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Veröffentlicht am 06.01.2021

Schicksalstage am Fjord

Schicksalstage am Fjord
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"Schicksalstage am Fjord" von Sofie Berg erschien (Paperback, 2019) im Gmeiner Verlag, München. Die Autorin, deren Großmutter selbst Norwegerin war, verwebt hier sehr gekonnt und spannend die an ihre eigene ...

"Schicksalstage am Fjord" von Sofie Berg erschien (Paperback, 2019) im Gmeiner Verlag, München. Die Autorin, deren Großmutter selbst Norwegerin war, verwebt hier sehr gekonnt und spannend die an ihre eigene Familiengeschichte angelehnte Geschichte der fiktiven Familie Bakken in Trondheim, Norwegen in einer düstere Zeit: Unter der Besatzung des Nazi-Regimes im 2. Weltkrieg.

"Das Leben in Norwegen unter der deutschen Besatzung ist gefährlich, vor allem für diejenigen, die Widerstand leisten. Nach der Verhaftung von Vater und Schwager wendet sich die junge Norwegerin Ingrid Bakken hilfesuchend an ein Mitglied der norwegischen Nazipartei und wird damit für ihre Familie zur Verräterin. Ingrid bemüht sich, das Verhältnis zu ihrer Familie zu retten - und hat Erfolg. Doch dann begegnet ihr die große Liebe - in Gestalt eines deutschen Soldaten. Wird sie es wagen, ihren Gefühlen nachzugeben?"
(Quelle: Buchrückentext)

Die Besetzung Norwegens durch deutsche Truppen des Nazi-Regimes im 2. Weltkrieg begann am 4. April 1940; in den folgenden Kriegsjahren begleiten wir die Familie Kristine und Nils Bakken aus Trondheim, besonders die Hauptprotagonistin Ingrid Bakken, als 19jähriges Mädchen die Jüngste der Familie: Ihr Bruder Arne ist im Widerstand und überzeugt seinen Schwager Einar, der bereits 1941 verhaftet wurde und erst nach Wochen wieder frei kam, der Gruppe beizutreten: Die Gestapo hat ihr Hauptquartier im früheren "Missionshotel" und verfolgt jede Spur des Widerstands - dazu kommt noch die Gesinnungslage mancher Norweger, die sich in der Nazipartei "Nasjonal Samling" vereint haben und mit denen die "Jossinge", die königstreuen und loyalen, antifaschistischen Norweger nichts zu tun haben wollen, hinzu. Die Bakkens sind allesamt Jossinge - und gehören der Gewerkschaft und teils der kommunistischen Partei an. Daher hat die Familie wenig Verständnis für Ingrid, die durch eine frühere Freundin, deren Eltern der Nasjonal Samling angehören und Feste mit den Deutschen feiern, Hilfe erfährt, um ihren Vater aus der Haft zu entlassen: Ingrid hatte große Angst, dass sie ihrem Vater und auch Schwager etwas antun könnten.
Die Familie interpretiert den Kontakt zu Solveig anders: Ingrid ist von nun an eine Verräterin, die den Kontakt zu Solveig nicht unterbunden hat. Hier spielt der Stolz des Vaters eine Rolle, der von Menschen mit dieser Gesinnung keine Hilfe annehmen will.

Ingrid arbeitet in einer Konservenfabrik und da die Lebensmittelknappheit größer wird, überlegt die Familie, über den Sommer nach Selbu an der Grenze zu Schweden zu reisen, wo sie Verwandte hat und die Versorgungslage entspannter ist. Nur Ingrid soll in Trondheim bleiben - sie wird überhaupt nicht in die Reisepläne der Familie einbezogen. Und damit nimmt das Schicksal seinen Lauf:

Solveig überredet Ingrid, mit zum Tanztee zu kommen, wo auch deutsche Soldaten sind. Ihr Bruder Arne hat Ingrid davor gewarnt, sich mit dem Feind einzulassen und kann sie vor einem Übergriff des Nachbarn, der ihr Avancen macht, retten: Ragnar Mykland. Dieser trägt im weiteren Verlauf Persönlichkeitszüge von Henry Rinnan, dem Anführer der Rinnan-Bande, die als Kollaborateure der Gestapo sich in Widerstandsgruppen einschleusten und diese aufdeckten: Ihre Methoden waren dabei ebenso inhuman wie die der Nazis: Sie folterten und töteten unschuldige Norweger (Rinnan wurde 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet).

