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Veröffentlicht am 12.04.2017

Familiengeheimnisse auf griechischen Inselpfaden

Olivensommer
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"Olivensommer" von Isabelle Broom erschien (in Übersetzung vom Englischen in Deutsche von Uta Rupprecht) als TB, broschiert im Diana-Verlag (Verlagsgruppe Randomhouse), 2017.

Schon das dekorativ gestaltete ...

"Olivensommer" von Isabelle Broom erschien (in Übersetzung vom Englischen in Deutsche von Uta Rupprecht) als TB, broschiert im Diana-Verlag (Verlagsgruppe Randomhouse), 2017.

Schon das dekorativ gestaltete Cover deutet darauf hin, wo der Roman verortet sein könnte: Hier ist es Griechenland, genauer gesagt, die Ionische Insel Zakynthos, auf der der Leser auf den Spuren Hollys weilt und die zauberhaft beschrieben wurde:

"Seit dem Tod ihrer Mutter ist Holly Expertin darin, Menschen auf Abstand zu halten. Doch als sie einen unerwarteten Brief ihrer Tante aus Zakynthos erhält, beginnen die Mauern zu bröckeln. Holly reist auf die griechische Insel und versucht, den Spuren ihrer Familie zu folgen - einer Familie, von deren Existenz sie zuvor nichts wusste. Warum hat ihre Mutter nie von ihrer Schwester erzählt? Und was hat es mit der handgezeichneten Karte auf sich, die Holly und ihr Nachbar Aidan in einem alten Haus finden?"
(Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Holly, Ende zwanzig und mit Rupert, einem ehrgeizigen Banker liiert, sucht für sich den richtigen Lebensweg, als sie unerwartet der Brief ihrer Tante Sandra aus Griechenland erreicht. Sandra, von deren Existenz sie nichts wusste, vererbt Holly ein Haus auf der Insel Zakynthos. Holly reist nach Griechenland, um sich das Haus anzusehen und befindet sich damit bereits auf den Spuren zu ihrer eigenen Geschichte bzw. der ihrer Familie:
Als Kind litt Holly unter dem Alkoholmissbrauch ihrer Mutter, die auch an den Folgen ihres Alkoholismus starb. Wut- und Schamgefühle bestimmen seither ihr Leben mit. Der Brief und die Erbschaft werfen nun Fragen auf: Weshalb hatten sich die beiden Schwestern so zerstritten? Wer ist der leibliche Vater von Holly?

Nach ihrer Ankunft lernt sie den Nachbarn Aidan kennen, der als Tierarzt seit einigen Jahren auf der Insel wohnt. Er bietet ihr an, sie an die Stellen der Insel zu führen, die Holly auf der Karte im Haus der Tante gefunden hat: So folgen beide den Spuren von Jenny und Sandra, als es nach holprigem Beginn der Bekanntschaft anfängt zu knistern....

Es handelt sich um einen Entwicklungs- und Frauenroman, der teils in London und teils in Griechenland, Zakynthos verortet ist: Die Autorin hat es sehr gut verstanden, sowohl Holly als auch ihre aufkeimende Liebe zur Insel in all ihrer inneren Zerrissenheit darzustellen: In London leidet sie unter Schlaflosigkeit, während sie auf der Insel wunderbar schläft; in ihrem Leben in London gibt es einen Job, der sie im Grunde nicht auslastet und einige wenige Freunde. Vor allem aber gibt es einen Freund, Rupert, mit dem sie sich vielleicht eine Zukunft vorstellen könnte - aber ist es der für sie richtige Weg?

Ihr wird klar, dass sie nur auf Zakynthos die Rätsel um ihre Familie lösen kann und hat Unterstützung durch Aidan, der als einziger unter die Schuppen blicken kann, die sie sich hat wachsen lassen - ebenso wie die Schildkröten, die im Meer vor der Insel zu finden sind, pellt sich auch Holly nach und nach aus ihrem Ei und versucht, instinktiv das Richtige zu tun, um ihrem Leben Sinn zu geben und es selbstbestimmt zu führen: Sie tritt die Reise zu sich selbst an und stellt sich ihren Problemen...

