egal ob man zuerst den Film oder das Hörspiel 'konsumiert'. Mit Hintergrundgeräuschen und bewegender, tragender Musik kommt die tragische Stimmung der Geschichte sehr gut rüber. Nicht selten haben ich Gänsehaut bekommen und war den Tränen nahe.

Mit gut eingebrachten Rückblicken in die Vergangenheit, in der die Kinder- und Jugendzeit von Caspar und die besondere Verbundenheit zur Familie Meyer wiedergegeben wird, bekommt das Hörspiel eine besondere emotionale und lebendige Note.

Am meisten mitgenommen hat mich aber der Zeitsprung ins Jahr 1944 und zwar ins Heimatdorf von Fabrizio. Fabrizio wurde Zeuge einer schrecklichen Tat, die er sein Leben lang nicht vergessen konnte, so tief sitzt der Schmerz. Diese Szene ist mir so ins Ohr gedrungen, und dann so zu Herzen gegangen, dass ich lange – emotional überwältigt - daran denken musste.

Die Geschichte ist gut aufgebaut und zeigt an diesem Einzelfall wie mit der Vergangenheitsbewältigung deutscher Rechts-Geschichte umgegangen worden ist. Zutiefst betroffen – ja sogar entsetzt bin ich – wie mit Naziverbrechen umgegangen worden ist. Es ist wirklich ein Justizskandal wenn man bedenkt, dass es Ende der 1960er Jahre zu einer Gesetzesänderung kam, in der Naziverbrechen nur noch als Totschlag eingestuft wurden und somit sind/waren die in der Nazizeit verübten Verbrechen verjährt. (Da schüttele ich nur den Kopf.)

Das Hörspiel ist absolut empfehlenswert und ist hohe Unterhaltungskunst, bei der man etwas lernen kann und über das man sich Gedanken machen sollte. Mit dem Ende der Geschichte fangen nämlich gedankliche und emotionale Nachwirkungen an.
Deshalb vergebe ich 5 Sterne! ✶ ✶ ✶ ✶ ✶

Veröffentlicht am 14.05.2019

„Teufelsbrut“ - Wenn ungewollt Schwangere verstoßen, missachtet und misshandelt werden

Das Haus der Verlassenen
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„Das Haus der Verlassenen“ (englischer Titel: The girl in the letter) ist der im März 2019 im Heyne Verlag erschienene Debutroman der englischen Autorin und Drehbuchschreiberin Emily Gunnis.
…. „Teufelsbrut“, ...

