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SofieWalden

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Veröffentlicht am 24.08.2022

Zwei Schwestern erheben ihre Stimme und die Welt der Plantagenarbeiter, frei sein ist anders

Die Stimme meiner Schwester
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Früher waren die Arbeiter auf den großen Plantagen Brasiliens Sklaven. Dann, Ende des 19.Jahrhunderts wurden sie in die Freiheit entlassen und nahezu nichts hat sich geändert. In einem dieser, von ehemaligs ...

Früher waren die Arbeiter auf den großen Plantagen Brasiliens Sklaven. Dann, Ende des 19.Jahrhunderts wurden sie in die Freiheit entlassen und nahezu nichts hat sich geändert. In einem dieser, von ehemaligs Leibeigenen, bewohnten Dörfern leben die siebenjährige Bibiana und ihre ein Jahr jüngere Schwester Belonisia. Beim Herumstöbern finden sie ein Messer, das ihrer Großmutter gehört und verletzten sich daran, beide. Eine der Geschwister wird danach nie mehr sprechen können und so übernimmt die andere dies für sie. 30 Jahre werden wir die beiden Schwestern, vielleicht auch gerade durch ihre enge Bindung gestärkt, auf ihrem kämpferischen Weg, der Auflehnung gegen die rechtlosen Zustände ihrer dörflichen Gemeinschaft gegenüber den Großgrundbesitzern, begleiten. Und auch das Aufbegehren gegen die inneren Macht- und Gesellschaftsstrukturen innerhalb ihrer kleinen Gruppe ist ein Teil dieses Weges, ihres Lebens. Und dieses ist vor allem geprägt von Brutalität und Grausamkeit. Die realen Verhältnisse, in denen die so hart arbeitenden Menschen leben müssen, unfassbar und trotzdem lassen sie die Dinge geschehen, arbeiten stoisch weiter, zu müde und voller Angst, denn einst waren die Zeiten noch schlimmer und das weiß man noch gut. Und dann ist da noch die versteckte Hoffnung, dass am Ende ein besseres Leben steht, für die nächsten Generationen ihrer Familie.
Der Autor hat sich entschlossen, diese von ihm u.a. für seine Doktorarbeit erforschten Verhältnisse der Landarbeiter Brasiliens, den Nachkommen der Menschen, die ihr Leben hier als Sklaven fristeten, in Form eines fiktiven Romans zu veröffentlichen mit zwei Hauptprotagonistinnen, die uns Leser zwingen, hinzusehen. Das erklärt auch die direkte Art, das ungeschönte Benennen, den klaren schnörkellosen Schreibstil des Autors, der selbst einige Jahre mit den Landarbeiteren in ihrer dörflichen Gemeinschaft gelebt hat.
Dieses Buch, Wohlfühlunterhaltung bietet es nicht. Manchmal ist es fast schmerzhaft und man muss sich zwingen, sich nicht abzuwenden und sich der Realität dieser Geschichte bewusst zu sein. Aber letztendlich hält man es aus und liest weiter, weil man gar nicht anders kann.

Sehr zu empfehlen.

Veröffentlicht am 23.08.2022

Ein bisschen wie den Nil hinunterfahren, nach Agatha-Christie-Manier

Die Passage nach Maskat
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1929, die 'Champollion' verlässt Frankreich und macht sich auf den Weg in den Orieet. An Bord des Ozeanriesen eine illustre Gesellschaft unterschiedlicher Menschen, die alle ihr eigenes Süppchen kochen ...

