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Veröffentlicht am 13.06.2022

H wie Hoffnung

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Der Mörder Simon Austen sitzt nun schon seit einiger Zeit in einer Strafvollzugsanstalt ein. Hier beginnt er, sein Leben von Grund auf umzukrempeln, lehrt lesen und schreiben und holt den Schulabschluss ...

Der Mörder Simon Austen sitzt nun schon seit einiger Zeit in einer Strafvollzugsanstalt ein. Hier beginnt er, sein Leben von Grund auf umzukrempeln, lehrt lesen und schreiben und holt den Schulabschluss nach. Mit seinem neuen Wissen tastet sich Simon an die Welt außerhalb des Gefängnisses heran. Er beginnt Brieffreundschaften mit Frauen. Doch durch einen unglücklichen Zufall wird Simon aus seinem bisherigen Gefängnis nach Wentham verlegt. Dort beginnt er eine Therapie, durchbricht den monotonen Gefängnisalltag seiner bisherigen Einrichtung und macht Fortschritten hinsichtlich seines Gewissens zu seiner Tat.

Dieser Roman ist eindeutig nicht plotgetrieben sondern wächst mit seinem Hauptprotagonisten Stück für Stück mit. Denn Simon Austen, seine Geschichte, seine Empfindungen und seine Wahrnehmungen im britischen Strafvollzug der ausklingenden 80er sind es, die die Geschichte tragen. Die Autorin hat den Protagonisten derart realitätsnahe und vielschichtig gestaltet, dass es einem beim Lesen sehr schwer fällt, nicht sofort mit Neugierde, Empathie und abstandnehmender Befremdung gleichzeitig auf ihn zu reagieren. Denn er ist nicht durch und durch das, was wir als einen guten Menschen bezeichnen würden, und dennoch ein absoluter Sympathieträger, der uns das Leben und Denken nach einem Mord näher bringt. Und das ist es auch, was die Autorin ebenso gekonnt in ihren Roman mit einbaut. So werden ihren eigenen Erfahrungen als "Writer in Residence" im britischen Strafvollzug mit Simon Austen ein Gesicht gegeben, dass für die Unmenschlichkeit des ganzen Systems zu stehen scheint.

Ein Buch, dass einem wirklich im Gedächtnis bleibt und sowohl mit poetischer Sprache, als auch mit beeindruckender Bildgewalt zum Innehalten animiert. Eine absolute Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 06.06.2022

Über die Realität hinaus

Unser Teil der Nacht
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Juan ist kein normaler Junge. Abgesehen von einem schweren Herzfehler, der ihn zwingt, sich mehreren schweren Operationen zu unterziehen, hat er auch noch die Gabe, als Medium in Kontakt mir der Dunkelheit ...

Juan ist kein normaler Junge. Abgesehen von einem schweren Herzfehler, der ihn zwingt, sich mehreren schweren Operationen zu unterziehen, hat er auch noch die Gabe, als Medium in Kontakt mir der Dunkelheit zu treten. Der Orden, der diese Dunkelheit schon seit Jahren anbetet, sich von ihr das ewige Leben erhofft, hat keinerlei Skrupel Juans Kräfte dafür auszunützen, ohne jederlei Rücksicht auf seine Gesundheit. Doch Juan lässt sich nicht unterkriegen, widersteht dem Orden und gründet eine Familie. Um seinem Sohn Gaspar den Schmerz zu ersparen, den er selbst ertragen musste, versucht Juan zusammen mit seinen engsten Vertrauten diesen vor dem Orden zu verstecken. Doch er weiß, dass dies nur ein Spiel auf Zeit ist.

Ich hatte die Autorin bereits in einer Sammlung von Erzählungen kennengelernt und fand mich sofort wieder in ihrem sprachlichen Stil wieder. Äußerst bunt und voller sprachlicher Bilder, versteckter Hommagen an das argentinische Land erzählt Mariana Enriquez die Geschichte rund um Juan und Gaspar, kreiert dabei einen tiefen und schweren Erzählfluss, der entschleunigt und zum Innehalten anregt. Geschmackssache, wobei ich persönlich diese Ruhe genießen konnte. Was mich aber am meisten freute, wieder erleben zu können, bzw. darüber lesen zu können, war die surrealen Elemente der Geschichte, die sich am ehesten noch mit magischem Realismus beschreiben lassen können. Dunkelheit, böse Wesen und die Geister der Argentinier spielen auch hier wieder eine tragende Rolle bzw. sind ein unabdingbares Element der Handlung. Dennoch bekommt man sehr eindrucksvoll ein Panorama über die argentinische Militärdiktatur und die ersten holprigen Jahre danach präsentiert. Geschildert wird, was die Menschen so bewegte, mit welcher Härte gegen die Bevölkerung vorgegangen wurde, wer die Nutznießer der Terrorherrschaft waren und wer dessen Opfer. Sehr schön arbeitet die Autorin mit abwechselnder Intensität die Geschichte ihres Heimatlandes auf. So beeindruckte mich unter anderem, wie die Autorin beispielsweise die AIDS-Krise in ihrem Heimatland aufgreift und diese intensiv und authentisch der Leserschaft weitergibt, sodass man ein eindrucksvolles und authentisches Bild der damaligen Geschehnisse bekommt.

