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Veröffentlicht am 30.08.2017

Ein außergewöhnliches, brillant-literarisches "Portrait der Kulturen"

Die Großmächtigen
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"Die Großmächtigen" von Hédi Kaddour erschien gebunden, als HC im Aufbau-Verlag, 2017. Übersetzt wurde dieses epische Werk aus dem Französischen von Grete Osterwald. Bereits das wirklich sehr schön gestaltete ...

"Die Großmächtigen" von Hédi Kaddour erschien gebunden, als HC im Aufbau-Verlag, 2017. Übersetzt wurde dieses epische Werk aus dem Französischen von Grete Osterwald. Bereits das wirklich sehr schön gestaltete Cover weist auf "verschiedene Welten, verschiedene Kulturen" auf diesem unserem Planeten hin - und genau darum geht es:

Nahbés, Nordafrika, 1922:

Das kleine nordafrikanische Städtchen ist in einen europäischen und einen Teil der "Eingeborenen" unterteilt, in dem es friedlich zugeht, bis ein Filmteam aus Amerika das beschauliche Leben aufmischt: Neil, der Regisseur und Kathryn, seine Ehefrau kommen mit dem ganzen Tross und Welten, ja Kulturen prallen erstmal aufeinander.

Die weiteren Hauptprotagonisten sind Rania, eine junge, sehr kluge und wissbegierige Witwe, Raouf, ein ebenfalls sehr cleverer und intelligenter junger Mann und ihr Cousin, Ganthier, der sich, aus der französischen Kolonialmacht stammend, gerne mit ihm politische und philosophische Wortgefechte liefert; desweiteren Gabrielle Conti, die Journalistin aus Paris und eher im Hintergrund, aber dennoch unüberlesbar, Belkhjoda, ein Teppichhändler, der gerne als älterer Mann die "kleine Bande", zu der auch Raouf und Karim, sein bester Freund gehören, darin unterrichtet, wie man sich die richtige Frau sucht (auch wenn er selbst in dieser Rolle nicht eben glänzen kann).

Wir verfolgen nun über zwei Jahre - bis Juni 1924 - wie Gabrielle, die mit den beiden anderen Frauen befreundet ist, sie vorsichtig miteinander bekannt macht; wie Raouf zur 'rechten Hand' und mehr für Kulturelles und auch Persönliches von Kathryn wird und was diese sehr verschiedenartigen Menschen mehr und mehr miteinander verbindet und sich mehr und mehr anfreunden - trotz aller (oder gerade wegen?) aller kulturellen Unterschiede.

Der Schreibstil Kaddour's ist sehr blumig, orientalisch und reich im Detail, wobei mir die Prisen feiner Ironie mit am besten gefielen. Der Roman, der auch immer wieder brisante politische Themen umkreist, von der Kolonialmacht Frankreich angefangen bis zum Erstarken der Rechten in Europa, ist in drei Teile gefasst: Teil 1 ist in Nahbés verortet; in Teil 2 treffen wir die meisten Protagonisten, so Raoul, Ganthier und Kathryn, in Paris wieder und mit Schmunzeln stellte ich mir ihren Aufenthalt in sprachlicher Hinsicht im Elsass vor (ich wohne nicht weit davon entfernt ;). Ihr Weg führt sie über Berlin, wo Kathryn einen wichtigen Regisseur treffen möchte wieder nach Berlin zurück, von wo aus Raouf und Ganthier Richtung Marseille und Nordafrika weiterreisen.

Im 3. und letzte Romanteil kehren sie nach Nahbés zurück, man schreibt das Jahr 1924: Hier trennen sich die Wege der Protagonisten, das Filmteam kehrt bis auf Weiteres nach Amerika zurück; Raouf kam aus Paris zurück, wo er mittlerweile studiert und auch bei den Menschen in Nahbés nehmen die Ereignisse ihren Lauf....

Der Autor wertet nicht, mit feiner Ironie (und oftmals einem Augenzwinkern) überlässt er dies wohl lieber dem jeweiligen Leser; die Hauptcharaktere werden so schillernd und äußerst facettenhaft beleuchtet, wie es besonders in der arabischen Literatur üblich ist. Dieses Zeitportrait setzte Hédi Kaddour perfekt um und bereitet mit diesem Roman jedem Leser eine Freude, der an arabischer Erzählkunst (sehr ausgeschmückt und detailliert) interessiert ist.