Isabelle Broom hat einen flüssig zu lesenden Schreibstil und es ist ihr gelungen, eine Geschichte über Familiengeheimnisse, die eine junge Frau zu lösen hat, auf einer wunderschönen griechischen Insel darzustellen, deren Beschreibungen mich schon fasziniert haben und mich literarisch auf die Inseln zurückzuführen, die ich selbst kenne (Kos, Leros, Korfu z.B.) - Ihr Schreibstil ist authentisch und die Hauptprotagonisten sind realistisch dargestellt; lediglich mit Hollys emotionalen Wirrungen hatte ich nicht so viel anfangen können. Sehr viel hingegen mit ihrer Kreativität und ihrer Entwicklung, die sehr positiv ist - und bei der es gegen Ende des Romans romantisch, ehrlich und auch tragisch zugeht...

Themen dieses Débutromans, den ich im Genre Frauen- und Entwicklungsromane, auch Liebesromane ansiedeln würde, sind vielfältig vorhanden und werden recht schlüssig behandelt; so z.B. Schuldgefühle, Verzeihen, Liebe, Verrat, Familiengeheimnisse, Selbstakzeptanz und die Übernahme von Selbstverantwortung.

Fazit:

"Olivensommer" empfehle ich gerne weiter; besonders LeserInnen, die Frauen- und Liebesromane in Zusammenhang mit Familiengeheimnissen mögen und ein Faible für das wunderschöne Hellas mitbringen - egal ob es die Ionischen Insel, den Dodekanes, den Peleponnes oder sonst eine griechische Region ist: Ich würde es auf jeden Fall mitnehmen als sehr geeigneten Roman für den Urlaub - oder einem literarisch schönen und durchaus lesenswerten Ausflug nach Hellas! Ich vergebe 4 Sterne.

Veröffentlicht am 04.04.2017

Szenen einer (englischen) Ehe

Eine englische Ehe
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"Eine englische Ehe" von Claire Fuller ist ein Débutroman, der (aus dem Englischen Original mit dem Titel "Swimming Lessons" übersetzt von Susanne Höbel) im Piper-Verlag als HC, gebunden mit Lesebändchen, ...