Angewidert von Ragnars wiederholten Annäherungsversuchen, findet Ingrid in Georg Reimers einen jungen sympathischen Mann, der sehr sanft ist und sie wiedersehen will: Doch Georg ist gebürtiger Hamburger, ein Soldat der deutschen Wehrmacht - und damit eigentlich ihr Feind!
Es ist mehr als berührend zu lesen, wie tragisch der innere Konflikt von Ingrid ist, die sich darüber bewusst ist, dass es einen Bruch mit der Familie geben würde, wenn sie diese Liebe offen leben würde. Daher blüht sie im Geheimen - und lässt sich dennoch von Krieg und Gewalt nichts befehlen: Sie ist einfach da.

Genau dies versteht Sofie Berg sehr gut, herauszuarbeiten: Aber auch die inneren Konflikte, die in der Familie durch die Verbindung von Ingrid und Georg entstehen, sind sehr bildhaft und authentisch beschrieben. Einzig die Mutter, eine sehr starke Persönlichkeit, deren oberstes Gebot ist, die Familie zusammen zu halten und keines ihrer Kinder (Astrid, die Älteste, die mit Einar verheiratet ist und 2 Söhne hat, Kjell und Per; Arne, ihren Sohn und Ingrid) zu bevorzugen: Auch nach dem "Fehltritt" von Ingrid, der doch eines Tages offenkundig wird, steht sie zu ihr, während Astrid, die durch die Inhaftierung und Deportation nach Deutschland ihres Mannes Einar die Deutschen hasst, ebenso wie ihr Vater Nils und vor allem auch ihr Bruder Arne sich von Ingrid abwenden. Erschüttert muss man lesen, dass Bruder, Schwester und der eigene Vater das Zimmer verlassen, wenn Ingrid hereinkommt. Dass sie kein Wort oder nur das Allernötigste mit ihr sprechen. Dass Ingrid auch keine Erklärungen ihrerseits abgeben kann, die anerkannt werden; etwas, dass Georg nicht dafür verantwortlich ist, dass Einar verhaftet wurde. Im Verlauf des Romans, in dem auch (1942) Hamburg dem Erdboden gleich gemacht wird, stellt sich mehr und mehr heraus, dass Georg kein überzeugter Nationalsozialist ist. Dennoch wird er als Feind von der Familie abgelehnt (ausser von Kristine, ihrer Mutter) und Ingrid wird immer klarer, dass sie sich zwischen beiden entscheiden muss....

Der historische Roman von Sofie Berg gibt einen sehr guten Einblick in eine fiktive norwegische Familie, die exemplarisch für viele stehen könnte, während der deutschen Besatzungszeit: Auch historische Ereignisse und Personen werden genannt, über die man bei Interesse anderenorts noch mehr in Erfahrung bringen kann (Quisling, Rinnan). Auch die Zeit nach der deutschen Kapitulation und das Aufatmen der vom deutschen Joch befreiten norwegischen Bevölkerung erlebt man mit Kristine und den anderen Familienangehörigen mit: Für Menschen, die in deutschen Firmen arbeiteten (Bautruppen z.B.) oder in Fabriken, war es auch nach dem Krieg sehr schwer, eine neue Anstellung zu finden. Frauen, die mit deutschen Soldaten ein Liebesverhältnis eingingen, wurden (ebenso wie in Frankreich) geschoren, verachtet, beschimpft und kamen in ein Lager: Liebe in Kriegszeiten wird von der Gesellschaft hart bestraft und viele dieser Frauen wurden zu Unrecht gedemütigt und drangsaliert. Ingrids Schrecken, als sie eine ihr bekannte Frau so sieht, kann man gut nachvollziehen.