1929, die 'Champollion' verlässt Frankreich und macht sich auf den Weg in den Orieet. An Bord des Ozeanriesen eine illustre Gesellschaft unterschiedlicher Menschen, die alle ihr eigenes Süppchen kochen und ihre Pläne sind nicht immer von positiver Natur. Unter ihnen die Kaufmannsfamilie Rosterg, zu der auch Tochter Dora gehört. Sie wird von ihrem Ehemann, dem Fotojournalisten Theodor Jung begleitet, für den diese Seereise eine persönlich sehr große Herausforderung ist, da damit ein Trauma aus seiner Zeit im 1.Weltkrieg verbunden ist. Dazu kommt, das ihm Doras Familie eher ablehnend gegenüber steht. Und der Prokurist der Firma, er hat ihn schon vorab bedroht, da er selbst ein Auge auf Tochter und Firma geworfen hat. Was dann passiert, für Jung ein Albtraum, denn plötzlich ist Dora unauffindbar. Und auf seine Nachfrage tragen alle großes Erstaunen zur Schau und behaupten, Dora wäre doch nie auf dem Schiff gewesen. Jung schwankt zwischen Zweifeln am eigenen Verstand und der sich immer mehr verstärkenden Erkenntnis, das dies hier ein abgekartetes Spiel ist und sollte er bis zur Anlandung in Maskat die Dinge nicht aufgeklärt haben, wird man ihn als Doras Mörder von Bord führen. Die Uhr tickt.
Dieses ein bisschen an Agatha Christie und ihren 'Tod auf dem Nil' erinnerndes Szenario, es hat, gerade unter diesem Aspekt durchaus seinen Reiz. Die Geschichte, zusätzlich sehr angenehm mit orientalischem Flair ausgebettet, ist sehr leicht und angenehm zu lesen. Spannung hat sie auch und am Ende erwartet man natürlich den großen Showdown, die sicherlich recht verästelte Aufklärung dieses bösen Spiels. Und gerade hier schwächelt es ein wenig. Eine komplett schlüssige Lösung, das gehört einfach dazu bei einem Kriminalroman, der irgendwie schon im Fahrtwasser der großen Agatha Christie unterwegs ist. Und da gilt auf alle Fälle: ermittelt, kombiniert, gelöst und dann nonchalant vorgetragen. Hecule Poirot lässt grüßen.
Eine Krimigeschichte, die am Ende etwas zu offen daherkommt, für mich.
Aber trotzdem sehr unterhaltsam und angenehm zu lesen.

Veröffentlicht am 23.08.2022

Das Landleben und dann zum Studieren in die Stadt, ein Kampf und irgendwo führt es hin

Snowflake
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Die 18-jährige Debbie lebt auf einer Milchfarm, weit draußen im schönen irischen Hinterland. Zu ihrer Familie gehören ihre Mutter, die teilweise, wie auch sie selbst, sehr in ihren Träumen lebt und dann ...

Die 18-jährige Debbie lebt auf einer Milchfarm, weit draußen im schönen irischen Hinterland. Zu ihrer Familie gehören ihre Mutter, die teilweise, wie auch sie selbst, sehr in ihren Träumen lebt und dann gibt es ihren ebenfalls etwas eigenen Onkel Billy, eine sehr enge Bezugsperson in ihrem bisherigen Kosmos. Denn nun beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Sie geht zum Studieren nach Dublin, in die große Stadt. Dort ist alles anders und vor allem die Menschen, ihre Kommilitonen, mit ihrem lockeren selbsicheren großstädtischen Hintergrund, sie lassen Debbie sich klein und verschüchtert fühlen. Und das merkt man auch. Dies vor den anderen verbergen zu können, dazu ist der, man kann schon fast sagen, Zivilisationsschock zu groß. Sie fällt auf mit ihrer naiven unlockeren Art und sie wird ausgelacht, nicht mal unbedingt in böser Absicht, aber sie ist nun mal ein echtes Landei. Aber sie gibt nicht auf. Die Flucht nach Hause, sie pendelt ja hin und her, das wäre einfach und dann wieder auch nicht, denn ein Fortkommen dort können ihr ihre Mutter und ihr Onkel, auch auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden, nicht bieten. Dafür sind sie selbst zu sehr 'angeschlagen' vom Leben. Und so macht sie weiter, öffnet sich, zieht aber auch Grenzen. Und ihr Selbstbewusstsein und ihre innere Persönlichkeit, sie wächst. Dabei hilft ihr auch eine ihrer Kommilitoninnen, Xanthe. Sie, die selbst ein bisschen anders ist, dies aber gut verbirgt, sie wird zur Freundin und Unterstützerin.
Mich hat diese Geschichte, Debbies Weg, hin zu sich selbst, sehr berührt. Es war mir eine Freude, diese junge Frau und auch all die anderen Protagonisten zu begleiten. Das Buch hat eine Menge schwerer Themen im Gepäck, aber auch viel Humor und ganz viel hart erkämpfte Lebensfreude. Einfach rundum sympathisch und ein absolut tolles Lesevergnügen, dieser Erstling der jungen irischen Autorin Louise Nealon.
Und ich freue mich schon auf mehr.

Veröffentlicht am 22.08.2022

Eine futuristische Lebensordnung im kleinen und auch sie scheitert

Auf See
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Die 17-jährige Yada, deren Vater eine eigene abgekapselte Lebensgemeinschaft, die 'Seestadt', aufgebaut hat, bekommt eine gute Ausbildung, wird aber von medialen und auch kulturellen Anreizen regelrecht ...

