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Veröffentlicht am 27.01.2017

Tillys Erben

Fastenopfer
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In der Nacht zum Aschermittwoch haucht der Benefiziumsverwalter Rainer Schutt-Novotny in seinem Büro unter einem imposanten Gemälde des Feldherrn Tilly sein Leben aus. Es handelt sich nicht um einen natürlichen ...

In der Nacht zum Aschermittwoch haucht der Benefiziumsverwalter Rainer Schutt-Novotny in seinem Büro unter einem imposanten Gemälde des Feldherrn Tilly sein Leben aus. Es handelt sich nicht um einen natürlichen Tod, was die beiden Mühldorfer Kripobeamten Max Kramer und Fritz Fäustl auf den Plan ruft...

Hier bin ich mal wieder reingefallen: bei "Fastenopfer" handelt es sich um den zweiten Teil einer Reihe, was auf den ersten Blick leider nicht ersichtlich war. Erst als ich schon ein ganzes Stück gelesen hatte, wurde mir klar: Hier muss es einen Vorgängerband geben. Er heißt "Gnadenort" und ist schon vor etwa zwei Jahren beim Ullstein Verlag erschienen. Eigentlich ist "Fastenopfer" ein neuer, in sich abgeschlossener Fall, den man auch völlig problemlos ohne die Vorkenntnisse aus dem ersten Band lesen kann. Zumindest kann man das, wenn man nicht wie ich diese Macke hat, dass man eine Reihe ganz oder gar nicht lesen mag. So ist auch der Vorgängerband bei mir eingezogen und wurde natürlich zuerst gelesen - immer diese Folgekosten

Die Handlung spielt hauptsächlich im idyllischen Wallfahrtsort Altötting, und man merkt auch deutlich, dass Anton Leiss-Huber über seine Heimat schreibt, wo er sich wie in seiner Westentasche auskennt. Mir gefiel besonders gut, dass der Mordfall eindeutig im Vordergrund steht, und nicht zugunsten eines komödienstadelähnlichen Spektakels im Vorbeigehen gelöst wird. Obwohl ich eigentlich sehr gerne Regionalkrimis lese, gibt es da doch gerade bei den bayrischen Vertretern einige, die man im Grunde kaum noch als Krimi bezeichnen kann. Die Eberhofer-Reihe von Rita Falk würde mir hier zum Beispiel einfallen, die ich nach dem vierten Band nicht mehr weiterverfolgt habe, weil ich das ewige Susi-Franz-Hin-und-Her nicht mehr ertragen konnte, und auch nicht mochte, dass man als Leser immer mehr den Eindruck bekommt, alle Bayern wären irgendwo zwischen vertrottelt und grenzdebil zu verorten.

Trotzdem kommt der regionale Touch nicht zu kurz, viele Figuren sprechen bayrischen Dialekt, was natürlich in den Dialogen zum Tragen kommt. Der Autor hat einen guten Mittelweg getroffen, als Bayerin finde ich mich dialektmäßig wieder, aber auch als "Preusse" hat man bestimmt keine Verständnisprobleme.
Das eingangs im Buch erwähnte Tilly-Benefizium ist übrigens nicht der Phantasie des Autors entsprungen, das gibt es tatsächlich. Obwohl der berühmte Feldherr aus dem dreißigjährigen Krieg nicht nur in der Altöttinger Gegend ein Begriff ist, war es mir neu, dass tatsächlich bis 2009 täglich eine Messe für ihn gelesen wurde. Auch dass die Abschaffung der "auf ewig" ausgelegten Vereinbarung für einigen Wirbel sorgte, ist ein skurriles, aber nettes Detail - wieder was dazugelernt.

Auch die Figurenzeichnung ist sehr gut gelungen, man findet genau die richtige Portion Schrulligkeit, so dass die Personen weder farblos noch überzeichnet wirken - besonders gern mochte ich das Team Schosi-Hirlinger, die überengagierte Pfarrersköchin, die immer auf die schlanke Linie ihres Monsignore achtet - und das ohne Rücksicht auf Leib und Leben des Herrn Hirlinger.

"Fastenopfer" ist ein solider Krimi, der mich bestens unterhalten hat und auch bis zum Schluss im Dunkeln tappen ließ, was die Auflösung angeht. Den Vorgänger "Gnadenort" kann ich übrigens ebenfalls wärmstens empfehlen: Auch wenn keine Vorkenntnisse benötigt werden, wirken doch ein paar (für die Krimihandlung aber nebensächliche) Handlungsdetails schlüssiger und machen die Geschichte noch einen Tick runder.