Fazit:

Ich empfehle dieses opulente, wundervoll geschriebene Werk gerne weiter; besonders sicher jenen Menschen, die sich für interkulturelle Themen interessieren, da Kaddour hier eine sehr gelungene Brücke zwischen dem Orient und dem Okzident in literarischer Weise schlägt. Auch die zeitlose Aktualität ist fast 100 Jahre später herauszulesen. Chapeau für den Autor, ebenfalls für den Aufbau-Verlag und 5* von mir am literarischen Himmel des Abend- sowie des Morgenlandes!

Veröffentlicht am 22.08.2017

Eine Hommage an die Kraft der Musik und den Gesang - und an starke Frauen in schweren Zeiten!

Der Frauenchor von Chilbury
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Bei dem Roman "Der Frauenchor von Chilbury" von Jennifer Ryan handelt es sich um das (sehr gelungene) Début der Autorin, das durch Geschichten ihrer Großmutter inspiriert wurde und teils auf authentischen ...

Bei dem Roman "Der Frauenchor von Chilbury" von Jennifer Ryan handelt es sich um das (sehr gelungene) Début der Autorin, das durch Geschichten ihrer Großmutter inspiriert wurde und teils auf authentischen Grundlagen in Form von Tagebüchern (Journals) der Frauen basiert, die zum Schreiben von staatlicher Seite auf der "Home Front" aufgefordert wurden. Diesen Frauen widmete die Autorin auch diesen Roman. Verlegt wurde der Roman im Verlag Kiepenheuer & Witsch (HC, gebunden, 2017).

England, Grafschaft Kent, Ende März 1940:

Da die männlichen Stimmen im Krieg sind, löst der Vikar in Chilbury kurzerhand den Kirchenchor auf. Da sich die Frauen diese Gemeinsamkeit, im Chor zu singen, jedoch nicht nehmen lassen, gründen sie - auch mit Unterstützung der Chorleiterin Primrose Trent, die sie zu diesem Schritt ermutigt - den Frauenchor von Chilbury, der diesem sehr lesenswerten Roman seinen Titel gab. Die Frauen stellen fest, dass sie auch ohne Männer vorzüglich singen können, einige sogar besonders gut, so z.B. Kitty Winthorp (13), ihre Schwester Venetia (18), Mrs. Tilling, eine engagierte und sympathische Krankenschwester, Mrs. Quail u.a.; und sie begreifen, wie wichtig die Musik und das Singen gerade in schweren Zeiten ist.

Viele der Frauen haben bereits ihren Mann oder ihren Sohn im Krieg verloren; manche bangen um diese und so finden sie in den Chorproben Trost und Stärke, diese schwere und belastende Zeit gemeinsam durchzustehen.

Stilistisch interessant ist der Roman besonders dadurch, dass 5 Hauptprotagonistinnen durch ihren Briefwechsel (Venetia an ihre Freundin in London), Mrs. Edwina Paltry, (eine zwielichtige, geldgierige Hebamme mit zweifelhafter Vergangenheit an ihre Schwester Clara), durch Tagebucheinträge (Kitty) oder durch ihre Journale (Mrs. Tilling) einander abwechseln und man die einzelnen Charaktere im Romanverlauf immer besser kennenlernt. So liest man vom Alltagsleben der Dorfbewohner, von Geburten und einem zweifelhaften Ruf der Hebamme, einem rabiaten Gutsherrn, dem Vater von Venetia und Kitty, der dringend einen männlichen Erben benötigt, einer aufmunternden und begeisternden Chorleiterin, die das Leben im Dorf Chilbury weiterführen, während die Ereignisse des Kriegsgeschehens, z.B. der Einmarsch der Deutschen in Norwegen und Belgien ebenfalls benannt werden. So gab es auch Einquartierungen, die der netten Mrs. Tilling einen Colonel Mallard beschert, den sie ausgerechnet im Zimmer ihres eingezogenen Sohnes David unterbringen muss...