"Eine englische Ehe" von Claire Fuller ist ein Débutroman, der (aus dem Englischen Original mit dem Titel "Swimming Lessons" übersetzt von Susanne Höbel) im Piper-Verlag als HC, gebunden mit Lesebändchen, 2017 erschienen. Das schöne Cover, das sowohl im Original als auch auf Deutsch das Buchäußere ziert, passt sehr gut zu einer Frau, die es liebt, frühmorgens im Meer zu baden...
Der Roman beginnt im Prolog mit einer Szene, in der Gil Coleman, ein Literaturprofessor und angesehener Schriftsteller Anfang 40, seine seit vielen Jahren totgeglaubte Frau Ingrid zu sehen und kurz später verunglückt. Flora, seine jüngste Tochter und Nan, die Ältere, fahren zu ihrem Vater, da er in der nächsten Zeit nicht alleine sein kann....
Ingrid, die Studentin, die sich einst in ihren Professor Gil verliebte und mit ihm eine Liebesbeziehung einging, entgegen der Warnungen einiger Freunde diesen auch heiratete, verschwand spurlos und verließ die Familie, als Flora gerade 10 Jahre alt war. Auffallend ist hier der große Altersunterschied des Ehepaares, wobei Ingrid wusste, bevor sie die Ehe mit ihm einging, dass er als Frauenheld verschrien war. Gil sammelt zeitlebens Bücher wegen der Anmerkungen und Kritzeleien von Lesern oder Fotos, Quittungen etc. die sich oft in Büchern befinden, so ist sein Haus voller Bücher.Während Nan sich mit dem Verlust der Mutter abfindet und in deren Rolle schlüpft, trifft es die jüngere Flora umso heftiger, die sich fortan nach ihrer Mutter sehnt und in deren Kleider schlüpft...
In Rückblicken beschreibt Ingrid in Briefen an Gil, die sie stets (thematisch passend) in seine Bücher steckte und die seine häufige Abwesenheit und ihre Sehnsucht nach ihm bezeugen, die Anfänge ihrer Beziehung. Der zweite Erzählstrang handelt von Flora, die wohl vieles mit der Mutter gemeinsam hat und ebenso gerne frühmorgens im Meer schwimmen geht - die Familie lebt an der englischen Küste, der Strand ist unweit vom Haus. In den Worten Ingrids liegt anfangs eine gewisse Naivität, die ihrem Alter geschuldet ist - sie ist Anfang 20 - und der unschönen Situation, meist mit den Mädchen alleine zu sein, während Gil unter der Behauptung, sich mit Verlagsmitarbeitern zu treffen oder Besprechungen zu haben, seine Bücher betreffend, sie betrügt.
Als Nan, die erste Tochter, zur Welt kommt, wird Ingrid bewusst, dass nun die Idee, mit ihrer Studienfreundin Louise zu reisen und sich die Welt anzusehen, in weite unerreichbare Ferne rückt...
Während Floras Geschichte in der Gegenwart spielt, ihren Freund Richard mit einschließt, der für den erkrankten Vater eine Hilfe sein möchte und die morbiden Familienstrukturen, auch anhand diverser Reaktionen von Flora, erkennt, liest man immer mehr von Ingrids Briefen, die in die (eheliche) Vergangenheit reisen: Mich hat die Tatsache, dass der wesentlich ältere Gil mit einer solch jungen und lebensfrohen Frau eine Familie gründen wollte (für sein eigenes Ego?) und sie dann nicht nur alleine lässt, sondern auch betrügt, sehr an diesem Protagonisten geärgert: Seine Selbstsucht und auch die Verantwortungslosigkeit für beide Töchter sind anhand seines beschriebenen Verhaltens sehr ersichtlich; während er seine Familie kurzerhand an der Küste "parkt", vergnügt er sich gerne in London und führt im Grunde sein voriges Leben weiter, während Ingrid die Freiheit gesucht hatte und in ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau gefangen war. Die einzige Freiheit findet sie beim allmorgendlichen Schwimmen im Meer, wo sie bis zur Boje schwimmt und - zurück.
Während gegen Ende des Romans die Emotionen hochschlagen, wird das neue Buch von Gil ein Erfolg - den er im Grunde seiner Frau Ingrid zu verdanken hat. Es folgt eine weitere Kränkung Ingrids...
Der Stil von Claire Fuller hat mir sehr imponiert und auch gefallen; sie erzählt in sensibler Sprache und eher leisen Tönen vom Schicksal einer jungen Frau, die in ein Leben "geschubst" wurde, das sie im Grunde gar nicht wollte. Statt einem eintönigen und verantwortungsvollen Eheleben wollte sie die Welt bereisen, Abenteuer erleben - und eigene Wünsche und Vorstellungen erfüllen. Diese tragische Entwicklung und das Schwimmen als Ausgleich und Ingrids Ausdruck von Lebensfreude und Freiheit durchziehen den gesamten Roman. Die Figur des Gil war mir sehr unsympathisch, da ich ihn selbstsüchtig, untreu und durch stete Abwesenheit glänzend beschrieben fand. Für Ingrid hätte ich mir ein Leben gewünscht, das nach ihren Vorstellungen hätte verlaufen können. Das Trauma , in diesem Falle die elementare Erfahrung des Verlusts der Mutter, kommt durch Flora sehr gut zum Tragen.
Andere Themen des Romans sind auch Verrat, Betrug, Verzweiflung, aber auch Freundschaft, die bei Jonathan sowohl zu Gil als auch zu Ingrid zutage tritt. Leider bleibt bis zum Ende unklar, ob Ingrid noch am Leben ist - oder dieses vielleicht selbst beendet hat. Ich habe da meine eigene Theorie...

Fazit:

Ein ernsthafter, durchaus lesenswerter und sehr sensibel geschriebener Roman über den verhinderten Lebensentwurf einer jungen Frau; tragisch, teils von Melancholie begleitet, dessen englischen Titel ich hier noch passender fand. Ich vergebe gerne 4 Sterne und eine Leseempfehlung für Leser von Beziehungsromanen, die zum Nachdenken anregen.

Veröffentlicht am 27.03.2017

Hotel du Barry oder der Mikrokosmos des "Labyrinth"

Hotel du Barry oder das Findelkind in der Suppenschüssel
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Das Romandébut "Hotel du Barry" oder das Findelkind in der Suppenschüssel" von Lesley Truffle erschien als HC 2017 im Verlag HarperCollins, Germany.