Veröffentlicht am 13.06.2018

Die Vergangenheit kann man nicht zurücklassen

Die Schlingen der Schuld
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Daniel Clement war der Star der Mordkommission in Perth. Doch als seine Frau die Scheidung einreicht und mit der gemeinsamen Tochter Phoebe nach Broome zieht, hängt Clement seinen vielversprechenden Job ...

Daniel Clement war der Star der Mordkommission in Perth. Doch als seine Frau die Scheidung einreicht und mit der gemeinsamen Tochter Phoebe nach Broome zieht, hängt Clement seinen vielversprechenden Job an den Nagel und lässt sich ins australische Outback versetzen, um in Phoebes Nähe zu bleiben. Und ausgerechnet dort, mitten im Nirgendwo, muss er den schwierigsten Fall seiner bisherigen Laufbahn lösen: Dieter Schäfer, ein deutscher Aussteiger und selbst ehemaliger Polizeibeamter, wird brutal ermordet. Und er bleibt nicht das einzige Opfer.

Ich war sehr gespannt auf "Die Schlingen der Schuld", nachdem ich vor einiger Zeit die Bücher von Candice Fox entdeckt habe, reizte mich vor allem das Setting im australischen Outback. Es gelingt Dave Warner auch exzellent, davon einen Eindruck zu vermitteln, allem voran von den für einen Europäer schon allein schier unglaublichen Entfernungen und deren Einfluss auf die Polizeiarbeit.

Dan Clement sticht leider nicht so sehr aus der Masse der angeschlagenen Ermittler heraus, wie ich es mir gewünscht hätte. Er beschäftigt sich gedanklich häufig mit seiner gescheiterten Ehe, und den daraus resultierenden Auswirkungen auf das Verhältnis zu seiner Tochter. Auch seine betagten Eltern spielen eine recht große Rolle - insgesamt ging es mir etwas zu sehr um Clements Privatleben, das natürlich in der Regel keinen Bezug zu den Ermittlungen hatte.
Die teilweise sehr ausschweifenden Passagen sorgten dafür, dass die Spannung einige Male wieder deutlich abflachte, und nahmen meiner Meinung nach auch einfach zu viel Raum ein - hier hätte ein wenig Straffung der Handlung durchaus gut getan. Dieser Fokus auf Clements Privatleben sorgte auch dafür, dass seine Kollegen allesamt recht blass blieben - ich musste selbst gegen Ende immer noch überlegen, wer wer ist. Das fand ich schade, denn deren Background wäre für mich wesentlich interessanter gewesen als der der Ex-Frau oder der Eltern.

Da es sich hier um einen Reihenauftakt handelt, wollte der Autor wohl einfach das Hauptaugenmerk des Lesers auf die Hauptfigur lenken, und Dan Clements Charakter deutlicher zeichnen als nur auf der professionellen Ebene. Das ist auch geglückt, als Leser konnte man sich ein sehr detailreiches Bild machen, was für ein Mensch Clement ist, wie er tickt und was ihm wichtig ist. Dennoch würde ich mir für die Fortsetzungen wünschen, dass ich mir auch von den Nebenfiguren ein besseres Bild machen kann.

Der Fall selbst war sehr spannend, die Wurzeln reichten bis tief in Schäfers Vergangenheit und selbst nach drei Vierteln des Buches tappte ich noch weitgehend im Dunkeln, wie sich das ganze zum Ende hin aufdröseln wird. Mir hat gut gefallen, dass es durch Schäfers Herkunft sogar einen Bezug zu Deutschland gab - dadurch wurde das exotische Setting mit Bekanntem vermengt, was richtig gut gelungen ist.

Trotz kleiner Längen hat mir "Die Schlingen der Schuld" insgesamt so gut gefallen, dass ich mir auch Detective Clements nächsten Fall bestimmt nicht entgehen lassen werde.

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  • Spannung
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  • Geschichte
Veröffentlicht am 11.06.2018

Spezialeinheit: Landfrieden!

Bülent Rambichler und die fliegende Sau
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Bülent Rambichler, seines Zeichens glücklicher Innendienstler bei der Nürnberger Mordkommission, Anfang 40 und türkisch-fränkischer Abstammung, wird mit seiner größten Angst konfrontiert: Er soll selbst ...