Kitty, die mit ihrer Schwester Venetia ihre Probleme hat, versucht Sylvie, das Mädchen aus der Tschechoslowakei, das bei den Winthorps unterkam nach der Evakuierung, mit Spielen und Picknicks aufzuheitern - man ahnt schon, aus welchem Grunde Sylvie ihre Familie und ihr Land auf dem schnellsten Wege verlassen musste. In Chilbury selbst werden zwei Invasionskommitees gegründet und das Aufeinandertreffen dieser zwei Gruppen wird mit feinstem britischen Humor - der realen Kriegsbedrohung Englands durch die deutsche Wehrmacht zum Trotz - beschrieben; diese Episode gefiel mir - abgesehen von dem hintergründigen Humor, der oftmals in den Tagebucheinträgen Kittys lauerte - besonders gut.
Die durchweg sehr sympathischen Frauen werden sehr facettenreich und authentisch beschrieben; Mrs. Tilling schließt man ebenso wie Kitty und mehr und mehr auch Venetia unwillkürlich in sein Leserherz, da sie allesamt ihr Herz am rechten Fleck tragen. Auch der Hebamme Edwina kann man am Ende kaum ernsthaft böse sein. Sehr gut eingefangen hat die Autorin das Zeitgefühl und die tiefe Solidarität unter den Chorfrauen, die in Umarmungen, Wohltätigkeitskonzerten und Andachtsmessen für die Gefallenen zum Ausdruck kommt.So stellt Mrs. Tilling in einem ihrer Journal-Einträge fest:

"Erstaunlich, wie ein bisschen Singen so viel Nähe erzeugt. Da standen wir, jede in ihrer eigenen Welt, mit ihren eigenen Problemen und plötzlich löste sich alles in Luft auf (.....); wir spürten, dass wir diese Zeiten gemeinsam durchleben müssen, einander Halt und Unterstützung geben können."(Zitat, S. 197)
Nachdem der Krieg auch vor Chilbury selbst nicht Halt macht und im benachbarten Litchfield Bomben fallen, es Opfer und Kriegsschäden gibt, ist die Antwort des Frauenchors eine Veranstaltung:

"Momentan ereignet sich so wenig Erfreuliches, alles ist rationiert oder verboten, da können wir wenigstens singen. Es ist erstaunlich, wie sehr es die Stimmung hebt!" (Venetia an ihre Freundin Angela, Zitat S. 442)

Ein sehr positiver, zutiefst menschlicher und 'runder' Abschluss krönt diesen schönen Débutroman, der zeigt, welche Kraft die Musik und besonders das gemeinsame Singen erweckt, gerade in Zeiten wie dem 2. Weltkrieg... Der Frauenchor entwickelte eine Eigendynamik, die die Solidarität unter den Frauen entfachte, zumal es sich hier um ganz wundervolle (zumeist) und starke Hauptprotagonistinnen handelt; allen voran Mrs. Tilling, Kitty und auch Venetia, denen die Musik ihrem Leben einen zusätzlichen "Schub" gab, gerade im Jahr 1940!
In Konzerten und Veranstaltungen gibt "Der Frauenchor von Chilbury" diese positiven musikalischen Schwingungen weiter - dafür gibt es für einen sehr gelungen Roman von der englischen Home Front und starken Frauen von mir sehr überzeugte 5 * und einen Dank an die Autorin für sehr schöne, berührende, informative und interessante Lesestunden!

Veröffentlicht am 01.08.2017

Der Dichter der Familie - absolut lesens- und empfehlenswert!

Der Dichter der Familie
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"Der Dichter der Familie" von Grégoire Delacourt erschien 2017 (HC, gebunden) im Atlantik-Verlag und hat durch seine packende, ehrliche und pointierte Sprache mein Leserherz persönlich sehr gut erreichen ...

"Der Dichter der Familie" von Grégoire Delacourt erschien 2017 (HC, gebunden) im Atlantik-Verlag und hat durch seine packende, ehrliche und pointierte Sprache mein Leserherz persönlich sehr gut erreichen und auch begeistern können....