Ingrid selbst fand ich sehr authentisch und sympathisch; die stärkste Frau im Roman ausser Ingrid selbst ist ihre Mutter Kristine, die sich wie eine Löwin vor ihre Tochter stellte und sehr souverän handelte. Weniger sympathisch war mir Astrid, Ingrid's Schwester: Ihren Hass auf die Deutschen übertrug sie gar auf ihre Söhne und ihr Verhalten Ingrid gegenüber empfand ich als bösartig und sehr gehässig. Anders Einar, ihr Mann, der stets ein gutes Verhältnis mit seiner Schwägerin Ingrid hatte! Der Vater, der sich auch sehr hart von seiner jüngsten Tochter abgewandt hatte, bekam einen Pluspunkt am Romanende: Er hatte ein ganz besonderes Geschenk für sie, was mich überaus freute.

Fazit:

Ein sehr lesenswerter, auch spannender und gut geschriebener Roman aus der Zeit der deutschen Besatzung, der sehr berührt und nachdenklich stimmt. Ich hatte eigene, persönliche Gründe, diesen Roman zu lesen und muss sagen, dass es ein erhellender (weiterer) Lichtblick für mich war, diese Zeit aus der Perspektive einer norwegischen Familie (mit)erleben zu können, der sehr authentisch wirkte. Die Großmutter der Autorin war selbst Norwegerin, wie sie im Nachwort schreibt und der Roman basiert teils auf den Aussagen und Erzählungen des Großvaters. Das Glossar, das die norwegischen Begriffe erklärt, rundet zudem diesen außergewöhnlichen Roman positiv ab.
Ich vergebe 4,5 Sterne und empfehle diesen Roman gerne uneingeschränkt weiter!

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Veröffentlicht am 27.12.2020

Die Frau des Winzers

Das letzte Licht des Tages
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"Das letzte Licht des Tages" von Kristin Harmel erschien in Übersetzung (aus dem amerikanischen Englisch) von Veronika Dünninger im Knaur Verlag (Paperback, 2020, ISBN 978-3-426-22712-1).

Frankreich, ...

"Das letzte Licht des Tages" von Kristin Harmel erschien in Übersetzung (aus dem amerikanischen Englisch) von Veronika Dünninger im Knaur Verlag (Paperback, 2020, ISBN 978-3-426-22712-1).

Frankreich, Ville-Dommange, (Champagne), 1940:

Die Deutschen besetzen Frankreich und auch Michel und Inés, seit 2 Jahren ein Ehepaar und Besitzer eines Weinguts in der Champagne, befürchten Schlimmes: Sie produzieren seit Generationen Champagner; unterstützt von Théo, dem Kellermeister und Céline, seiner Ehefrau, die Halbjüdin ist. Céline macht sich große Sorgen um ihre Eltern, von denen sie lange nichts hörte...

Während Michel und Théo alte Freunde sind und sich im Berufsalltag ohne Worte verstehen, tun sich Inès und Céline eher schwer, eine Freundschaft aufzubauen. Der "Winzerführer" Klaibusch und seine Nazi-Kumpanen plündern alle Weingüter und erlegen den Winzern auf, dass sie fortan eine gewisse Menge des edlen Gebräus nach Deutschland zu entsenden haben. Zu dieser Zeit haben sich bereits Widerstandszellen gebildet und auch viele Winzer gehören der Résistance an, die versuchen, die Ziele der Nazis zu durchkreuzen. So erfährt eines Tages auch Inès davon, dass Michel Waffen und auch jüdische Flüchtlinge in den weitverzweigten Kellern des Gutes versteckt und muss sich für eine Seite entscheiden. Sie wirkt, kaum über zwanzig, sehr naiv auf mich und ist nicht glücklich in ihrer Beziehung zu Michel: Daher sucht sie ab und andas Weite, um ihre Freundin in Reims zu besuchen, die dort mit ihrem Mann das"Moulin Rouge", ein Restaurant mit Bar, betreibt. Édith ist ebenfalls dem Widerstand angehörig und gibt wichtige Informationen an die Netze der Résistance weiter, die sie von den betrunkenen deutschen Soldaten erlauscht.

Dort lernt Inès einen Franzosen kennen, der ihr Komplimente macht und sie in ihrem mangelnden Selbstwertgefühl und ihrem Unglück tröstet: Ein fataler Fehler, wie sich später herausstellen sollte....