Der Punkt, der mich allerdings am meisten von dem Buch überzeugen konnte, ist die Komplexität mit der die Figurenkomposition gestaltet ist. Man bekommt in jedem neuen Kapitel die unterschiedlichsten Facetten der Protagonisten präsentiert, begleitet diese über knapp zwei Jahrzehnte, verfolgt enorme charaktertechnische Entwicklungen und findet sich mehr und mehr in einzelnen Situationen oder Facetten der Protagonisten wieder. Dazu gehören zweifelsfrei auch die Perspektivwechsel, mit denen die Kapitelwechsel einhergehen. Jedes der großen Kapitel des Buches wird aus der Sicht einer anderen mehr oder weniger bedeutungsschweren Person geschildert. Dadurch ergibt sich auch ein komplexeres Bild der Geschehnisse aber auch, wie die Protagonisten jeweils von den anderen gewertet und bewertet werden. Ein krasses 360-Grad-Panorama, das immer wieder neue Facetten an den tag bringt, die während des Lesens zu absoluten Wow-Momenten führen.

Insgesamt ergibt sich ein für mich stimmiges und düsteres Gesamtporträt der zweiten Hälfte des argentinischen 20. Jahrhunderts, dass mit beängstigender Übernatürlichkeit aufwarten kann. Dennoch braucht man für das Buch einen langen Atem und die Muse, sich damit beschäftigen zu können.

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Veröffentlicht am 17.04.2022

Guter Einblick in die österreichische Geschichte

Der Trafikant
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Im Sommer 1937 kommt der junge Franz Huchel nach Wien und beginnt dort eine Ausbildung zum Trafikanten bei Otto Trsnjek. Schnell taucht der aus dem beschaulichen Salzkammergut stammende Franz in das hektische ...

Im Sommer 1937 kommt der junge Franz Huchel nach Wien und beginnt dort eine Ausbildung zum Trafikanten bei Otto Trsnjek. Schnell taucht der aus dem beschaulichen Salzkammergut stammende Franz in das hektische und aktive Leben Wiens ein, lernt neue Vergnügungen kennen, begegnet der Liebe und tritt unter anderem auch in Kontakt zu Siegmund Freud, der Stammkunde der Trafik ist,. Schnell kann dieser den jungen Mann faszinieren und ihn als Gesprächspartner für sich gewinnen. Doch es ist der Vorabend des Anschlusses an Deutschland und neben den Freuden des Stadtlebens muss Franz recht schnell auch mit den Schattenseiten des politischen Epizentrums Wien Bekanntschaft machen.

Der Roman bietet wirklich gute Unterhaltung. Bedingt durch den simplen und geradlinigen Schreibstil wird man sehr schnell und flüssig durch die Geschichte getragen und ließt lange Passagen am Stück. Dazu kommt noch, dass durch die persönlichen Lebensleiden Franz Huchels und durch die Zeit des Anschlusses und den damit verbundenen politischen Umbrüchen, die in diesem Buch aufgearbeitet werden, ein enormer Spannungsbogen entsteht, der die Leserschaft an der Stange hält. Gerade diese Mischung ist es aber auch, die das Buch so interessant macht. Weder die Geschichte rund um den Protagonisten, noch die historischen Hintergründe gewinnen an Übergewicht. Diese Balance verursacht deshalb, dass das Buch weder zu kitschig und emotional verwirrend wird, noch, dass trockene historisch interessante Passagen den Lesefluss und die Spannung beeinträchtigen. Im Generellen bietet das Buch eine sehr anschauliche und unterhaltsame Möglichkeit, sich mit der österreichischen Gesellschafts- und Politiklage der Jahre 1937, 38 und 39 auseinanderzusetzen, da diese spielerisch und authentisch in den Inhalt mit einfließen. Einzig und alleine den Protagonisten Franz empfand ich als ein wenig blass und unindividuell gestaltet. Da habe ich definitiv schon Erfahrungen mit einem facettenreicher gestalteten Figurenensamble machen können.

Nichts destotrotz ist und bleibt das Buch eine spannende und interessante Lektüre, die ich nur weiter ans Herz legen kann.