"Èdouard schreibt mit sieben Jahren sein erstes Gedicht. Die Familie ist begeistert, lobt und applaudiert ihm: welch eine Begabung! Von nun an ist er der Dichter der Familie. Doch es sollte anders kommen. Mit neun muss er die Klasse wiederholen, mit zehn stecken ihn die Eltern ins Internat in Amiens. Er studiert, wird statt Dichter Werbetexter, heiratet Monique, bekommt eine Tochter, dann eine zweite... Die Jahre ziehen ins Land, die Familie zerbricht, das Leben geht weiter. Èdouard gelingt es nicht, den einen Moment der allgemeinen Liebe und Bewunderung wieder entstehen zu lassen. Und trotz großer Erfolge als Werber fühlt er sich als Versager. Doch wie hatte sein Vater gesagt: "Schreiben heilt!" (Quelle Buchinhalt: Stories Magazin)

Meine Meinung:

Die ersten Strecken dieses Débutromans von Delacourt lesen sich wie ein Rückblick eines 18Jährigen auf sein Leben ab 9 Jahren auf das Familienleben einer nordfranzösischen Familie, der sich selbst auf dem Weg ins Erwachsenenalter stets in Beziehung zu den Erwartungen der Eltern setzt. Obwohl Èdouard nach dem Internat und dem Studium in der Buchhaltung landet, denkt er immer wieder an die Worte des Vaters und die Geschichte eines Amoklaufs im früheren Internat inspiriert ihn dazu, zu schreiben, er will - er muss Schriftsteller werden!
Die 'falsche', aber sehr dominante Frau, die er heiratet, Monique, wird ebenfalls eine Weile brauchen, um zu erkennen, dass es nicht um 'unsere' Bücher, sondern um ein Buch von Èdouard geht und immer wieder um Wörter, deren Bedeutung, deren Kraft und zuweilen auch deren Zerstörungswut...
Um Wörter, die ungesagt bleiben, um unausgesprochene Wörter, um letzte Wörter und vor allen Dingen darum, dass "das Leben noch ein Wörtchen mitzureden hatte".

Der Protagonist, gewissermaßen ein Antiheld, dafür jedoch mit einem sehr ehrlichen Blick nach innen wie auch nach außen, erhält einen Vertrag in der Werbebranche, stellt jedoch (auch wenn sein Verdienst enorm ist und ein luxuriöses Leben sowohl ihm als auch Monique ermöglicht) folgendes für sich fest:

"Mit 29 konnte ich von meiner Feder leben. Aber ich hatte mich im Tintenfass geirrt ".

Solche Passagen kennzeichnen den Stil des Autors, wie er auch seine Emotionen sehr stark, fast mit brutaler Klarheit, absoluter Authentizität formuliert, was mir persönlich sehr gut an seinen Romanen gefällt und auch hier im Dèbut zu finden sind.

Unglücklich mit der Frau, die dafür sorgt, ein feudables großes Haus weit entfernt von Paris zu kaufen und sich einem mondänen Lebensstil hingibt, entflieht Èdouard zuweilen zu seiner Mutter, Claire seiner Schwester und dem kleinen Alexandre, "um jene Zeit zurückzuholen in der blassgelben Küche, in der jeder von uns einem schönen Leben entgegensah".
Doch leider sieht die Realität anders aus; sein Vater, der inzwischen von der Mutter geschieden ist, fällt mehr und mehr in die Demenz und wird der jetzigen Frau an seiner Seite zur Last... Auch hier ist die harte Realität in kurzen Sätzen zu lesen, die mein Leserherz sehr berühren, da diese Beschreibungen Delacourts in packenden, pointierten Sätzen sehr authentisch sind - und gesellschaftlich real. So empfindet man auch mit Èdouard, der leider allzu oft in seinem Leben nichts sagte, jedoch sehr gut weiß, dass er hätte etwas sagen sollen, eine große Sympathie, als er weinend auf dem Parkplatz des Seniorenheims steht, die seinen verstummten Vater aufnahm...

Genau dort geschieht das Wunder, eine junge Frau sitzt auf der Motorhaube eines Wagens und die beiden kommen ins Gespräch. Endlich. Endlich beginnt Èdouard, das zu tun, was er selbst tun will: Das Mädchen auf der Motorhaube wiederzusehen...