„Das Haus der Verlassenen“ (englischer Titel: The girl in the letter) ist der im März 2019 im Heyne Verlag erschienene Debutroman der englischen Autorin und Drehbuchschreiberin Emily Gunnis.
…. „Teufelsbrut“, ja so werden die unehelich und außerehelich geborenen Babys von den Nonnen im Mutter-Kind-Heim St. Margaret's genannt!...
Sussex, 1956: Die junge Ivy Jenkins wird von ihrer großen Liebe, einem angehenden Fußballstar schwanger. Es ist eine Schande! Und so schickt sie ihr kaltherziger Stiefvater – auch auf Anraten des Hausarztes – ins naheliegende Heim für ledige Mütter, das St. Margaret's. Schlimme, harte Jahre fristet sie dort ihr Dasein. Verlassen wird sie diese Höhle nie mehr.....
Ihr einziger Lichtblick in dieser Hölle ist ein junges, etwa 8-jähriges Mädchen namens Elvira, mit der sie sich anfreundet und zur Flucht aus dem Heim verhilft. Sie soll ein besseres Leben haben als sie und hofft, dass es ihr gelingt, ihre Zwillingsschwester Kelly aufzusuchen, die bei ihrer richtigen Familie wohnen darf. Die Flucht gelingt, aber...
Anfang Februar 2017 entdeckt die junge, alleinerziehende Journalistin Samantha (Sam) in der Wohnung ihrer seit einem Jahr verwitweten Großmutter (Nana) einen herzergreifenden Brief der jungen Ivy, geschrieben an den den Vater (Alistair) des gemeinsamen Kindes. Sam, ist neugierig und will wissen, wie und warum in aller Welt solch ein bewegender Brief im Besitz ihrer Großeltern geraten ist. Der journalistische Ehrgeiz packt sie und so beginnt eine spannende und aufreibende Recherche, die die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte mit einbezieht, wobei grausige und auch blutige Details, die bis in die Gegenwart reichen ans Licht kommen.
Dieser Roman hat mich gepackt wie es seit langem kein anderer mehr geschafft hat. Von den ersten Sätzen an, die mit einem bewegenden Brief der jungen Ivy an Elvira beginnen, schafft es der Roman die absolute Aufmerksam zu erzielen. Man ist gleich mitten im Geschehen und kommt gar nicht mehr raus; ein hundertprozentiger rasanter Pageturner!
Schon allein das Cover-Bild hat mich richtig in den Bann gezogen!
Beim Cover bekommt der Name „Einband“ eine richtige Bedeutung, da das Umschlagbild sich vom Frontdeckel über den Buchrücken bis Rückdeckel erstreckt. Das gezeichnete Bild kommt mit seinen farblich abgestimmten Feinheiten schon einem Kunstwerk gleich. Man kann sich in dem Bild mit dem verlassenen Anwesen – welches das St. Margaret's-Heim darstellen soll - , eingegrenzt von einem schmiedeeisernen Zaun, richtig verlieren. So waren wohl auch die vielen ungewollt schwangeren, meist junge Frauen teils auch junge Teenager, in dem Haus verloren.
Der fiktive Roman, der der Kategorie „Romane und Erzählungen“ zugeordnet ist, ist meines Erachtens aber ein gelungenes Beispiel, genreübergreifend zu arbeiten:
Die historische Komponente kommt nicht zu kurz. So geht es in der Geschichte um die Darstellung und Aufarbeitung eines düsteren Kapitels des 20. Jahrhundert, die Magdalenenheime. Dies waren Mutter-Kind-Heime (meistens religiöse Träger), in die ungewollt Schwangere von ihren Familien abgeschoben wurden, um dort ihr Kind auf die Welt zu bringen, welches dann oftmals auf Druck der Familie, Ärzte und Sozialarbeiter zur Adoption freigegeben werden mussten. Die jungen Mütter waren in den Einrichtungen sämtlichen Schikanen ausgesetzt und wurden mit extremer Verachtung behandelt. Außerdem wird angedeutet, dass an vielen jüngeren Kindern, die z.B. aufgrund einer leichten Behinderung nicht adoptiert wurden, Medikamentenversuche durchgeführt wurden.
Des weiteren hat der Roman Züge eines Krimis (wenn nicht sogar Thrillers). Im Laufe der Erzählung stellt sich heraus, dass viele Menschen, die in den Briefen von Ivy an Alistair erwähnt wurden, auf mysteriöse Art und Weise in den letzten – etwa - 50 Jahren ums Leben gekommen sind. Aufgeklärt wurden diese Todesfälle damals nicht. Auch diesen düsteren Ereignissen forscht Sam mit Hilfe ihres Kollegen Fred nach. Aber sie hat nicht viel Zeit, denn das Geheimnis der Vergangenheit befindet sich im zum Abriss freigegebenen Heim St. Margaret's. Sam bleiben nur zwei Tage!
Man kann in dem Roman ebenfalls einen kleinen Frauen- und Liebesroman sehen, geht es doch um die vielen jungen Frauen, die in den Heimen ein hartes, unwürdiges Dasein fristeten. Es war ja kein Leben. Jeder Tag war ein Kampf ums Überleben. Seelische Grausamkeiten waren an der Tagesordnung, so durften sie nicht ihre Babys sehen und mussten immer das klägliche Schreien der Neugeborenen, die keine Geborgenheit erfahren haben, mit anhören. Ja, und wenn sich die Frauen nicht an die strengen Regeln der Einrichtung hielten, drohte man ihnen, dass man ihren Babys nichts mehr zu essen geben würde. Eine solches unmenschliches Verhalten ist unvorstellbar.
