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Veröffentlicht am 16.10.2022

Moderne, düstere, rundum gelungene Jugendfantasy!

Dark Rise
1

Spoilerfreie Rezension!

Klappentext

Die alte Magie ist in Vergessenheit geraten. Lediglich der Orden der Stewards hält seinen Schwur, die Menschheit vor der Rückkehr des Dunklen Königs zu schützen ...

Spoilerfreie Rezension!

Klappentext

Die alte Magie ist in Vergessenheit geraten. Lediglich der Orden der Stewards hält seinen Schwur, die Menschheit vor der Rückkehr des Dunklen Königs zu schützen - die unmittelbar bevorsteht. All dies erfährt Will von den Kämpfern des Lichts, als sie ihn vor den Mördern seiner Mutter retten. Und seine Welt wird noch mehr auf den Kopf gestellt, als die Stewards ihm offenbaren, dass er der Auserwählte im Kampf gegen die Dunklen Mächte sein soll. Während Will versucht, sich in kürzester Zeit auf diese Rolle vorzubereiten, trifft er auf James St. Clair, den General des Dunklen Königs - und somit Wills Gegenspieler. Doch von Anfang an spürt Will, dass ihre Schicksale durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden sind und dass ihr Aufeinandertreffen immer vorherbestimmt war ...

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band 1 von vermutlich 3
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: männliche und weibliche Perspektive im Wechsel
Kapitellänge: mittel
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: keine ♥

Kurzrezension

„‘Es war eine Zeit des Schreckens. Der Schatten des Dunklen Königs breitete sich über alle Länder aus. Die Lichter der Welt erloschen eins nach dem anderen, bis nur noch ein einziges übrig war: die Letzte Flamme.‘“ E-Book, Position 954

Zur Lektüre von „Dark Rise“ wurde ich durch den spannend klingenden Klappentext, die überzeugende Leseprobe und die begeisterten Rezensionen im englischsprachigen Raum motiviert. Das wunderschöne Cover hat sich auf meine Neugier natürlich auch nicht negativ ausgewirkt…

Doch wie gut ist „Dark Rise“ wirklich? Konnte es mich überzeugen? Ja, definitiv, denn man bekommt genau das, was man sich erwartet und erhofft! Nämlich eine rundum gelungene Fantasy-Geschichte, die alle wichtigen Zutaten enthält, um ihren Leser:innen ein paar schöne Lesestunden zu bescheren.

Der düstere, grausame, tragische Prolog zieht einen sofort in die Geschichte hinein, sodass mir der Einstieg sehr leichtfiel! Das lag sicher auch am angenehmen, anschaulichen Schreibstil, der sowohl in spannenden Momenten als auch in ruhigeren Augenblicken glänzen kann. Lediglich an manchen Stellen uferten mir die Beschreibungen etwas zu sehr aus bzw. enthielten störende Wiederholungen, wodurch unnötigerweise Tempo rausgenommen wurde. Hier gibt es also noch ein bisschen Luft nach oben; ich ziehe deshalb einen halben Stern ab.

Die Figurenzeichnung hat mich dafür auf ganzer Linie überzeugt! Das Buch enthält viele interessante, dreidimensionale Figuren, für deren Ausarbeitung sich viel Zeit genommen wird. Die Charaktere haben Stärken und Schwächen und die meisten von ihnen machen im Laufe des Buches eine glaubwürdige Entwicklunge durch, die ich sehr gerne verfolgt habe. Mit manchen (wie zum Beispiel Will und Violet) habe ich auch von Beginn an sehr stark mitgefühlt und mitgefiebert.

„Dark Rise“ ist ein Fantasyroman, der zwar das Rad nicht neu erfindet und der Anklänge an „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ enthält, der aber trotzdem seine eigene Geschichte erzählt – und die ist gut ausgearbeitet, wendungsreich, atemlos spannend, sehr atmosphärisch (besonders die Beschreibungen des damaligen London haben mich begeistert!), stellenweise sehr düster (das liebe ich ja!) und brutal. Es gibt viele Geheimnisse zu ergründen, das Buch steckt voller Action, überraschender Wendungen, schockierender Enthüllungen und Figurentode, die einen wirklich treffen. Thematisch geht es um Verantwortung, Schicksal, Moral, aber auch um Liebe, Freundschaft und Selbstfindung. Aus meiner Sicht hat C. S. Pacat hier einen überzeugenden Reihenauftakt hingelegt, der von den Folgebänden nur schwer zu toppen sein wird. (Übrigens ist mir erst mitten im Buch aufgefallen, dass auch die berühmte „Prinzen“-Trilogie von C. S. Pacat stammt. Da die einen diese Reihe leidenschaftlich lieben, die anderen sie aber richtig schlecht oder sogar peinlich finden, würde ich mir hier sehr gerne ein eigenes Bild machen.)

Aus feministischer Sicht gibt es ebenfalls keine Beschwerden, denn die Geschichte enthält keinerlei gegenderte Schimpfwörter, dafür aber viele starke, mutige, mächtige und intelligente Frauen, sensible, empathische Männer und sogar LGBT-Liebesgeschichten, sodass ich nicht nur zufrieden, sondern regelrecht entzückt bin! Bei solch modernen, zeitgemäßen Fantasy-Büchern geht einer Feministin wie mir wirklich das Herz auf!

Wie erwartet (und irgendwie schon befürchtet), endet „Dark Rise“ dann mit einem gemeinen Cliffhanger und so einigen offenen Fragen – und das, obwohl die Fortsetzung noch nicht einmal auf Goodreads ein Erscheinungsdatum hat und daher wohl noch lange auf sich warten lassen wird. Egal wie lange es schlussendlich dauert – Band 2 möchte ich auf jeden Fall lesen!

Mein Fazit

Für mich ist „Dark Rise“ nach längerer Zeit wieder eine moderne, richtig gute Jugendfantasy, die sowohl dem jungen Zielpublikum als auch Erwachsenen einige unterhaltsame, atemlos spannende Lesestunden bescheren wird. Besonders begeistern konnten mich die herrlich düstere Atmosphäre, die unerwarteten Wendungen, die liebevolle Figurenzeichnung und die vielen starken Frauen. Diesen rundum gelungenen Reihenauftakt wird Band 2 meiner Meinung nach nur schwer toppen können – ich freue mich aber jetzt schon auf den Versuch! Deshalb mein Tipp: Unbedingt lesen!

Bewertung

Cover / Aufmachung: 5 Sterne ♥
Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 4,5 Sterne
Worldbuilding: 4,5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Ende: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonist:innen: 5 Sterne ♥
Figuren: 5 Sterne ♥
Spannung: 4 Sterne
Wendungen: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Sterne ♥
Einzigartigkeit: 3 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Gefühl
Veröffentlicht am 15.08.2022

Verliebt, verlobt, vergewaltigt – DAS ist nicht romantisch!

Bridgerton - Der Duke und ich
1

Achtung: Die Rezension enthält Spoiler!

Inhalt

Daphne Bridgerton braucht dringend einen annehmbaren Ehemann, doch nur unpassende Kandidaten zeigen romantisches Interesse. Simon, der Duke, hingegen ...

Achtung: Die Rezension enthält Spoiler!

Inhalt

Daphne Bridgerton braucht dringend einen annehmbaren Ehemann, doch nur unpassende Kandidaten zeigen romantisches Interesse. Simon, der Duke, hingegen will nach seiner Rückkehr von einer Weltreise einfach nur den unerträglichen Kuppelversuchen verzweifelter Mütter entgehen und niemals heiraten.