"Im berühmten Hotel du Barry lebt Cat in ihrer eigenen ...

Das Romandébut "Hotel du Barry" oder das Findelkind in der Suppenschüssel" von Lesley Truffle erschien als HC 2017 im Verlag HarperCollins, Germany.

"Im berühmten Hotel du Barry lebt Cat in ihrer eigenen Welt. Am liebsten schwänzt die Ziehtochter des Hoteldirektors ihre Ballettstunden, um in der Bibliothek zu schmökern. Oder sie schnappt sich ihr Notizbuch oder forscht in den labyrinthischen Gewölbekellern nach ihrer eigenen Geschichte. Jemand hat sie damals hier zurückgelassen - und sie wäre keine echte du Barry, wenn sie diesem Rätsel nicht auf die Spur kommen könnte. Doch als ein tragischer Unfall die Londoner Oberschichte in Aufruhr versetzt, besteht bald kein Zweifel: Hier gehen gefährlichere Dinge vor sich, als die makellose Hotelfassade vermuten lässt...." (Quelle: Klappentext)

Meine Meinung:

Die Geschichte beginnt mit einem Baby an der Wäscheleine, das von Mary Maguire, einem Hausmädchen des Hotels gefunden wird. Das Personal berät sich kurzerhand und wechselt sich mit der Betreuung des kleinen Mädchens ab, um es nicht der öffentlichen Jugendhilfe anheimgeben zu müssen...
Eines Tages wird es zum Schlafen in die silberne Suppenschüssel gelegt, die für den Direktor, Daniel du Barry, bestimmt ist: Wird Mary das Mädchen als eigene, uneheliche Tochter ausgeben? Wie wird der Direktor reagieren? Da Daniel du Barry ein wahrer Gentleman ist (für mich die sympathischste Figur von allen), adoptiert er kurzerhand das kleine Mädchen, das fortan unter dem Namen Caterina Anastasia - Kurzform Cat - im Hotel aufwächst. Das Hotelpersonal ist entzückt, da Cat ein neugieriges, wenn auch sehr schläfriges Kind ist, das gerne lernt und sich am liebsten in der Bibliothek des "Vaters" bedient... Einzig Edwina Lamb, die um ihr eigenes Wohl am meisten bedacht ist und eine Art viktorianisches Gehabe dem Dienstpersonal entgegenbringt, ist weniger gut auf die Ziehtochter zu sprechen: Statt Ballettstunden zu nehmen und die Etikette der Oberschicht zu erlernen, um später "eine gute Partie" zu machen - möglichst noch mit Adelstitel - ist Cat viel lieber in ihrer geliebten "Familie" bei Mary Mary, Bertha, Sean, Jim, Henri und den Zimmermädchen, die sie gemeinsam großziehen. Später wird sie sich der Kunst verschreiben und wird nach dem tragischen Unfall, der sich auf dem Hoteldach abspielte, von Edwina, die nun das Imperium leitet (wann immer dazu Zeit ist, da zwischenmenschliche Kontakte und Sex allerorten immer die höchste Priorität ist, und dies nicht nur bei ihr), wo es dieser möglich ist, gegängelt.

Während einige Hotelangestellte - so z.B. Sebastian, erst einmal abwandern, bleiben andere wie z.B. Jim Blade, der auf alles immer ein Auge hat als Hoteldetektiv, um mit Cat gemeinsam herauszufinden, was sich tatsächlich am Tag des Unfalls im Hotel ereignet hat...

Der Schreibstil ist zuweilen bissig, sarkastisch und eingängig zu lesen. Ein ironischer Unterton ist mit Humor gepaart, allerdings kam die Geschichte für mich nicht so schnell 'in Fahrt'. Das erste Romandrittel langweilte mich und ich quälte mich etwas durch die Seiten, die eine mondäne Welt beschreiben, in der viele Charaktere irgendwie für mich an der Oberfläche blieben - ebenso wie ihr Verhalten. Ich konnte mich den Figuren nicht nähern, sie blieben zumeist Fremde, auch die Hauptprotagonistin selbst. Einzig Daniel du Barry, vermögender Hoteldirektor mit einem ausgeprägten Faible für die Unterstützung ärmerer Gesellschaftsschichten, Obdachloser schien mir recht sympathisch. Allerdings ist auch hier die Geschichte so angelegt, dass es fast eine Karrikatur ist, wenn etwa ein Hoteldirektor ein Weihnachtsfest vor der Hoteltür für alle Bedürftigen und Obdachlosen der Stadt gibt - etwas dick aufgetragen.
Der Unterhaltungswert ist hoch; plätscherte die Beschreibung alles Möglichen (einschließlich der Beziehungen innerhalb des Personals) so vor sich hin wie das Wasser der Themse, so erhöhte sich der Spannungsfaktor nach dem Unfall doch noch: Was war wirklich an dem fraglichen Abend passiert?