Liv, die nach einer gescheiterten Ehe Jahrzehnte später ihrer exzentrischen Großmutter zurück nach Frankreich folgt, wundert sich über die Rätsel, die ihre Großmutter verschweigt und die in deren Vergangenheit führen: Als Èdith, die Großmutter Liv's, mit ihr Reims und das frühere Weingut der Familie Chauveau besucht, überschlagen sich die Ereignisse und der junge Anwalt Julien Cohn wird von Èdith beauftragt, ihr "reinen Wein einzuschenken"; ihrer Enkelin das zu sagen, was sie selbst nie konnte....

Meine Meinung:

In diesem Roman, den Kristin Harmel vorlegte, ist gekonnt und auf bewährte Art eine Liebesgeschichte mit Zeitgeschichte verwoben; der Zeit des 2. Weltkrieges, in der Frankreich (abgesehen von der Zone libre im Süden) von Nazideutschland besetzt war. Der zweite Erzählstrang ist in der Gegenwart angesiedelt: Édith Thierry ist inzwischen fast 100 Jahre alt (dabei jedoch sehr agil und trinkfest; was für mich etwas unrealistisch dargestellt war, aber lustig) und möchte ihrer Enkelin sagen, was sie ihrem Sohn zeitlebens verschwieg: Die Wahrheit über die tragische Vergangenheit, die sich in Reims und auf dem Weingut der Familie Chaveau abspielte. Harmel gelingt es, zum Einen die Herstellung von Champagner zu beschreiben, zum anderen die schöne Landschaft der Champagne mit Reims, dessen Kathedrale sich mit Notre Dame de Paris durchaus messen kann. Charaktere wie Édith und Céline waren mir sehr sympathisch; mit Inès und Édith hatte ich meine Probleme, da die Verwandlung einer Hauptprotagonistin auf mich etwas hölzern und nicht authentisch wirkte. Aus einer naiven und wenig selbstbewussten Inès wurde später eine Résistance-Kämpferin, die im Süden gar ein Messer nutzte, um einen Gegner auszuschalten. Letzteres von dem Gefühl abhängig, etwas wieder gut zu machen, was unumkehrbar war.

Themen des Romans sind u.a. Liebe, Freundschaft, Kinderlosigkeit, in Zeiten desKrieges Liebe und Verrat, Denunziantentum, die Verfolgung der Juden auch in Frankreich; tragische Schicksalsverknüpfungen während der Zeit der Résistance, die viele Opfer forderten. Der Schreibstil ist flüssig zu lesen und die Rück- und Einblicke in die französische Geschichte, besonders während der Nazidiktatur, flossen in den Roman ein. Das letzte Romandrittel war berührender als der Beginn und hier klärt sich auch das Rätsel, das Édith enthüllt. An überraschenden Wendungen und einem tragischen Ende fehlt es dem Roman nicht; auch die Beschreibungen der "caves", der Weinkeller und der Kelterei sind interessant, jedoch am Ende, als eine silbergrauhaarige Frau auf die Bühne tritt, war mir dies dann doch ein "zuviel desGuten"; es wirkte konstruiert und weniger wäre hier mehr gewesen, um die Geschichte abzurunden.

Fazit:

Ein flüssig geschriebener und leicht lesbarer Roman, der in zwei Zeitebenen erzählt wird und die tragische Geschichte der französischen Winzerfamilie Chaveau aus der Zeit des 2. Weltkrieges und der Résistance lebendig beschreibt. Leider fand ich trotz recht gutem Unterhaltungswert die Personenzeichnung und zuweilen auch den Romanverlauf nicht ganz überzeugend. Der Hauptprotagonistin konnte ich mich nicht wirklich nähern (am ehesten der 99jährigen Édith und ihr Verhalten wie auch ihre charakterlichen Kontraste und Veränderungen wirkten auf mich etwas konstruiert. Interessant und gelungen fand ich hingegen das Einfließen historischer Fakten der "Grande Nation" in der besetzten Champagne in den Kriegsjahren des 2. Weltkrieges. Von mir erhält der Roman 3* und 85° auf der "Histo-Couch".

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Veröffentlicht am 27.12.2020

Träume aus Samt

Träume aus Samt
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Mit großem Interesse habe ich dem letzten Teil der "Seidenstadt-Saga" von Ulrike Renk entgegengesehen und ihn nun beendet: "Träume aus Samt" hat mich jedoch leider nicht in der Weise überzeugen können ...