Schnell schließen die beiden einen Pakt: Simon soll um Daphne werben, dadurch für sie eifersüchtige Konkurrenten anlocken und gleichzeitig endlich seine Ruhe haben. Eigentlich ist der Plan wasserdicht – nur haben Simon und Daphne nicht mit ihren eigenen Gefühlen gerechnet, die von Tag zu Tag stärker werden…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 von 8
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive im Wechsel
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: +/- Aale (lebendige?) werden in ein Bett gelegt, ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Content Note / Inhaltswarnung: sexualisierte Gewalt (bis Vergewaltigung), Sexismus, Blut, Gewalt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Weib (mehrmals)

Warum dieses Buch?

Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem auch ich mich einem Hype nicht länger entziehen kann. Ich hatte im Vorhinein auch nur Gutes über die Bücher gehört – sogar von Leuten, von denen ich das niemals erwartet hätte! Deshalb musste ich mir unbedingt meine eigene Meinung dazu bilden.

Rezension

„London wimmelt dieser Tage nur so von Müttern, die ihre Töchter unter die Haube bringen wollen.“ E-Book, Position 964

Literarisches Fast Food (Schreibstil: 3 Sterne)

Gut gefallen hat mir, dass Julia Quinn so flüssig und angenehm schreibt, dass sich das Buch unglaublich schnell weg lesen lässt. Die Beschreibungen der Räume und Umgebung bleiben allerdings stets sehr, sehr oberflächlich, sodass man sich im Prinzip alles selbst ausmalen muss – hier hätte ich mir mehr Details und mehr Tiefe gewünscht. Nach der Lektüre fragt man sich dann schon, ob es das wirklich wert war (Antwort: nicht wirklich) – eben wie bei echtem Fast Food.

Enttäuschende Wortgefechte (Dialoge: 2,5 Sterne)

Was ich besonders an den historischen Romanen über diese Zeit schätze, sind die temporeichen, schlagfertigen, auf intelligente Weise humorvollen (engl. „witty“) Wortgefechte. In diesem Punkt hat mich das Buch (trotz ein paar gelungener Momente) enttäuscht, von Jane Austen und Oscar Wilde bin ich hier einfach etwas ganz anderes gewohnt. Mir fehlte hier das gewisse Etwas, mich ließen die Gespräche ernüchtert zurück, vor allem weil sie oft schlicht nicht witzig waren und sich immer wieder im Kreis drehten. In jedem zweiten Satz droht zum Beispiel jemand einer Person scherzhaft, sie „umzubringen“. Insgesamt enttäuschend!

Traumhaft oder ziemlich toxisch? (Liebesgeschichte: 1 Stern)

Die historischen Liebesromane von Julia Quinn werden ja immer wieder als hochromantische Wohlfühlbücher angepriesen – und das sind sie auch. Zumindest wenn man toxische Beziehungen, toxische Männlichkeit (er brüllt sie an, bedroht sie, droht ihr Vergewaltigung an, schüchtert sie ein), Gaslighting (= Wahrnehmung des Opfers wird infrage gestellt) und Vergewaltigung (einer sturzbetrunkenen, schlafenden Person) romantisch findet. Dann wird man beim Lesen großen Spaß haben! Ich jedoch fand die Lovestory einfach nur furchtbar – und so ein Happy End, bei dem die Vergewaltigerin ihren Willen bekommt und dann alle glücklich bis an ihr Lebensende leben, schmeckt dann doch nicht ganz so süß, sondern sogar ziemlich bitter. Wie soll ich so eine Beziehung feiern? Wo ist das noch ein Wohlfühlbuch? Seltsamerweise lese ich in kaum einer deutschen Rezensionen Kritik dazu. Warum? Meiner Meinung nach wäre der Aufschrei viel größer gewesen, wenn die Geschlechterrollen umgekehrt gewesen wären. Wichtig hierbei: Auch ein Mann kann zum Opfer werden, das macht eine Vergewaltigung nicht weniger schlimm!

Starre Geschlechterrollen & Doppelmoral (Feminismus: 2 Sterne)

Gefallen hat mir, dass Daphne als starke Frau dargestellt wird, die sich im Notfall selbst retten kann und die genau weiß, was sie will. Zudem gibt es noch einige weitere intelligente, starke Frauenfiguren im Buch. Dass die Geschlechterrollen in dieser Zeit natürlich viel starrer waren als heute und dass es damals eine große Doppelmoral in Bezug auf das Liebesleben gab (Männer sollten Erfahrungen sammeln, aber ein einziger Kuss konnte den Ruf einer Frau und ihrer gesamten Familie ruinieren), war mir im Vorhinein klar, deshalb gibt es hier auch keinen großen Punkteabzug. Mehr als zwei Sterne gibt es aber trotzdem nicht – die toxische Männlichkeit und die Vergewaltigung sind in meinen Augen nämlich unverzeihlich.

Rätselhafter Hype (Idee, Themen, Umsetzung: 3 Sterne)

Was mich bei diesem Buch so überrascht hat, ist nicht der Hype an sich, sondern eher welche Leute er erreicht hat: nämlich nahezu alle – auch solche, von denen ich nie gedacht hätte, dass ihnen dieser Roman gefallen würde. Irgendwann wurde ich neugierig und wollte selbst herausfinden, was hinter diesem Hype steckt. Die Grundidee und den Plot fand ich zwar vorhersehbar, aber durchaus charmant und gut gemacht und die Themen (Liebe, Intrigen, das Leben in der damaligen Zeit, Tratsch, Familie) wurden auch zumindest nicht ganz oberflächlich abgehandelt (auch wenn etwas mehr Tiefe natürlich trotzdem wünschenswert gewesen wäre). Tja, leider haben die toxische Beziehung und die Vergewaltigung (in meinen Augen) auf einen Schlag alles in Flammen aufgehen lassen, sodass am Ende nur noch ein rauchendes Häufchen Asche davon übrigblieb. Schade!

Uninteressanter, unnötiger zweiter Epilog voller Spoiler (Epilog: 0 Sterne!)

Ich bin ohnehin überhaupt kein Fan von Epilogen – sie sind meist einfach unerträglich langweilig und kitschig! Gegen den kleinen, aber feinen ersten Epilog habe ich nichts einzuwenden, aber dieser neue, im Nachhinein angefügte zweite Epilog ist in meinen Augen nicht nur unnötig und uninteressant (weil nichts Wichtiges passiert), sondern er spoilert sogar noch mit wem Colin einmal zusammenkommt und wie viele Kinder er bekommt. Was sollte das denn, Frau Quinn?! Ich kann euch jedenfalls nur raten, einfach so zu tun, als würde es diesen Epilog nicht geben und ihn auf keinen Fall zu lesen!

Nett, aber nicht mehr (Figurenzeichnung: 3 Sterne)

Die Figuren fand ich weder besonders schlecht noch besonders gut gelungen, sie waren schon okay ausgearbeitet, ganz sympathisch (hatte aber auch ihre unsympathischen Seiten, besonders der überhebliche Simon), hatten ein paar Stärken und Schwächen, manche auch eine dramatische Hintergrundgeschichte, aber mein Herz berühren konnten sie leider nicht und sie werden mir wohl auch nicht lange in Erinnerung bleiben. Obwohl… Moment! Colin muss ich hier ausnehmen, ihn fand ich sehr charmant und zauberhaft!

Vorhersehbar, aber ich bin trotzdem zufrieden (Spannung & Atmosphäre: 3 Sterne)

Damit, dass dieser historische Liebesroman vorhersehbar und nicht gerade atemlos spannend ist, war natürlich zu rechnen. Gelangweilt habe ich mich beim Lesen zumindest keine einzige Seite lang, denn die Geschichte ist in angenehmem Tempo erzählt und lässt sich (wie gesagt) schnell weglesen. Etwas atmosphärischer hätten die Beschreibungen der Umgebung aber schon sein dürfen!