Fazit:

Ein außergewöhnlicher Roman in einer intensiven, sensiblen und dabei auch schonungslos offenen Sprache, wie sie dem Autor zu eigen ist. Eine Geschichte zum Nachdenken, die auch zum Verstehen des Hauptprotagonisten anregt, indem er 3 Jahrzehnte Èdouards beschreibt (1960er bis in die frühen 1990er Jahre), die 'mitten aus dem Leben' stammen, das immer ein Wörtchen mitredet und einen emotionalen, zeitweise melancholischen, aber immer äußerst aufrichtigen Blick in das "Karussell des Lebens" schildert. Mich erfrischen solche prägnanten Sätze, besonders dieses 'zwischen den Zeilen' zu Lesende wie ein Quellwasser. Delacourt schafft es, den Leser zuweilen schmunzeln zu lassen, auch zu erschrecken, ihn staunen und hoffen zu lassen. Hier findet sich die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle und das untrügliche Gefühl, dass wir alle dazu tendieren, uns den Erwartungen anderer zu unterwerfen - oft widerspruchslos, wenn auch ungewollt - einzig um geliebt zu werden.
Von mir eine absolute Leseempfehlung, die volle Punktzahl auf der 'Belletristik-Couch' und 5 Sterne. Ich werde auch die anderen Romane (Alle meine Wünsche) des Autors noch lesen und sage merci für sehr interessante und berührende Lesestunden!

Veröffentlicht am 25.07.2017

Monsieur Jean und die Liste der Träume

Monsieur Jean und sein Gespür für Glück
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Dieser zauberhafte Roman "Monsieur Jean und sein Gespür für Glück" von Thomas Montasser erschien als TB im Atlantik-Verlag; Gruppe Hoffmann & Campe. Das verführerische Cover symbolisiert bereits, worum ...

Dieser zauberhafte Roman "Monsieur Jean und sein Gespür für Glück" von Thomas Montasser erschien als TB im Atlantik-Verlag; Gruppe Hoffmann & Campe. Das verführerische Cover symbolisiert bereits, worum es in dieser Geschichte geht: Um das Finden eines "Häppchens vom Glück", das sich jeder Mensch wünscht...

"Monsieur Jean", wie ihn alle nennen, hat 43 Jahre als Nachtportier oder Concierge im Nobelhotel "Tour du Lac" in Zürich/Schweiz gearbeitet, als er in den Ruhestand entlassen wird...
Er ist ein ausgesprochener Menschenfreund und -kenner, einfühlsam und er erkennt die Wünsche der Gäste, bevor diese sie geäußert haben. Er beschließt nun, seit Kurzem in Pension, sein Notizbüchlein zu Rate zu ziehen, in dem er die Wünsche aufgeschrieben hat und wie zuvor auch, anderen Menschen eine Freude zu machen und ihrem Glück einen kleinen "Anschub" zu geben...

So freut sich z.B. die Concierge des Hauses, in dem er wohnt, "Madame Fuchs", über auf ihrer Fensterbank abgelegten Moosröschen; Sophie, die fleißige und strebsame Mitarbeiterin im Service des Hotels, die jedoch oft unter schmerzenden Füßen leidet; Anastasia Beljanina, die das kleine Bistrot übernimmt, in dem vormals Jaques, ein guter Freund von Monsieur Jean, seine Gäste bediente - und weitere Figuren, denen wir im Roman begegnen. Eine Person wird sogar neu in das Notizbuch aufgenommen, da es Monsieur Jean sehr an ihn selbst in jungen Jahren erinnert, als er von Frankreich in die Schweiz einreiste... einen jungen Taschendieb, dessen Schicksal sich ebenfalls wenden sollte, nachdem Jean Picard ihm eine Lektion fürs Leben erteilte...

Besonders charmant sind die Zettel, die der nette alte Herr verteilt und so dafür sorgt, dass zwei alte Ballerinas, die beide im Hotel wohnen und seit Jahrzehnten kein Wort miteinander sprachen, wieder "zu reden haben" ;) Madame Dupont und Marlene Weiß...