Um dies herauszufinden, müssen sich einige Verbündete Cats, allen voran Mary, Jim, Bertha und Sean sehr anstrengen, die Wahrheit ans Tageslicht zu zerren; sie bedienen sich dazu makabrer, aber sehr wirkungsvoller Mittel....

Gelungen ist es der Autorin, die Welt des Hotels immer wieder wie ein (eleganter) Mikrokosmos zu beschreiben, so etwa das mondäne Dachcafé, das nach Plänen der Medicis vergleichbar angelegt wurde. Eine gewisse Schlüpfrigkeit, erotische Passagen sind während des gesamten Romans zu finden; der Schreibstil ist stellenweise ironisch-heiter, auch komisch und transportiert neben den Dialogen (einige von ihnen haben schon was ;) auch die nicht minder witzigen Gedankengänge der jeweiligen Akteure.

Fazit:

Ein Roman mit sehr hohem Unterhaltungswert, der den Mikrokosmos inclusive halbseidener Gestalten eines Luxushotels beschreibt sowie das detektivische Gespür einer jungen Frau, die an einer Wäscheleine zurückgelassen wurde. Da mir hier trotz Komik und Humor doch sehr eine Sinnhaftigkeit und Tiefgang fehlen; die Figuren für mich nicht wirklich erkennbar waren und doch einiges an der Oberfläche blieb, gebe ich 3 Sterne - wobei 1 Stern dem Schreibstil von Lesley Truffle gewidmet ist; 2 Sterne für die Romanhandlung - das Potential ist jedoch sicher noch ausbaufähig.

Veröffentlicht am 22.03.2017

Von einem, der auszog - und vielen Kinderemigranten der frühen 60er Jahre in Italien seine Stimme gibt!

Das Leben wartet nicht
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"Das Leben wartet nicht" von Marco Balzano (in der Übersetzung von Maja Pflug aus dem Italienischen) erschien 2017 im Diogenes-Verlag, Zürich (HC, gebunden).

"Ninetto war noch ein Kind, als er allein ...

"Das Leben wartet nicht" von Marco Balzano (in der Übersetzung von Maja Pflug aus dem Italienischen) erschien 2017 im Diogenes-Verlag, Zürich (HC, gebunden).

"Ninetto war noch ein Kind, als er allein von Sizilien nach Mailand kam, um Arbeit zu suchen. Ein furchtloser Junge mit der Sonne des Südens im Herzen. Obwohl er noch zu klein war für das Fahrrad, fand er sogleich eine Anstellung als Bote.
Heute, über fünfzig Jahre später, erkennt sich Ninetto in den Neuankömmlingen aus China und Nordafrika wieder. Sie haben dieselben Träume wie er damals. Und setzen alles daran, sie zu verwirklichen." (Quelle: Buchrückentext)

Der Roman beginnt mit einem vermeintlichen Wiedersehen eines Mannes auf dem Gefängnishof, den Ninetto von seiner Zelle aus beobachtet - und der ihn an seinen früheren Lehrer Vincenzo in San Cono, Sizilien, wo er aufwuchs, erinnert.....