Gelungene Verfilmung! (Netflix-Serie: 3,5-4 Sterne)

Überraschenderweise kann die Serie im Gegensatz zum Buch durchaus überzeugen! Sie hält das, was die Romanvorlage verspricht, aber nicht halten kann und begeistert mit: Romantik, besseren Wortgefechten, guter Chemie zwischen den Hauptdarsteller·innen, viel Diversität und einer echten Wohlfühlatmosphäre. Besonders positiv aufgefallen ist mir der „Female Gaze“ (= weibliche Blick) bei den Liebesszenen – hier gibt es viele Nahaufnahmen der Gesichter und der Fokus wird auf die Gefühle und das Erleben der Figuren gelegt. Die Vergewaltigungsszene wird übrigens deutlich entschärft (Simon schläft nicht und ist auch nicht betrunken oder wehrlos) und wird damit von einer glasklaren Vergewaltigung eher zu einem (für mich immer noch problematischen) Grenzfall, über den man streiten und mit dem ich zumindest leben kann.

Mein Fazit

Was der Hype um die „Bridgerton“-Reihe versprach, konnte der erste Band leider nicht halten. Auf hohe Erwartungen folgten zuerst Ernüchterung, dann Enttäuschung, später auch etwas Wut – und am Ende blieb ein sehr bitterer Nachgeschmack zurück. Die Autorin hat selbst gesagt, dass sie manche Szenen heute (das Buch ist im Jahr 2000 das erste Mal erschienen) nicht mehr so schreiben würde – und das ist auch gut so, denn toxische Männlichkeit und Vergewaltigung können niemals romantisch sein! Für mich endet jedenfalls der Ausflug in Julia Quinns Version der Regency-Ära genau hier – ich werde mich in Zukunft von ihren Büchern fernhalten und lieber die Serie verfolgen. Von mir gibt es daher leider keine Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Umsetzung: 2 Sterne
Worldbuilding: 2 Sterne
Einstieg: 3 Sterne
Ende: 3 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Dialoge: 2,5 Sterne
Figuren: 3 Sterne
Liebesgeschichte: 0 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Wendungen: 3 Sterne
Atmosphäre: 2 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 2 Sterne
Einzigartigkeit: 2 Sterne
Serie: 3,5-4 Sterne

Insgesamt:

❀❀ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir zwei Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.04.2020

Spannender, wendungsreicher, unterhaltsamer Jugendthriller mit kleinen Schwächen

A Good Girl’s Guide to Murder
1

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Der Schüler Sal hat seine Freundin Andie Bell vor fünf Jahren ermordet, da sind sich alle sicher. Der Fall ist eigentlich schon abgeschlossen, obwohl die Leiche des Mädchens ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Der Schüler Sal hat seine Freundin Andie Bell vor fünf Jahren ermordet, da sind sich alle sicher. Der Fall ist eigentlich schon abgeschlossen, obwohl die Leiche des Mädchens nie gefunden wurde. Für Pippa ist Sal aber, seit er sie als junges Mädchen einmal vor ihren Mobbern beschützt hat, ein Held. Sie kann nicht glauben, dass er zu solch einer Tat fähig gewesen wäre. Daher nimmt sie ein Schulprojekt als Vorwand, um den Fall neu aufzurollen und tief darin nach der Wahrheit zu graben. Doch nicht alle wollen, dass diese Wahrheit ans Licht kommt – wie weit sind sie bereit zu gehen, um es zu verhindern?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band

1 der Reihe um Heldin Pip; Band

2 ist auf Englisch bereits erschienen (einen deutschen Erscheinungstermin gibt es aber noch nicht), Band

3 und

4 sind laut Recherchen bereits in Planung
Erzählweise: Figuraler Erzähler und Ich-Erzähler, Präteritum und Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang, jedoch sind die Kapitel noch in weitere kürzere Unterkapitel aufgeteilt
Tiere im Buch: +/- Ein Tier wird als Druckmittel eingesetzt und ein Hund stirbt im Buch bei einem Unfall, ansonsten werden keine Tiere im Buch verletzt, gequält oder getötet, sondern sehr liebevoll umsorgt. Fleisch wird aber gegessen. Außerdem lebt eine Katze in Einzelhaltung. Hierzu ein wichtiger Hinweis: Katzen sind alleine niemals glücklich (sie sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten.

Warum dieses Buch?

Dieses Buch hat mich sofort vage an „Sadie“ von Courtney Summers erinnert, einen Jugendroman, den ich absolut geliebt habe und den ich euch nur wärmstens ans Herz legen kann. Der Klappentext klang (in Verbindung mit den vielen positiven Rezensionen) so vielversprechend und spannend, dass ich nicht widerstehen konnte!

Meine Meinung

Einstieg (4 Sterne)

„Obwohl Sal nie eine Chance gehabt hatte, sich zu verteidigen, galt er als schuldig. Nicht im rechtlichen Sinne, aber in jedem anderen, auf den es ankommt.“ E-Book, Position 370

Ich weiß nicht genau, warum ich das erste Kapitel mehrmals angelesen und das Buch dann wieder weggelegt habe. Beim dritten Mal war ich nämlich nach wenigen Seiten in der Geschichte angekommen und gespannt, wie es weitergehen würde.

Schreibstil (4 Lilien)

Mir hat der lockere, humorvolle, lebendige und jugendlich freche Schreibstil von Holly Jackson insgesamt gut gefallen. Die einfache, leicht verständliche, aber trotzdem anschauliche Sprache ist für das jugendliche Zielpublikum perfekt geeignet. Mir persönlich erschien der Schreibstil streckenweise aber leider auch etwas oberflächlich.

Inhalt, Themen & Ende (4 Lilien)

„‘Wenn du rumläufst und gefährliche Fragen stellst, Mädchen, wirst du einige gefährliche Antworten finden.‘“ E-Book, Position 3413

Mit „A Good Girl‘s Guide to Murder” ist Holly Jackson ein runder, unterhaltsamer und wendungsreicher Jugendthriller gelungen, der für Teenager perfekt geeignet ist. Außergewöhnlich und erfrischend fand ich den Aufbau der Geschichte: Diese setzt sich nämlich nicht nur aus klassisch verfassten Kapiteln zusammen, sondern enthält auch Protokolle, transkribierte Interviews, Listen mit Verdächtigen und einzelne Beweisfotos. Da Pippa die neuen Informationen immer in ihren Protokollen zusammenfasst, kam es auch zu einigen Wiederholungen. Das hat mich jedoch nicht allzu sehr gestört, da sich das Buch ja primär an Jugendliche richtet. Diese sind vielleicht gerade dafür dankbar, weil ihnen so auch wirklich keine wichtige Entwicklung entgeht. Aufgrund dieses Aufbaus hat mich das Buch am Beginn stark an „Sadie“ von Courtney Summers erinnert, das ja teilweise aus einem transkribierten Radio-Podcast besteht. Leider reicht „A Good Girl‘s Guide to Murder“ in fast allen Punkten nicht ganz an das Meisterwerk von Summers heran, weswegen ich euch „Sadie“ (das mir das Herz gebrochen hat!) an dieser Stelle noch einmal wärmstens empfehlen möchte.