Und wenn man sich die zarten Annäherungsversuche von Fred und Sam anschaut, dann sieht man ebenfalls eine kleine Beziehungsgeschichte.
Der Roman hat grob zwei Zeitebenen – also Gegenwart und Vergangenheit. Während die Gegenwart sich an zwei Tagen im Februar 2017 abspielt, spielt die Vergangenheit von September 1956 bis ca. Dezember 1999.
Der Wechsel zwischen den Zeiten ist spannend aufgezogen. Werden in der Gegenwart Überlegungen/Andeutungen über vergangene Gegebenheiten genannt, wird im Folgekapitel, das immer ein konkretes in der Vergangenheit liegendes Datum nennt, das tatsächliche Geschehen oftmals atemberaubend und Gänshaut erzielend dargestellt. So erarbeitet man sich sich – wie es die Journalistin Sam auch tut – peu à peu an die grausame Wahrheit, die sich hinter den Mauern des Heimes abgespielt hat bzw. an die mit den Machenschaften der verschiedensten internen und externen involvierten Personen, heran. Es ist wie ein Puzzle und man macht sich selber wie ein Detektiv Gedanken, welche Überraschungen der Roman als nächstes auf Lager hat. Man ist somit nicht nur passiver sondern auch aktiver Leser. Und genau dieses ständige Grübeln und die gelegentliche Bestätigung mit seiner Vermutung richtig gelegen zu haben, macht das Lesen zu einem wahren Erlebnis. Ich habe nicht immer richtig gelegen, und somit sind diese überraschenden Wendungen ein große „Wow-Effekt“.
Mir hat das Buch extrem gut gefallen. Es hat einen flüssigen, gut zu lesenden Schreibstil und ist spannend von vorne bis hinten. Ich hatte keine Durststrecke und auch nicht das Gefühl, dass die Story in die Länge gezogen wird. Die Charaktere sind gut und authentisch herausgearbeitet und man kann sich gut in sämtliche Protagonisten hineinversetzen. Die Darstellung dieser Mutter-Kind-Heime und wie die Nonnen die in ihrer Obhut befindenden Frauen behandeln – bzw. misshandeln – ist ergreifend und extrem fesselnd dargestellt. Emily Gunnis hat es geschafft mit kriminalistischen Spürsinn ein sensibles und dunkles Thema der nahen Vergangenheit aufzugreifen und anhand der erfundenen Familiengeschichte Ivys darzustellen.
Es ist eine an die Nieren gehende und zu Tränen rührende Geschichte, die noch lange nachhallen wird und von mir die allerhöchste Leseempfehlung erhält. ✶✶✶✶✶
„Das Haus der Verlassenen“ (englischer Titel: The girl in the letter) ist der im März 2019 im Heyne Verlag erschienene Debutroman der englischen Autorin und Drehbuchschreiberin Emily Gunnis.
…. „Teufelsbrut“, ja so werden die unehelich und außerehelich geborenen Babys von den Nonnen im Mutter-Kind-Heim St. Margaret's genannt!...
Sussex, 1956: Die junge Ivy Jenkins wird von ihrer großen Liebe, einem angehenden Fußballstar schwanger. Es ist eine Schande! Und so schickt sie ihr kaltherziger Stiefvater – auch auf Anraten des Hausarztes – ins naheliegende Heim für ledige Mütter, das St. Margaret's. Schlimme, harte Jahre fristet sie dort ihr Dasein. Verlassen wird sie diese Höhle nie mehr.....
Ihr einziger Lichtblick in dieser Hölle ist ein junges, etwa 8-jähriges Mädchen namens Elvira, mit der sie sich anfreundet und zur Flucht aus dem Heim verhilft. Sie soll ein besseres Leben haben als sie und hofft, dass es ihr gelingt, ihre Zwillingsschwester Kelly aufzusuchen, die bei ihrer richtigen Familie wohnen darf. Die Flucht gelingt, aber...
Anfang Februar 2017 entdeckt die junge, alleinerziehende Journalistin Samantha (Sam) in der Wohnung ihrer seit einem Jahr verwitweten Großmutter (Nana) einen herzergreifenden Brief der jungen Ivy, geschrieben an den den Vater (Alistair) des gemeinsamen Kindes. Sam, ist neugierig und will wissen, wie und warum in aller Welt solch ein bewegender Brief im Besitz ihrer Großeltern geraten ist. Der journalistische Ehrgeiz packt sie und so beginnt eine spannende und aufreibende Recherche, die die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte mit einbezieht, wobei grausige und auch blutige Details, die bis in die Gegenwart reichen ans Licht kommen.
Dieser Roman hat mich gepackt wie es seit langem kein anderer mehr geschafft hat. Von den ersten Sätzen an, die mit einem bewegenden Brief der jungen Ivy an Elvira beginnen, schafft es der Roman die absolute Aufmerksam zu erzielen. Man ist gleich mitten im Geschehen und kommt gar nicht mehr raus; ein hundertprozentiger rasanter Pageturner!
Schon allein das Cover-Bild hat mich richtig in den Bann gezogen!