Sizilien, 50er Jahre: Ninetto wächst wie viele andere seiner Generation als Einzelkind in ärmlichen Verhältnissen auf und muss die Schule verlassen, als seine Mutter einen Schlaganfall erleidet: Fortan muss er mit dem Vater auf dem Feld arbeiten, doch es reicht kaum zum Leben, Hunger und Perspektivlosigkeit sowie der gesundheitliche Zustand der Mutter machen der kleinen Familie zu schaffen. So wird er - wie viele andere Jungen aus Süditalien, wo es kaum Arbeit gibt - mit einem Feldarbeiter, Giuvá, nach Mailand geschickt, um Arbeit zu finden und nicht Hungers zu sterben...
Ein Tagebuch, das ihm sein Lehrer schenkte und die Erinnerung an die Schulstunden, in denen er Gedichten lauschte und auch Erzählungen fürs Leben, die den Schülern von Vincenzo nahegebracht wurden, war in seinem Gepäck: Er wollte Dichter werden. Vor seiner Abreise steckt er das Springmesser seines Vaters vorsorglich in seine Tasche...

Doch das Leben, das zuweilen eine andere Melodie spielt als die des Herzens der Menschen, holte ihn bereits im Alter von knapp 10 Jahren ab: Er findet durch seine Klugheit und seine Willenskraft schnell eine Stelle als Laufbursche und fährt für eine Wäscherei Wäsche aus: Schon da erlebt er die große Stadt Milano schrecklich und märchenhaft zugleich; er hat einen scharfen Verstand und eine messerscharfe Beobachtungsgabe.

Marco Balzano lässt nun Ninetto, der hier exemplarisch für Tausende von Kinderemigranten steht, die zwischen 1959 und 1962 gezwungen waren, vom Süden Italiens vorwiegend in die Industriestädte Milano, Turin und Genua zu ziehen; zumeist mit Familienangehörigen oder Freunden, sein Leben erzählen und quasi Revue passieren:

Er entkommt dem "Bienenstock", einem völlig überbelegten Arbeiterblock in Milano, wo er in der Küche übernachten muss und wohnt fortan bei Antonio, der Musikkünstler werden möchte und mit Männern aus den Abruzzen in einer Herberge wohnt: Hier hat er erstmals in seinem Leben das Gefühl, noch Kind sein zu dürfen und wird von den meist Älteren fürsorglich behandelt. Er arbeitet auf dem Bau und verliebt sich in Maddalena, die ebenfalls mit einem Onkel aus Kalabrien kam und in einer Bäckereifabrik arbeitet...

Wie viele andere gründet er sehr früh eine Familie und heiratet Maddalena, bekommt eine Tochter mit ihr. Um seine Familie zu beschützen, trägt er das Messer noch immer in seiner Tasche. Er arbeitet inzwischen im Autowerk von Alfa Romeo am Band und wir erfahren, welch geistlose Tätigkeiten Menschen gezwungen werden, zu tun. Ninetto machte einen großen Fehler in seinem Leben, eine Situation, die er völlig falsch einschätzte und fehl interpretierte - und als Folge 10 Jahre Gefängnis für ihn bedeutete.

Lange wird dem Leser die Geschichte, wie es dazu kam, vorenthalten und Ninetto so facettenreich und als ein eigentlich sehr guter Mensch, der es sehr schwer hatte und seiner Kindheit beraubt wurde, beschrieben, dass es schwerfällt, sich überhaupt solch eine Tat vorzustellen, die ihn ins Gefängnis brachte. Nach dieser Zeit ist nichts mehr so, wie es zuvor war - das Leben hat nicht auf ihn gewartet und manche Züge sind verpasst...

Gerne möchte er seine Tochter und Enkeltochter sehen und zum Schluss nimmt dieser Roman, dem es an Tragik, an Sozialkritik, an Emotionen nicht fehlt, noch eine zaghaft positive Wendung in Richtung Hoffnung, die ihm die Enkeltochter Lisa gibt....

Marco Balzano schreibt schnörkellos und geradlinig; er leuchtet sowohl Ninetto, der stellvertretend für die Generation der Kinderemigranten des südlichen Italiens steht, in vielerlei Hinsicht aus und findet für Vorgänge, die größer sind als Menschen und die diese zuweilen trennen, in wenigen Worten eine ungeheure Aussagekraft.

Der Stil des Autors ist überragend, da er es schafft, durch eine nahe Figurenzeichnung wie in einem Bild durch die Geschichte zu wandern, tiefe Eindrücke über das Verstummen Ninettos und so manche Ungerechtigkeiten des Lebens nicht einfach hinnehmen zu wollen, sondern mit ihm zu erkennen. So wundert es nicht, dass er sich in den chinesischen Einwanderern, die ein Café betreiben, selbst sieht - und ihnen helfen will. Ich bin überzeugt, er wäre ein hervorragender Dichter geworden, hätte ihn das Leben nicht mit all seiner Härte bereits im Alter von 9 Jahren "abgeholt".