Holly Jackson spricht in ihrem Thriller ernste Themen wie Drogen, sexualisierte Gewalt, Rassismus, schwierige moralische Entscheidungen, Erwachsenwerden, Trauer und Schuldgefühle an. Streckenweise gelingt es ihr auch, diese Themen tiefgründig zu verarbeiten, manchmal blieb mir die Geschichte aber auch zu sehr an der Oberfläche. Sehr gestört hat mich, dass etwas verschwiegen wurde, um jemanden zu schützen. Jedoch hätte die schützenswerte Person vermutlich gar nicht so viel zu befürchten gehabt und das Opfer der ganzen Angelegenheit hätte es verdient, die Wahrheit zu erfahren und zu sehen, dass es Konsequenzen für die schuldige Person gibt. Hier konnte ich Pip, die ja ihre Werte und Prinzipien immer hochhält, nicht wirklich verstehen. Und an noch einer Stelle fällt die eigentlich intelligente Pip aus der Rolle: Warum müssen sich gegen Ende eines Thrillers die HeldInnen immer sinnlos alleine in Gefahr begeben, obwohl es Leute gibt, die ihnen helfen würden, und obwohl es sehr, sehr gefährlich und folglich auch sehr, sehr dumm ist? Ich kann die Ausreden langsam nicht mehr lesen, die sich ausgedacht werden, damit es am Ende noch einmal spannend wird. Liebe AutorInnen, bitte lasst das doch endlich sein!

Die Auflösung selbst war überzeugend und hielt einige überraschende Twists bereit. Das runde Ende, das alle offenen Fragen klärt, ließ mich zufrieden das Buch zuschlagen. Ob ich die Fortsetzung lesen werde, weiß ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, da für mich die Geschichte eigentlich abgeschlossen ist.

Protagonistin (4 Lilien) & Figuren (4 Lilien)

Die Geschichte heißt „A Good Girl’s Guide to Murder“ – und Protagonistin Pippa ist dieses „brave Mädchen“. Sie ist ein sympathischer, ehrgeiziger, intelligenter Bücherwurm, der sich für Partys nicht interessiert. Mir war Pippa manchmal etwas zu glatt, zu genial und perfekt. Sie hätte noch etwas vielschichtiger und dreidimensionaler sein dürfen. Insgesamt mochte ich sie aber gerne: Ich liebte ihren trockenen Humor, konnte ihre Handlungen meistens nachvollziehen und habe vor allem in traurigen Momenten sehr mit ihr mitgelitten und mitgefühlt. Ich habe sie gerne begleitet.

Auch manche der anderen Figuren hätten noch etwas besser ausgearbeitet werden können – einige blieben bis zum Schluss blass. Andere hingegen konnten mich auf ganzer Linie überzeugen wie zum Beispiel Ravi, bei dem mir besonders gefallen hat, dass er kein klischeehafter, harter Bad Boy ist, sondern ein authentischer junger Mann mit Unsicherheiten, Schwächen und Gefühlen, die er auch zeigt. Auch die sich langsam von einer Freundschaft zu einer Liebesgeschichte entwickelnde Beziehung zwischen Pip und einer anderen Figur fand ich sehr unaufgeregt, authentisch und süß beschrieben – selbst wenn das Kribbeln bei mir ausblieb.

Spannung & Atmosphäre (4 Lilien)

„Hier drinnen hatte die Luft eine eigenartige Schwere. In der Stille gefangene Geheimnisse umschwebten sie wie unsichtbare Staubkörnchen.“ E-Book, Position 3611

Schon am Beginn gelingt es der Autorin, Spannung aufzubauen. Es ist eine „Ein-Mädchen-gegen-den-Rest-der-Welt“-Situation, bei der man sich sofort auf Pippas Seite stellt. Der Spannungsbogen kann durch gezielte Cliffhanger und immer neue Spuren, die sich auftun, auch den ganzen Thriller hindurch gehalten werden. Irgendwann jedoch übertreibt es die Autorin mit ihren vielen falschen Fährten, Wendungen und Verdächtigen. Hier hätte man kürzen können, denn in diesem Fall wäre weniger tatsächlich mehr gewesen. Was die Atmosphäre betrifft, gab es einige sehr starke Momente (in denen die Autorin z. B. den ganz normalen Teenager-Wahnsinn auf Partys treffend und amüsant einfängt), manchmal war aber noch Luft nach oben. Detailliertere Beschreibungen von Gefühlen und Umgebung wären hier wünschenswert gewesen.

Feministischer Blickwinkel (3 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++ (6x)

Was diesen Aspekt betrifft, bin ich etwas zwiegespalten: Einerseits ist Pip eine sehr mutige, intelligente und starke weibliche Figur, die sich von Ravi nichts gefallen lässt, den Ton bei den Ermittlungen angibt und Sexismus immer wieder kritisiert, andererseits werden fast nur Frauen im Buch beim Kochen und Putzen beschrieben (Pips Mutter wirkt außerdem seltsam abwesend) und Geschlechterstereotype werden immer wieder reproduziert. Das Jugendbuch besteht ohne Probleme den Bechdel-Test und kritisiert sexualisierte Gewalt, gleichzeitig verwendet es aber ohne jegliches Bewusstsein für Slut Shaming ganze 6x die frauenfeindliche Beleidigung Schlam++, was ich sehr problematisch finde. Ich habe mich entschieden, hier 3 Lilien zu vergeben, weil es zwar viele Dinge gibt, die die Autorin richtig gemacht hat, ihr teilweise aber (vor allem bei den kleinen Dingen) noch das Bewusstsein für Geschlechterstereotypen und Sexismus fehlt.

Mein Fazit

Mit „A Good Girl‘s Guide to Murder” ist Holly Jackson ein runder, unterhaltsamer und wendungsreicher Jugendthriller gelungen, der für Teenager perfekt geeignet ist. Mir hat der einfache, anschauliche und lockere Schreibstil von Holly Jackson gut gefallen, auch wenn er mir streckenweise etwas zu oberflächlich war. Außergewöhnlich und erfrischend fand ich den Aufbau der Geschichte, die sich aus klassischen Kapiteln, Protokollen und transkribierten Interviews zusammensetzt. Holly Jackson spricht in ihrem Thriller ernste Themen wie Trauer, sexualisierte Gewalt und Rassismus an, die sie allerdings nur teilweise tiefgründig verarbeitet. Die mutige, intelligente Protagonistin (und ihren Humor!), mochte ich sehr, auch wenn sie gerne noch etwas dreidimensionaler und vielschichtiger hätte sein dürfen. Gestört hat mich, dass sie gegen Ende dreimal aus der Rolle fällt und sich nicht nachvollziehbar verhält. Die meisten der anderen Figuren konnten mich überzeugen, manche blieben allerdings etwas blass. Bereits am Beginn baut die Autorin Spannung auf, die den ganzen Thriller hindurch gehalten werden kann. Irgendwann jedoch übertreibt sie es mit den vielen falschen Fährten, Wendungen und Verdächtigen. Hier wäre weniger tatsächlich mehr gewesen. Was die feministische Analyse des Thrillers betrifft, bin ich zwiegespalten, weil es zwar viele Dinge gibt, die die Autorin richtig macht (starke Protagonistin, sexualisierte Gewalt wird kritisiert), ihr teilweise aber (vor allem bei den kleinen Dingen) noch das Bewusstsein für Geschlechterstereotypen und Sexismus fehlt (nur Frauen werden beim Putzen und Kochen gezeigt, es fällt ganze 6x die frauenfeindliche Beleidigung Schlam++). Die überzeugende Auflösung (mit ihren überraschenden Enthüllungen) und das runde Ende, das alle offenen Fragen klärt, ließen mich zufrieden das Buch zuschlagen. Ob ich die Fortsetzung lesen werde, weiß ich noch nicht, da für mich die Geschichte eigentlich abgeschlossen ist. Trotz kleinerer Schwächen kann ich das Buch auf jeden Fall weiterempfehlen. Wer als Kind immer gerne Detektiv oder Detektivin gespielt hat, dem wird es großen Spaß machen, gemeinsam mit Pippa zu ermitteln und nach der Wahrheit zu graben!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 3,5 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonistin: 4 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir vier Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.09.2019