Mit großem Interesse habe ich dem letzten Teil der "Seidenstadt-Saga" von Ulrike Renk entgegengesehen und ihn nun beendet: "Träume aus Samt" hat mich jedoch leider nicht in der Weise überzeugen können wie die Vorgänger (Jahre aus Seide, Zeit aus Glas und Tage des Lichts).

Hier begegnen wir Ruth und ihrer Familie in Chicago (1940), wo sich die jüdische Familie, gerade mit dem Leben Nazideutschland entflohen, eine neue Existenz aufbauen muss. Ruths Eltern schafften es durch den enormen Willen und die Couragiertheit der ältesten Tochter, mit der jüngeren Schwester Ilse nach England auszureisen, wo Ruth als jüdische Emigrantin auf einem Hof bei den Sandersons arbeitete, bis die geliebten Eltern nachkommen konnten. Auch die Ausreise nach Amerika war ein Glücksfall, da sie normalerweise erst Tickets für das Jahr 1941 hatten (was mit Sicherheit ihre Ermordung bedeutet hätte). Man begleitet die Familie zu Beginn des letzten Teils im Zug von New York nach Chicago, eine beschwerliche Bahnreise, da ihnen ein Mann Tickets für den Bummelzug zum doppelten Preis bereits auf dem Schiff verkaufte...

Der Start ins neue Leben ist beschwerlich, Sprachbarrieren sind zu überwinden und die kulturellen Unterschiede sind ebenfalls vorhanden. Dennoch gelingt es Vater Karl, Martha, seiner Frau und Ruths Mutter, der eher introvertierten Ilse und besonders Ruth, sich einzuleben. Besonders authentisch sind die oftmals vorhandenen Gedanken der Meyers, die einerseits dankbar sind, in Sicherheit zu sein, sich jedoch auch jeden Tag Sorgen über die in Deutschland zurückgebliebene Familie machen.... Wir erleben verschiedene Lebensstationen mit Ruth, die nach wie vor die Hauptprotagonistin ist; wie sie zum Unterhalt der Familie beiträgt, erst in einer Kleiderfabrik, dann in einer Schuhfabrik arbeitet und schließlich (obwohl sie die schwere Aufnahmeprüfung fürs College schaffte, der Vater sich jedoch dagegen ausspricht, dass sie studiert) mit Rachel, ihrer Freundin, sich zur Kosmetikerin ausbilden lässt - und eine besser bezahlte Arbeit findet. Während der Tanztees, zu denen sie Rachel ab und an begleitet, lernt sie Eddie Elcott kennen, der sie nach und nach für sich gewinnen kann. Doch wird ihre Liebe Bestand haben, obwohl sie verschiedenen Welten entstammen?

Ich fand den letzten Teil der auf einer wahren Begebenheit beruhenden Familiengeschichte der jüdischen Familie Meyer, die knapp dem Tode im Holocaust entkommen konnte, teils etwas langatmig. Es wurden viele Nebensächlichkeiten angesprochen, die ich als nicht sehr wichtig betrachte. Auch hatte ich in diesem Roman den Eindruck, dass die verwendete Sprache sehr einfach gestrickt ist, dies war bei den Vorbänden nicht der Fall. Der Beginn sparte leider die Zeit in England aus, nachdem die Eltern ebenfalls dort ankamen (Band 3) und startet in Amerika; wo es zu dieser Zeit sicher viele jüdische Familien gab, deren neuer Anfang und die Neuorientierung nicht einfach war. Ruth zeigt sich auch hier als mutig und intelligent, gerät jedoch auch an die Grenzen der eigenen Kultur, von der sich die Eltern nicht lösen können. Die letzten Seiten des Romans waren - was in krassem Widerspruch zum sonstigem Schreibstil der Autorin steht - für mich in gewissem "Zeitraffertempo" angesiedelt, was ich als Stilbruch empfand.