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Veröffentlicht am 16.01.2022

Notizen

Süden und Westen
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Im Sommer 1970 beschließt Joan Didion zusammen mit ihrem Mann eine Reise in den Süden zu unternehmen. Von New Orleans aus geht es nach Mississippi und wieder zurück. Dabei sammelt sie Notizen, ihre Gedanken ...

Im Sommer 1970 beschließt Joan Didion zusammen mit ihrem Mann eine Reise in den Süden zu unternehmen. Von New Orleans aus geht es nach Mississippi und wieder zurück. Dabei sammelt sie Notizen, ihre Gedanken zu den Menschen des Südens, zu deren Veröffentlichung es bis jetzt noch nicht gekommen ist.

Obwohl es sich nur um Notizen handelt, spricht daraus eine poetische Aufmerksamkeit. Joan Didion erweist sich als aufmerksame Zuhörerin, ohne dabei zu werten, lässt den Süden auf sich wirken. Und ihn dieser klaren Form bekommen wir als Leser:innen diesen Süden dann präsentiert, in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Komplexität. Ohne es zu wissen, würde man beim Lesen deutlich zwei Dinge merken: Zunächst einmal springt einem sofort ins Auge, dass wir uns gerade am Beginn der 70er Jahre befinden. Der Süden beginnt sich offiziell von Rassentrennung und Co. zu verabschieden, dennoch ist in den meisten Köpfen der Gedanke von getrennten Welten tief verankert, und diejenigen, die meinen, sie stehen auf der progressiven Seite, wollen es mit dem guten Willen nicht übertreiben. Auch erkennt man im Süden der 70er Jahre den Süden der 2020er wieder. Wirtschaftliche Abgehängtheit, Bevölkerungsverlust und der störrische Unwille gegen die anderen Landesteile und der daraus resultierende Zusammenhalt. Joan Didion hat mit Mississippi, Alabama und Louisiana 3 Bundesstaaten besucht, die heute noch wirtschaftlich und gesellschaftlich hinterherhinken. Besonders interessant wäre es für mich allerdings gewesen, einen direkten Vergleich der Staaten zu sehen, die heute mehr und mehr den Sprung in die Wirklichkeit geschafft haben und zu den neuen Hotspots des amerikanischen Lebens werden. Georgia oder North Carolina in den 70er Jahren und 50 Jahre später wäre beispielsweise für mich wirklich interessant zu sehen gewesen.

Alles in Allem gibt das Buch aber einen wirklich guten Einblick in die moderne Identität des Südens und hat sich als nachdenklich machende, reizende und unterhaltsame Lektüre herausgestellt.

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Veröffentlicht am 02.11.2021

Menschenunwürdige Weltanschauung in den Tropen

In der Strafkolonie
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Ein Forschungsreisender macht einen Abstecher in eine tropische Strafkolonie. Dort trifft er auf einen Offizier, der ganz davon begeistert ist, dem Reisenden die Maschine vorzuführen, mit der hier die ...

Ein Forschungsreisender macht einen Abstecher in eine tropische Strafkolonie. Dort trifft er auf einen Offizier, der ganz davon begeistert ist, dem Reisenden die Maschine vorzuführen, mit der hier die Zum-Tode-verurteilten exekutiert werden. Mit akribischer Begeisterung erklärt er ihm, wie die Maschine funktioniert und schwärmt dabei von den guten alten Zeiten unter dem alten Kommandanten, als Hinrichtungen mit dieser Maschine noch regelmäßige Ereignisse waren. Zwar ist der Forschungsreisende von der Praxis des Tötens von verurteilten angewidert, doch der Offizier hofft darauf, bei ihm Eindruck zu schinden, um so für den Erhalt dieser Tötungspraxis zu kämpfen

Die Erzählung Kafkas hat mich wirklich beeindruckt. Der geradlinige Erzählstil saugt einen in das Geschehen, es beginnt leise und ruhig, steigert sich zu einem Sturm, bevor es gegen Ende wieder sanft abklingt. Beeindruckend ist auch die Atmosphäre, die in der Geschichte herrscht. Düster, abschreckend und schon fast menschenfeindlich. Man erbost sich als zivilisierter Mensch an der Weltanschauung des Offiziers und Praktiken, mit denen hier jedem das Recht auf einen fairen Prozess entrissen wird. Einzig und alleine die letzte Szene lies mich ein wenig ratlos zurück. Sie trug nicht wirklich zur Handlung bei und die Geschichte hat sich für mich schon perfekt abgerundet und zu einem Schluss gefunden. Meiner Meinung nach waren diese 1 1/2 Seiten ein wenig überflüssig.

Kurz und knapp ist "In der Strafkolonie" aber ein durchaus gelungene Erzählung, die einen sehr guten Einstieg in Kafkas Werke und den damit verbundenen Kampf gegen Autoritäten bietet, und Lust auf mehr macht.

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