Die 17-jährige Yada, deren Vater eine eigene abgekapselte Lebensgemeinschaft, die 'Seestadt', aufgebaut hat, bekommt eine gute Ausbildung, wird aber von medialen und auch kulturellen Anreizen regelrecht abgeschottet. Ihr wird suggeriert, ein Leben 'außerhalb ihrer Blase' wäre inzwischen nicht mehr möglich. Doch dies ist wie so vieles andere nicht die Wahrheit. Yada merkt, dass dieses künstlich geschaffene Lebenskonstrukt an allen Ecken und Enden bröckelt, im wahrsten Sinne des Wortes und sie begehrt auf, indem sie den Dingen nachgeht und immer mehr Klarheit darüber bekommt, was 'wirklich' ist.
Und auch jenseits von Yadas Welt findet Leben auf gar nicht so menschenfeindliche Weise statt. Hierfür steht Helena, eine durch Zufall zum Orakel hochstilisierten Frau, die so auch als Anführerin einer Art Sekte fungiert, sehr widerwillig, was dann auch Ambitionen bei anderen weckt.
Yada und Helena, irgendwie steuern sie langsam aufeinander zu. Das ist schon klar und darin liegt auch eine gewisse Spannung. Als drittes sozusagen neutrales Element taucht 'das Archiv' immer wieder im Verlauf der Geschichte auf. Dies steht für die reale Welt und erzählt von sektenähnlichen Gebilden, Lebensformen, Gesellschaften, die es tatsächlich, gestaltet von Menschen, einst gab und die alle gescheitert sind. Aus Utopie wird Dystopie und die lässt schmerzhaft grüßen.
Das Gesamtwerk, das daraus entstanden ist, dieses durchaus literarisch ambitionierte Gebilde, es hat seinen Reiz, aber ganz überzeugt hat es nicht. Ein starkes Ende, das das Gesamtpaket fest zusammenschnürt, und einem als Leser die etwas verlorengegangene Orientierung zurückgibt, darauf hat man gehofft und es der Geschichte gewünscht.
So aber bleiben interessante gut recherchierte Fakten und ein schriftstellerisches Experiment, das beileibe nicht in einer Dystopie endet, aber es gibt noch Luft nach oben.

Veröffentlicht am 21.08.2022

Sechs Tage bis zum Termin

Sanfte Einführung ins Chaos
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Marta und Daniel sind ein Paar. Anfang 30, leben sie zusammen mit ihrem Hund Rufus in einer kleinen Mietwohnung in Barcelona. Beide sind berufstätig, aber der große Durchbruch ist sowohl Marta, die Fotojournalistin ...

Marta und Daniel sind ein Paar. Anfang 30, leben sie zusammen mit ihrem Hund Rufus in einer kleinen Mietwohnung in Barcelona. Beide sind berufstätig, aber der große Durchbruch ist sowohl Marta, die Fotojournalistin ist wie auch Daniel, der Drehbücher schreibt, bisher nicht gelungen. Sie haben die Hoffnung fürs berufliche Fortkommen noch nicht aufgegeben und vielleicht eröffnet sich schon morgen eine Chance. Da bricht etwas völlig 'Ungeplantes' in ihren Alltag ein. Marta ist schwanger. Und als sie Daniel dies erzählt, meint sie auch, bereits einen Entschluss gefasst zu haben. Sie will das Kind nicht und sie hat bereits einen Termin für den Abbruch, in sechs Tagen. Daniels Haltung ist zu diesem Zeitpunkt nicht so eindeutig, aber er erklärt, jeden Weg, die Entscheidung, die Marta letztendlich trifft, mitzutragen. Und so erleben wir als Leser mit, wie sich die beiden mit ihrer Situation, sie und er, auseinandersetzen. Das Hin und Her der Gedanken, die Rückblenden auf die eigene Vergangenheit, unter der vor allem Daniel durch den frühen Tod des Vaters und dem Versprechen an sich selbst, sein Kind niemals im Stich zu lassen, sehr leidet, die Geschichte spiegelt dies sehr authentisch und nachvollziehbar wieder. Der Part des Mannes, hier ist er, sicherlich nicht so üblich, größer als der der schwangeren Marta. Und mein Gefühl, wirklich eingebunden zu sein, war bzgl. Daniel auch etwas tiefgreifender. Wie es in Marta aussah, da hätte man gerne noch mehr erfahren, aber insgesamt ist diese intensive Episode im Leben der beiden auch genauso bei einem selbst angekommen. Dieses Miterleben hat zu keiner Wertung geführt. Man hofft einfach, dass die Entscheidung, die ganz am Ende der Geschichte getroffen wird, die richtige für die beiden ist und sie in ihrem weiteren Leben nicht zu sehr 'beschwert'.
Ein Buch, dessen ruhiger fließender Schreibstil sehr an die sachte, sanfte Art, mit dem Thema umzugehen, angepasst ist und den Fokus auf die beiden Hauptpersonen nie behindert, ich finde es sehr lesenswert.