Fazit:

Das Buch basiert wie seine Vorgänger auf der wahren Lebens- und Familiengeschichte der Meyers aus Krefeld, die über England in den Vereinigten Staaten Zuflucht vor der Verfolgung im Holocaust Nazideutschlands fand. Diese Familie steht auch exemplarisch für viele andere jüdische Familien, die kurz vor - oder zu Beginn des 2. Weltkrieges gezwungen waren, zu emigrieren.
Die ersten 3 Bände der Seidenstadt-Saga habe ich gerne gelesen und kann sie nur empfehlen; bei diesem letzten Teil war vieles für mich stilistisch nicht stimmig; dennoch kann ich den im Nachwort der Autorin beschriebenen Grund dieser Geschichte nur unterschreiben: Ausgrenzung, Abwertung, Antisemitismus, Gräueltaten und Ermordung von Menschen, die einem anderen Glauben angehören, wie sie in der Diktatur des Nationalsozialismus begangen wurden, darf es niemals wieder geben! Meiner Meinung nach hätte es Ulrike Renk bei der Trilogie belassen sollen: Der letzte Band kann mit den Vorgängern leider nicht (ganz) mithalten. 3*

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Veröffentlicht am 27.12.2020

Weihnachtsbriefe berühmter Frauen und Männer - sehr lesenswert!

Habt alle ein schönes Fest und einen warmen Ofen!
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"Habt alle ein schönes Fest und einen warmen Ofen" - Hrsg. und kommentiert von Petra Müller und Rainer Wieland erschien Propyläen/Gruppe Ullstein Verlag 2018. Dieses wunderschöne Buch stand bereits letztes ...

"Habt alle ein schönes Fest und einen warmen Ofen" - Hrsg. und kommentiert von Petra Müller und Rainer Wieland erschien Propyläen/Gruppe Ullstein Verlag 2018. Dieses wunderschöne Buch stand bereits letztes Jahr auf meinem "Weihnachts-Leseprogramm" und in diesem - etwas anderen Jahr der Pandemie hat es mich an den Weihnachtstagen und in der Adventszeit sehr gut unterhalten.

Die Autoren haben sehr persönliche Weihnachtsbriefe an Menschen, denen die berühmten Schriftsteller, Komponisten, Märchendichter, Bildhauer und Maler nahestanden; seien es Ehefrauen oder Männer, Freunde oder Gönner, in diesem Buch literarisch brillant zusammengestellt, dass es eine Freude ist, sowohl die Briefe selbst als auch die Kommentare der AutorInnen, die ein tieferes Verständnis zu Person und Texten geben, zu lesen.

Besonders berührt haben mich die Weihnachtsbriefe an seine Kinder von J.R.R. Tolkien, der vielen FreundInnen der Fantasie als Autor des "Hobbits" und "Der Herr der Ringe" bekannt ist: Bereits die Überschrift, die dem Brief entnommen ist, zeugt von dessen Humor, Fantasie und Vorstellungskraft: "Die Nordpolspitze ist mitten entzweigebrochen und auf das Dach meines Hauses gefallen", so Tolkien. Auch Helene Hanff's Briefe aus New York, die später veröffentlicht werden sollten, haben mich sehr amüsiert (obgleich die Autorin so spartanisch lebte (1978), dass ihre Kleiderstange unter den Mänteln der vielen Gäste zum Weihnachtsessen in der winzigen Wohnung das Zeitliche segnete, was das Ende der Weihnachtspartys mit Freunden bedeutete...

Auch von Soldatenweihnachten (Franz Marc an seine Frau Maria) ist zu lesen und Heinrich Böll empfand "die militärischen Erheiterungsaktionen" am Christfest als eine Qual - und beschreibt sehr glaubwürdig, weshalb. Wir lesen vom berühmten Märchendichter Hans Christian Andersen, dass er Weihnachten oft im Schloss der Grafen von Moltke verbrachte und stets "auf fliegenden Koffern" lebte, nie sesshaft war. Als der jüngste Sohn des Grafen an Typhus starb, war das Schloss an Weihnachten ein Trauerhaus geworden und Moltke blieb "in den Mauern Kopenhagens": Sicher sehnte er sich nach dem üppigen und unterhaltsamen Fest, was in das Märchen um den kleinen Tannenbaum eingeflossen sein mochte (das ich sehr gerne mag und weshalb ich lieber seit vielen Jahren einen kleinen, künstlichen Baum mein eigen nenne, der immer wieder zum Leuchten gebracht werden kann, statt ihn bar aller Nadeln entsorgen zu müssen....