Das Nachwort des Autors geht ebenfalls sehr zu Herzen und seine Intention, diesen Kinderemigranten eine Stimme zu geben, ist ihm nach meinem Dafürhalten zu 100% gelungen; auch sehe ich Parallelen zur heutigen politischen Situation, in der die Zahl der Emigranten so hoch ist, wie nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr.

Mit einem Chapeau danke ich Marco Balzano für diesen berührenden und aufwühlenden, nachdenklich stimmenden - und zuweilen humorvoll aufblitzenden Roman. Mich hat Ninettos Geschichte sehr ergriffen und aufgewühlt, besonders was die Schattenseiten der globalen Weltwirtschaft betrifft. Ich spreche eine absolute Leseempfehlung aus und vergebe sehr gerne 5 Sterne.

Veröffentlicht am 22.03.2017

Ein mysteriöses Erbe in einer sagenumwobenen Landschaft - Wales!

Das Erbe von Carreg Cottage
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"Das Erbe von Carreg Cottage" von Constanze Wilken erschien als 4. Roman der "Wales-Reihe" als TB im Goldmann-Verlag, 2017.Das 'sagenhaft' schöne Cover verspricht nicht zu viel, sondern passt wundervoll ...

"Das Erbe von Carreg Cottage" von Constanze Wilken erschien als 4. Roman der "Wales-Reihe" als TB im Goldmann-Verlag, 2017.Das 'sagenhaft' schöne Cover verspricht nicht zu viel, sondern passt wundervoll zu diesem historischen Liebesroman, der dieses Mal auf der Halbinsel Lyn verortet ist: Mit Blick auf die Pilgerinsel Ynys Enlli - auf englisch Bardsey Island; einer Pilgerinsel mit einer langen Geschichte...

"Die 35-jährige Lili Gray steht vor dem Nichts, als sie ihr Café in einem kleinen schottischen Küstenort schließen muss. Doch dann vermacht ihr ein Unbekannter ein altes Haus auf der Halbinsel Lyn in Nordwales. Die leicht verfallene Pilgerraststätte und der Garten an den Klippen ziehen Lili sofort in ihren Bann. Von dort blickt sie auf die Insel Bardsey (Ynys Enlli), die eine unerklärliche Faszination auf sie ausübt. Aber Lilis Anwesenheit scheint jemanden zu stören. Und die junge Frau ahnt nicht, wie sehr die Geschichte des Pilgerortes mit ihrer eigenen - und der des unbekannten Gönners - verbunden ist."(Quelle: Buchrückentext)
Im Prolog des Romans geht es um eine schwangere, sehr unglückliche junge Frau, die sich in ein Kloster flüchtete und suizidgefährdet ist. Die Schwester hält sie jedoch davon ab und segnet sie....
Constanze Wilken verwebt sehr gekonnt und sprachgewaltig sowie dennoch höchst sensibel zwei Erzählstränge miteinander:

Nordwales, 614 n.Chr.:
Lileas, die Tochter des Druiden Ruan, hat "das zweite Gesicht", sieht dunkle Zeiten in ihren Visionen. Die Familie befindet sich bereits seit längerer Zeit auf der Flucht, da missionarische Priester den alten Glauben der Druiden verstoßen, Gefahr droht...
Cadeyrn, der Sohn eines Adligen, intelligent und der Sprachenkunde des Lateinischen sowie des Griechischen mächtig, muss vor Alpin fliehen, da König Edwin der Überzeugung ist, dass Cadeyrn für den Tod dessen Sohnes verantwortlich ist und ihn zur Rechenschaft ziehen will.
Lileas flieht als einzige Überlebende, als ihre Familie ermordet wird und Cadeyrn wird von seinem Vater in einem Kloster auf Ynys Enlli untergebracht, wo er fortan darauf hofft, die alten Schriften übersetzen zu können, wäre da nicht ein Neider...
Lileas, die sich nach der Flucht Meara nennt, ist heilkundig und als Cadeyrn schwer verletzt wird, treffen sich ihre Wege und Meara pflegt ihn mit dem Wissen der Druiden und der Heilkunst der Kräuter gesund - beide empfinden große Zuneigung füreinander, wohlwissend, dass der unterschiedliche Glaube sie trennt. Ob es ihnen gelingt, sie aufgrund ihrer starken Liebe füreinander zu überwinden?