Starker Beginn & wunderschöner Schreibstil, aber auf hohe Erwartungen folgte leider Ernüchterung

Washington Black
1

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Schon auf den ersten Seiten tauchen wir ein in eine Geschichte, die uns ins Jahre 1830 nach Barbados entführt. Auf einer Zuckerplantage ändert sich für die vielen SklavInnen ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Schon auf den ersten Seiten tauchen wir ein in eine Geschichte, die uns ins Jahre 1830 nach Barbados entführt. Auf einer Zuckerplantage ändert sich für die vielen SklavInnen alles, als der alte Besitzer stirbt und sein jünger, viel grausamerer Nachfolger seinen Dienst antritt. Auch das junge Leben von Washington ändert sich von heute auf morgen, als er zum Assistenten von Titch, dem Bruder des Besitzers, gemacht wird. Denn Titch ist ein Wissenschaftler, der an einem Wolkenkutter tüftelt, der bald fliegen soll. Als etwas Schlimmes passiert, beschließt Titch mit Washington zu fliehen. Es wird der erste Flug der Maschine sein - und das in einer finsteren, stürmischen Nacht...

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Eichborn
Seitenzahl: 512
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: -! Für TierliebhaberInnen ist dieses Buch nicht leicht zu ertragen: Es wird in diesem Buch viel Fleisch und Fisch gegessen, Tiere werden ausgestopft und in der Wildnis zum Zwecke einer Ausstellung gefangen. Viele werden absichtlich getötet, andere sterben versehentlich, weil die Bedingungen in den Aquarien nicht passen. Es wird gejagt, Tiere werden erschossen, mit toten Tieren wird pietätlos umgegangen und es gibt mindestens einen Fall von Tierquälerei. Das Bemühen von Wash, die Tiere gut zu versorgen und sich für eine lebendige Ausstellung einzusetzen, wiegt die zahlreichen problematischen Punkte keinesfalls auf.

Warum dieses Buch?

Über dieses Buch hatte ich im Vorfeld so viel Gutes gehört: Es war für Preise nominiert, wurde von verschiedenen Zeitschriften und Institutionen im englischsprachigen Raum zum „Buch des Jahres“ gekürt und war sogar eines der Lieblingsbücher von Ex-Präsident Obama. So viel Lob macht mich natürlich sofort neugierig, besonders da mich das letzte „Buch des Jahres“ – „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ – so begeistern konnte!

Meine Meinung

Einstieg (♥)

„‘Wie ist das, Kit? Frei sein?‘ […]
‚Oh, Kind, das ist wie nichts in dieser Welt. Wenn du frei, du kannst machen, was du willst.‘“ E-Book, Position 161

Ich habe sehr schnell in die Geschichte gefunden. Man fühlt sofort mit dem jungen Washington mit, der bereits in seiner Kindheit als Sklave solche Grausamkeiten miterleben muss.

Schreibstil (♥)

„Er schien nicht gerade zu lächeln; in seinen Gesichtszügen lag eine Art unglückliche Heiterkeit, als freue sich jemand auf einer Beerdigung, eine lang nicht gesehene Tante zu treffen.“ E-Book, Position 2529

„Washington Black“ ist eine Geschichte, die in der ersten Person erzählt wird und in der wir als LeserInnen immer wieder direkt adressiert werden. Der Schreibstil ist mit Sicherheit die größte Stärke des Buches: Esi Edugyan schreibt sehr kraftvoll, angenehm und anschaulich, sodass ich sofort alles lebendig vor mir sehen konnte. Zudem ist ihre Sprache wunderschön – es gibt zahllose gelungene Vergleiche und Metaphern, weise Zitate und wunderbare Stellen, die man sich am liebsten alle rausschreiben möchte. Vor allem im ersten Teil schildert sie zudem Washingtons Gefühle – sein Misstrauen Titch gegenüber, seine Angst, seine Unsicherheit – sehr nuanciert und feinfühlig. Man hat sofort Mitleid mit ihm und ist erschüttert, was dieser Kinderseele alles angetan wird.

Lediglich bei den lateinischen Bezeichnungen für die Tiere hätte ich mir manchmal zusätzlich eine deutsche Übersetzung gewünscht, da ich viele der Lebewesen googeln musste.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

„Unter unserem neuen Master wurde es auf Faith zunehmend düster. […] James versuchte, wegzulaufen, also statuierten sie an ihm ein Exempel. Der Master befahl einem Aufseher, ihn vor unseren Augen bei lebendigem Leib zu verbrennen.“ E-Book, Position 139

Das Buch beginnt sehr stark mit Washingtons hartem Leben als Sklave auf der Zuckerplantage „Faith“ in Barbados. Nach dem Tod des alten Masters kommt ein jüngerer, viel grausamerer und sadistischer Mann an die Macht und nutzt diese aus, um seine Untergebenen zu quälen und ihnen jede Hoffnung zu rauben. Diese erste Hälfte des Buches konnte mich absolut überzeugen; sie war interessant, schockierend und hat mich immer wieder sehr wütend gemacht, da es solche erschreckenden Zustände früher wirklich gegeben hat.

Ab der abenteuerlichen Flucht von der Plantage ging es für mich aber leider bergab. Ich bin eigentlich ein Fan von Genrevermischungen, da sie manchmal sehr erfrischende, neuartige Bücher hervorbringen, doch hier finde ich die Verbindung aus historischem Roman mit Gesellschaftskritik, Coming-of-Age-Roman und Abenteuerroman nicht ganz gelungen; vor allem der Mittelteil schwächelte. Das Buch entwickelte viele Längen, es übte keinen Sog auf mich aus. So musste ich mich immer wieder aktiv motivieren, weiterzulesen. Viele überraschende Wendungen fand ich zwar sehr gelungen, doch irgendwann wurden mir die „praktischen Zufälle“ zu zahlreich und die Vorkommnisse zu unrealistisch, sodass die Geschichte stellenweise unglaubwürdig, sogar ein bisschen lächerlich und so wirkte, als würde sie sich über Bücher dieser Art lustig machen. Zudem fehlte mir vor allem im Mittelteil die erzählerische Tiefe. Vieles wird schnell, etwas lieblos und recht emotionslos abgehandelt, manchmal wirkt der Roman wie eine lose verbundene Aneinanderreihung von Geschehnissen.

Im Buch geht es um viele Dinge: um Sklaverei und das Leid, das dadurch verursacht wurde, um Einsamkeit, Abhängigkeit, um Enttäuschungen, um die faszinierenden Veränderungen und neuen Erkenntnisse, die die Welt und Wissenschaft damals geprägt haben, um Heimat, Familie und Freiheit. Zusätzlich sensibilisiert die Autorin uns auch für Rassismus, der mir in nächster Zeit sicher verstärkt auffallen wird. Obwohl ihre Themen sehr interessant sind und obwohl die Gesellschaftskritik stellenweise auch sehr gut gelungen ist, gelingt es der Autorin leider nicht immer, in die Tiefe zu gehen. Besonders im Mittelteil fehlten mir oft Beschreibungen des Innenlebens und der Gefühle des jungen Washington. Beispielsweise ist er auf der Plantage aufgewachsen und sieht das zum ersten Mal Schnee. Ein Moment voller Staunen – würde man meinen. Der bedeutende Augenblick wird aber nur kurz in einem Nebensatz abgehandelt.