Beim Cover bekommt der Name „Einband“ eine richtige Bedeutung, da das Umschlagbild sich vom Frontdeckel über den Buchrücken bis Rückdeckel erstreckt. Das gezeichnete Bild kommt mit seinen farblich abgestimmten Feinheiten schon einem Kunstwerk gleich. Man kann sich in dem Bild mit dem verlassenen Anwesen – welches das St. Margaret's-Heim darstellen soll - , eingegrenzt von einem schmiedeeisernen Zaun, richtig verlieren. So waren wohl auch die vielen ungewollt schwangeren, meist junge Frauen teils auch junge Teenager, in dem Haus verloren.
Der fiktive Roman, der der Kategorie „Romane und Erzählungen“ zugeordnet ist, ist meines Erachtens aber ein gelungenes Beispiel, genreübergreifend zu arbeiten:
Die historische Komponente kommt nicht zu kurz. So geht es in der Geschichte um die Darstellung und Aufarbeitung eines düsteren Kapitels des 20. Jahrhundert, die Magdalenenheime. Dies waren Mutter-Kind-Heime (meistens religiöse Träger), in die ungewollt Schwangere von ihren Familien abgeschoben wurden, um dort ihr Kind auf die Welt zu bringen, welches dann oftmals auf Druck der Familie, Ärzte und Sozialarbeiter zur Adoption freigegeben werden mussten. Die jungen Mütter waren in den Einrichtungen sämtlichen Schikanen ausgesetzt und wurden mit extremer Verachtung behandelt. Außerdem wird angedeutet, dass an vielen jüngeren Kindern, die z.B. aufgrund einer leichten Behinderung nicht adoptiert wurden, Medikamentenversuche durchgeführt wurden.
Des weiteren hat der Roman Züge eines Krimis (wenn nicht sogar Thrillers). Im Laufe der Erzählung stellt sich heraus, dass viele Menschen, die in den Briefen von Ivy an Alistair erwähnt wurden, auf mysteriöse Art und Weise in den letzten – etwa - 50 Jahren ums Leben gekommen sind. Aufgeklärt wurden diese Todesfälle damals nicht. Auch diesen düsteren Ereignissen forscht Sam mit Hilfe ihres Kollegen Fred nach. Aber sie hat nicht viel Zeit, denn das Geheimnis der Vergangenheit befindet sich im zum Abriss freigegebenen Heim St. Margaret's. Sam bleiben nur zwei Tage!
Man kann in dem Roman ebenfalls einen kleinen Frauen- und Liebesroman sehen, geht es doch um die vielen jungen Frauen, die in den Heimen ein hartes, unwürdiges Dasein fristeten. Es war ja kein Leben. Jeder Tag war ein Kampf ums Überleben. Seelische Grausamkeiten waren an der Tagesordnung, so durften sie nicht ihre Babys sehen und mussten immer das klägliche Schreien der Neugeborenen, die keine Geborgenheit erfahren haben, mit anhören. Ja, und wenn sich die Frauen nicht an die strengen Regeln der Einrichtung hielten, drohte man ihnen, dass man ihren Babys nichts mehr zu essen geben würde. Eine solches unmenschliches Verhalten ist unvorstellbar.
Und wenn man sich die zarten Annäherungsversuche von Fred und Sam anschaut, dann sieht man ebenfalls eine kleine Beziehungsgeschichte.
Der Roman hat grob zwei Zeitebenen – also Gegenwart und Vergangenheit. Während die Gegenwart sich an zwei Tagen im Februar 2017 abspielt, spielt die Vergangenheit von September 1956 bis ca. Dezember 1999.
Der Wechsel zwischen den Zeiten ist spannend aufgezogen. Werden in der Gegenwart Überlegungen/Andeutungen über vergangene Gegebenheiten genannt, wird im Folgekapitel, das immer ein konkretes in der Vergangenheit liegendes Datum nennt, das tatsächliche Geschehen oftmals atemberaubend und Gänshaut erzielend dargestellt. So erarbeitet man sich sich – wie es die Journalistin Sam auch tut – peu à peu an die grausame Wahrheit, die sich hinter den Mauern des Heimes abgespielt hat bzw. an die mit den Machenschaften der verschiedensten internen und externen involvierten Personen, heran. Es ist wie ein Puzzle und man macht sich selber wie ein Detektiv Gedanken, welche Überraschungen der Roman als nächstes auf Lager hat. Man ist somit nicht nur passiver sondern auch aktiver Leser. Und genau dieses ständige Grübeln und die gelegentliche Bestätigung mit seiner Vermutung richtig gelegen zu haben, macht das Lesen zu einem wahren Erlebnis. Ich habe nicht immer richtig gelegen, und somit sind diese überraschenden Wendungen ein große „Wow-Effekt“.
Mir hat das Buch extrem gut gefallen. Es hat einen flüssigen, gut zu lesenden Schreibstil und ist spannend von vorne bis hinten. Ich hatte keine Durststrecke und auch nicht das Gefühl, dass die Story in die Länge gezogen wird. Die Charaktere sind gut und authentisch herausgearbeitet und man kann sich gut in sämtliche Protagonisten hineinversetzen. Die Darstellung dieser Mutter-Kind-Heime und wie die Nonnen die in ihrer Obhut befindenden Frauen behandeln – bzw. misshandeln – ist ergreifend und extrem fesselnd dargestellt. Emily Gunnis hat es geschafft mit kriminalistischen Spürsinn ein sensibles und dunkles Thema der nahen Vergangenheit aufzugreifen und anhand der erfundenen Familiengeschichte Ivys darzustellen.
Es ist eine an die Nieren gehende und zu Tränen rührende Geschichte, die noch lange nachhallen wird und von mir die allerhöchste Leseempfehlung erhält. ✶✶✶✶✶