Halbinsel Lyn, April 2016:
Lilian, die Hauptprotagonistin in der Gegenwart, erbt nach dem Verlust ihres kleinen Cafés in Schottland ein altes Cottage mit der Bedingung, dort für mindestens ein Jahr zu leben und es wieder instand zusetzen. Sie erhält Hilfe von Collen, der im "Zentrum für walisische Geschichte und Sprache" arbeitet und Historiker ist sowie von Marcus, der eine kleine Renovierungsfirma hat und sich als mehr als nur ein 'Allrounder' in Renovierungsaufträgen erweist - beide Männer helfen Lili, sich in dem ihr noch fremden Wales einzugewöhnen und einer von ihnen verliebt sich unsterblich in sie...
Lili spürt, dass Carreg Cottage der Ort ist, wo sie hingehört und entdeckt einen Stein, der ihr Interesse weckt: Durch Visionen, die sie hat, tritt sie kurzweilig in Verbindung mit der Vergangenheit - in längst vergangene Zeiten...
Mit Marcus und seinem Gehilfen Jo gelingt es ihr immer mehr, das Cottage in den Zustand zu versetzen, der ihr vorschwebt: Auch den Garten sieht sie bereits in ihrer Phantasie ausgestaltet und freut sich über jede Weiterentwicklung. Wären da nur nicht die seltsamen Vorkommnisse, die ihr das Leben erschweren - und sie nicht weiß, wem sie trauen kann....

Constanze Wilken hat diese teils historische, teils in der Gegenwart spielende Geschichte sehr gekonnt und voller Spannung aufgebaut: Als Leser macht man eine Zeitreise und taucht immer wieder in der Jetzt-Zeit im Cottage auf, was ich sehr genossen habe! Die Protagonisten sind sehr facettenreich und sympathisch, allen voran Meara und Cadeyrn, Lilian und Collen, Marcus - besonders gut gelingt es der Autorin, auch die Nebenfiguren sehr ausdrucksstark und nah zu zeichnen; auch sie sind in jedem Roman sehr wichtig. Zum Ende des Romans nimmt die Spannung zu und auf beiden Zeitebenen erlebt der Leser eine Dramatik, die es schwermacht, das Buch beiseite zu legen.

Besonders angenehm empfand ich die historischen Begebenheiten und Beschreibungen, die hier gut recherchiert über das Keltentum, die Druiden und ihren Glauben informieren: Erklärungen zur Mystik der Kelten, deren Symbole (unendliche Knoten z.B.), die Bedeutung, die die Natur hat; die Sonne, die Sterne, die Bedeutung des Mondes und natürlich der Heilkraft der Pflanzen, die die Erde uns schenkt.

Beide Erzählstränge bewegen sich aufeinander zu, bis sie sich treffen und miteinander verwoben, dem Leser sehr glückliche und spannende wie auch informative Lesestunden schenken; im Epilog wird dann so manches Rätsel gelöst und der mystische keltische Knoten erscheint in aller Deutlichkeit vor dem geistigen Auge: Ein Roman, der alles in sich trägt, um zeitweise in eine andere Welt, der Welt der Kelten, abzutauchen und mit einer zarten Liebesgeschichte verbunden ist.

Ein beeindruckendes Nachwort der Autorin, die gerne mehr Informationen über ihre HP über Wales gibt (oder auch mein-wales.de) lässt erkennen, dass Constanze Wilken in all ihren Wales-Romanen ihre Leidenschaft und ihre Liebe zu "Cymru" - der Landschaft, der Schönheit, der Poesie, der Sprache und Geschichte wie auch der Menschen von Wales wiederspiegelt - Romane, die man nicht so schnell vergisst!

Ich bedanke mich ganz herzlich für eine wundervoll begleitete Leserunde und für viele schöne Lesestunden in Wales! Mit einer absoluten Leseempfehlung und 5 Sternen freue ich mich bereits jetzt auf die Fortsetzung dieses Romans!