Leider führt die Autorin ihre Geschichte zu einem für mich mehr als unbefriedigenden, fast schon ärgerlichen Ende. Der Schluss lässt nämlich viel zu viel Interpretationsspielraum zu, ist viel zu offen. Er kann nämlich auf zwei gegensätzliche Weisen verstanden werden – und bei der wahrscheinlicheren Möglichkeit davon handelt der Protagonist nicht nur schäbig, sondern auch sehr unglaubwürdig. Zudem bleiben so viele Aspekte ungeklärt – es gibt zu viele lose Fäden, zu viele offene Fragen, zu viele Dinge, die uns zuerst als wichtig präsentiert werden, dann aber im Nichts enden. Mir kam es leider so vor, als würde das Buch zu früh enden, als würde uns etwas Wichtiges vorenthalten. Insgesamt habe ich mir von „Washington Black“ leider mehr erwartet. Schade, ich habe mir so gewünscht, dass mich das Buch begeistert!

Protagonist & Figuren (+/-)

„‘Halte dich an das, was du siehst, Washington, nicht daran, was du sehen sollst.‘“ E-Book, Position 742

Washington fand ich als Hauptfigur gut gelungen. Er ist sehr intelligent und hat großes Talent, wird aber sein ganzes Leben aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert und beleidigt. Er war mir sympathisch, auch wenn er manchmal etwas unglaubwürdig handelt. Richtig ans Herz gewachsen ist er mir aber leider nicht.

Die anderen Figuren sind großteils sehr gut gelungen und liebevoll ausgearbeitet, auch wenn sie nur kurz in Washs Leben verweilen; trotzdem hätte ich über manche gerne noch mehr erfahren. Sie haben meist äußerliche Besonderheiten, sodass man sie leicht auseinanderhalten kann und nicht so schnell vergisst.

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Während der erste Abschnitt sehr atmosphärisch beschrieben war – ich konnte die Hitze fast auf der Haut spüren, hatte Zuckergeruch in der Nase – und für mich nicht nur schockierend, sondern auch sehr interessant und spannend war, konnte der Mittelteil bei mir, auch was diesen Aspekt betrifft, leider nicht punkten. Vieles wurde zu schnell abgehandelt, oft fehlten Details, sodass die Geschichte nicht ganz rund wirkte und sowohl Spannung als auch Atmosphäre fehlten. Dieser Sog, der am Anfang spürbar war, verschwand leider und wollte bis zum Schluss nicht mehr so richtig zurückkommen. Schade!

Feministischer Blickwinkel (+/-)

Das Geschlechterverhältnis ist unausgewogen, was ich aber bei einem historischen Roman in gewisser Weise verzeihe. Den Bechdel-Test besteht das Buch leider ebenfalls nicht, da es kein kein Gespräch zwischen zwei weiblichen Figuren gibt, in denen nicht über einen Mann gesprochen wird. Einmal wird auch beschrieben, dass Männer Frauen anbieten wie „Hu+++“. Dennoch gibt es einige starke, selbstbewusste Frauenfiguren im Buch, die durchaus mit Geschlechterstereotypen brechen, weil sie entweder körperlich sehr stark sind oder sehr direkt sagen, was sie wollen. Immer wieder wird im Buch zudem Missbrauch durch die weißen Sklavenbesitzer angedeutet und kritisiert. Zusätzlich ist eine Figur taub (sie spricht mit Gebärdensprache), und es wird sogar angedeutet, dass zwei der Figuren schwul sind und eine Beziehung miteinander haben, was mir sehr gut gefallen hat, da mir Vielfältigkeit in Büchern sehr wichtig ist.

Mein Fazit

„Washington Black“ ist ein Buch, an das ich mit hohen Erwartungen herangegangen bin, das mich aber leider insgesamt ernüchtert und etwas enttäuscht zurücklässt. Der Schreibstil ist mit Sicherheit die größte Stärke des Buches: Esi Edugyan schreibt äußerst angenehm, sehr anschaulich, einfühlsam und wunderschön. Es gibt unzählige gelungene Vergleiche und sprachliche Bilder und weise Zitate, die man sich rausschreiben möchte. Der Protagonist und auch die anderen Figuren sind meiner Meinung nach ebenfalls gut gelungen, sie sind liebevoll ausgearbeitet; trotzdem hätte ich über manche gerne noch mehr erfahren. Nach einem starken ersten Abschnitt folgt ein schwacher Mittelteil, von dem sich das Buch auch im immerhin wieder etwas besseren letzten Viertel nicht mehr erholen kann. Im Mittelteil, der hastig und lieblos wirkte und mich emotional leider nicht erreichen konnte, fehlten mir vor allem erzählerische Tiefe, Spannung, Atmosphäre und Beschreibungen des Innenlebens und der Gefühle von Washington. Das Buch entwickelte viele Längen, es übte keinen Sog auf mich aus. So musste ich mich immer wieder aktiv motivieren, weiterzulesen. Mir wurden es zudem irgendwann zu viele „praktische Zufälle“ und unrealistische Vorkommnisse. Trotzdem gab es auch viele Passagen, die mich überzeugen konnten, weil in ihnen Themen wie Sklaverei, Enttäuschungen, Abhängigkeit, Heimat und Freiheit sehr gelungen und tiefgründig behandelt wurden. Zusätzlich sensibilisiert die Autorin uns mit ihrer Geschichte für Rassismus, der mir in nächster Zeit sicher verstärkt auffallen wird. Leider gipfelt die Geschichte dann in ein offenes, sehr unbefriedigendes Ende, das wirkt, als würde das Buch plötzlich abbrechen. Mir waren es zu viele lose Fäden, zu viele unbeantwortete Fragen, zu viele Dinge, die uns zuerst als wichtig präsentiert wurden, dann aber im Nichts endeten.

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Umsetzung: 3 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonist: 4 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Ende / Auflösung: 1 Stern
Emotionale Involviertheit: 3 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +/-

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir insgesamt drei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Idee
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 19.05.2019

So viele gute Ansätze, so viel verschenktes Potential!

Elite
1

Die Rezension enthält Spoiler! Diese sind leider notwendig, um meine Meinung zu begründen.


Inhalt

Die Fullbrook Academy, ein Elite-Internat für die Kinder der Reichen, steht für alte Traditionen und ...

Die Rezension enthält Spoiler! Diese sind leider notwendig, um meine Meinung zu begründen.


Inhalt

Die Fullbrook Academy, ein Elite-Internat für die Kinder der Reichen, steht für alte Traditionen und Eleganz. Viele der Traditionen, Bräuche und alltäglichen Verhaltensweisen, die sich über die Jahre in diesem „geschützten Ökosystem“ entwickeln konnten, sind jedoch sexistisch und frauenfeindlich. Jules scheint die Einzige an ihrer Schule zu sein, die sich daran stört und die dagegen ankämpft. Damit macht sie sich viele Feinde. Als sie auf einer Party vergewaltigt wird, stellt sie sich zusammen mit James, einem neuen Schüler, und ihren anderen Freunden endgültig gegen die Elite. Doch hat sie eine Chance gegen deren Reichtum und Macht?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Bastei Lübbe
Seitenzahl: 384
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: abwechselnd Kapitel aus weiblicher und männlicher Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt oder getötet. Aber: An einer Stelle landen Scherben in einem Fluss und am Ufer, was als Umweltverschmutzung gilt und für Mensch und Tier gefährlich enden kann.

Warum dieses Buch?