Mit sprachlich unerhörter und dennoch sehr sensibler Kraft und Ausdrucksstärke beschreibt Thomas Montasser auch die Gegensätze des Lebens bei Nacht, in der Monsieur Jean ja lebte und arbeitete - und seinen Wechsel zum Tag, der wesentlich lauter, hektischer und aufdringlicher ist; der aber auch ungewohnte Klänge in sich birgt, die ihm neu sind: Kinderlachen beispielsweise... Er liebt auch die Musik und die Oper, die er in seiner Kindheit kennenlernte und legt sich beim Zeitunglesen gerne Puccini oder Rossini auf, da die Oper für ihn der Inbegriff des Ausdrucks menschlicher Gefühle ist...

Der Roman liest sich auch wie ein Spaziergang durch Zürich, in dem man immer wieder auf Bekannte trifft, "in dem eigentlich aber nur der eine Chance hat, der es bereits geschafft hat" und man lernt natürlich die Orte kennen, die Monsieur Jean so sehr liebt, z.B. den Blumenmarkt. Unser (oft sich selbst unsichtbar machender) Held hat eine Gabe, anderen Menschen Mut und Selbstvertrauen zu geben, sie dahingehend zu motivieren, an ihren Zielen festzuhalten, dass es eine Freude ist. Man kann nicht anders, als vor ihm den Hut zu ziehen und ihn sehr zu mögen.

Zentrale Themen dieses wirklich bezaubernden Romans sind Freundschaft, Liebe, Hilfsbereitschaft, Loyalität, aber auch Poesie und Menschlichkeit, die Jean Picard oder Giacomo Picolli anderen Menschen zuteil werden lässt und versucht, durch ein kleines "Anschubsen" deren Glück möglicher zu machen. Wen wundert es, dass derart Beschenkte diesem alten Herrn ebenfalls sehr gerne "aus der Patsche" helfen? Am Ende fügt sich das meiste in einem großen Fest in Anas Café - sehr zur Freude der Anwesenden und natürlich des Gönners, Monsieur Jean.

Der Schreibstil des Autors ist wie die Geschichte selbst, beschwingt und heiter, dennoch auch mit melancholischen Untertönen besetzt, die jedoch das farblich-sprühende Gesamtbild wie einen Blumenstrauß, den man betrachtet, nicht zu verdunkeln vermag. Den Stil zeichnet auch für mich sehr positiv aus, dass Thomas Montasser es vermag, knappe Schilderungen bedeutsamer Taten eine starke Emotionalität zu geben, die diesen Taten innewohnt.

Fazit:

Eine zauberhafte Geschichte über einen sehr netten älteren Herrn, der es sich zur Aufgabe macht, andere Menschen zu ihrem Glück zu verhelfen und mit der ich schöne Lesestunden genoss: Man kann sich nur wünschen, dass es viele "Monsieur Jeans" geben sollte, womöglich würde die Zahl glücklicher Menschen rapide ansteigen! Mit einem augenzwinkernden Dankeschön vergebe ich die volle Punktezahl und 5*.

Veröffentlicht am 21.07.2017

Das Rätsel von Annandale Grange

Ein unmöglicher Mord
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Der 3. Fall des Literaturprofessors John Stableford und seines Freundes Percy Holmes ist dieses Mal in Upper Biggins, einem alten Herrenhaus namens "Annandale Grange" verortet und erschien mit dem Titel ...

Der 3. Fall des Literaturprofessors John Stableford und seines Freundes Percy Holmes ist dieses Mal in Upper Biggins, einem alten Herrenhaus namens "Annandale Grange" verortet und erschien mit dem Titel "Ein unmöglicher Mord" von Rob Reef, dem Autor der Serie im Sinne eines whodunit im Dryas-Verlag, Frankfurt (2017). Das mysteriös-dunkel wirkende Cover lädt den Fan englischer Kriminalliteratur geradezu ein, mitzurätseln und zu grübeln..Das Besondere an diesem 3. Fall der (historischen) Golf-Krimis ist die Tatsache, dass das Taschenbuch "ringsum begrünt" ist - was mir persönlich sehr gefallen hat. Ohne die beiden Vorgänger zu kennen, kommt man als Leser durch den tollen Schreibstil von Rob Reef, der atmosphärisch dicht zu lesen ist und durch brillante Gedankengänge John Stablefords als Ermittler glänzt, schnell in die Geschichte hinein.