Als große (frühere) Bewunderin des intellektuellen Paares ihrer Zeit Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre habe ich mit großem Interesse deren Korrespondenz, zumindest ausschnittweise, folgen können und hatte einen Einblick in die "offene Beziehung" der beiden, die sich jedoch im Leben und wohl auch im Schreiben ein Anker waren. Der Brief Brigitte Reimanns an ihre Jugendfreundin berührte mich tief und sehr beeindruckt war ich vom nur neunjährigen Wilhelm Busch, der an seine (mit Emotionen geizenden) Eltern einen rührenden Weihnachtsbrief schrieb und sich für seine neuen Hosen bedankte (er wuchs bei seinem Onkel, einem Pfarrer auf, der ihm die Grundlagen des Zeichnens u.v.a. beibrachte). Der (zeitlebens wohl schüchterne) Chopin traf mit seinem Brief an einen Freund ebenfalls mein Herz und mit den schönsten Weihnachtsbrief fand ich im letzten der Briefreihe von Theodor Fontane an Mathilde von Rohr, mit der er offenere Worte fand als seiner Frau gegenüber und der bis ins hohe Alter trotz seinem schriftstellerischem Fleiß (und Können) mit seiner Familie oftmals in Geldnot war; am Existenzminimum lebte, bis er 70 Jahre alt war... Besonders das im Buch abgedruckte Gedicht von Fontane, das auch eine Art Lebensbilanz ist, erweckt das Gefühl, dass der berühmte Schriftsteller recht eins war mit sich selbst. Gerade an Weihnachten sicher ein eher gutes Gefühl!

Fazit:

Ein wundervoller Band mit den schönsten Weihnachtsbriefen berühmter Persönlichkeiten aus dreihundert Jahren, der nachdenklich stimmt, prächtig unterhält, den Leser die "BriefeschreiberInnen" aus einer großen Nähe entdecken lässt und vom Autorenduo Müller/Wieland in den jeweiligen Kommentaren ein interessantes, abgerundetes Bild der jeweiligen Eindrücke erhält. Ein Buch, das ich absolut weiterempfehlen möchte - ein literarischer Genuss, ganz besonders in der Advents- und Weihnachtszeit. 4,5*

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Veröffentlicht am 21.12.2020

Welt in Flammen - eins meiner Histo-Lieblinge 4ever!

Welt in Flammen
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Eine Rezension zu diesem (hervorragenden) Roman ist kein leichtes Unterfangen, doch ich will es dennoch versuchen...
Das Cover und auch der Buchrücken von "Welt in Flammen" ziert auf der Vorderseite eine ...