Als ich das erste Mal von diesem Jugendbuch gehört habe, wusste ich, ich muss es unbedingt lesen! Die Themen des Buches – Sexismus, frauenfeindliche Traditionen und Diskriminierung – liegen mir nämlich als Frau, Mensch und angehende Lehrerin sehr am Herzen.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Ich habe zwar nicht sofort in die Geschichte gefunden, aber nach einigen Seiten war ich angekommen. Mir hat gut gefallen, dass sich der Autor im ersten Drittel Zeit nimmt, die Figuren und das Leben am Internat detailliert zu beschreiben. Das war sehr wichtig, um ein Gefühl für den Alltag an diesem besonderen Ort zu bekommen.

„Aber so funktioniert das ja an einem Ort wie hier. Gerüchte werden zu Geschichten. Geschichten werden zur Wahrheit.“ Seite 70

Schreibstil (+/-)

„‘Die ist total verzweifelt, mein Freund‘, sagte er und entfernte sich weiter. ‚[…] Macht aus einer Mücke einen Elefanten und behauptet, vergewaltigt worden zu sein. Das ist unheimlich gefährlich. Mit diesem Wort kann man einem Jungen das gesamte Leben ruinieren.‘“ Seite 308

Was den Schreibstil betrifft, so bin ich leider zwiegespalten. Einerseits ist die Sprache einfach, gut für die Zielgruppe geeignet und flüssig lesbar. Manchmal sind sogar schöne, geradezu poetische Formulierungen dabei. Auch Emotionen werden in vielen Momenten sehr gut vermittelt – sodass es mir oft leicht gefallen ist, mit den Figuren mitzufühlen. Andererseits weist der Schreibstil manchmal auch Wiederholungen auf und konzentriert sich oft zu stark auf unwichtige Dinge. Zusätzlich ist er streckenweise nicht anschaulich, präzise, knackig genug, oder aber sehr langatmig zu lesen. Zudem wäre es schön gewesen, wenn die Dialoge mehr Begleitsätze gehabt hätten – manchmal war nicht sofort klar, wer gerade spricht, was mich aus dem Lesefluss gerissen hat. Außerdem hätten die Sportbegriffe dringend kurz erklärt werden müssen: Menschen, die sich z. B. mit Eishockey nicht auskennen (wie ich), werden oft nicht wissen, wovon der Autor spricht.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

„Es war eine Woche, in der ich versuchte, den Fuß aufzusetzen, ohne jemals den Boden zu finden. So fühlte sich das an.“ Seite 250

Zuerst: Ich finde es ganz toll, dass es immer mehr Jugendbücher zu geben scheint, die Sexismus und sexualisierte Gewalt gegen Frauen für Teenager verständlich aufbereiten, thematisieren und kritisieren. Besonders schön finde ich, dass es sich bei diesem Buch um einen männlichen Autor handelt, der ein großes Bewusstsein für das Thema hat und an vorderster Front gegen Diskriminierung kämpft. Vielen Männern (und auch Frauen!) ist Sexismus nämlich gar nicht bewusst, oft halten sie schädliche gesellschaftliche Strukturen, die zu weiblicher Benachteiligung führen, schlicht für „normal“. Das ist traurig! Schön, dass Brendan Kiely erkannt hat, wie dringend wir den Feminismus immer noch brauchen. Und wer das Buch gelesen hat, weiß spätestens (!) dann: sehr dringend!

Generell spricht Brendan Kiely in seinem Buch neben Themen wie Macht, Freundschaft und Internatsleben sehr viele wirklich wichtige Dinge an. Es geht um Homophobie, die immer noch vorherrschende Tabuisierung der Periode, Sexismus. In seinem Roman zeigt Brendan Kiely auf, wie tief sexistisches, frauenfeindliches Gedankengut in unserer Gesellschaft verwurzelt ist und wie gerne wir toxische Männlichkeit rechtfertigen und stattdessen Victim-blaming und Slut-shaming betreiben. Jungen sind Helden, wenn sie ein aufregendes Liebesleben haben, Frauen sind Schlam---, deren Wert sich an der Zahl der Partner bemessen lässt. Nicht nur Männer, auch Frauen halten diese schädlichen gesellschaftlichen Strukturen am Leben. Wenn ein Mädchen vergewaltigt wird, werden immer noch die falschen Fragen gestellt. Statt „Wer war es und wie können wir gegen diese Person vorgehen?“ fragen viele lieber: „War Alkohol im Spiel? Hatte das Opfer einen kurzen Rock an? Hat sie vielleicht falsche Signale gesendet?“ Das muss endlich aufhören!

Starre Geschlechterrollen stellen übrigens einen Risikofaktor für sexualisierte Gewalt dar. Wusstet ihr, dass es bei Vergewaltigungen meist nicht um Verlangen, sondern hauptsächlich um Macht geht? Und wusstet ihr, dass in Deutschland statistisch gesehen immer noch jeden dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet wird? Viel zu oft wird Täter- statt Opferschutz betrieben. Wer erinnert sich nicht an diesen jungen Stanford-Studenten, der für die von ihm verübte Vergewaltigung eine lächerlich niedrige Strafe bekommen hat, weil man ihm ja nicht die Zukunft verbauen wollte? Das Leben wollen wir einem Vergewaltiger natürlich nicht zerstören, wo kämen wir da hin! Und dass er das Leben einer jungen Frau zerstört hat, das ist ja nicht so schlimm. Denn: Boys will be boys – und so sind die nun mal. Dieses Buch und der Umgang mit Sexismus und sexualisierter Gewalt haben mich sehr wütend gemacht!

Die Faktenlage ist hier leider sehr traurig. In Österreich hat 2016 nicht einmal jede 10. Frau nach einer Vergewaltigung eine Anzeige erstattet, und in nur etwa einem Neuntel der Fälle wurde der Täter verurteilt. Meist ist es (wie in Jules Fall) so, dass das Opfer den Täter kennt - in ca. 80% der Fälle ist es ein Freund, Bekannter oder sogar ein Familienmitglied. (Übrigens machen „erfundene“ Vergewaltigungen nur einen ganz kleinen Prozentsatz aus, also bitte hört auf, Frauen pauschal vorzuwerfen, dass sie ja nur Aufmerksamkeit wollen.) Es ist zwar schön, zu sehen, dass sich – auch durch Debatten wie #Metoo – etwas tut. Es ist beruhigend, dass nun auch immer öfter die Mächtigen und Reichen Konsequenzen für ihr Verhalten zu spüren bekommen, wie zum Beispiel Weinstein oder Kevin Spacey. Dennoch haben wir noch einen weiten Weg vor uns, den wir gemeinsam gehen müssen, wenn wir wollen, dass unsere Töchter (und Söhne) in einer freieren, gerechteren und glücklicheren Welt aufwachsen.

Das erste Wort, das mir nach der Lektüre dieses Buches durch den Kopf ging, war leider trotzdem ein großes „Schade“ – diese Geschichte hätte so, SO gut werden können. Hier wurde so unglaublich viel Potential verschenkt, dass es fast körperlich wehtut. Trotz des vorbildlichen Grundgedankens des Autors ist die Umsetzung leider nicht durchgehend gelungen – vieles wird nur angerissen und sehr oberflächlich behandelt. Manchmal wird auch vergessen, Handlungsstränge zu Ende zu erzählen. Immer wieder wartet man vergeblich auf Erklärungen, oft fehlt Tiefe.