Bülent Rambichler, seines Zeichens glücklicher Innendienstler bei der Nürnberger Mordkommission, Anfang 40 und türkisch-fränkischer Abstammung, wird mit seiner größten Angst konfrontiert: Er soll selbst einen Mordfall lösen. Also nicht in seinem Büro, sondern draußen, wo man mit echten Leichen konfrontiert wird. Und, als wäre das nicht schon schlimm genug, ist die Leich auch noch in der tiefsten fränkischen Provinz, seinem Heimatdorf Strunzheim, gefunden worden. Bülents Chef ist der Meinung, dass der Heimvorteil unbedingt genutzt werden muss, Bülent ist sich da nicht so sicher...

Im Vorfeld hatte ich schon die Meinung einiger Leser zum Buch mitbekommen, die zum größten Teil nicht gerade aus Begeisterungsstürmen bestanden. Am Ende hatte ich dann gar nicht mehr so richtig Lust auf den Bülent (ein Grund, warum ich mich meistens im Vorfeld nicht über ein Buch informiere). Aber da der Krimi nun mal hier lag, und mir dauernd gefühlt vorwurfsvolle Blicke zugeworfen hat, hab ich ihn am Sonntagnachmittag dann einfach mal mit in den Garten genommen. Und, was soll ich sagen? Tatsächlich auch in einem Rutsch durchgelesen. Wobei es natürlich mit knapp 290 Seiten auch kein dicker Wälzer ist.

Es ist schon so, dass die Strunzheimer Dorfbevölkerung recht stereotyp daherkommt, da gibt's einen Suffkopf (Franz, genannt Suff); zwei neugierige alte Dorfratschen (die Walder-Zwillinge), eine maulfaule Bauernfamilie (die Rummslers), sowie die Neureichen mit der schicken Villa (die Fromms). Die katholische Jugend und die Landfrauen dürfen in seinem solchen Roman natürlich auch nicht fehlen. Andererseits muss ich sagen, dass ich auch kaum einen Regionalkrimi nennen könnte, der ohne diese Stereotype auskommt - auf jeden Fall keinen, der in Bayern angesiedelt ist. Und es gibt eben - quasi als Ausgleich - ein paar Figuren, die aus diesem Muster fallen, allen voran natürlich Bülent selbst, aber auch seinen Vater Erkan, der ambitioniert an seinem Wahlkampf für den Gemeinderat arbeitet, oder den durchtrainierten Ralph-de-Bricassart-mäßigen Pfarrer Winter, der mit seinen Schäfchen Senioren-Aerobic-Stunden durchturnt.

Was mir hier richtig gut gefallen hat: Das Duo, bestehend aus Bülent und seiner Assistentin Astrid, ermittelt tatsächlich. Da wird nach und nach der Hintergrund des Opfers durchleuchtet, Beziehungen aufgedeckt, von denen noch nicht mal die Walder-Zwillinge etwas ahnten, und so der Wahrheit immer näher gerückt. Das Verhältnis zwischen Mordermittlung und Lokalkolorit liegt meiner Meinung nach in etwa bei 70:30 - bei anderen Genrevertretern ist das Verhältnis leider oft umgekehrt, was mir dann immer zu viel des Guten ist. Denn auch wenn "Regional" davorsteht, will ich eigentlich hauptsächlich einen Krimi lesen, und das war bei diesem Auftaktband um Bülent Rambichler auch gegeben, womit Anja Bogner bei mir auf jeden Fall Pluspunkte sammeln konnte.

"Bülent Rambichler und die fliegende Sau" hat mir fast schon wider Erwarten einige unterhaltsame Lesestunden beschert, und ich hab mich in der fränkischen Provinz gut amüsiert - wer das Genre mag und mal keinen Oberbayern- oder Niederbayern-Krimi lesen mag, kann sich mit diesem Titel auf jeden Fall nebenbei über saure Zipfel und Schäufele informieren ;) Ich bleib auf jeden Fall dran und bin schon gespannt auf den zweiten Fall dieser ungewöhnlichen "Spezialeinheit".

Veröffentlicht am 08.06.2018

Aha-Momente? Leider Fehlanzeige.

The Stranger - Wer bist du wirklich?
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Als Ellie eines Nachts Zeugin wird, wie ihr verlässlicher, bodenständiger Ehemann Will volltrunken und mit tödlicher Folge mit dem Auto verunglückt, bricht für sie eine Welt zusammen. Sie haben keine Kinder, ...