Eine Rezension zu diesem (hervorragenden) Roman ist kein leichtes Unterfangen, doch ich will es dennoch versuchen...
Das Cover und auch der Buchrücken von "Welt in Flammen" ziert auf der Vorderseite eine Bahnhofshalle und schemenhaft angedeutete Reisende im Nebel der Dampflok - ein sehr gelungenes Cover, das zum Inhalt sehr gut passt; die Rückseite des Schutzumschlages des HC-Bandes zeigt eine Moschee in Istanbul in zartem Morgenrot - auch eine gelungene symbolische Darstellung für die Bedeutung, die der "Orient-Express" für die Reisenden darstellte in jener dunklen Zeit (1940): Eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft"....
Das Buch ist in 7 Teile gegliedert, von Frankreich bis Bulgarien/Türkei, in denen der Reiseverlauf des "Simplon Orient Express" (SOE) durch mehrere europäische Länder führt. Die jeweiligen Stationen sind auf den Innenseiten von Buchdeckel und -rücken markiert, die es dem Leser ermöglichen, die Teilstrecken gut zu überblicken und ggf. nachzuschauen, wovon ich des öfteren mit Freude regen Gebrauch machte .
Am Buchende sind Abbildungen der Schlafwagen und des Speisewagens, ebenso die Unterbringung der Passagiere in die Abteile dargestellt; ein Personenregister der Hauptprotagonisten sowie eine Danksagung des Autors sowie eine (wichtige, zum Verständnis des Buches) Nachbemerkung finden sich hier ebenfalls.
Die Idee zum Roman wird in letzterer gut nachvollziehbar geschildert wie auch die Tatsache, dass es sich hier nicht um einen historischen Roman handelt, sondern um eine Erzählung in einem historischen Kontext (der auch schriftstellerische Freiheiten umfasst). Der eigentliche Impuls zum Buch stellt der Autor eindringlich dar (S. 762) - und dieser ist auch für mich auf jeder Seite spürbar - und macht "Welt in Flammen" zu einem ganz besonderen Buch.
Nach einer kurzen Vorgeschichte rollt im Mai 1940 der letzte, dem "alten und im Kriege versinkenden Europa" aus dem Pariser Gare de 'Est - an Bord eine schicksalhafte Reisegesellschaft. Zu den Passagieren, die teils fiktiv, teils wahre historische Personen sind, zählen neben dem Bordpersonal z.B. ein russischer Großfürst mit Familie, ein sowjetischer Agent, ein rumänischer König (Carol II), dessen jüdische Geliebte, ein deutscher Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime, ein französischer Diplomat und ein zeitgeschichtlicher Wagen von großem Wert (Wagon de l'Armistice), besonders für die Nazis: Doch dieser stellt nicht den einzigen unschätzbaren Wert dar, den der Simplon-Orient mitführt...
Es handelt sich hier um einen sehr sprachgewaltigen, stilistisch sehr elegant gefeilten Roman, dem die Fahrt des legendären Orient-Express anno 1940 zugrunde liegt; einige Personen bzw. Hauptprotagonisten sind reale Figuren (Carol von Rumänien, Franz von Papen, Admiral Canaris z.B.); andere fiktiv (Eva Heilmann, Ingolf Helmbrecht alias Ludvig Mueller z.B.). Während der gemeinsamen Reise wird deutlich, dass "viele nicht die sind, die sie zu sein scheinen" und aus den unterschiedlichsten, vornehmlich verborgenen Gründen diese Reise antraten:
Die leisen, aber unüberhörbaren "Zwischentöne", die sich zwischen allen Interaktionen der Reisenden, den Welt- und damit dem Kriegsgeschehen "draußen" wie auch den Geräuschen der sich drehenden Räder des Simplon Orient, die sich mahnend in die Handlung des Geschehens einfügen, sind es, die mich an diesem Roman fasziniert und am meisten begeistern konnten. Nach dem "Einstieg" des Lesers nach kurzer Vorgeschichte in Paris ins Abteil der "CIWL" 3425 (Schlafwagen), wo man im Kabinengang auf Raoul und Georges trifft, beide Stewards oder Angestellte der Cie., kann man an dieser Stelle anderen Lesern nur noch zurufen "FESTHALTEN! - so spannend und überaus fesselnd ist diese (literarische) zeitgeschichtliche Reise, an der man als Leser teilnehmen kann, geschrieben.
Der elegante, sehr anspruchsvolle Schreibstil, die Dialoge und die Satzkonstruktionen transportieren für mich mehr als nur Worte; auch die Heraushebung einzelner Sätze oder Satzteile (kursiv) verstärken deren Bedeutung, führen zu einem noch besseren Leseverständnis. Ein Bsp. dazu auf S. 451:
"Der graue Morgen lag über den Gleisanlagen, die wie ein stumpfer Dolch auf das Herz der jugoslawischen Hauptstadt zielten". (Belgrad, 27.05.1940)
Ein weiteres Beispiel für den sprachlichen Genius des Autors:
(S. 708, als der Simplon Orient die bulg-türk. Grenzstadt Svilengrad "passiert":
"Die fiebernde Aura des Kometen begann zu ermatten, als der Simplon Orient seinen Weg (Richtung Istanbul) fortsetzte."
Fazit:
Ein atemberaubender, sprachgewaltiger und genial geschriebener Roman einer Reise im Simplon-Orient-Express des Jahres 1940 und ein Stück Zeitgeschichte (inkl. einiger schriftstellerischer Freiheiten), die an Spannung ihresgleichen sucht! Eines meiner bisherigen "Jahres-Highlights" und eine ganz klare Leseempfehlung!
P.S. Wer sich für die historischen Hintergründe der CIWL und der Geschichte des legendären Orient-Express interessiert, dem sei ein Bildband empfohlen: Constantin Parvulesco: "Orient Express" - Zug der Träume
(dort finden sich z.B. auch Carol von Rumänien wieder

ABSOLUTER LESETIPP!! - 5*****

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