"England 1938: Der Literaturprofessor und Gelegenheitsdetektiv John Stableford freut sich auf ein paar unbeschwerte Tage in der Bibliothek seines Schwiegervaters, dem Vikar von Upper Biggins. Doch als seine Nichte im Garten des Pfarrhauses einen mit einem Hakenkreuz markierten Golfball findet, ist es mit der Idylle schlagartig vorbei. Der skandalöse Fund führt John in das benachbarte Herrenhaus, wo ihn sein Freund Dr. Holmes erwartet. Noch am selben Abend bricht der Hausherr Sir Edmund Rogie zusammen. Doch damit nicht genug. Am folgenden Tag geschieht ein Mord, der so unmöglich zu sein scheint, dass Stableford an seinem Verstand zu zweifeln beginnt."(Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Mit dem besagten Golfball beginnt "das Rätsel von Annandale Grange", das Herrenhaus, in dem ein etwas inoffizielles Rückspiel des im August 1936 in Baden-Baden ausgetragenes Turnier stattfinden soll, das den begehrten Teller, die Trophäe, ins Deutsche Reich bringen soll (wir schreiben das Jahr 1938). Als "Beobachter" lädt Holmes seinen Freund John Stableford ein, der sich als Caddie im Turnier verdingt. Bevor dieses stattfinden kann, gibt es ein Bankett ganz nach dem Gusto der langjährigen Geliebten von Sir Edmund - Cocktails und Canapés - was letzterem nicht zu munden scheint, da er bewusstlos zusammenbricht...Nita Nye lebt mit ihrem Sohn Nero, einem zynischen Dandy gemeinsam in Sir Edmunds Anwesen und ist zutiefst erschüttert über den gesundheitlichen Zustand dessen...
Doch es sollte noch schlimmer kommen: Am Folgetag geschieht in unmittelbarer Nähe der Spieler ein Mord, der nahezu unmöglich ist und die detektivischen Fähigkeiten von Holmes und besonders von John Stableford aufs Äußerste fordern.

Die Ermittlungsarbeit (natürlich inoffiziell, da das Rückspiel ebenfalls nicht offiziell stattfand) der beiden beginnt und so werden alle zur Tatzeit Anwesenden vernommen. Die Vernehmungen gestalten sich schwierig und führen zunächst zu keinerlei Aufschlüssen, allerdings beleuchten sie sehr amüsant die Beziehungsgeflechte der Bewohner. Nach dem "Ausschlussverfahren" bleiben einige wenige Verdächtige übrig, doch wer war es? Der Leser rätselt bis zum Schluss mit, was mir persönlich sehr viel Spaß machte, da der Spannungsbogen bis zum Ende anhielt und sich in den letzten Kapiteln noch um einiges steigerte. Auch fließen Artefakte aus der Zeit des 1. Weltkrieges und die Bedeutung des Herrenhauses, das bis ins elisabethanische Zeitalter reicht, mit in die Handlung ein, was mir persönlich überaus gut gefiel, da es historische Bezüge aufweist.

Der Stil von Rob Reef ist sehr flüssig und sprachlich in die Zeit versetzt zu lesen, was den Fan von Kriminalromanen, die auf klassische Manier den alten Christie und Carr-Detektivromanen huldigen, sehr erfreut, da er dieses Genre sehr gut zu bedienen weiß und hier an die Klassiker gut ansetzt. Auch die Orte der Handlung sind atmosphärisch beschrieben, so dass man das Gefühl hat, man weile auf Annandale Grange und sehe Stableford über die Schulter. Die Figuren sind sehr facettenreich beschrieben, der Plot stimmig und sehr schlüssig.

Besonders freut man sich als neuer Fan dieser Stableford-Reihe, dass ein 4. Fall auf den Scilly-Inseln bereits in Planung ist ;)
Das Golf-Glossar schenkt auch Lesern ohne Kenntnisse dieses Sports einen guten Einblick und befindet sich am Ende des Krimis.

Fazit:

Eine gelungene Hommage an das Krimigenre der 1930er Jahre mit hohem Aufforderungscharakter an den geneigten Krimileser zum Miträtseln und -raten: Sehr vergnüglich, interessant und überzeugend, daher von mir 5* und 95° auf der "Krimi-Couch" sowie der Vorfreude, die Vorgänger sowie den Nachfolger, der 2018 geplant ist, noch zu lesen!