Das Ende hat mich zudem absolut enttäuscht und wütend gemacht. Das lag nicht nur daran, dass es meiner Meinung nach viel zu früh gekommen ist, sondern auch daran, dass es keinerlei Konsequenzen für den Täter gibt. Und genau das finde ich sehr problematisch! Das Ende ist nicht düster genug, um aufzurütteln und zu schockieren, sondern da schwingt so etwas vage Positives / Kämpferisches mit - obwohl eigentlich fast gar nichts erreicht wurde. Ich konnte hier auch das Verhalten der Figuren nicht nachvollziehen: Warum wurde nicht einmal Anzeige erstattet? Warum wird es so dargestellt, als hätten die Betroffenen alles versucht? Ich kann nicht verstehen, warum sie so halbherzig kämpfen und so schnell aufgeben! Die rückgratlosen Erwachsenen an diesem Internat, die die Opfer verraten, um es sich mit den Mächtigen nicht zu verscherzen, haben mich zudem echt angewidert. „Elite“ vermittelt Jugendlichen Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit - das Gefühl, dass man nichts dagegen tun kann, wenn einem so etwas passiert. So kann ich das Buch Jugendlichen leider nicht ohne Einschränkung empfehlen. Ich würde mehr Geschichten wünschen, die den Opfern Mut machen und zeigen, dass es etwas bringen kann, wenn man sich wehrt und Anzeige erstattet. Nur mit einer intensiven Nachbesprechung (in der das inkompetente Verhalten der Erwachsenen kritisiert wird) und Hinweisen auf Hilfsangebote, an die man sich wenden kann, wenn einem so etwas passiert, ist das Buch für Jugendliche geeignet.

„An einem Ort wie Fullbrook konnte ein Mann mit mir – mit jedem Mädchen, jeder Frau – machen, was er wollte, und ungestraft davonkommen. […] Alles in Fullbrook war darauf ausgerichtet, sie zu schützen, nicht mich.“ Seite 326

Protagonisten & Figuren (+/-)

Die beiden Hauptfiguren waren mir sehr sympathisch. Mit Jules konnte ich mich sofort identifizieren, da auch ich mich (natürlich!) als Feministin betrachte und mich für Gleichberechtigung einsetze. Jules ist eine starke, mutige, empathische und ziemlich coole Figur, die jungen Frauen als Vorbild dienen kann. Auch James mochte ich mit jeder Seite mehr. Er kann jungen Männern als Vorbild dienen, weil er ihnen vormacht, wie man mit anderen Menschen umgehen sollte: liebevoll, respektvoll und einfühlsam. James beweist, dass es keine toxischen Vorstellungen von Männlichkeit braucht, um ein selbstbewusster Mann zu sein. Im Gegenteil – manchmal ist es sehr mutig, seine Gefühle zu zeigen und sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen – besonders dann, wenn man sich damit selbst zum Außenseiter macht. Es gab Szenen, in denen ich intensiv mit den beiden (vor allem aber mit James) mitgefühlt und mitgelitten habe. In anderen Momenten hat mich die Geschichte aber erstaunlich kalt gelassen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich Jules Verhalten nach der Tat glaubwürdig fand (obwohl natürlich jede Frau hier anders reagiert). Hier hätte der Autor aber auf jeden Fall noch mehr in die Tiefe gehen müssen. Das war mir nicht genug.

Die anderen Figuren sind verschieden gut ausgearbeitet, manche von ihnen bleiben sehr blass, scheinen nur aus der Funktion zu bestehen, die sie für die Geschichte haben, wie z. B. „sexistischer Bösewicht“. Andere wiederum sind sehr sympathisch, vielschichtig und liebevoll gezeichnet und erhalten ihre ganz eigene, schwierige Vergangenheit.

„Dann hörte sie damit auf und hielt die Handflächen starr auf die Sterne gerichtet. ‘Kennt ihr dieses Gefühl, das könnte alles jeden Moment herunterfallen und euch unter sich begraben?‘, fragte sie. ‚Als müsstet ihr es da oben festhalten, weil andernfalls alles über euch zusammenbricht?‘“ Seite 148

Spannung & Atmosphäre (-)

Leider konnte mich die Umsetzung trotz einiger gelungener Momente nicht überzeugen. Vor allem im Mittelteil fehlten mir Spannung und Tempo, die Geschichte kam einfach nicht richtig in Schwung. Immer wieder gab es auch Szenen, die mir eher unwichtig erschienen und die man weglassen können hätte. Meiner Meinung nach hätte man die Geschichte etwas griffiger gestalten müssen, um die gewünschte Wirkung bei den LeserInnen zu erzielen. So hinterlässt das Buch aufgrund der Umsetzung einen eher schalen, enttäuschten, unbefriedigten Nachgeschmack. Es hätte SO gut werden können. Aber das wurde es leider nicht. Schade!

Feministischer Blickwinkel (♥)

Hier bekommt der Autor natürlich alle Punkte, denn auch wenn es mit der Umsetzung nicht so geklappt hat, wie ich mir das gewünscht hätte, zählt doch das Vorhaben und der Mut, gegen Sexismus und Diskriminierung anzuschreiben. Danke dafür! Es ist so wichtig, dass über solche Themen gesprochen wird – auch in Jugendbüchern. Immerhin sind die Teenager von heute die Erwachsenen von morgen.

Mein Fazit

„Elite“ ist ein Jugendbuch, das bei mir (trotz der anfänglichen Vorfreude und Begeisterung) leider einen eher schalen, ernüchterten, unbefriedigten und enttäuschten Nachgeschmack hinterlässt. Dabei hätte diese Geschichte so gut werden können! Hier wurde so unglaublich viel Potential verschenkt, dass es fast körperlich wehtut. Der Schreibstil ist zwar einerseits flüssig zu lesen, vermittelt in vielen Momenten intensive Gefühle und überrascht mit so mancher poetischen Formulierung – andererseits ist er stellenweise zu langatmig, zu wenig anschaulich und enthält störende Wiederholungen. Die sympathischen Hauptfiguren – die mutige, starke Feministin Jules und der ebenso starke, einfühlsame Riese James – konnten mich meist überzeugen, auch wenn ich ihr Verhalten nicht immer nachvollziehen konnte. Die Nebenfiguren hingegen bleiben teilweise sehr blass. Viele wichtige Themen, die mir am Herzen liegen, wie Slut-shaming, Victim-blaming, sexualisierte Gewalt, Sexismus und Homophobie werden angesprochen und kritisiert. Leider wird vieles dabei nur angerissen, oft fehlt Tiefe. Das Ende hat mich zudem sehr enttäuscht und wütend gemacht, weil nichts erreicht wurde, aber trotzdem so getan wird, als hätte man einen Sieg errungen. Die fehlenden Konsequenzen für den Täter mögen zwar realitätsnah sein, aber sie sind in einem Jugendbuch als sehr problematisch zu erachten. Diese Geschichte lehrt Jugendliche vor allem eines: Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit - das Gefühl, dass man nichts dagegen tun kann, wenn einem so etwas passiert. Aus diesem Grunde ist dieses Buch Jugendlichen nur zu empfehlen, wenn der Lektüre eine intensive Nachbesprechung mit Hinweisen auf Hilfsangebote und Kritik am inkompetenten Verhalten der Erwachsenen folgt. Ich würde mir mehr Geschichten wünschen, die Opfern Mut machen und zeigen, dass es etwas bringen kann, wenn man sich wehrt und Anzeige erstattet. Kurz: „Elite“ ist ein Buch mit vielen guten Ansätzen, aber auch großen Schwächen, das mich leider enttäuscht hat.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 3 Sterne
Worldbuilding: 3,5 Sterne
Einstieg: 3,5 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Hauptfiguren: 4 Sterne
Nebenfiguren: 3 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Spannung: 2-3 Sterne
Ende / Auflösung: 1 Stern!
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: ♥
Macht wütend!

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei leider enttäuschte Lilien!

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  • Cover
  • Erzählstil
  • Geschichte
  • Figuren
  • Spannung