Als Ellie eines Nachts Zeugin wird, wie ihr verlässlicher, bodenständiger Ehemann Will volltrunken und mit tödlicher Folge mit dem Auto verunglückt, bricht für sie eine Welt zusammen. Sie haben keine Kinder, also lebt sie jetzt ganz alleine in ihrem einsam gelegenen Cottage, nur die Arbeit in ihrem Café im nahegelegenen Dorf garantiert, dass sie nachwievor unter Menschen kommt. Es passt einfach nicht zu Will, dass er unterwegs ist, obwohl er zuhause arbeiten wollte, dass er sich betrunken ans Steuer setzt und dann auch noch wie ein Irrer über kurvige Landstraßen rast. Was ist an Williams letztem Abend geschehen?

Leider stellt sich Protagonistin Ellie diese alles entscheidende Frage lange nicht. Obwohl sie zwanzig Jahre mit William verheiratet war und ihn besser kannte als irgendjemand sonst, nimmt sie es als gegeben hin, dass er an diesem Abend komplett aus der Rolle fiel - und denkt nicht einmal eine Sekunde darüber nach, dass an diesem Unfall etwas faul sein könnte. Im Gegenteil, obwohl die beiden eine gute, glückliche Ehe führten, ist sie sofort bereit, das Schlimmste von ihm anzunehmen. Diese Illoyalität ihrem Mann gegenüber machte mir Ellie schon vom Start weg sehr unsympathisch, ich konnte einfach nicht nachvollziehen, wie schnell sie die vielen guten Jahre über Bord geworfen hat. Dazu kam dann auch noch ihre kaum zu überbietende Naivität gegenüber anderen Menschen, bei denen sie etliche Warnzeichen bereitwillig ignorieren konnte.
Wie man vermutlich merkt, konnte mich die Figurenzeichnung schon mal nicht überzeugen, leider betrifft das nicht nur die Protagonistin, auch bei den meisten Randfiguren blieb die Glaubwürdigkeit ihrer Motive auf der Strecke.

Der Handlungsverlauf ist nicht annähernd so fesselnd, wie ich es bei einem Thriller gerne hätte. Über weite Strecken plätschert Ellies nicht gerade aufregender Alltag vor sich hin, und als sie nach Williams Tod einem anderen Mann näher kommt, liest sich das Buch über weite Strecken wie ein Liebesroman, unterbrochen von kleinen Spannungsspitzen, wenn tatsächlich die eigentliche Handlung mal wieder aufgenommen wird.
Bereits im ersten Drittel war mir klar, vor wem sich Ellie in Acht nehmen sollte. Ich war an keiner Stelle hin- und hergerissen oder habe eine andere Figur auch nur in Erwägung gezogen, weil es meiner Meinung nach offensichtlich war. Und ich befürchte, dass es den meisten Lesern, die halbwegs regelmäßig zu einem Thriller greifen, ebenso ergehen wird.
Nachdem ich mich also über zwei Drittel wenig begeistert durch das Buch geschleppt hatte, wurde ich gegen Ende mit einem gewaltigen Showdown konfrontiert, bei dem sich die Ereignisse förmlich überschlugen, die Bösen ihr wahres Gesicht zeigten, und die Guten sich endlich als Helden offenbaren konnten. Das war dann alles etwas drüber und wollte auch nicht so recht zum vorhergehenden Handlungsverlauf passen - in etwa so, als ob die erste und die zweite Hälfte eigentlich zu verschiedenen Büchern gehören würden.

Ich weiß nicht recht, wem man dieses Buch ans Herz legen könnte - am ehesten vielleicht Lesern, die selten zu diesem Genre greifen, und es nicht allzu brutal mögen. Thrillerfans haben sicher schon einige Bücher mit einer ähnlichen Thematik gelesen, die deutlich spannender waren und mit glaubhafteren Figuren und einem weniger durchsichtigen Ende aufwarten konnten. Dadurch, dass die Autorin anscheinend auf Biegen und Brechen die Thematik der Flüchtlingskrise einbauen wollte, hat sie leider einiges an Spannungspotenzial verschenkt. Da besonders die Dorfbewohner nur so vor Klischees strotzen und ausnahmslos als nicht reflektierende, tumbe Fremdenhasser gezeichnet werden, taugt das Buch am Ende aber auch nicht als Roman über ein wichtiges gesellschaftliches Thema.
Den zweiten Stern gibt es, weil ich bis zum Ende durchgehalten habe, empfehlen kann ich "The Stranger" aber dennoch nicht.

Veröffentlicht am 04.06.2018

Zwei Welten prallen aufeinander

Das Paar aus Haus Nr. 9
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Sara lebt mit ihrem Mann Neil und den beiden Söhnen in einer gepflegten Doppelhaushälfte in einem Londoner Vorort. Ihr ruhig-konservatives, normales Leben wird gehörig durcheinander gewirbelt, als Lou ...

Sara lebt mit ihrem Mann Neil und den beiden Söhnen in einer gepflegten Doppelhaushälfte in einem Londoner Vorort. Ihr ruhig-konservatives, normales Leben wird gehörig durcheinander gewirbelt, als Lou und Gavin, ein völlig unkonventionelles Künstlerpaar, mit ihren drei Kindern nebenan einziehen. Sara ist auf den ersten Blick fasziniert von den neuen Nachbarn, deren völlig anderer Lebensstil, abseits von geregelten Arbeitszeiten und gesellschaftlichen Normen, sie magisch anzieht - um jeden Preis will sie sich mit diesem mondänen Paar anfreunden.

Ich kann gar nicht so genau festmachen, was die Faszination dieses Romans ausmacht. Im Grunde genommen geht es von der ersten bis zur letzten Seite um relativ alltägliche Schilderungen aus Saras Familienleben: Ein gemütliches Zusammensein befreundeter Paare, Alltagsorganisation berufstätiger Eltern, Ausflüge in den Park und dergleichen. Klingt eigentlich nicht besonders spannend, und dennoch konnte ich das Buch kaum zur Seite legen, weil ich völlig gefesselt und komplett in die Story abgetaucht war.

Das erste Kapitel hat eigentlich die Funktion eines in die Zukunft blickenden Prologs, in dem Sara etwas zwiespältig an ihre Zeit mit Lou und Gav zurückdenkt, während sie das Haus der beiden betrachtet. Im folgenden Kapitel springt die Handlung um 18 Monate zurück - an den Tag als Sara und Lou sich zum ersten Mal begegneten. Man weiß als Leser also schon nach etwa anderthalb Seiten, dass die aufkeimende Sympathie und die ersten zarten freundschaftlichen Bindungen zwischen den vier Akteuren in diesem kammerstückartigen Roman ein Ablaufdatum haben. Es stellt sich nur die Frage: Wie und warum wird diese Bindung, die so schnell so intensiv wird, wieder zerbrechen?

Der Leser blickt ausschließlich über Lous Schulter und kennt ihre Beweggründe sehr genau, auch wenn es manchmal etwas schwer nachvollziehbar war, dass eine gestandene, erwachsene Frau eine fast schon manische Besessenheit für ihre Nachbarn entwickelt, und wie ein Teenie für dieses in ihren Augen glamouröse Paar schwärmt. Als Leser fand ich Lou und Gavin, eigentlich eher etwas befremdlich - weniger ihre Art zu leben, doch sie sind schlicht wenig sympathisch. Schon früh zeigen sie einige Charakterzüge und auch Geisteshaltungen, die mich mehr abstoßen als anziehen würden. Und auch Sara geht es im Grunde so, dass sie über manche Äußerungen oder Handlungen Lous entsetzt ist, doch sie redet sich die Dinge immer wieder schön, erfindet Rechtfertigungen, um den eingebildeten Glorienschein nicht zu gefährden.

Was dagegen in Saras Mann Neil, oder eben auch in Lou und Gavin vorgeht, bleibt völlig im Dunkeln. Einerseits ist das sehr reizvoll, denn so besteht die Möglichkeit, dass Dinge passieren, die man als Leser nicht vorausahnen konnte, weil sie eben auch Sara verborgen blieben, aber andererseits wäre zumindest eine zweite Perspektive sehr aufschlussreich gewesen. Eigentlich würde sich bei diesem Stoff anbieten, noch ein zweites Buch aus Lous Sicht anzuhängen - ich würde gerne wissen, was sie wirklich über ihr Groupie Sara denkt, und wie sie tatsächlich tickt.

Auch wenn ich nicht genau ergründen konnte, was mich an diesem Buch so gefesselt hat - es hatte für mich definitiv Suchtpotential.